MOZ, Nummer 55
September
1990
Diskussion

Das Leiden an der Justiz

Nach Mata Harry in der Juni- und Dirthy Mae Dean in der Juli-Ausgabe der MONATSZEITUNG der dritte Diskussionsbeitrag zu einem Buch einer Wiener Rechtsanwältin.

Fast sind wir der Versuchung entgangen, nicht nur Zaras ‚Tagebüchlein‘ zu rezensieren, sondern uns gleich kommentierend über die beiden bisher an dieser Stelle erschienenen Besprechungen herzumachen. Was gäb’s da zu streiten! Aber eine Bemerkung können wir dem Publikum nicht ersparen: Mit gesunder Lust zur Vereinfachung lassen sich zwei Gründe dafür nennen, ein Pseudonym zu wählen. Entweder schämen sich Zara, Mata Harry und Dirthy Mae Dean für die Produkte ihrer publizistischen Arbeit; die Wahl eines Pseudonyms wäre dann ein Akt der Distanzierung und uns allen wohl vertraut. Oder, das wäre die andere Möglichkeit, die schreibfreudigen haben Angst eine sich in Teilbereichen immer noch totalitär gebärdende Justizbürokratie könnte sich im Einklang mit den Repräsentanten eines anachronistischen Standesethos zur Verfolgung jung-fortschrittlicher Juristinnen und Juristen aufmachen.

Beide Versionen halten wir für wenig plausibel. Hier handelt es sich um bloße Koketterie: Durch die Wahl eines Pseudonyms suggeriert der Autor dem Publikum den Zustand existentieller Gefahr; ein Zustand, der für die Lesenden gerade schon aus der Verwendung eines Pseudonyms Evidenz erhalten soll. Weil aber die Wahl eines Pseudonyms nicht gerechtfertigt ist (weder bei Zara noch bei den Rezensenten), offenbart sich uns dadurch schon etwas vom Charakter des zu besprechenden Buches: Wehleidigkeit, Überschätzen der eigenen Person, Fehleinschätzung institutioneller Reaktionen auf Kritik und Aufbegehren.

Das Buch. Das Lektorat durfte zufrieden sein: motiviert durch den Absatz des vor knapp vier Jahren erschienenen und nunmehr in 3. Auflage erhältlichen Buches „Die Rechthaber“ verspricht es uns im Vorspann einiges: „Subtil und humorvoll“ sei das alles, und vieles dürfte den Lesern so fremd sein „wie Robinson seine Insel“; man dürfe „eine unterhaltsame Lektüre erwarten“.

Rasch am Ende angelangt, versammelt der geduldige Leser alle sich aufdrängenden Lehren, ist klüger geworden und kommt fast ins Räsonnieren (was eine seichtere Form des Denkens ist): Vieles bisher Fremde und Unbekannte tut sich auf, etwa, daß U-Häftlinge in der Regel sanfte, schöne Augen haben, teils blaue, teils braune; und daß man ihnen ihr Devianzpotential in den meisten Fällen gar nicht ansieht. Man merkt, daß der feiste, knackwurstmampfende Doctor Bartl aus Peter Szivatz Roman „Kipfler“ — seinem ungustiösen Hobby, dem Einkleben von Nackerten zum Trotz — reichlich abgespeckt hat und nun als saufender, einsilbiger U-Richter Dr. Summereder dieser, seiner einzigen Leidenschaft frönt; und sich im übrigen keinen Deut um die Akten schert. Und man wird belehrt, daß selbst die fortschrittlichste Jungjuristin, einmal ins Justizgetriebe geworfen und dem ‚fumor talarius‘ ausgesetzt, ihrem Herrn Rat, dem ‚göttlichen Rudolfo‘, erliegt, sich unsterblich verknallt und sich so veranlaßt sieht, „sich endlich innerlich und äußerlich zu ihrem ‚Jurist-Sein‘ bekennen zu wollen.“ Und schließlich eine derartige Wandlung symbolhafter Darstellung bedarf: Armani-Hosenanzug und graue Seidenbluse, passendes Schuhwerk und Umhängetasche werden eingekauft, was — im Hinblick auf den geliebten Herrn Rat —, wenn’s schon nichts nützt, so auch nicht schadet, „weil sie einfach eine Naturschönheit ist“ etc. etc.

Nun mag’s ja durchaus so sein, daß das Tagebuch authentisch ist — zumindest in dem bescheidenen Umfang, in dem Zaras Geschichten schon vor drei Jahren im Heft 54 der „Kriminalpsychologischen Bibliographie“ zu lesen waren —, entschuldigt ist das mal naiv-lächerliche, mal unverständig-geringe Wahrnehmungsvermögen der Autorin damit noch nicht. Freilich ließen sich viele Stellen von Zaras Büchlein in der ohnedies übergehenden Lade ‚fraulicher Betroffenheits-Literatur‘ ablegen — aber so scheint’s nicht gemeint zu sein. Uns Lesern zeigt sich, gerade weil wir uns nicht von den schrullig-witzigen und/oder bitterbös-erschütternden Anekdötchen den Verstand haben rauben lassen, daß die bloße Darstellung der Strafgerichtsbarkeit nicht gelingen kann, wem die nach Jahren sprachlich geschönten und ausgewalzten Tagebucheintragungen als Ersatz für die analytisch-deskriptive Bewältigung des Justizalltags geeignet scheint. Auch uns scheint die Ablage des Buches ins Prokrustesbett einer schal gewordenen links/rechts-Dichotomie eine wenig fruchtbare Form der Einordnung. Das Problem liegt aber noch vor jeder Einordnung: Zaras Darstellungen sind amorph und unpräzise; sie eröffnen weder die Chancen exakter Deskription noch vermitteln sie den Gewinn analytischer Einsichten: Möglichkeiten durchzudenken, handlungsorientiert mit- und weiterzulesen.

