Streifzüge, Heft 38
Oktober
2006

„Das gute Leben“

Über Fred Wanders Erinnerungen und die Bedeutung des Erzählens

Ein Tag im Juni 2006 war in meinem Kalender lange vorher rot angestrichen. Jener Tag, an dem Fred Wander in der Alten Schmiede, Wiens erster Adresse in Sachen Literatur, lesen sollte. – Obwohl der Schriftsteller krank und nicht anwesend war, war es ein ungewöhnlich eindrucksvoller Abend. Die Germanistin und Autorin Elisabeth Reichart sprach über sein Leben und Werk, und Kurt Neumann, der Leiter der Alten Schmiede, las aus Wanders Buch Das gute Leben, seinen Lebenserinnerungen, die neu überarbeitet erschienen sind.

„Ist Dir Fred Wander ein Begriff?“ – Auf diese Frage antworteten mir meine Freunde und Bekannten fast ausschließlich mit „Nein“. – Ich war zwar schon lange auf seine Bücher gespannt, hatte aber noch nie Zeit gefunden, sie zu lesen.

Fred Wander wurde als Fritz Rosenblatt 1917 in Wien geboren. 1938 flüchtet er vor den Nazis in Ermangelung anderer Möglichkeiten nach Paris. Dort bringt er sich mit Unterstützung jüdischer Hilfsorganisationen und Gelegenheitsarbeiten durch. Bei Kriegsbeginn wird er als „feindlicher Ausländer“ interniert. 1940 gelingt ihm die Flucht nach Marseille. Er wird aber neuerlich gefangen genommen. Im September 1942 flieht er in die Schweiz, die ihn ans Vichy-Regime ausliefert. Über die Lager Rivesaltes und Drancy wird er nach Auschwitz, später nach Groß-Rosen und Buchenwald deportiert. Eine Odyssee durch insgesamt dreizehn Internierungs- und Konzentrationslager.

1945 gehörte er zu den wenigen Überlebenden. Seine Eltern und seine Schwester wurden in Auschwitz ermordet, nur sein Bruder, ein Schuster, überlebte in einem Versteck in Lyon. Fritz Rosenblatt nannte sich von nun an Fred Wander, weil sein jüdischer Name nach wie vor Feindseligkeit hervorrief, aber auch als Ausdruck seiner Identität: Er war zeitlebens rastlos unterwegs oder auf der Flucht: als Kind und Jugendlicher in den Straßen Wiens, dann fünf Jahre lang als Vagabund im Exil, schließlich auf den langen Wegen in die Konzentrationslager im Viehwaggon oder auf Todesmärschen. Rund 40.000 Kilometer, schreibt er, habe er im Laufe seines Lebens zu Fuß zurückgelegt. Nach dem Krieg reiste Wander viel – unter anderem nach Paris, in die Provence, nach Holland, nach Korsika und in die USA.

Solange ich denken kann, hat mich ein unüberwindlicher Trieb ins Freie gelockt. Wahrscheinlich habe ich in meinem Leben viel zu viel kostbare Zeit mit langen Märschen vergeudet. Gehen, durch die unendlich langen Straßen der großen Städte, oft mit leerem Magen und allein. Um Menschen zu sehen und sich an ihrem Anblick zu trösten, wie man durch eine Ausstellung geht und die Erfindungsgabe der großen Maler bewundert, die tausend bizarre Gestalten erschaffen haben. Gehen als Haltung des ahasverischen Typs, des Menschen im Exil, der auf ein Wort wartet, ein freundliches Gesicht, einen auf deinem Weg, der dich als Bruder erkennt. Ungebunden sein, die Gleichheit der anonymen Menschen unter der Sonne auskosten bis zur Neige. Gehen, weil du in dir den Drang deiner Vorfahren spürst, das Weite zu suchen, die Erde mit deinen Schritten auszumessen. Weil dich die Ferne lockt und der blaue Himmel, weil ein geheimer Instinkt dich treibt zu verschwinden und keine Spuren zu hinterlassen – du könntest den Mördern gefallen! [*]

Fred Wander hat nie dran gedacht, Schriftsteller zu werden – er bezeichnete sich auch lieber als Geschichtenerzähler -, aber bereits als Kind griff er oft zu Papier und Stift. „Es drängte mich ständig, etwas über die merkwürdigen Käuze, denen ich auf der Straße begegnete, in das alte Geschäftsbuch meines Vaters einzutragen, wie Gewinne, Spesen und Verluste. Und ich hatte mich für die Gescheiterten entschieden, für Leute, die am Boden lagen. Ich fand einfach, dass die Welt vom Tiefparterre gesehen besser zu durchschauen war. Voilà, das war damals meine ganze Philosophie.“

