MOZ, Nummer 57
November
1990
Psychiatrie

Der Wahnsinn hat Methode

Am 6. November findet in Innsbruck der Prozeß gegen jene Frauen statt, die gegen die zwangsweise Einweisung einer Frau in die Psychiatrie protestierten.

Am Abend des 4. September 1989 wurde in Innsbruck eine Zwangs­einweisung in die Psychiatrie, unter Anwendung von brutaler Gewalt von Seiten des Amtsarztes und der Polizei, gegen der Willen der ‚ein­zuweisenden‘ Frau und gegen den Willen der anderen beteiligten Frauen durchgesetzt.

Frau A (Synoym für die zwangsein­gewiesene Frau) ist unter großem Einsatz von Polizei, Feuerwehr und Rettung aus eine Frauenwohnge­meinschaft gewaltsam herausge­holt und in die geschlossene Abtei­lung der Psychiatrie zwangseinge­wiesen worden. Die Einsatzleitung lag, laut Akt, bei der Staatspolizei. Der Aufenthaltsort von Frau A wurde von ihrer Therapeutin, die vorher von den Frauen der WG kon­taktiert wurde, an die Polizei und Psychiatrie weitergegeben.

Nach dem Einsatz wurde ein offe­ner Brief im Stadtteil und in Frauenzeitungen veröffentlicht, um die Hintergründe des Polizei- und Feuerwehreinsatzes zu vermitteln und eine erste Öffentlichkeit herzu­stellen. In diesem Brief heißt es u.a.: „Wir aber wollten Frau A nicht in die Psychiatrie abschieben, weil wir weder in der Verwahrung von Frauen in psychiatrischen Anstal­ten noch in der medikamentösen Behandlung, die sie dort erhalten eine Lösung sehen — im Gegenteil. Frauen, die in der Psychiatrie waren, erzählen, daß ihnen durch die Verabreichung von Medikamenten und durch das Nicht-Eingehen auf ihre Situation, diese Zeit, die Verzweiflung und der Umgang damit genommen, ihnen ein Stück Lebensgeschichte entei­gnet wurde. Durch die starken Me­dikamente (Neuroleptika) können sie sich nachher kaum noch an die Zeit erinnern; es bleibt ein dunkles Loch und die ständige Bedrohung, daß ‚es‘ wieder einmal ‚passiert‘. Daß ‚es‘ zum größeren Teil Frauen ‚passiert‘, in Psychiatrien zwangs­weise eingewiesen, angehalten und psychiatrisiert zu werden, wird in unseren patriarchalen Herrschaftsverhältnissen totgeschwie­gen. Psychiatrie wird somit zu einer Form institutionalisierter Gewalt, um Normierung weiblichen Verhal­tens und Disziplinierung von Frauen zur heterosexuellen Lebensform durchzusetzen. Die medizinischen Rechtfertigungen dieser Institution verschleiern nur ihren Gewaltcha­rakter, der jedoch bei sog. Nicht-Freiwilligkeit durch ZWANGSeinweisung, ZWANGSanhaltung, ZWANGS‚behandlung‘ offensicht­lich wird.

Psychiatrie verstehen wir demnach als patriarchale Gewaltinstanz, die Schmerz, Zorn, Leid und Gewalter­fahrungen von Frauen pathologisiert und mit Medikamenten bzw. Elektro-Schocks knebelt.

Uns geht es aber darum, unseren Schmerz, Zorn und unser Wissen um Gewalterfahrungen, die ein Po­tential für unseren Widerstand sind, in unser Leben zu integrieren und unseren Zorn und Widerstand gegen jene zu richten, die Gewalt ausüben.

Die Instanz Psychiatrie versucht jedoch, diese Erfahrungen von uns abzuspalten, zu kontrollieren und in Krankheitsbildern zu verwalten.

Mit den eingeleiteten Strafverfahren ist klar geworden, wie Staats­anwaltschaft, Polizei, Gericht und Psychiatrie auf den Widerstand von Frauen gegen die zwangsweise Ein­weisung in die Psychiatrie und die Veröffentlichung ihrer Durchsetzung reagierten. Zunächst erhielten die Frauen eine Verwaltungsstrafe wegen Lärmbelästigung, eine Ord­nungsstrafe wegen Aussagever­weigerung bei Ladung als Zeugin­nen gegeneinander und laut Aussa­ge eines einvernehmenden Beam­ten auch eine Eintragung in die STAPO-Akte. Als zweiter Schritt wurde ein Strafverfahren wegen „übler Nachrede“ auf Grund der Veröffentlichung des Offenen Brie­fes gegen sie eingeleitet.

Die Anklage bezieht sich auf folgen­de Passagen des Offenen Briefes: „Der Amtsarzt wollte Frau A weder sprechen noch sehen, er wollte nur mit allen Mitteln ihre Abholung er­zwingen. ... Es lag also weder ‚Selbstgefährdung‘, im Sinne von selbstmordgefährdet, noch ‚Fremd­gefährdung‘, im Sinne von Agressionen gegen andere, vor. ... Für uns wurde wieder deutlich, daß es ihm nicht um Frau A ging, sondern nur um die Durchsetzung seiner Macht. ... Der Amtsarzt Sourour machte daraus ein Machtszenario, das wir Gewalt nennen. Er wollte ... eine Zwangseinweisung mit allen Mitteln bewirken.“

„Der erste Schritt mit dem am 6. November stattfindenden Prozeß politisch umzugehen ist, uns ge­meinsam als Frauengruppen dazu zu verhalten. Der Ort, das Gericht ist uns aufgezwungen. Wie wir uns an diesem Ort verhalten, wollen wir selbst bestimmen. Um das trotz der vorgegebenen Struktur einer Gerichtsverhandlung durchsetzen zu können, brauchen wir eine Frauen­öffentlichkeit im Gerichtssaal und darüber hinaus. Es geht nicht darum, nach der Logik der Gerichte sich als ‚schuldig‘ oder ‚unschul­dig‘ darzustellen, sondern darum, das einzelnen Frauen Vorgeworfe­ne in einen politischen Zusammen­hang zu stellen: D.h. die Psychiatrie als Institution der Disziplinierung und Ausgrenzung zu benennen, d.h. Gerichte und Polizeiapparate als Hüter der kapitalistisch-patriar­chalen Ordnung zu begreifen, d.h. weiters, zu zeigen, daß in der Zwangseinweisung in die Psychia­trie die Befugnisse aller drei Re­pressionsapparate Zusammentref­fen. Das Gesetz legitimiert die Psy­chiatrie als den Ort der Verwah­rung, besonders für Frauen, die den HERRkömmlichen Normen nicht entsprechen (wollen). Den Frauen, die diese Zusammenhänge und die darin handelnden Täter öffentlich benennen, droht durch Paragra­phen wie den der ‚Üblen Nachrede‘ (§111 StGB) oder den der ‚Verleum­dung‘ (§ 297 StGB) die Kriminalisie­rung“, heißt es in dem Flugblatt zum Prozeß.

Für Frauen, die Interesse am Prozeß haben, gibt es die Möglich­keit zu schreiben an: „Frauen­solidaritätsgruppe gegen Kriminali­sierung von Frauenwiderstand“, Autonomes Frauenzentrum, Lie­beneggstr. 15, 6020 Innsbruck oder anzurufen am 6.11. ab 10h, Tel.: 0512/58 08 39.

DRINGEND nötig sind Spenden für die zu erwartenden Prozeß- und Anwaltskosten:
Spendenkonto PSK Privatsparbuch, Nr. 17.614.991
Stichwort: Psychiatrie

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