ZOOM 4+5/1997
Juni
1997

Freiwilliger Alternativdienst

Die Definition des Zivildienstes als Wehrersatzdienst ist eine Festlegung gegen einen alternativen zivilen Dienst. Wehrersatzdienst schreibt den Zivildienst als Institution im Rahmen der Allgemeinen Wehrpflicht fest und unterbindet alle kreativen innovativen Tätigkeiten im Zivildienst.

Bereits vor Einführung des Zivildienstes forderten die Betroffenen, Jugendorganisationen und Zivildienervereine, der Zivildienst möge als alternativer Friedensdienst eingerichtet werden. 1975 standen jene, die das wollten, noch vor dem Dilemma, daß ein alternativer Friedensdienst und der aus der Wehrpflicht hervorgehende Zwangscharakter des Zivildienstes einen unauflöslichen Widerspruch bildeten. Unter Zwang läßt sich nichts Selbstbestimmtes, Alternatives entwickeln. Es war beinahe unvorstellbar, daß die Allgemeine Wehrpflicht abgeschafft wird. Heute ist das Ablaufdatum der Allgemeinen Wehrpflicht bis 2005 auch in Österreich deutlich erkennbar. Warum also nicht die Wehrpflichtabschaffung durch eine grundlegende Zivildienstreform ausdenken und anstoßen?

Der Wehrersatzdienst im Rahmen der Umfassenden Landesverteidigung (ULV) könnte durch einen freiwilligen Zivildienst ersetzt werden. Damit wäre tatsächlich die Wehrpflichtabschaffung durch den Zivildienst eingeführt – genauso wie es konservative bis reaktionäre Wehrpolitiker dem Zivildienst immer wieder vorgeworfen haben.

Im geltenden Zivildienstgesetz bestehen drei Regelungen, die politische Anknüpfungspunkte für einen derartigen freiwilligen Zivildienst sind: das bereits 1975 im § 2 ZDG verankerte Grundrecht auf Zivildienst; die im § 3 (1) definierten Dienstleistungen, die 1994 neben jenen im Rahmen der ULV all jene Erweiterungen brachten, die ’sonst dem allgemeinen Besten dienen’; und der 1991 im § 12b eingeführte ’Auslandszivildienst’, der durchaus projektartigen, experimentellen Charakter hat und sich mehr und mehr als klassischer Friedensdienst etabliert. Hier könnte mit der Einführung eines § 12c die Basis für ähnliche Projektrealisierungen auch im Inland geschaffen werden: die Anbahnung eines neuen alternativen zivilen Dienstes in Österreich.

Voraussetzung dafür ist, den Zivildienst aus dem Sicherheitssystem in das Sozialsystem überzuführen. Damit würden erstmals auch arbeitsmarktpolitische Bedingungen wirklich berücksichtigt. Folgende Kriterien müßte dieser neue zivile Dienst Rechnung tragen:

  1. Es darf tatsächlich kein Arbeitsplatz durch Zivildienststellen in Gefahr kommen. Arbeitsmarktpolitisch motivierte Durchforstungen müssen die vorhandenen Dienststellen prüfen. Der Dienstleistungsbereich gilt als der Zukunftssektor am Arbeitsmarkt. Gegenwärtig sind viele Zivildienststellen genau dort angesiedelt. Daher sind gerade hier Prüfungen mit besonderer Aufmerksamkeit durchzuführen. Bis zu einem Drittel der vorhandenen Zivildienststellen könnten dadurch wahrscheinlich von regulären Arbeitskräften abgelöst werden.
  2. Durch eine Verlängerungsmöglichkeit auf bis zu zwei Jahre – wobei die Dienstlänge grundsätzlich jene des Wehrdienstes nicht überschreiten sollte – eröffnen sich Chancen auf eine Entlastung des Arbeitsmarktes. Insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit kann mit diesem freiwilligen zivilen Dienst entgegengetreten werden.
  3. Projektähnliche Zivildienstträger müssen neue Felder auch für den übrigen Arbeitsmarkt öffnen. Daraus ergeben sich periodische Prüfungen des arbeitsmarktneutralen Charakters der jeweiligen Projekte. Die Anerkennung eines Projektes kann über das Sozialministerium organisiert werden.
    Der deutsche Soziologe Ulrich Beck hat diese neuen für den Arbeitsmarkt entlastenden Tätigkeiten als „öffentliche Arbeit“ bezeichnet, und er denkt dabei an „alternative Betreuung von Alten und Behinderten, von Obdachlosen und Aids-Kranken, Analphabeten und Ausgeschlossenen, Frauenhäusern, Greenpeace, Amnesty usw.“. Er begründet diesen Vorschlag: „Entscheidend dürfte in Zukunft die Durchmischung von formeller Arbeit und freiwilliger Selbstorganisation sein, der Abbau von rechtlichen und Mobilitätsbarrieren zwischen beiden Sektoren, Schaffung von Aus- und Umstiegsmöglichkeiten.“ (Ulrich Beck in: Alternative 7–8/96, S. 17) Einige tausend Projektplätze könnten auf diesem Weg geschaffen werden (siehe Josef Haslingers Musterprojekt).

Die Altenbetreuung ist beispielsweise in der Großstadt Wien von öffentlicher Monsterverwaltung gekennzeichnet. Sie ist ein Sektor, der gerade in Österreich in kapitalintensiven Großsystemen wie in Alters- und Pflegeheimen abgewickelt wird. Im Rahmen einer Projektgruppe könnte nun ein alternatives Modell für einen Wiener Gemeindebezirk entwickelt werden: Dabei wird von Großinstitutionen in kleine Regionalsysteme umgebaut, indem einerseits ambulante Altenbetreuungsstellen und andererseits seniorenfreundliche Wohnungen in Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen eingerichtet werden. Über fünf Jahre wird unter Zuhilfenahme von freiwilligen Zivildienern das Modell erprobt. Es tritt mit den öffentlichen Einrichtungen in einen Wettbewerb der Vermenschlichung. Der Reformdruck sollte mittelfristig auch einen angenehmen Einsparungsnebeneffekt für die Gemeinde mit sich bringen. Wenn dieses Modell sich bewährt, wird es in ganz Wien auf Basis ordentlicher Arbeitsplätze ausgebaut, weiterentwickelt und etabliert.

Wie sollen für solche Zivildienststellen Freiwillige gefunden werden?

  1. Da die Projekte von den Interessenten selbst vorbereitet und entwickelt werden, besteht ein Zusammenhang zwischen den Projekten und den Interessierten. Diese finden sich über selbstorganisierte Träger. Die Projektmittel sind von der öffentlichen Hand bereitzustellen.
  2. Derzeit kostet der Zivildiener dem Innenministerium durchschnittlich 10.000 bis 15.000 Schilling. Damit kann pro freiwilligem Zivildiener ebenfalls ein Entgelt von 10.000 bis 15.000 Schilling bezahlt werden.