MOZ, Nummer 56
Oktober
1990
Medien

Bürger machen Radio

Radiomacher aus sämtlichen Teilen der Welt trafen sich zu einem internationalen Erfahrungsaustausch in Dublin anläßlich der vierten Weltkonferenz nichtkommerzieller Radios.

Etwa 250 Vertreterinnen von „Community Radio“-Stationen aus 47 Ländern trafen sich vom 12. bis zum 18. August 1990 in Dublin zum 4. Weltkongreß der AMARC, der „World Association of Community Broadcasters“. Diese 1982 in Kanada gegründete Organisation, die der UNESCO nahesteht, hat es sich zum Ziel gesetzt, weltweit jenen Radiostationen ein gemeinsames Forum zu geben, welche „Bürgerradio“ machen: Programme, von Bürgern und für Bürger gestaltet. Schon die Wahl des Veranstaltungsortes zeigt etwas von den Intentionen dieser Organisation: wurde die 3. Konferenz vor zwei Jahren in Managua abgehalten,.war heuer als europäischer Austragungsort Irland ausgewählt; 1992 wird AMARC 5 in Mexico City konferieren.

Der zentrale Betriff aller in der AMAREC vertretenen Radiostationen ist jener der „Community“, ein Wort ohne treffendes deutsches Äquivalent. Nach den Statuten ist darunter jedes „non-profit Radio“ zu verstehen, das „der Community eine Dienstleistung anbietet, in der es beheimatet ist oder zu der es sendet, um die Ausdrucks- und Beteiligungsmöglichkeiten dieser Community zu stärken“. Community Radio wird so als Oberbegriff all jener auf lokalen Initiativen beruhenden Sender gesehen, die besonders in den vergangenen 10 bis 15 Jahren in vielen Ländern entstanden sind; da gibt es die Gemeinderadios in Nordeuropa, die freien und assoziierten Radios in Südeuropa, die Lokalradios etwa in Holland oder der Schweiz, das Community Radio in Kanada oder den USA, das Public Radio in Amerika, Aborigin-Sender in Alaska oder in Australien. Als vergleichsweise kostengünstiges und auch in Gebieten mit hohem Analphabetismus einsetzbares Medium wird bürgernahes Radio gerade in Lateinamerika, Afrika. oder Teilen Asiens immer stärker genutzt. Nach dem Selbstverständnis der AMAREC besitzt Community Radio neben der regionalen vor allem auch eine starke demokratische Komponente. Dies bedeutet eine pluralistische Art der Kommunikation, die sich in das Interesse einer topographischen, sozialen, kulturellen, politischen oder ökonomischen Gemeinschaft stellt. Das Zielpublikum (und zugleich der Kreis der potentiellen Programmmacher) kann aus einem Stadtteil, einer ländlichen Gemeinde, aber ebenso aus einer bestimmten Gruppe von Frauen, Arbeitern oder etwa einer sprachlichen Minderheit bestehen. In vielen Fällen dient Community Radio dazu, „die Probleme anzugehen, die wegen der Monopolisierung der Medien durch lokale oder internationale, ökonomische und politische Interessen entstanden sind“, liest man im Grundsatzpapier.

Die zahlreichen Referate, die Stellungnahmen während der Workshops, vor allem aber auf die persönlichen Kontakte abseits des Kongreßgeschehens zeigten deutlich, daß diese Vorstellungen der AMARC nicht nur als Theorien entwickelt wurden, sondern zahlreiche dieser Ideen in verschiedensten Formen bereits realisiert sind. Bei der Suche nach Übereinstimmung und gemeinsamen Wegen ließen sich aber doch, wenn auch nur unterschwellig anklingende Differenzen festmachen. Eine dieser Konfliktlinien läßt sich an den ökonomisch-politischen Gegebenheiten in den einzelnen Staaten ausmachen: gleich der etablierten internationalen Nachrichten-Szene mit ihren Mediengiganten und monopolähnlichen Nachrichtenagenturen läßt sich ein kongruenter Trend auch im Bereich der Community Radios erkennen. Ein extremes Nord-SüdGefälle ist nicht nur bezüglich der materiellen Ressourcen einzelner Stationen feststellbar, sondern auch in bezug auf Reichweiten, ideelle Möglichkeiten und Trends zu Zusammenarbeit und Vernetzung. Müssen Radios in Lateinamerika oder Asien mit geringsten Mitteln — oft steht nicht mehr als ein veraltetes Sendegerät und ein Cassettenrecorder zur Verfügung — ihr Auslangen finden, diskutiert man in den USA und Teilen Europas die Chancen aufwendiger Übertragungssysteme. So haben sich in den USA kürzlich 35 community und public radios zu einem Nachrichten-Network zusammengeschlossen, das über einen von der „Pacifica Foundation“ (dem größten amerikanischen nonprofit Radionetwork) gecharterten Satelliten ein ganztägiges Sprechprogramm anbietet, das allen Hörern von Alaska bis Nicaragua, soferne sie sich den Ankauf einer Satellitenantenne leisten können, alternative Informationen bietet. Die finanziellen Möglichkeiten sind kaum vergleichbar: ist die finanzielle Situation der nichtkommerziellen Radios in den westlichen Staaten nicht gerade rosig, so können sich doch etliche Stationen in den USA (vor allem durch Hörerbeiträge) und in Europa (durch staatliche Zuschüsse etwa beim französischen oder nordeuropäischen Modell) über Wasser halten. Mit beiden Möglichkeiten können Radios in Südamerika, Afrika oder Asien — mit wenigen Ausnahmen — nicht rechnen, mehr noch: sie sind vielfach gezwungen, ihren Sendebetrieb trotz staatlicher Repression (extremste Beispiele sind wohl Südafrika und EI Salvador) aufrechtzuerhalten.

