Heft 4-5/2003
August
2003

Auschwitz ist die Antwort

Anmerkungen zur Friedensbewegung

Dass die Friedensbewe­gung weniger eine Be­wegung des Friedens als viel mehr eine Manifestation des „massenhaften Antiamerika­nismus“ — „eng verwoben mit Antisemitismus“ — war und ist, hat Heribert Schiedel in seinem Beitrag „Warum ich auf keine Friedensdemo ging“ differenziert ausgeführt und damit eigentlich alles gesagt. Markus Kemmerling konnte in seiner Antwort die zentrale Aussage von Heribert Schiedel nicht entkräf­ten. Vielmehr zeigt er in sei­nem Beitrag „Kritisieren, nicht denunzieren“ unge­wollt, in welchem Zustand die Bewegung ist: Es fällt kein einziges Argument für die Sinnhaftigkeit der Demos, sondern durchaus Kritik an diesen, und dennoch ertönen lauter Angriffe und Übertrei­bungen. Wenn nun sogar Menschen, die der Friedens­bewegung eigentlich kritisch gegenüberstehen, zu solchen heftigen Reaktionen fähig sind, wie muss es dann erst um die TrägerInnen der Be­wegung selbst stehen?

Wie weiters die Weige­rung, — in der Frage Irak- Krieg: dagegen oder dafür — Standpunkt zu beziehen, im­mer noch aufrechterhalten werden kann, wie das in dem Beitrag „Fähnchen im Kopf“ von Günter Hefler zum Aus­druck kommt, ist mir eben­so schleierhaft wie sie mir verwerflich erscheint. Die Fakten sprechen jetzt schon eine zu deutliche Sprache: Der Krieg im Irak ist eine Chance und obwohl wir noch nicht wissen, ob diese auch im Sinne der leidge­plagten Bevölkerung genützt werden wird, steht jetzt schon fest, dass die Men­schen im Irak über Husseins Verschwinden froh sind.

„Natürlich hat auch die­ser Krieg viel Tote gebracht,“ sagt Nareman Darbandi, Ak­tivist der PUK, gegenüber der ÖKOLI Wien und bringt damit alles auf den Punkt. „Aber wer spricht von den vielen Toten, die es gegeben hätte, wäre Saddam weiter an der Macht geblieben?“

Für mich war die Frage, ob nun ein Krieg zum Sturz von Saddam Hussein geführt werden sollte oder nicht, von Anfang an eine ziemlich klare Angelegenheit. Nicht nur für die Menschen im Irak war und ist der Krieg eine Chan­ce, sondern auch für die gesamte Region: eine Chance für Israel, für Palästina, eine Chance auf eine veränderte Sicherheitslage und damit auf Frieden im Nahen Osten. Doch dass die Friedensbe­wegung „auch oder vor allem eine Bewegung gegen Israel“ ist, auch das hat Heribert Schiedel in seinem Beitrag ausgeführt.

Aber abgesehen davon — wie überzeugend ist eine De­monstration gegen den Irak-Krieg, wenn sich Exilirake­rInnen daran nicht beteiligen, wenn also jene Menschen, um deren Wohl es vorgeblich geht, für die sich sogar menschliche „Schutzschilder“ mit ihrem Leben einsetzen, lieber zuhause bleiben?

An den Demonstrationen hatte sich einmal mehr ge­zeigt: Die, um die es angeb­lich geht, sind gewollter Wei­se und ungewollter Weise ausgeschlossen. Das passiert regelmäßig hierzulande und ist offenbar noch nie ein Grund gewesen, politische Inhalte zu hinterfragen. Zum Beispiel die Kundgebungen zum 9. November im Gedenken an die Pogromnacht 1938. An der „traditionellen“ Kundgebung am Aspangbahnhof treffen sich alle mög­lichen Gruppen, jüdische Or­ganisationen sind keine dabei. Auch hier frage ich mich: Wie überzeugend ist eine Kund­gebung, die der Ausschrei­tungen gegen Jüdinnen und Juden gedenkt, wenn diese daran nicht teilnehmen? In dem einen Fall fehlt das klare Bekenntnis zur Existenz Isra­els und die eindeutige Verur­teilung islamistischer Terror­anschläge, im anderen Fall ein klares Bekenntnis für eine Verbesserung der Situation für die irakische Bevölkerung und eine eindeutige Verurtei­lung des Diktators Saddam Hussein.

Bild: Fotosammlung DÖW

Was hätte das aber be­deutet für die Friedensbewe­gung, was hätte sie tun, sagen, postulieren müssen, um es exilirakischen Organisationen möglich zu machen, an den Demonstrationen teilzuneh­men? Sie hätte wohl ihre In­halte überdenken und sie letzdich entsorgen müssen.

Und dann ist da noch was. „Wenn die Friedensde­monstrantinnen Krieg in je­dem Fall ablehnen, dann wären sie wohl auch dagegen gewesen, dass die USA Eu­ropa vom Nationalsozialis­mus befreien,“ sagt Nareman Darbandi.

Ich kann Amerika nicht hassen. Amerika ist das Land, in dem meine Verwandten in Frieden und Freiheit leben konnten und können, es ist das Land, in dem jüdisches Leben in seiner ganzen Viel­fältigkeit existieren, sich ent­wickeln und verändern konn­te und kann. Aber Hauptsa­che die linken Nachkommen der TäterInnen können Ame­rika weiterhin hassen, gegen jeden Krieg unter allen Um­ständen demonstrieren, gedankenlos gegen Israel het­zen oder — die etwas abge­milderte Form von abwehrhafter Geschichtsbewusstseinslosigkeit — eine weiner­liche Ich-bin-ja-so-im-Dilemma-Haltung einnehmen.

Das ist ja auch viel einfa­cher. Denn: Geschichtsbe­wusstsein bedeutet, Auschwitz eine Relevanz zu geben im Heute und Jetzt, heißt histo­rische Tatsachen wie die sechs Millionen nicht belie­big aus- oder einzublenden, heißt zu erkennen, dass es in diesem Land kein Zuhause gibt, nur eine handvoll ver­trauenswürdiger Menschen, heißt Abschied nehmen von Menschen und Gruppierun­gen, die kein Problem haben, aus Gründen der massen­wirksamen Verständlichkeit komplizierte politische Zusammenhänge zu vereinfa­chen und möglichst viele Menschen zu binden, auch wenn diese Rechtsextreme sind, heißt Abschied nehmen von Menschen und Gruppierungen, mit denen man sich früher wohl zu fühlen glaubte. Auschwitz eine Re­levanz zu geben im Heute und Jetzt heißt zu brechen: mit dem Land der TäterInnen und der Kontinuität des Antisemitismus in seinen vie­len und ständig neuen Er­scheinungsformen. Ausch­witz ist kein Reflex. Ausch­witz ist die Antwort. Wer von Gewalt(kritik) redet, darf von Auschwitz nicht schweigen.

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