FORVM, No. 211
Juni
1971

Entwicklungshilfe für wen?

Im Februar d.J. beauftragte Bundeskanzler Kreisky die privaten, mit Entwicklungshilfe befaßten Organisationen in Österreich mit der Ausarbeitung eines entwicklungspolitischen Konzeptes für die Bundesregierung sowie einer Bestandsaufnahme bisheriger österreichischer Maßnahmen auf diesem Gebiet. Mitte Juni wurde dieses Konzept dem Bundeskanzler überreicht und in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Beitrag von H. B. und A. K., Mitarbeitern an der „Enquete Entwicklungshilfe“, handelt von Dingen, die nicht im Konzept stehen. Ob sie nur vergessen wurden?

Eine fundierte Bestandsaufnahme über österreichische Entwicklungshilfe zu machen, ist nicht möglich. Es fehlen dazu die notwendigen Unterlagen, die als Staatsgeheimnis in Schreibtischladen von Ministerien, Kontrollbank usw. gehütet werden. Verfügbar sind nur Globalzahlen, die jedoch mehr verschleiern als aufdecken. Österreich beteiligt sich hier an einer internationalen Verschleierungstaktik der westlichen Industrieländer gegenüber der Dritten Welt, die durch die Statistiken des DAC (Entwicklungshilfeausschuß der OECD) normiert ist. Diese Statistiken berücksichtigen alle Kapitaltransfers nach Entwicklungsländern, die in der Kapitalbilanz aufscheinen, unabhängig von ihrem Hilfscharakter und gleichgültig, ob es sich um Transaktionen handelt, die auch zwischen Industrienationen üblich sind.

So gelten Privatinvestitionen, die aus erklärter Profitabsicht westlicher Unternehmen durchgeführt werden, als „Entwicklungshilfe“, [1] ebenso private und öffentliche Exportkredite. Bei der Berechnung der privaten Nettoleistungen werden nur Kreditrückzahlungen und die Rückführung von Kapital, nicht jedoch Zinsenzahlungen, Lizenzzahlungen und ausgeführte Gewinne abgezogen. Profite, die in Entwicklungsländern reinvestiert werden, werden zusätzlich als „Entwicklungshilfe“ ausgewiesen. Hingegen wird die Kapitalflucht aus den Entwicklungsländern nicht als Abfluß erfaßt. Durch solche statistische Methoden kann nicht einmal annähernd festgestellt werden, in welchem Umfang Kapital in die Entwicklungsländer fließt, ja es bleibt die Frage offen, ob überhaupt Nettotransfers erfolgen.

Angesichts dieser offensichtlichen Täuschungsmanöver richtet die „Enquete Entwicklungshilfe“ lediglich eine Empfehlung an die Bundesregierung, „alles in ihren Kräften Stehende zu unternehmen, um eine Berechnungsweise herbeizuführen, die eine bessere Beurteilung der Leistungen einerseits im Hinblick auf ihre entwicklungsfördernde Wirksamkeit, anderseits hinsichtlich einer gerechteren internationalen Lastenverteilung ermöglicht. Insbesondere sollten solche Transaktionen nicht als Entwicklungshilfe bezeichnet werden, die, wenn sie mit Industrieländern abgewickelt würden, niemals die Bezeichnung ‚Hilfe‘ erhalten würden.“

Es wurde verabsäumt, die Regierung darauf festzunageln, für bestimmte Änderungen einzutreten. Weiters wird resignierend bemerkt, Österreich könne nicht einseitig von den bisherigen Berechnungsmethoden abgehen. Immerhin wäre es aber möglich, in offiziellen österreichischen Berichten auf die Unzulänglichkeit der DAC-Statistiken hinzuweisen. Momentan bleibt der Öffentlichkeit sogar der Einblick in jene Berichte verwehrt, die sich auf manipulierte Statistiken stützen.

Das Bestreben der für Entwicklungshilfe zuständigen österreichischen Stellen, private Kapitaltransfers als Entwicklungshilfe darzustellen, wird verständlicher, wenn man bedenkt, daß 1969 öffentlichen Leistungen von nur 22,3 Millionen US-$ (1968 27,9 Millionen) private Leistungen von 58,4 Millionen US-$ (1968 45,8 Millionen) gegenüberstanden. Davon waren 1969 55,7 Millionen $ (1968 42,9 Millionen) Exportkredite, die zu den im Exportgeschäft üblichen Zinssätzen und Laufzeiten vergeben wurden. D.h. ungefähr drei Viertel der sogenannten Entwicklungshilfe Österreichs sind durch das unmittelbare Interesse der österreichischen Wirtschaft motiviert (dazu müssen noch die öffentlichen Kredite gezählt werden, so daß fünf Sechstel der österreichischen Gesamtleistungen an Entwicklungsländer direkt unserer Wirtschaft dienen).