Mit dem Versuch vor allem nordamerikanischer Stationen, gleichsam ein zweites Nachrichtennetz unabhängig von den mächtigen Nachrichtenagenturen zu errichten, etabliert sich auch in diesem Bereich so etwas wie Kolonialismus. Waren zum Beispiel bisher fast alle Nachrichten über die Lage in Nicaragua über amerikanische Agenturen übermittelt worden, läuft nun auch in diesem zweiten Netz der Informationsfluß über die USA. Zwar können hier die nicaraguanischen Radios den Inhalt der Meldungen selbst bestimmen, ein Filter, der diese Nachrichten selektiert, bleibt doch außerhalb des Landes bestehen. Und die amerikanische Community-Stationen bedanken sich dafür durch Know-how und die Überlassung moderner Technologie. Mit dieser zunehmenden Verflechtung etabliert sich auch gerade ein System der Kanalisierung von Information, wie es auf seiten etablierter Nachrichtenagenturen und Medien stets bekämpft wird: Ist hier Entflechtung gefordert, schließen sich auf der anderen Seite die Community Radios aus finanziell einsichtigen Gründen immer enger zusammen — die Networks in den USA gehen dabei nur einen Schritt weiter als die in Europa in Entstehung begriffenen Programmbanken und Austauschprogramme für überregional interessante Sendungen.

Ein Bürgerrat der AMARC stellt sich vor

Die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Sendern stößt freilich auch auf organisatorische Hürden. Zwar ist es erklärtes Ziel von AMART, eine weltweite Dachorganisation aller Community Radios zu sein, doch zeigten sich auf dem Kongreß in Dublin einige Hindernisse auf diesem Weg. So war ein Großteil der afrikanischen Teilnehmerlnnen der Meinung, daß eine gemeinsame afrikanische Organisation, die dann der AMARGC geschlossen beitrete, Vorrang habe vor Einzelmitgliedschaften afrikanischer Staaten. Und auch für Europa konten die Auseinandersetzungen zwischen den europäischen AMARC-Teilnehmern und der FERL (Europäische Föderation freier Radios) nicht beigelegt werden, da die FERL-Mitglieder dem Kongreß fast zur Gänze fernblieben.

Die österreichischen Teilnehmer am Kongreß genossen das Ansehen anachronistischer Zaungäste: als einziger Staat in Westeuropa kann Österreich mit keinem Community Radio aufwarten, sondern nur auf das staatliche Sendemonopol verweisen. Aus dieser Situation heraus verabschiedete das Schlußplenum der Konferenz eine Resolution an die österreichische Bundesregierung: bezuggenommen wird dabei auf die Verletzung des Menschenrechts auf freie Meinungsäußerung, die auch den freien Zugang aller zum Äther beinhalten soll. Als Verstoß gegen diese Regelung wird insbesondere der Versuch verurteilt, dieses Recht in den gegenwärtig verhandelten Gesetzesvorschlägen auf wenige Auserwählte (im speziellen Fall auf die potenten Zeitungsherausgeber) zu beschränken. Zugleich wurde die Bundesregierung nicht nur aufgefordert, private und nicht-kommerzielle Bürgerradios zuzulassen, sondern, wie es in anderen europäischen Ländern vielfach üblich ist, auch finanziell zu unterstützen.

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