Risse, Risse 4
Mai
2003

Anti-WEF: Nationaler Widerstand?

Die Bundesbehörden definieren die reibungslose Durchführung des WEF in Davos als Angelegenheit von nationalem Interesse. Für GlobalisierungsgegnerInnen ist das WEF ein Treffen von transnationalen Unternehmen und des Finanzkapitals, welche die «Souveränität und Selbstbestimmung der Völker» bedrohen. Unter diesen Fahnen kann alles Mögliche marschieren, nur nichts Progressives.

Nachdem das WEF (World Economic Forum) vergangenes Jahr in New York stattgefunden hatte, kehrte es dieses Jahr auf Drängen der politischen Landschaft der Schweiz in den Kurort Davos zurück. Was die sogenannte Antiglobalisierungsbewegung als «Smalltalk unter Globalleaders» oder als Weltzentrale des Kapitals wahrnimmt, ist neben seiner Funktion als Plattform zur Ausarbeitung von Krisenstrategien und Wirtschaftsdeals auch für schweizer Staat und Kapital von immensem Nutzen.

Neben den offiziellen Gesprächen und Veranstaltungen sind vor allem die informellen Treffen, welche nicht dem Veranstaltungsprogramm zu entnehmen sind, von Bedeutung. Dabei wird das Lobbying von schweizer Firmen oftmals von VertreterInnen des Staates unterstützt. Am WEF 2000 beispielsweise luden erstmals schweizer Wirtschaft und Politik gemeinsam zu einem Bankett, um die Schweiz als attraktiven Wirtschaftsstandort und Finanzplatz zu verkaufen. Bundesrat Pascal Couchepin und UBS-Chef Marcel Ospel begrüssten jeden Gast persönlich im Hotel Pöschtli. Ersterer hielt dieses Jahr als Bundespräsident die Eröffnungsansprache, in welcher er sich klar gegen den Irakkrieg aussprach. Man müsse alle Hebel in Bewegung setzen, um einen Krieg zu verhindern. Sollte es tatsächlich zu einem Krieg kommen, hätte dies besonders Auswirkungen auf die schweizerische Geld- und Währungspolitik, sorgte sich währenddessen sein Amtskollege Deiss um die schweizer Wirtschaft. Das Treffen der schweizerischen Aussenministerin Calmy-Rey mit Colin Powell, an welchem sie «die guten Dienste der Schweiz zur Verfügung stellen» wollte, um einen Krieg abzuwehren, kann auch unter diesem Aspekt betrachtet werden. Vermutlich muss es aber als kläglich gescheiterter Versuch gewertet werden, sich auf internationaler Bühne zu profilieren. Jährlich bietet sich die Möglichkeit für Bundes-, Kantons- und sogar Gemeinderäte, sich mit AmtskollegInnen aus andern Ländern zu treffen. Das WEF muss laut Staatssekretär David Syz zur erweiterten schweizer Aussenpolitik gezählt werden. «Mit Konferenzen wie dem WEF wirkt die Schweiz aktiv an der für die Staatengemeinschaft heute zentralen Agenda «Globale Strukturpolitik» mit» (Homepage der schweizer Bundesbehörden).

Das Volk von Olten

Genau umgekehrt sehen das aber die «Globalisierungsgegner». «Das WEF gefährdet demokratische Strukturen» lässt sich in der Plattform des Oltener Bündnisses, des Zusammenschlusses der DemonstrationsveranstalterInnen gegen das WEF, nachlesen. Dass mit jenen demokratischen Strukturen, neben allerlei Zivilgesellschaft und NGOs, die auf den Nationalstaat beschränkten politischen Systeme gemeint sind, liegt auf der Hand. Dies lasse sich daran beobachten, dass «das WEF für die politische Einflussnahme transnationaler Konzerne» stehe, der Staat als Demokratiegarant müsse – losgelöst von ökonomischen Interessen – seine BürgerInnen gegen das transnationale Böse verteidigen. Ausserdem zwinge das WEF die Schweiz, «den antidemokratischen Sicherheitsstaat hochzuziehen». Da kommen sie in die Alpenrepublik, die Transnationalen, und schon geht die gute alte Demokratie flöten. Dass der Staat seine eigenen Interessen, die hier mit denen des nationalen Kapitals identisch sind, verteidigt, bleibt aussen vor.