Durch die derzeit geübte Manipulation der Statistiken entsteht die groteske Situation, daß Leistungen als Entwicklungshilfe bezeichnet werden, die nicht nur keine Belastung für Österreich darstellen, sondern dem Fiskus sogar noch Einnahmen erbringen. Die Bundesgarantie für bei der Österreichischen Nationalbank und der Kontrollbank refinanzierte private Exportkredite wird nach sorgfältiger Prüfung der Zahlungsfähigkeit des Importeurs im Entwicklungsland und des politischen und wirtschaftlichen Risikos vergeben. Dadurch war es bisher möglich, die geringfügigen Ausfälle durch die eingehobenen Provisionen nicht nur zu decken, sondern noch zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Diese werden letztlich durch den Importeur im Entwicklungsland finanziert, denn es ist anzunehmen, daß der österreichische Exporteur die Provision auf den Zinssatz oder den Preis überwälzt. Das Garantiesystem beschränkt sich außerdem nicht auf Exportkredite nach Entwicklungsländern, sondern findet z.B. auch im Osthandel Anwendung.

Auch das Vergabesystem für Exportkredite, die durch öffentliche Zinsstützung zu günstigeren Bedingungen (Zinssatz 5,5 Prozent und Laufzeiten bis zu maximal 12 Jahren) vergeben werden, läßt keine allzu optimistische Einschätzung seines Entwicklungseffektes zu. Obwohl diese Mittel zum größten Teil auf dem Kapitalmarkt finanziert werden und der Zuschuß für die Zinsstützung aus öffentlichen Quellen (Budget, ERP-Fonds) stammt, werden sie insgesamt als öffentliche Leistungen ausgewiesen. Ihr Anteil an den gesamten öffentlichen Bruttoleistungen betrug immerhin 1968 29 Prozent und 1967 sogar 45 Prozent. Da keine Kriterien für ihre Vergabe festgelegt sind —- mit Ausnahme der Forderung, es müsse sich um Investitionsgüter handeln — und nicht zu eruieren ist, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidungen in der Praxis getroffen werden, kann angenommen werden, daß die Industrie, in deren Interesse ja letztlich diese Kredite vergeben werden, hier ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat. Sicherlich steht bei der Vergabe der Bedarf des EntwickIungslandes nach einem bestimmten Produkt nicht zur Debatte. Dieser Problematik versuchte die Enquete insofern Rechnung zu tragen, als sie den frommen Wunsch aussprach, daß „staatlicherseits durch finanzielle Beiträge geförderte Kredite ... den in diesem Konzept aufgestellten Zielsetzungen entsprechen sollen“. Nicht aufgeworfen wurde die Frage, ob ein System der Exportförderung in Anbetracht der Interessenlage und des Drucks der österreichischen Wirtschaft überhaupt für eine gezielte Entwicklungspolitik eingesetzt werden kann.

Ebenfalls große Erwartungen setzt die Enquete in Privatinvestitionen. Sie empfiehlt abgabenrechtliche Maßnahmen zur Förderung österreichischer Investitionen in Entwicklungsländern. Allerdings wird die Forderung aufgestellt, es müsse sich um „Investitionen mit entwicklungsförderndem Charakter“ handeln. Reinvestierte Gewinne sollten sogar von der Einkommensteuer ausgenommen werden. Die Vorstellung, ausländische Privatinvestitionen in Entwicklungsländern könnten nach den Grundsätzen eines Entwicklungskonzeptes selektiv gefördert werden, mutet einigermaßen utopisch an. Der Motor für Privatinvestitionen — das Profitinteresse — läßt Kapital in besonders gewinnversprechende Wirtschaftszweige in den Entwicklungsländern fließen, wodurch ein rascher Aufschwung einiger weniger Sektoren und Regionen ausgelöst wird und die Rückständigkeit der übrigen Volkswirtschaft verschärft wird.

Außerdem wird damit der Forderung des Konzeptes widersprochen, daß es das Ziel der Entwicklungspolitik sein müsse, daß die Entwicklungsländer ihre Entwicklung selbst bestimmen können und über die dazu notwendigen Mittel verfügen müssen. Durch Privatinvestitionen wird die Tendenz zur Monopolisierung ganzer Wirtschaftsbereiche der Entwicklungsländer in ausländischen Händen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Landes gefördert. Durch steuerliche Begünstigungen könnten die negativen Auswirkungen von Privatinvestitionen kaum ausgeschaltet werden.