Fred Wander hat Jugend- und Reisebücher geschrieben, Romane und Erzählungen, auch Theaterstücke und Hunderte, wahrscheinlich Tausende von Briefen – von Kind an bis ins hohe Alter. In der Erzählung Ein Zimmer in Paris und im Roman Hotel Baalbek hat er seine Fluchterfahrungen literarisch aufbereitet, zu denen vor allem auch innige Freundschaften gehören, die ein Leben lang hielten. Der Roman Der siebente Brunnen, 1971 erstmals veröffentlicht, handelt auf verwirrend poetische Weise von den alltäglichen Gräueln im KZ. Das Buch war lange Zeit vergriffen und wurde erst 2005 – zum 60-Jahr-Gedenken – wieder aufgelegt. Neben Primo Levi, Jorge Semprun, Imre Kertész, Ruth Klüger, Victor Klemperer, Jurek Becker und Tadeusz Borowski gehört Fred Wander zu den bedeutendsten literarischen Zeugen der Judenvernichtung.

Das vierhundert Seiten starke Buch „Das gute Leben oder Von der Fröhlichkeit im Schrecken“ ist 1996 zum ersten Mal erschienen. Der Titel klingt reichlich paradox, gar provokant. Wie war es Fred Wander möglich, solche Bücher zu schreiben? Viele haben sich nach der Befreiung aus dem KZ das Leben genommen. Auch Wander plagten 20 Jahre lang Alpträume, aber seine Bücher sind von verblüffend großer Leichtigkeit. Aus ihnen spricht soviel Gelassenheit, ja, Weisheit! Geschichten erzählen hat er sich zum Beruf gemacht, „der so alt ist wie die Welt. Geschichten sind so wichtig für die Menschen wie das Brot, das sie täglich essen.“ Weil, wie er mit Hannah Arendt sagt, „jedes Leid erträglich wird, wenn man eine Geschichte darüber erzählt!“

Von der Macht des Erzählens

Fred Wander ist das Kind ostjüdischer Einwanderer, die vor den Pogromen in Russland geflüchtet und 1911 in Wien angekommen sind. Er beschreibt sich als „ein wenig behütetes Kind, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und völlig sich selbst überlassen, ein Kind der Straße. Der Vater, ein kleiner erfolgloser Handelsreisender, lebte meist im Ausland, die Mutter verdiente etwas Geld als Flickschneiderin. Ich kannte keinerlei Autorität, auch nicht Gott, denn ich wurde nicht religiös erzogen. Ich hatte nur noch eine lose Bindung an die Vergangenheit meiner Vorfahren, einen Erinnerungsfaden, der mich mit der jüdischen Tradition verband, der aber später im Konzentrationslager aufgefrischt wurde durch die Begegnung mit Juden aus den damals eben zerstörten und ausgemordeten Gettos von Warschau, Krakau, Lodz, Vilnius oder Lemberg.“

Ganz abgeschnitten von der jüdischen Kultur war er jedoch nie. Als Kind hörte er die Geschichten seines Onkels Lewi, der zwei Jahre lang täglich zum Mittagessen kam. Dieser war weit herumgekommen, wie in früheren Zeiten die Hausierer, die jedes Schtetl und die Dörfer im Umkreis kannten. Er erzählte von irgendeinem Pechvogel, von einem Schlemihl: Armut, Missverständnisse, kein Glück in der Liebe. Es wurde geflunkert, was das Zeug hielt, die Hälfte seiner Geschichten war erfunden. Die Familie und die Nachbarn lachten sich krumm. – Die Geschichten seines Onkels Lewi, ein Koffer voller Bücher, die Onkel Jossl, der 1923 auswanderte, zurückließ, und die Romane der russischen Klassiker, die auf Vaters Nachtkästchen lagen, legten den Grundstein für Wanders früh aufkeimende Sucht nach Geschichten und Büchern. Er verschlang die Werke von Tolstoj, Dostojewskij, Balzac, B. Traven und vielen anderen. „Wovon lebt der Mensch – vom Wort und von den Bildern im Kopf! So lernte ich Menschen sehen. Und meine Vorstellungskraft schlug Kapriolen und wuchs ins Utopische.“ Auch später auf der Flucht hatte Fred Wander immer Bücher dabei. „Wer Bücher sucht, findet sie überall, sogar in Flüchtlingsquartieren.“