Das WEF wird als verschwörerisches Treffen wahrgenommen, an welchem sich wenige Grosse treffen um über «das Wohl der Welt» zu entscheiden. «Die kleinen schweizer Grossen kommen auch nach Davos, um von den grossen Grossen zu lernen, wie man soziale Sicherheiten knacken, die lokale Landwirtschaft zerstören, Gesundheitssysteme privatisieren und Arbeitslose ins soziale Abseits drängen kann» (Zeitung des Oltener Bündnis). Die schweizer TeilnehmerInnen lernen also von der «Weltelite», wie das «neoliberale Projekt» umzusetzen ist. Dabei wird nicht erkannt, dass sich das «Projekt Neoliberalismus» aus einer Krise der Kapitalverwertung entwickelt hat, dass also die «Amerikanisierung» der Politik einen ökonomischen Ursprung hat. Im Gegenteil, man verklärt die momentane Krise zu einer direkten Folge jener Politik, die eben «die da oben in Davos» beschlossen haben, einer Politik, die von aussen an die Schweiz herangetragen werde. Dagegen träumt man sich die gute alte Zeit herbei. Einen wachsenden Rückhalt dafür sieht man in der Bevölkerung. «Auch in der Schweiz wächst der Unmut über die neoliberale Logik, die schamlose Bereicherung weniger, die Arroganz der Banken und die Verschacherung öffentlicher Güter an private Investoren.»

Die Spezialisten in Sachen Finanzkapital und arrogante Banken, von der im Oltener Bündnis organisierten Gruppe Attac schimpfen: «Die Globalisierung der Finanzmärkte verschärft die wirtschaftliche Instabilität und die gesellschaftlichen Ungleichheiten. Sie missachtet die Entscheide der Völker und übergeht die demokratischen Institutionen und ihre Souveränität, offizielle Hüter des Allgemeinwohls.» Die Hüter des Allgemeinwohls gilt es also zu stärken. Wer dabei alles als Bündnispartner in Frage kommt, zeigte sich während des letztjährigen WEF-Treffens in Salzburg. Dort stellten ATTAC-Österreich, Arbeiterkammer und Wirtschaftsbund gemeinsam das Programm des Gegengipfels vor. «Der Wirtschaftsbund Salzburg als Anwalt der klein- und mittelständischen Wirtschaft tritt dafür ein, dass die Interessen der KMUs bei der Globalisierung ihrer Bedeutung und Stärke entsprechend vertreten werden» (Mitteilung ATTAC). Der ehemals für die «Taskforce KMU» (Kleine- und Mittlere Unternehmen) des Seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) tätige schweizer Attac-Funktionär Andreas Maag sieht in seiner damaligen Tätigkeit keinen Widerspruch zu seinem politischen Engagement. Schliesslich müssten Kleinunternehmen auch gegen multinationale Firmen kämpfen: das national gebundene, schaffende Kapital also, welches sich gegen das transnationale zu wehren hat.

«Die Erklärung von Bern», Veranstalterin des Gegengipfels «Public eye on Davos» und ebenfalls im Oltener Bündnis, fordert «die «Kontrolle des Managements» durch den Staat. Denn «die neue Managergeneration ist international ausgerichtet, hat lange Auslandserfahrung oder stammt von Tochterfirmen aus dem Ausland. Ihr Interesse an der Schweiz ist gering». An ihrem Gegengipfel, an welchem letztes Jahr noch Bundesrat Villiger referiert hatte, eröffnete dieses Jahr Oskar Lafontaine die Veranstaltung. Neben der Forderung, Europa solle sich als vernünftiger Gegenpart endlich gegen Amerika vereinen, geht es ihm wie vielen anderen um das eigentlich Böse in der Welt. «Das Finanzkapital hat seine eigenen Gesetze aufgestellt und die Welt diesen Gesetzen unterworfen.»