Abgesehen davon dürfte es ziemlich schwer sein, zu bestimmen, welcher Investition „entwicklungsfördernder Charakter im Sinne des Konzeptes“ zukommt. Die Enquete erwähnt nicht einmal die Möglichkeit nachteiliger wirtschaftlicher und politischer Auswirkungen von Auslandsinvestitionen. Sie setzt sich darüber hinweg, indem sie eine Interessenparallelität ausländischer Investoren und der Entwicklungsländer behauptet. Mit dieser und der Ideologie von Partnerschaft und Klassenharmonie ist es der Enquete gelungen, den eigentlichen Gegensatz und die Unvereinbarkeit zwischen den Interessen der kapitalistischen Wirtschaft (Profite, neue Absatzmärkte, billige Rohstoffe ...) und der Emanzipation der Völker der Dritten Welt zu verschleiern.

Die österreichischen Direkt- und Portefeuilleinvestitionen in Entwicklungsländern betrugen 1969 zwar nur 2,8 Millionen US-$ (1968 2,9 Millionen), das ist aber immerhin mehr, als in diesen Jahren der öffentliche Sektor für technische Hilfe ausgegeben hat (1969 2,3 Millionen, 1968 2,6 Millionen US-$). Wenn auch angesichts des Kapitalmangels in Österreich keine dominierende Position österreichischer Unternehmen in Entwicklungsländern zu befürchten ist, so wäre immerhin die Möglichkeit zu erwägen, daß in Zukunft westdeutsches Kapitai durch Verflechtungen mit österreichischen Unternehmen in Länder fließen könnte, in denen westdeutsche Investoren nicht mehr gern gesehen sind (vor allem in bestimmten Regionen Afrikas).

Diese durchaus realistische Möglichkeit, daß künftig westdeutsche Interessen aufgrund des sinkenden Vertrauens vieler Entwicklungsländer gegenüber der BRD (vor allem wegen der Unterstützung Südafrikas und der Kolonialmacht Portugal sowie verschiedener Praktiken westdeutscher Entwicklungspolitik in Zusammenhang mit der offiziell toten Hallstein-Doktrin) zunehmend über Österreich gehen werden, leitet zu dem über, was die Enquete so umschreibt: „Die österreichische Entwicklungshilfepolitik ist Bestandteil der internationalen Entwicklungspolitik.“ „International“ ist dabei immer eine Umschreibung für „westlich“. Dies wird schon deutlich an den „Partnerländern“ österreichischer technischer Entwicklungshilfe: in Asien sind es z.B. nur Mitgliedsländer der SEATO und CENTO (Hauptempfängerland ist das stärkste amerikanische Bollwerk in Südostasien: Thailand).

Österreich integriert sich also in eine weltweite Strategie des amerikanischen und westeuropäischen Kapitalismus, für den die Dritte Welt einerseits Feld (modifizierter) wirtschaftlicher Ausbeutung und anderseits Kampfplatz gegen die immer stärkere Bewegung gegen das kapitalistische Weltsystem ist. Dies trifft auch auf wesentliche internationale Organisationen wie etwa die Weltbank zu, in deren Entscheidungsgremien die NATO-Staaten zirka 60 Prozent der Stimmen besitzen.

Theoretisch gesehen könnte man annehmen, Internationale Organisationen wären imstande, nach rationaleren und uneigennützigeren Entscheidungskriterien vorzugehen als die Regierungen einzelner Länder und die eingesetzten Mittel besser zu koordinieren. In der Praxis gelingt es jedoch auch in internationalen Gremien jenen Regierungen, die die politische Macht haben, ihre nationalen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Es bestehen zwar nicht wie auf dem Gebiet der bilateralen Hilfe direkte Lieferbedingungen; die Aufträge werden aber vielfach an jene Länder vergeben, die über entsprechende Einflußmöglichkeiten verfügen. Selbst wenn in solchen Gremien die Entwicklungsländer über einen Großteil der Stimmen verfügen (wie etwa in Organisationen der UNO), sagt dies noch wenig aus, denn die meisten dieser Regierungen leben von Gnaden bestimmter Industrieländer (meistens ihrer früheren Kolonialmacht oder direkt der USA).