Zu Beginn der Gefangenschaft herrschte Sprachlosigkeit, „das verhängnisvolle, bleierne Schweigen“, das ihn viele Jahrzehnte später noch beschäftigte. „Erst viel später, in den kommenden Lagern, lernten wir wieder reden. Reden, erzählen, auch Geschichten erzählen, das war es, was einige von uns in den Jahren des Lagerlebens retten konnte.“ In Wanders Roman Der siebente Brunnen geht es um Leben und Tod im KZ. Der Autor, der sich in der Tradition der chassidischen Geschichtenerzähler sieht, erzählt über das Erzählen in der Vernichtung und gleichzeitig die Geschichten des europäischen Judentums. Die Erzähltradition ist zum Gegenstand des Erzählens geworden. Erzählen ist die Arbeit des Widerstands gegen die erfahrene systematische Auslöschung jeder Individualität, eine Form, „seine Selbstachtung wieder zu gewinnen“, wie Wander in einem Brief an Primo Levi schrieb, oder wie es Jean Amery formulierte, „ein unabschließbarer Prozess der Wiederherstellung von Würde“.

Von der Fröhlichkeit im Schrecken …

… erzählt Fred Wander im Buch Das gute Leben immer wieder. Er genießt sein „seltsames, schwer zu erklärendes, bescheidenes und paradoxes Glück, die Freude innerer Tätigkeit und Fülle. Ja, wir haben im KZ auch Freude und Glück gekannt!“ Diese außergewöhnliche Fähigkeit ist es wohl, die beim Lesen seiner Erinnerungen das Gefühl großer Gelassenheit und Weisheit weckt. Umso erstaunlicher, da er nach dem Krieg noch zwei schwere Schicksalsschläge erlebt. Seine zehnjährige Tochter Kitty verunglückt 1968 beim Spielen in einer unzureichend gesicherten Baugrube tödlich. Und seine Frau Maxie stirbt 1977 mit vierundvierzig Jahren an Krebs. – Ein Jahr nach dem Tod seiner Tochter, mitten aus der Trauer heraus, beginnt er das Buch Der siebente Brunnen zu schreiben.

Beeindruckend ist auch die allgegenwärtige Sinnlichkeit in seinen Büchern, in seinem Leben, sowie die seltene Gabe, seine tiefen Empfindungen in Worte zu kleiden. Er schreibt viel über das Schauen: „Das Schauen ist jene schöpferische Tätigkeit, die den Menschen am meisten bildet.“ Wander war auch ein leidenschaftlicher Fotograf. In seinen Reisebüchern finden sich zahlreiche Fotos.

Eine besondere Bedeutung haben Gesichter: „Die Leute blicken Dir hier ins Gesicht, dachte ich und hatte auf einmal, während ich gierig einen Apfel verschlang, das Gefühl von einem völlig neuen Leben.“

Das steht gleich auf der ersten Seite des Buches Das gute Leben. Wander ist zwanzig Jahre alt und im Zug von Lyon nach Paris unterwegs. Seinen Aufenthalt in Paris zählte er zur schönsten Zeit in seinem Leben. Zum ersten Mal ist er nicht ständigen Beschimpfungen und Entwürdigungen ausgesetzt. „Wie sonst nirgends auf der Welt siehst du hier im dichten Strom von Flaneuren eine groteske Mischung aller Kontinente, die Farbigen und die Weißen, die Hungernden und die Satten, Traumtänzer und Troglodyten. Manche zeigen eine stille, zurückhaltende Verwunderung, andere werfen versteckte, raublustige Blicke um sich, und wieder andere trotten vorbei wie abgestorben, sehen durch die Vorübergehenden hindurch.“

Auch im Siebenten Brunnen geht es um „Gesichter“, ein Kapitel trägt diesen Titel. Das Ausmaß des Holocaust ist unermesslich und unbeschreiblich, aber einige wenige Opfer möchte Wander „diesem Heer der Anonymität entreißen, einige Namen aufrufen, einige Stimmen wiedererwecken, einige Gesichter aus der Erinnerung nachzeichnen“. (Christa Wolf)

