FORVM, No. 210/I/II
Mai
1971

Ein besserer Olah?

Zur Situation der SPÖ — II

I. Kreisky hat die SPÖ vom Image des Josefinismus befreit

Wie der Kapitalismus Österreich im Zeichen des Merkantilismus erobert hat, so die Sozialdemokratie den Kapitalismus im Zeichen einer neomerkantilistischen Staatswirtschaftspolitik. Dieser Analogie liegt ein isomorphes Strukturelement zugrunde: Der Merkantilismus war das ökonomische Instrument der absolutistischen Herrscher zum Ausbau ihrer Kriegsmaschinerie — die Verstaatlichungspolitik der Sozialdemokratie nach zwei Weltkriegen war jeweils der Versuch, das Erbe einer zusammengebrochenen Kriegswirtschaft zu übernehmen.

Das josefinistische Image einer zentralbürokratisch verwalteten Wirtschaft, mit dem sich die Sozialdemokratie belud, hat seinen antidemokratischen, antibürgerlichen Charakter durch das ganze 19. Jahrhundert verfestigt. Die politische Bewegung des Kleinbürgertums, die christlichsoziale Bewegung, stand von Anfang an in scharfer Opposition zum Josefinismus. Das beginnt mit dem Kreis um Klemens Maria Hofbauer zu Eingang des Jahrhunderts, setzt sich fort bei Sebastian Brunner um die Jahrhundertmitte in der Phase der bürgerlichen Revolution, und zieht sich vom Ende des 19. Jahrhunderts (Vogelsang, Lueger) bis in unsere Tage. Während die christlichsoziale Bewegung bis in die zweite Republik hinein von diesem populistischen Erbe zehrte, litt die Sozialdemokratie am Ruch des Bürokratentums, der an das k. k. Amtskappel gemahnte. Solange der Verstaatlicher Pittermann die SPÖ führte, blieben ihr die kleinbürgerlichen Wählerschichten verschlossen.

Erst Kreisky, der in seiner Auseinandersetzung mit Pittermann und Probst scheinbar den Gegensatz zum Bürokratismus in die Partei hereinholte, verschaffte der SPÖ ein liberales und föderalistisches Erscheinungsbild.

II. Die SPÖ als Erbin des Liberalismus

Die Spaltung des Liberalismus in der imperialistischen Phase zwang den Linksliberalismus in die Arme der Arbeiterbewegung. Es gab eine erste Welle in den 1880er Jahren: durch die Zuwendung des Linksliberalen Viktor Adler zur Arbeiterbewegung ist die Sozialdemokratie überhaupt entstanden (sie war nie eine marxistische Partei, wenn man sie an Marxens Gothaer Programmkritik mißt; das können Marxisten dem Kanzler Kreisky, sicher zu seiner Freude, bescheinigen).

In den zwanziger Jahren geschah ähnliches mit den Neopositivisten (Kelsen, Wiener Kreis), den Psychoanalytikern und den Vertretern der Grenznutzenschule der Nationalökonomie, um die drei prominentesten Gruppen des Wiener Neoliberalismus zu nennen. Sie konnten politisch und materiell alle auf die Unterstützung der Sozialdemokratie zählen. Umgekehrt hingen schon damals viele Sozialdemokraten diesen Schulen ideologisch an (Friedrich Adler sah sich philosophisch als Schüler Machs, Joseph Schumpeter stand ökonomisch im Banne Böhm-Bawerks usw.). Der Kurs technokratischer Reformen, dem sich die Sozialdemokratie nunmehr verschrieben hat, vollzieht sich unter der Ideologie des Neopositivismus und kann als Vertiefung jenes Bündnisses aus der Ersten Republik gefaßt werden. Die Rücktransformation des in den USA weiterentwickelten Neopositivismus durch das Wiener Fordinstitut in Gestalt heimgeholter Wiener Professoren (darunter zu Neopositivisten gewandelte ehemalige Jung-Austromarxisten) hat eine wichtige Rolle bei der ideologischen Entfaltung des Kreisky-Kurses gespielt (Mathematisierung der Sozialwissenschaften, „Computerzeitalter“ u.ä).