Zaras Aufzeichnungen haben uns oft erschaudern lassen: Der zynisch verachtende Umgang mit den selbstgeschaffenen Objekten der Strafgerichtsbarkeit einerseits, die platt-pathetische Unverständigkeit der sich an mehreren Stellen des Buches selbst als naive Maid vom Land karikierenden Autorin andererseits — damit wird der Zustand der österreichischen Justizkritik zur schmerzhaften Wunde.

Die Geschichten und Erlebnisse, die Gerüchte und die ‚persönlichen Erfahrungen‘, aneinandergereiht wie’s das (Justiz-)Leben spielt: Daß sich die in Haft genommenen Punkies zum feschen, dunkelblau gebräunten und durch Südseesonne nadelgestreiften Strafrichter reichlich inkongruent verhalten, von Nina, der Armani-Fortschrittlichen, auf den Punkt gebracht „Ihre Sprache ist das Hinschlagen, das Geschlagenwerden, das Zurückschlagen. Wir können diese Sprache nicht. So hilflos wir uns fühlen, wenn es um das Hinschlagen geht, so hilflos müssen sie sich fühlen, wenn sie vor dem Richter stehen und reden sollen.“ — Diese Fronten — zurechtgebastelt aus nicht weiter reflektiertem und verinnerlichtem Bürgerkinderdünkel und seicht-caritativen Absichten — erkennen freilich nur die Initianden, die gerade Einzuweihenden, prügelt doch der schicke Herr Rat genauso wie der einzuvernehmende Zuhälterkönig; woher sie wohl kommen mögen, des Herrn Rats Schläger-Qualitäten?

Und dann noch Literarisches, etwa von der Art: „Ich träumte einmal, daß ich zum Gericht müßte, aber der Weg dorthin war ganz eisig und steil. Ich hatte Schischuhe an und schlug mit den Schuhen Kerben in das Eis und mit den bloßen Händen und blutenden Fingern krallte ich mich im Eis fest. Ich kam nicht weiter, weil er zu steil und zu glatt war; und ich hatte Angst, zu spät zu kommen; und es wurde immer später, und schließlich wurde es dunkel“. Wir können niemandem absprechen, so etwas geträumt zu haben, aber „that’s cheapness here“, näselt Frank Zappa: Eine billigere Metapher für die Angst des Scheiterns auf forensischem Terrain wäre wohl kaum zu haben gewesen.

So sucht die Autorin das Recht und erzählt davon. Im Nachwort zu deren Erstlingswerk meinte Freda Meissner-Blau, in solcher Art der Schilderung das „persönliche, wache und unverbildete Rechtsempfinden, das die Identität von Recht und Gesetz fordert“, zu erkennen. Dem ‚Rechtsempfinden‘ folgen aber natürlich die anderen, und dementsprechend schauen die Verhältnisse aus. Wichtiger sind daher Passagen in Zaras Buch, wo sie die alltäglichen Abweichungen von den Vorschriften der Strafprozeßordnung dokumentiert; aber gerade dort erschöpft sich das aufklärerische Potential einer kritisch gemeinten Aneinanderreihung von Gerichtsanekdötchen rasch.

Gerichtsreportagen, Verteidigung im Strafprozeß, Analyse der Justiz — sie alle können, wenn es um die Entwicklungsgeschichte einer Straftat und um die Umstände geht, unter denen belastende Beweise beschafft und schließlich ausgewertet wurden, in völliger Justizförmigkeit ein ganzes gesellschaftliches Gefüge, seinen politischen und ideologischen Kleister, seine richtigen und verkehrten Denkweisen, sein Selbstverständnis und seine Normen in Frage stellen und erschüttern. Bei Zara finden wir davon nichts; in distanzloser Bindung an die Phänomenologie des eigenen Erlebens bleibt sie „subtil und humorvoll“. Fraglos sind das von Zara zur Schau gestellte Problembewußtsein und das beim Abfassen des Textes aufgebotene Engagement notwendig — allein, das bloße Wollen eines besseren Zustandes, von dem wir fürchten, daß er lediglich die beschwerdenärmere Einordnung der Wirklichkeit in die spezifischen Vorurteile der Autorin gewährleisten soll, ist zu wenig; das verständliche Sehnen nach dem ganz Anderen, dem Unverletztbleiben im Alltag, genügt uns nicht. Das Leiden der Autorin an der Justiz wollen wir nicht im Leiden der Leser während der Lektüre ihres Buches fortgesetzt finden. Mildernd, das wird der gute Wille wohl sein; aber was vermag er gegen die Erschwerungsgründe Wehleidigkeit und Klischee auszurichten?

Wir verkünden dem Buch massenweise Absatz und begeisterte Zustimmung. Wo wir uns Spaß und (zumindest ein bißchen) Aufstand wünschen, wird das Publikum die ganze Sache mit der Justiz wirklich schlimm finden. Wo wir juristische Spitzen und Frechheiten ersehnen, fundiert in nüchterner Beurteilung der Erbärmlichkeit österreichischer Zustände, da wird eine große Gemeinde sich einstimmen: ins Jammern. Und wer wissen will, was das Gegenteil davon ist, der greife zu Uwe Maefferts „Strafjustiz. Vom Niedergang des Rechts auf Verteidigung“ (Hamburg: Rasch und Röhring 1989, 200 Seiten, DM 24,80).

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