Und Ruth Klüger hebt hervor: „Der Schlüssel zu diesem Werk ist ein Erzähler, der nie den staunenden Blick, mit dem jeder das Leben anfängt, verloren hat.“ Fred Wander schreibt am Schluss seiner Erinnerungen von der „immer währenden Beobachtung alles Lebendigen“ um ihn herum. „Meine Welt, die Welt der Bahnhöfe, der Straßen, der Schlupfwinkel und der Lagerbaracken, durch all die Jahre der Flucht und des Exils – die Straßen von Wien, Paris, Lyon, Marseille und vielleicht zwanzig anderen Orten –, sie wurden mir zur Schaubühne des Lebens, gesehen, gespürt, geatmet und aufgeleckt mit einer Raserei aller Sinnesorgane, im Rausch des Hungers, der Freude und des Schreckens.“

Von der Rückkehr nach Wien und den Jahren in der DDR

Fred Wander, der im Mai 1938 geschworen hatte, nie wieder nach Wien zurückzukehren, landete doch wieder hier – was er als große Niederlage erlebte. Er wollte zuerst seine Verwandten suchen und dann in die USA auswandern. – Trotz allem hat er seinen Lebensmut nicht verloren: „Ich mochte es, durch die Innenstadt zu gehen und zu beobachten, wie diese mir noch fremden Menschen die Häuser wieder aufbauten, wie die Geschäfte wieder erstanden und die wenigen Cafés sich füllten. Es roch nach Ziegelstaub und Moder, und doch auch an manchen Ecken von frisch gebranntem Kaffee und Bäckereien, dieser hintergründig süßliche Duft von Tradition und Verfall.“

Mehrere Versuche, in die USA zu gelangen, scheiterten. So blieb er und begann zu schreiben. Wie viele Antifaschisten wurde Wander Mitglied der Kommunistischen Partei. Er machte Reportagen und Fotos für kommunistische Zeitungen. 1968 trat er wieder aus der Partei aus.

Ende 1952 lernte er Maxie beim „Völkerkongress für den Frieden“ kennen. – Vielen werden Maxie Wanders Frauenportaits aus der DDR im Band „Guten Morgen, du Schöne“ (1977) in Erinnerung sein. Wohl eines der meistgelesenen Bücher in der Frauenbewegung. Aber die Wenigsten werden wissen, dass sie eine waschechte Wienerin aus einer Arbeiterfamilie war, die bis zu ihrer Heirat Elfriede Brunner hieß. – „Eine Frau voll Witz und Selbstironie – ihr besonderer Charme.“ Sie war neunzehn, er fünfunddreißig. Seit ihrem ersten Zusammentreffen vor dem Wiener Konzerthaus verband sie eine innige Zuneigung, aus der eine große Liebe wurde. „Maxie gehörte zu jenen seltenen Menschen, die, wenn sie hereinkommen, das Licht verändern und eine Atmosphäre des naiven Staunens und der Freude verbreiten, ohne sich dessen bewusst zu sein.“

Wander erhielt ein Stipendium für das Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig. DDR-Verlage druckten seine Bücher, für die in Österreich und Deutschland kein Interesse bestand. Ohne es recht geplant zu haben, ließen sich Fred und Maxie Wander schließlich in der Nähe von Berlin nieder. Sie bekamen im Laufe der Jahre eine Tochter und zwei Söhne. Ein Grund, in der DDR zu bleiben war vor allem: er konnte das Geld, das er für seine Publikationen dort erhielt, sonst nirgends ausgeben. Die Verhältnisse im Arbeiter- und Bauernstaat begann er aber bald zu hinterfragen. Die allgegenwärtigen Losungen waren irritierend: „Es war die Sprache der Bürokratie, völlig entleert und dem wirklichen Leben entfremdet. Aber es gab auch dieses wirkliche Leben, wenn man nicht blind und völlig verknöchert war. Eine erfrischende Natürlichkeit und Neugier bei den jungen Menschen. Sie waren noch nicht vom Warenrausch und den Klischees des Westens besessen. Die Offenheit der Leute für unbefangene Kontakte gefiel uns. Wir lebten, lebten wirklich, wenn auch manchmal mit doppeltem Boden.“

Im Hause Wander herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, ein buntes Treiben von unzähligen, meist jungen Menschen, die „auf der Suche waren, auf der Suche nach einer anderen Art zu leben“. Auch Gerhard und Christa Wolf gehörten zu ihren engsten Freunden.

