MOZ, Nummer 56
Oktober
1990
Oktoberstreik 1950

Der Putsch, der keiner war

4. Oktober 1950, Straßenbahnremise Gudrunstraße, 10. Wiener Gemeindebezirk: Keine Straßenbahn kann den Bahnhof verlassen. Junge Arbeiter halten den Bahnhof besetzt und hindern die Züge an der Ausfahrt.

Wien 1950: Straßenkämpfe auf der Wiedner Hauptstraße
Bild: Österr. Institut für Zeitgeschichte

Viele Straßenverbindungen in Wien und Niederösterreich sind an diesem Morgen von Barrikaden unterbrochen, Bahnhöfe blockiert, der Verkehr lahmgelegt. Die Demonstranten, viele von ihnen Kommunisten, befolgen den Aufruf der gesamtösterreichischen Belriebsrätekonferenz vom vergangenen Samstag: Falls die Regierung bis 3. Oktober keinen Preisstopp verhänge, würden die österreichischen ArbeiterInnen ihren Forderungen in einem Generalstreik Nachdruck verleihen.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund war entschiedener Gegner des Streiks. ÖGB-Präsident Böhm hat den Protest gegen das mit Regierung und Unternehmern ausgehandelte 4. Lohn-Preis-Abkommen schon längst als kommunistischen Putschversuch diskreditiert. Sein Kollege Franz Olah, Vorsitzender der Bau- und Holzarbeitergewerkschaft, die von US-Seite über ein Sonderkonto finanziell gut ausgestattet wurde, war ein enger Vertrauter der amerikanischen Besatzungsmacht. Von Anbeginn der Streikbewegung setzte er Bauarbeiter gegen Versammlungen und Streikposten ein. Am 4. Oktober beendeten seine gut ausgerüsteten Mannen den — ohnehin nur schwachbrüstig unterstützten — Streik. Nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Olah-Prügeltrtupps konnten die Straßenbahnen die Favoritner Remise bald wieder ungehindert verlassen.

Schon bei früheren Protesten gegen die restriktive Lohnpolitik hatten sich Gewerkschaft und Regierung des Putschgerüchts bedient. „Den Kommunisten ist der wirtschaftliche Aufstieg Österreichs ein Dorn im Auge. Sie reden von Teuerung und meinen Unruhe. Sie reden von Lohn, meinen aber Straßenkämpfe, Sturz der Demokratie, Beseitigung der demokratischen Republik“, hieß es im Oktober 1950 in einem Aufruf der Regierung. Adolf Schärf, damals Vizekanzler, verstieg sich später gar zu der Meinung, „der kommunistische Putschversuch habe sich fast sklavisch an das Vorbild der Machtergreifung durch Lenin in Rußland gehalten“.

Die eiserne Hand des ÖGB

Anlaß zum Aufatmen hatte die österreichische Arbeiterschaft nach dem Oktober keinen. Das unrühmliche Ende des Streiks bedeutete die endgültige Disziplinierung der Arbeiterbewegung durch ÖGB und sozialistische Partei. Eine wichtige Rolle beim kapitalistischen Wiederaufbau spielte die Marshallplan-Hilfe. Niedriges Lohnniveau, Währungsreform und Abbau von Subventionen waren Voraussetzung für den Erhalt der US-Gelder.

Das Zurückbleiben der Löhne war Anlaß für zahlreiche Streiks — alle ohne Zustimmung des ÖGB. Dieser kämpfte, fest in den Händen der sozialistischen Fraktion und über diese in die Koalitionsregierung eingebunden, mit eiserner Disziplin um Ruhe an der Arbeitsfront. „Kein verantwortungsvoller Gewerkschafter wünscht, daß es zu so harten Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, wie diese Streiks sind, kommt“, offenbarte die „Gewerkschaftliche Rundschau“. Bisher von der österreichischen Bourgeoisie stets verschmäht, stieg die aktive Einbindung in den US-gelenkten Wiederaufbau den Arbeitervertretern zu Kopf.