Das Volk aus den Bergen

Auf Indymedia, der Medienplattform der Proteste, wird das Auftauchen von «verkleideten Bündner Bergbauern» bejubelt, welche durch Bern gezogen seien und ein Skirennen im MacDonalds veranstaltet hätten. Im Namen von «Schellenursli» – einer traditionell schweizerischen Kinderbuchfigur – gab diese Gruppe ein Medienkommuniquee heraus. Darin heisst es: «Wie Sie ja in meinen Bilderbüchern lesen können, liebe ich das Bündnerland über Alles. Die wunderschönen Berge und Täler, die Alpweiden und die herzliche Bevölkerung sind meine Heimat. Leider habe ich aber in den letzten Jahren immer wieder beobachtet, wie sich jeweils im Januar sehr mächtige Menschen in unserer schönen Region getroffen haben. Diese Städter, so habe ich herausgefunden, führen nichts Gutes im Schilde! Einfache Leute, wie mich, wollen sie ausbeuten und die ganze Erde möchten sie am liebsten unter sich aufteilen.» Die Städter müssen weg, die Fremdherrschaft soll aufgehoben und der Ausbeutung der Bauern durch die internationale Hochfinanz ein Riegel geschoben werden. Bei soviel Heimatliebe und Volksverbundenheit darf der nationale Widerstand auch nicht von der Regierung gebremst werden; denn «auf diese Chabis-Regierung in Bern werden wir, glaub ich, nicht zählen können».

Populistischer Kitt

Die mobilisierende Kraft der globalisierungskritischen Ideologien besteht gerade in den dargelegten Parallelen zum rechten «Populismus». Gefordert wird die Aufleh-nung gegen die Fremdherrschaft, gegen das internationale Böse, sei dies in Form der transnationalen Unternehmen bzw. des Finanzkapitals oder der amerikanischen Nation. Die Beherrschung durch diese fremden «Mächte» kommt meist in Begleitung des latenten Wahnsinns der Verschwörungstheorie daher. Die vermeintliche Differenzierung ihres dichotomen Weltbildes, auch innerhalb der eigenen Nation oder sonstigen vorgestellten Gemeinschaft Unterdrücker zu sehen, widerspricht dem nicht. Im Gegenteil, ein solcher Protest gegen diese «Machteliten» und das politische System befriedigt das Ressentiment des einfachen Mannes gegen die Mächtigen im Staat und gegen übergrosse Konzerne und Banken. Der Kapitalismus als gesellschaftliches Verhältnis wird nicht angerührt, das kleine Unternehmen um die Ecke ist die arbeitsplatzerhaltende Perspektive zu den internationalen Lebensraumzerstörern, der Selbstversorger die Alternative zum dekadenten McDonalds-Konsumenten.

«Die Stimme des fortschrittlichen Nationalismus», das faschistische Nachrichtenportal «freie Stimme» formuliert es so: «Die Nationalökonomien aller europäischen Völker müssen wieder unabhängig werden, um ihren hauptsächlichen Trumpf, die Intelligenz und Vielfältigkeit ihrer Produktionen bis hin zur Fähigkeit der Autarkie, spielen zu können. Die amerikanische Ökonomie dagegen sucht zu beherrschen»; dadurch «macht sie die Politik zu Marionetten, welche durch die Wirtschaftsführer gelenkt werden». Gemeinsam mit den AntiglobalisiererInnen lässt es sich träumen: «Die antikapitalistische Revolution der Völker wird ihren zweiten Anlauf nehmen und diesmal endgültig siegen!» Genau diesen Endsieg gilt es mit allen Mitteln zu verhindern.

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