Der Rechtsliberalismus hat über Deutschnationalismus und Nationalsozialismus eine recht ausschweifende Kurve beschrieben, die ihn schließlich in das Lager der Sozialdemokratie geführt hat. Die Trennung der Linksliberalen Adler-Pernerstorfer von den rechtsliberalen Schönerianern erfolgte schon in den 1880er Jahren. Das Personal der Alldeutschen, hauptsächlich Beamte und das Bürgertum der Provinzstädte, geriet in den Sog der Hitlerbewegung und bildete dort eine gemäßigte Fraktion. Nach 1945 wurden wesentliche Teile dieser Gruppen auf dem Weg der Auffüllung der Proporzkontingente in die SPÖ übernommen. Dazu gehört zum Beispiel das Personal des Justizdienstes, der in der Zweiten Republik von Sozialdemokraten geleitet wird, während er in der Ersten Republik durchwegs unter der Ministerschaft von Großdeutschen stand — bis zu jenem Heimwehr-Hueber, der der Schwager Hermann Görings war.

Eine weitere derartige Gruppe waren die im Zuge der Verstaatlichung der Schwerindustrie bei der SPÖ eingetretenen „nationalen“ Techniker. Sie kommen aus den Technischen Hochschulen in Graz, Leoben und Wien, sind fast durchwegs ehemalige schlagende Burschenschafter, die heute noch stolz ihre Mensurnarben tragen (so z.B. der von Kreisky ernannte Generaldirektor der ÖIAG, Dr. Geist).

Schließlich sind da noch die „Provinzintellektuellen“ (akademische Freiberufler) zu erwähnen, die es in der Zwischenkriegszeit in der damaligen SDAPDÖ (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutsch-Österreichs) überhaupt nicht gegeben hat — wie Buttinger in seinen Erinnerungen bezeugt.

Alle diese Leute wurden zu Tausenden im BSA (Bund sozialistischer Akademiker) gesammelt und sickerten nach und nach als „Fachleute“ in die politische Führung ein. So kam es dann zu den diversen Zwischenfällen wie der Narvik-Rede des Kärntner Obersten Holzinger (damals BSA) im Jahre 1960, oder zu den Offenbarungen über NS-Mitgliedsnummern nach Kreiskys Kabinettsbildung (1970).

Die Öffnung nach rechts wird gegenwärtig durch die Orientierung auf eine SP-FP-Koalition vervollständigt.

III. Vorbildung des technokratischen Kurses im Wirtschaftskomplex der Partei

Das Konzept der Modernisierung des Kapitalismus kann in der Sozialdemokratie bis auf die Parteibetriebe in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückverfolgt werden. Die Struktur dieser Wirtschaftskörper war im Handels- wie im Produktionssektor der ihrer kapitalistischen Konkurrenten um einiges voraus — und zwar durchaus im Sinne des Trends der kapitalistischen Entwicklung. Die Handelsorganisation der Konsumvereine mit ihrer Großeinkaufsgesellschaft stellte den modernen Typ der Handelskette (Kettenläden) dar, die Hammerbrotwerke repräsentierten gegenüber den handwerkelnden Bäckereien den Typ der modernen Fabrik. Wenn diese Organisation vermöge ihrer höheren Kapitalskonzentration und besseren Produktivität die christlichsozialen Bäcker und Greißler wirtschaftlich aus dem Felde schlug, so war das gewiß auch ein politisches Moment — das aber mit einem hohen Maß an Verinnerlichung kapitalistischen Denkens erkauft wurde. Man hat in der Sozialdemokratie schon um 1900 „moderner“ gedacht als der zeitgenössische Kapitalismus.

Als 1923 die „Arbeiterbank“ die Parteikapitalien für das volle Bankgeschäft zu nutzen begann, forcierte man unter anderem einen Geschätszweig, um den sich das zeitgenössische Bürgertum nicht annehmen mochte: den Handel mit der Sowjetunion, der über die „Ratao-Gesellschaft“ ab 1924 abgewickelt wurde. Dieser Handel scheint jenen größeren vorwegzunehmen, den Pittermann als Chef der verstaatlichten Industrie nach dem Staatsvertrag so energisch förderte.

IV. Von den gemeinwirtschaftlichen Betrieben zur verstaatlichten Schwerindustrie

Im Ersten Weltkrieg wurden die Parteibetriebe mit dem kriegswirtschaftlichen Komplex verbunden (die sozialdemokratischen Hammerbrotwerke erhielten Großaufträge zur Zwiebackproduktion für das Heer u.ä.). Gleichzeitig wuchsen die Wirtschaftsfunktionäre der Partei in staatliche Funktionen hinein. Man übernahm die Idee der Verstaatlichung nach dem Modell der Kriegswirtschaft (Renner: „Durchstaatlichung der Wirtschaft“). Dem entsprach die Integration der Massen in den Sozialimperialismus (Besserstellung der „deutschen“ Arbeiter im Vergleich zu Arbeitern bei anderen Nationalitäten der Monarchie).