Lohn-Preis-Abkommen

Festgeschrieben wurde der Lohnverzicht der Gewerkschaften während der Durchführung des Marshallplanes in fünf Lohn-Preis-Abkommen, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit zwischen Gewerkschaftsspitze, Regietung und Bundeswirtschaftskammer verhandelt wurden. Diese Wirtschaftskommissionen waren die Vorläufer der 1957 institutionalisierten Paritätischen Kommission. Jedem Abkommen folgten Protestaktionen und wilde Streiks gegen Regierung und Gewerkschaft. Besondere Empörung rief das 4. Lohn-Preis-Abkommen vom September 1950 hervor. Da die Marshallplan-Administration der Verwendung von Geldern für Lebensmiltelsubventionen die Zustimmung verweigert hatte, waren Preise für Nahrungsmittel, Heizung und Transport in diesem Jahr bis zu 30% gestiegen. Als am 23. September bekannt wurde, daß der ÖGB einer nur 10%igen Lohnerhöhung zugestimmt hatte, lief das Faß über.

Der große Streik

Am 25.9. traten die Linzer VOEST-Arbeiter in einen Warnstreik. Die Steyrer Arbeiter zogen auf den Stadtplatz und forderten die Rücknahme des Paktes. Ab 15 Uhr fuhren in Linz keine Busse und Straßenbahnen mehr. Am 26.9. waren die großen Linzer Betriebe im Streik. 20.000 Menschen versammelten sich am Hauptplatz. In Wien formierte sich der Demostrationszug der streikenden ArbeiterInnen am Floridsdorfer Spitz. Von den Industriebezirken zogen die Menschen, nachdem sie die Straßensperren am Ring überwunden hatten, zum Bundeskanzleramt und zum ÖGB-Haus. Insgesamt waren, über alle Parteigrenzen hinweg, an die 200.000 Menschen im Ausstand. Der Streik war noch im Aufwind, als am Abend des 26.9. das Politbüro der KPÖ zusammentraf. Der sowjetischen Besatzungsmacht, berichtete Genosse Fürnberg, komme der Streik ungelegen, er schwäche die sowjetisch verwalteten USIA-Betriebe im Osten Österreichs. Fürnberg machte daher den — widersprüchlichen — Vorschlag, den Streik abzubrechen und erst nach Einberufung einer österreichweiten Betriebsrätekonferenz fortzusetzen. Ernst Fischer, ein Kritiker des Abbruchbeschlusses, dazu später: „Am Abend sprachen wir in Kundgebungen, um unseren Genossen einzureden, daß ein widersinniger Beschluß den Interessen der Arbeiterklasse entspreche.“

Die KPÖ und der Streik

Die KPÖ war nicht die Auslöserin des Streiks. Durch ihre Opposition zu Marshallplan und ÖGB-Verhandlungspolitik war sie jedoch die einzige organisatorische Kraft auf seiten der Streikenden; in den sowjetischen USIA-Betrieben verfügte sie über feste Bastionen. Die KPÖ trat, ebenso wie die Sowjetunion, klar für die Einheit Österreichs auf. Eine Abtrennung Ostösterreichs lag weder im sowjetischen noch im Interesse der KPÖ. Daß sie den Streik zum Putsch mißbrauchen wollte, ist also reine Propaganda. Die Putschlüge wurde verbreitet, um jeder gewerkschaftlichen Betätigung von unten die Legitimation zu entziehen. Auch die KPÖ hat im Kampf gegen das Lohn-Preis-Abkommen versagt. Die Chance der Arbeiterbewegung, durch einen machtvollen Streik den Spielraum für gewerkschaftlichen Aktivismus zu vergrößern, hat sie durch ihren Abbruchbeschluß verspielt. Am 4.10. — die Regierung war dem Ultimatum der Betriebsrätekonferenz nicht nachgekommen — war der Streik nicht wieder hochzubringen. Der Ausstand beschränkte sich nun, mit Ausnahme der oberösterreichischen Steyr-Werke, auf die KP-Hochburgen in der sowjetischen Besatzungszone.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)