Angesichts dieser Situation kann man sich nicht mit der Leerformel begnügen, wie sie im Konzept präsentiert wird: „Entwicklungspolitik erfordert eine Verstärkung internationalen Engagements, eine Förderung und Verbesserung der internationalen Rahmenbedingungen für entwicklungspolitische Maßnahmen, eine Stärkung der Vereinten Nationen und ihrer Organe.“

Die Verflechtung internationaler Organisationen mit den Interessen der USA und ihrer Verbündeten wird von der Enquete nicht einmal erwähnt, geschweige denn kritisiert. Immerhin flossen 1969 von den 22,3 Millionen US-$ öffentlichen Leistungen 15,4 Millionen $ über internationale Organisationen (1968 waren es 13,6 Millionen von insgesamt 27,9 Millionen).

Dazu kommt noch, daß bürokratische Aufblähungen und Zweigeleisigkeit bei den internationalen Organisationen zu einer Vergeudung von Geld und Energie führen, die in der Jackson-Studie mit 20 Prozent beziffert wird. Für die bilaterale österreichische Entwicklungshilfe wurden keine ähnlichen Berechnungen angestellt, das Ergebnis dürfte jedoch kaum günstiger sein. Die an Indien und die Türkei gewährten bilateralen Entwicklungskredite sind an den Ankauf nicht näher bestimmter österreichischer Produkte gebunden. Wenn es auch schwierig ist, den Entwicklungseffekt eines Kredites und der damit finanzierten Importe zu evaluieren, so kann man doch sagen, daß etwa der Effekt von Importen für die Ausstattung der Oper in Istanbul, die aus dem Türkeikredit bezahlt wurden, dem Wert Null ziemlich nahekommen dürfte. Der Indienkredit wurde teilweise für den Import von Düngemitteln verwendet. Aufgrund der bestehenden Besitzverhältnisse in der Landwirtschaft wurde dadurch die Ungleichheit noch verschärft.

Obwohl die Enquete kaum eine Kritik an der bisherigen österreichischen Entwicklungshilfe anbrachte, geschweige denn an den ihr zugrunde liegenden Interessen, weigerten sich die Bundeswirtschaftskammer und ein der Industriellenvereinigung nahestehendes Entwicklungshilfeinstitut, das Konzept zu unterzeichnen. Dabei wurde vorgebracht, es habe „eindeutige ideologische Züge“. Bemerkenswert ist, daß dadurch zwei Interessenvertretungen ausgefallen sind, die nicht nur die Vergabe von etwa fünf Sechstel der sogenannten Entwicklungshilfeleisttungen Österreichs entweder direkt bestimmen oder zumindest entscheidend mitbestimmen, sondern in denen auch jene organisiert sind, deren Interessen diese Leistungen hauptsächlich dienen. Dieses Verhalten der Wirtschaftsvertreter zeigte auch deutlich, wie sehr „Interessenparallelität“, „Partnerschaft“ usw. einem frommen Wunschdenken entspringen.

Immerhin muß der Bundeswirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung zugestanden werden, daß sie konsequenter waren als die übrigen an der Enquete beteiligten Organisationen, die noch immer der Illusion anhängen, daß im Kapitalismus eine nicht von den Interessen des Kapitals diktierte „Entwicklungspolitik“ möglich sei. Solche Illusionen kann nur haben, wer an den sozioökonomischen Ursachen der Unterentwicklung vorbeigeht und meint, mit moralischen Appellen Wesentliches zu deren Überwindung beizutragen.

Dies trifft vor allem auf die kirchlichen Organisationen zu, die ungefähr gleich hohe Mittel für technische Hilfe aufbringen wie der Staat. Ein Großteil dieser Mittel wird jedoch in unmittelbarem Zusammenhang mit Missionsprojekten eingesetzt (kirchliche Schulen, diözesane Verwaltung usw.), ist also durch Verkündigungs- und sogar Machtinteressen der Kirchen bestimmt. Da meist ein ganz bestimmtes Christentum, nämlich eines westlich-kapitalistischer Prägung, verkündet wird, leistet kirchliche Entwicklungshilfe wesentliche ideologische Schützenhilfe für nicht mehr auf Verkündigung ausgerichtete Interessengruppen der kapitalistischen Industrieländer.