Nach der Übernahme und Liquidation des Reiches durch die sozialdemokratische Führung verkümmerte das Verstaatlichungsprogramm bis auf die Konstruktion von „gemeinwirtschaftlichen Betrieben“, das sind de facto Kommunalbetriebe (es geschah nicht viel mehr als die Übernahme der Rüstungsfabriken im Wiener Arsenal). Wirtschaftlich gesehen war die Sozialdemokratie in der Ersten Republik eine Kommunalpartei.

Die Christlichsozialen beherrschten das Land, die Sozialdemokraten die Hauptstadt, die Deutschnationalen die Kleinstädte. Die politische Kräfteverteilung entsprach der österreichischen Wirtschaftsstruktur der zwanziger Jahre: der agrarische und kleinstädtisch-gewerbliche Sektor überwog die Industrie. Mit der Wirtschaftskrise von 1929 bis 1933 wirtschaftete die Industrie (die Stadt) ab, das Land eroberte die Stadt. Mit der Industrie und der Stadt ging auch die Arbeiterbewegung bergab. Österreich wurde politisch verdorft (mit den Bürgermeistern Dollfuß, Schuschnigg).

Die Demoralisierung der Arbeiterschaft in der Zeit der NS-Herrschaft rührt nicht nur aus der Vernichtung der Organisation, sondern auch aus der Verwicklung der nunmehr „amorphen“ Arbeiterklasse in die Untaten des Regimes. Arbeiter nehmen als Soldaten an Hitlers Beutezug teil, Arbeiter im Hinterland bilden eine privilegierte Schicht über den angeschleppten „Fremdarbeitern“ (Anteil im österreichischen Gebiet: zeitweise mehr als ein Drittel der Industriearbeiter). Die Wirkungen des KZ-Systems als einer auf Zwangsarbeit beruhenden Ordnung ging weiter, als man heute zuzugeben bereit ist. Die Animosität gegen „Fremdarbeiter“ wirkt linear fort, bis in die Terminologie hinein, und zum Teil beruhte auch der Nachkriegsantikommunismus (Antisowjetismus) auf der ausbeuterisch angelegten Haltung gegenüber den östlichen „Untermenschen“. Die andere Seite dieses Ausbeutungsverhältnisses ist ein Schuldgefühl, das klassenkampfhemmend wirkt.

Die Sozialisierung der Kriegsverluste brachte die Arbeiterbewegung wieder ins Spiel. Die großen Industriebauten der Kriegswirtschaft wurden mittels Fremdkapital und Unterkonsumation der Arbeiter wiedererstellt. In beiderlei Gestalt repräsentierte die SPÖ die ökonomischen Faktoren politisch: sie brachte der Republik die Opferwilligkeit der Arbeiter und das Kapital der Amerikaner (Marshall-Plan, ERP-Fonds). Die Hermann-Göring-Werke (VÖESt) etwa hatten Kriegsschäden von 1,5 Milliarden Schilling, welche durch ERP-Mittel in derselben Höhe ausgeglichen wurden (vernichtetes deutsches Kapital wird durch US-Leihkapital ersetzt); dazu kam noch ein Mehrfaches an österreichischer Arbeitsleistung.

Die Kapitalbildung etablierte die Sozialdemokratie auf gesamtstaatlicher Ebene. Sie rückte nicht nur in zentrale bürokratische Funktionen ein, ihre internationalen Verbindungen wurden auch ein wichtiger (kapitalbringender) außenpolitischer Faktor (in der KP-Terminologie: „Partei der Angloamerikaner“).

V. Aufstieg der Provinz

Das Kapital, das zunächst von der Zentrale in die Provinz floß, bedeutet dort jetzt eine Macht, die sich in lokalen Interessen politisch artikuliert. Dominierte in der ersten Phase die Zentrale, so bildet sich nun ein Gegengewicht, dessen politischer Einfluß auf Wien zurückwirkt. Stimmenpotential, Parteimitgliedschaft und wirtschaftspolitischer Einfluß in der SPÖ haben sich entscheidend zwischen Wien und der Provinz verschoben. Das Resultat dieses Aufstands der Provinzorganisationen ist die Führung durch Kreisky.