Viele Reisen unterbrachen ihr Dasein im Realen Sozialismus. „Ich beobachtete diese Welt mit jenem inneren Gleichmut, den ich mir in den Lagern erworben hatte, mit Abstand und Gelassenheit. Jene Einstellung, die man nie wieder los wird. Ich gehörte nicht dazu. Ich gehörte niemals irgendwo dazu. Ich war nur Gast in dieser Welt!“ Wander überlegte öfter, die DDR wieder zu verlassen, aber er „wäre auch in jedem anderen Land nur ein Fremder gewesen“.

„Ein Zeugnis für die Menschheit ablegen“

Jede Art von Fremdbestimmung, Gläubigkeit oder Fanatismus lehnt Wander ab. Ihn interessierte nicht die Gruppe, sondern der einzelne Mensch, der geplagte Mensch. „Die Neugier brannte in mir: Wie verhält sich der Mensch außerhalb der Gruppe, außerhalb der ideologischen Zwänge, der mentalen Verführungen, außerhalb des Massenwahns. Aber mittendrin lebend?“

Es finden sich auch Stellen in seinen Erinnerungen, die Wander als scharfsinnigen Gesellschaftsanalytiker auszeichnen, der das Mensch-Sein immer mehr im „Tauschwert aller Waren verschwinden“ sieht. Zwei Freunde zitierend benennt er Geld bzw. Arbeit als die neue Totalität: „Heute sind es nicht mehr die Faschisten, die uns bedrohen, nirgends ist eine Diktatur im Kommen, die sich mit der Totalität Hitler-Deutschlands vergleichen ließe – außer der , Diktatur des Geldes‘!“ – „Arbeit kann ein Rauschgift sein. Schauen Sie nach Deutschland, dort hat sich ein ganzes Volk an die Arbeit gemacht. Nach 1945 haben sie sich wie verrückt in die Arbeit gestürzt, um nichts mehr zu hören, um das Trauma der Schuld zu ersticken. Arbeit ist ein kollektiver Wahn.“

Große Sorge bereitete Wander der Nahost-Konflikt: „Es geht heute nicht mehr darum, die Juden zu retten, sondern die Welt vor ihrer Selbstvernichtung zu bewahren.“ Eine friedliche Welt wäre für ihn „eine Welt ohne Grenzen, ohne Ideologie, ohne Macht und Besitz“ gewesen. –

1983, sechs Jahre nach dem Tod von Maxie, übersiedelte Fred Wander mit seiner Frau Susanne nach Wien, wo sie zurückgezogen lebten.

Er wollte „weder als Held gefeiert werden, noch als Opfer“, sondern „nur ein Zeugnis für die Menschheit ablegen.“ Sein Leben bezeichnete er als „ein Ringen zwischen Handeln und Passivität, zwischen kreativem Schaffen und distanzierter Beobachtung!“

Besonnen und leichtfüßig beschließt er sein Buch: „Das Denken an den Tod stimmt mich heiter. Und das Wissen um den Hunger meiner Jugend und den Hunger in der Welt gibt dem Brot, das ich esse, einen kräftigen Geschmack. Ich bin unterwegs, mein Gepäck ist leicht.“

Nach dieser berührenden Lesung war mir unverständlich, warum solch ein beeindruckender Erzähler über den Holocaust bis heute fast ein Geheimtipp geblieben ist. Außer in der DDR wurde er lange Zeit weder von einem größeren Publikum noch von der Literaturwissenschaft beachtet.

Ich verließ die Alte Schmiede mit dem Entschluss, sogleich seine Memoiren zu lesen und dann Kontakt mit ihm aufzunehmen. Leider war es mir nicht mehr möglich, ihn kennen zu lernen. Fred Wander ist am 10. Juli gestorben. – Er hat ein wundervolles Werk hinterlassen, dem ich viele aufmerksame Augen und Ohren wünsche. In einer Welt von atomisierten Individuen, die sich mit Unmengen von Information voll stopfen und mit unerträglichem Lärm betäuben, wäre es da nicht wohltuend Erzählungen zu lauschen?

[*Wenn nicht anders angegeben, stammen die Zitate aus Fred Wander: Das gute Leben oder Von der Fröhlichkeit im Schrecken. Erinnerungen, Wallstein Verlag, Göttingen 2006, 400 Seiten, 24 Euro (D).

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