Das Prinzip kirchlicher Entwicklungshilfe hat Weihbischof Dr. Alois Wagner in seiner Weihnachtsansprache 1970 so charakterisiert: „Es geht um die kleinen Dienste der Liebe.“ Unpolitisch zu sein ist also ein Grundsatz kirchlicher Entwicklungshilfe. Politische Aktivität ist den Entwicklungshelfern verboten. Wie dies praktisch aussieht, kann am Beispiel Brasiliens demonstriert werden. Damit der Einsatz von Entwicklungshelfern bzw. Missionsprogramme nicht gestört werden, hatte sich Bischof Wagner gegen Protestaktionen in Österreich ausgesprochen. Da die Hilfe unpolitisch ist, stört es auch niemanden, daß Projekte in Rhodesien und Südafrika — die natürlich nicht im Gegensatz zu den dortigen Regierungen stehen dürfen — aus kirchlichen Mitteln finanziert werden. Da es nur um die „kleinen Dienste der Liebe“ geht, brauchen politische und ökonomische Verhältnisse in den Entwicklungsländern nicht analysiert zu werden, Befreiungsbewegungen sind suspekt, da sie „meist politisch“ sind. Die christliche Nächstenliebe bietet die Rechtfertigung, daß man im Einvernehmen mit reaktionären Regierungen, wie etwa in Brasilien, Südafrika, Rhodesien, Südkorea (das bei katholischen Entwicklungsexperten bezeichnenderweise einfach als „Korea“ gilt, als ob es die Koreanische Volksdemokratische Republik, die nicht zuletzt aufgrund einer gerechteren Verteilung des Volksvermögens den zweithöchsten Lebensstandard in Mittel- und Ostasien hat, gar nicht gäbe), Projekte durchführt, deren politische Implikationen nicht analysiert und daher auch nicht bewußt werden. Eines der wenigen fortschrittlichen Länder, das kirchliche Entwicklungshilfe aus Österreich erhält, ist Tanzania, was aber auf alte persönliche Kontakte Bischof Wagners zu einheimischen Priestern zurückzuführen ist (demgemäß handelt es sich praktisch ausschließlich um erweiterte Missionsprojekte).

Obwohl kirchliche Entwicklungshilfe im Gegensatz zur sogenannten „privaten Hilfe“ (der Wirtschaft) und Teilen der öffentlichen Hilfe nicht durch Profitinteressen motiviert ist, ist ihr Entwicklungseffekt durch die Verknüpfung mit Missionierungsabsichten und das Fehlen politischer Implikationen niedriger zu veranschlagen, als dies vor allem von katholischen Entwicklungsexperten getan wird.

Das Konzept wird vielleicht erreichen, daß die Bundesregierung dem Parlament eine quantitative Erhöhung der österreichischen Entwicklungshilfe vorschlagen wird. Doch damit ist so lange nicht viel getan, als man sich nicht zu einer klaren politischen Strategie entschließt, die an den sozio-ökonomischen Ursachen der Unterentwicklung ansetzt. Mit unverbindlichen Gemeinplätzen über „Ziele der Entwicklungspolitik“ oder moralischen Appellen ist wenig erreicht, außer einer Verschleierung der Interessen, die heute faktisch dem größten Teil der sogenannten Entwicklungshilfe zugrunde liegen. Da die Interessenlage in einem kapitalistischen System eine wirksame Entwicklungsstrategie verhindert, wäre gegenwärtig zumindest mehr „Transparenz“ zu fordern. Die Vertreter der Wirtschaft haben dabei im Rahmen der Enquete (gegen ihren Willen) einen guten Anfang gesetzt.

„Entwicklungshilfe“ im NF

  • Lutz Holzinger: Alternativen zur Guerilla, NF März/April 1971.
  • Reinhild Traitler: Entwicklungshilfe = Waffen + Kredit, NF Mitte Mai 1970.
  • Ivan Illich: Muß die 3. Welt wie die 1. werden, NF Mitte Mai 1970.
  • Helder Camara: Ändert die 1. Welt, NF Mitte März 1970.
  • Ivan Illich: Aus Durst wird Coca-Cola, NF Anfang Februar 1969.
  • Ivan Illich: Entmythologisierung der Schulpflicht, NF Oktober 1969.
  • Dieter Burckhartt: Entwicklungshilfe und Neue Linke, NF Mitte April 1969.
  • Helder Camara: Christen plündern Christen, NF März/April 1968.
  • Philipp Rieger: 0,62 Prozent Nächstenliebe, NF Juni/Juli 1968.

[1Im DAC-Bericht wird zwar zwischen „Öffentlicher Hilfe“, „öffentlichen Kapitalströmen“ und „privaten Kapitalströmen“ unterschieden; Da jedoch der Jahresbericht unter dem Titel „Development Assistance“ erscheint und im geheimen österreichischen Bericht diese drei Kategorien als „Hilfe“ bezeichnet werden, wird ersichtlich, daß kein besonderer Wert auf eine Abgrenzung gelegt wird.

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