Wiewohl es gravierende Unterschiede gibt, kann man die Frage stellen, ob nicht Kreisky wesentliche Teile des Olah-Konzeptes weiterführt.

Kreisky war wie Olah stellvertretender niederösterreichischer Parteiobmann. Olah schaffte es allerdings nicht, seine „zentralistische“ Gewerkschaftsfunktion gegen eine „föderalistische“ Landesobmannschaft auszutauschen. Insofern war Kreisky glücklicher, der 1966 niederösterreichischer Obmann wurde.

In den Regierungsverhandlungen 1962 war es Olah, der Kreiskys Außenministerposten rettete. Gleichsam als Revanche hielt Kreisky ihn am längsten von allen, er verteidigte Olah noch auf einer Pressekonferenz am 2. Oktober 1964, als die Sturmszenen in der Löwelstraße nach Olahs Ministerentlassung schon zwei Wochen zurücklagen.

Öffnung nach rechts: zu den Herbstwahlen 1962 bekam die FPÖ die berühmte Olah-Million, der Anfang eines dann auch von Pittermann mit ins Kalkül gezogenen Bündnisses mit der FPÖ. Schon Olah wollte die FPÖ durch eine Wahlreform unterstützen; Kreisky führte sie durch.

Anfang 1963 macht Olah einen Vorschlag zur Entpolitisierung des Rundfunks, an dem sich das sogenannte Rundfunk-Volksbegehren entzündet (Unterschriftenkampagne 1964). Diese populäre Bewegung sammelt zunächst in plebiszitärer Manier alle rechten Stimmungen, die sich in den Großparteien nicht durchsetzen können. So unterstützen beispielsweise die unabhängigen Zeitungen, die das Volksbegehren tragen, zugleich den ÖVP-Reformer Klaus.

In der ÖVP gelingt der entscheidende Ruck nach rechts am Klagenfurter Parteitag (September 1963) und schließlich der Kanzlerwechsel (April 1964). Im selben Monat Beginn der Olah-Debatte in der SPÖ. Hier gelingt der Rechtsdruck nicht: im September 1964 wird Olah gestürzt. In der antifaschistischen Aufwallung der Anti-Borodajkewycz-Demonstrationen (März-April 1965) wird der Parteiführung ein vorläufiges Halt in Richtung Koalition mit der FPÖ gesetzt. Die neue ÖVP-Führung erzwingt bei den nächsten Budgetverhandlungen im Herbst 1965 Neuwahlen: am 6. März 1966 erleidet die bürokratisch-zentralistische Führung der SPÖ (Pittermann—Probst) ihr Debakel. Alleinregierung Klaus.

Am SPÖ-Parteitag 1967 küren der Kärntner Sima und der Steirer Schachner den „Niederösterreicher“ Kreisky zum neuen Parteivorsitzenden.

Kreisky ist nicht nur ein glaubhafterer Föderalist als Olah, er wirkt auch bei Annäherung an Bürgerliche „solider“ und der viel Redende, allzeit Diskutierende trägt auch nicht das Image des mitleidslos administrierenden Bürokraten, das psychopathisch Dämonische, das Olahs Bild in der Massenpsyche auszeichnete, und dessen Grundlage die seinerzeitige antikommunistische „Geheimarmee“ in der Bauarbeitergewerkschaft bildete, vor deren Möglichkeiten sogar seine engere Führungsgenossen es schauderte. Dazu kommt noch Kreiskys klare politische Orientierung auf ein technokratisches Konzept, das die aufsteigenden Schichten der Angestellten fasziniert — Kreisky wirkt dienend bemüht im Sinne eines Programms, während man Olah nichts anderes zutraute als den nackten Willen zur Macht.

Indem Kreisky sich so vorteilhaft von Olah unterscheidet, kann er viel weiter nach rechts gehen als dieser. In der Tat hat er die Öffnung nach rechts (die innerparteiliche und die zur FPÖ) viel fester verankert, als das 1963 der Fall war, so daß eine Rückbesinnung und Wendung des Parteikurses, ungleich 1964, nicht mehr ohne gravierende Spaltung der Partei vollzogen werden könnte (diesmal wäre es kein „Randphänomen“). Diese Problematik wird spätestens bei der nächsten Wahlniederlage der SPÖ aktuell werden.

VI. Kreiskys Kraft: der neue Mittelstand

Politische Führung ist das Problem der Koordination der Strömungen und Kräfte. Die Spitze in Partei, Wirtschaft und Staat bleibt natürlich zentralbürokratisch, auch wenn sie populär tut. Sie schart um sich eine Klientel von mittleren und unteren Schichten, die in gewisser Weise auf sie angewiesen sind. Der technokratische Kurs („Die 1400 Fachleute“, „Kreisky und sein Team“) repräsentiert die Partizipationsbestrebungen der aufsteigenden Managerklasse, der Mittelschicht der leitenden Angestellten und Funktionäre (nichts anderes ist der Sinn der Mitbestimmungslosung in den Mündern der Funktionäre). Das Bündnis von Technokraten und Zentralbürokraten richtet sich gegen das kleine und mittlere Privatkapital. Auf dieser Ebene gibt die SPÖ auch regionalen Interessen Raum.

Was die Unterklassen der Arbeiter und Angestellten (also das Wahlvolk) betrifft, hat die SPÖ weiterhin den Vorteil der ständischen Vertretung der Interessen dieser Klassen — ein Vorteil, der mit der Modernisierung der Sozialstruktur verschwinden wird (Zurückdrängung des agrarischen und kleingewerblichen Elements). Solange der ÖAAB es nicht versteht, sich von einer traditionalistischen Beamtengruppe zu einer technokratischen Angestelltenorganisation zu modernisieren, wird die ÖVP ihre atavistischen Strukturen nicht bewältigen. Insolange erbt die SPÖ widerstandslos die aus der Landwirtschaft in die Industrie Übertretenden (Pendler, Bauarbeiter usw.). Das ist das Geheimnis der letzten Wahlerfolge der SPÖ.

Daß die Hauptgewinne genau in den Zwischengebieten von Land und Stadt erfolgen, wo die Provinzhäuptlinge als Erfolg ihrer Industrialisierungspolitik „aufforsten“, ist ein den föderalistisch-regionalen Faktor verstärkendes Moment.

VII. Kreisky und die Gewerkschaften

Der gewerkschaftliche Einfluß hängt vom Funktionieren der ständischen Einrichtungen ab, die ja alle freiwilligen Charakter haben (nicht Zwangsinstitutionen wie im Ständestaat — wo sie im übrigen gerade wegen ihres Zwangscharakters nie richtig funktioniert haben). Daher die Losung der großen Koalition mit der ÖVP als politische Fortsetzung und Abstützung der ständischen Politik. Der Einfluß der Gewerkschaft liegt also auf der Linie der zentralbürokratischen Kräfte und geht gegen die „Provinz“, als deren Exponent Kreisky erscheint. Die Gewerkschaft wendet sich also gegen die kleine Koalition. Hier ist ein Bündnis mit der Parteibürokratie (Typ Probst, Czernetz), mit den Widerstandskämpfern und den Resten an Rebellentum in den mittlerweils auf Linie gebrachten Jugendverbänden (zuletzt geschehen im VSStÖ im März 1971) möglich. Die gemeinsame Plattform würde lauten: Antifaschismus (wie in der Anti-Borodajkewycz-Kampagne).

VIII. Kreiskys „Reformen“

Im Gegensatz zwischen Managern und oberen Zehntausend glänzt Kreisky als der demokratische Reformator. Der aufsteigenden neuen Mittelklasse erscheint er als Promotor. Und zwar solange, bis seine Reformen entweder durchgeführt sind und sich zeigt, wem sie dienen — oder bis sie mangels Masse sichtbar gescheitert sind.

Wenn schon jetzt die Reformen mangels Schwung und Personal liegen bleiben — wie soll das erst werden, wenn die FPÖ als Bremser in der Regierung sitzt? Nachdem die FPÖ weiter rechts steht (weniger liberal ist) als die FDP, wird Kreisky noch weniger durchbringen als Brandt. Das heißt, daß die Lücke zu den wirtschaftlich fortgeschrittenen Staaten nicht geschlossen werden kann. Der wachsende Konkurrenzdruck wird die Neigung zu Zusammenbrüchen verstärken.

Die — heute integrierten — Massen der Lohnabhängigen kommen nur im Falle eines größeren wirtschaftlichen Rückschlages ins Spiel. Da keine der heute existierenden politischen Organisationen imstande ist, eine solche Bewegung zu verkraften, werden neue Formen entstehen. Sollte die Linke dabei versagen, werden die Massen der Rechten zuströmen. Der Enttäuschungseffekt über einen unbewußt und unvorbereitet eintretenden Zusammenbruch der traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung könnte diese Wirkung haben.

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