FORVM, No. 445-447
März
1991

Herr Doktor Jörg Haider

Herr Doktor Jörg Haider,

Schaudererregend Ihre Aussagen rund um das Kärntner Volksabstimmungs-Jubiläum, besonders Ihre Rede auf dem Mons Carantanus, dem Ulrichsberg, am 7. Oktober!

Offenbar weil die international angesehene Historikerin Erika Weinzierl eine eindeutig antinazistische österreichische Patriotin ist — im Gegensatz zu Ihnen mit Ihrer Anschauung, die österreichische Nation sei eine Mißgeburt — und Soldatendenkmälerehrungen für unzeitgemäß hält, winkten sie ihr auf dem Kärntner Berg mit dem Zaunpfahl: „Es wird die Zeit kommen, wo solche Historikerinnen nicht mehr zeitgemäß sind ...“

Entsetzen erfüllt mich vor ihrer Prophetie und der hohen Tonlage in Ihrer Stimme, wie sie vom Tonband an mein Trommelfell schlägt.

Ja, sagen Sie, witterten Sie dort oben wirklich schon Morgenluft? — Ich wünschte mir innigst, Ihr Geruchssinn wäre unzuverlässig und Erika Weinzierl in ihrer Betroffenheit beherzt genug, Sie wegen Ihrer eindeutigen öffentlichen Aufwiegelung vor Gericht zu klagen. Das applaudierende Johlen Ihrer Gefolgschaft dort hoch oben auf dem Kärntner Berg bestärkt mich in diesem innigen Wunsch.

Anschließend nannten Sie meinen vorgeschlagenen Alternativtext für die dortselbst angebrachte Gedenktafel eine besondere Provokation, die von Ihnen nicht hingenommen werden könne, und zitierten folgenden Absatz aus meinem Kärntner Triptychon*:

Vermächtnis der Heimgekehrten! Siehe Vaterland, das haben wir dir zurückgebracht: unsere angeschissenen Unterhosen, unsere wimmelnden juckenden Läuse, unsere heldenhaft bammelnden Stummelbeine, unsere lustig zuckenden Stummelarme, unser erloschenes Augenlicht, unsere infolge Schreckensstarre über Nacht ergrauten Haare, unsere zu frühen Kahlköpfe, geweiht durch irrsinnige Hekatomben, durch sauhatzmäßig geschlachtete Opfer des wahnsinnigen Gefreiten Hinkel, den der Kapitalismus Vorsehung und Schicksal hat spielen lassen. —

Sie verschwiegen — wohl aus gut bedachter Selbstschonung vor einer möglichen Allusion auf Gleichsetzung, also einem Bumerang — Ihrem aufmerksam lauschenden Publikum den dazugehörigen Schluß dieses Textes:

Siehe Vaterland, es wird dir viel bedeuten müssen: solltest du wieder einmal auf einen marktschreienden, geifernden Sprücheklopfer hereinfallen und blutrünstige Generäle walten lassen, kannst du in Hinkunft uns Heimgekehrte sowie alle unsere Söhne AM ARSCH LECKEN, heute und für alle Zukunft.

Sie meinten sodann in einer um eine Terz höhere Tonlage lauthals, geistige Freiheit sei in einer Demokratie wohl etwas Selbstverständliches, sie finde aber dort ihre Grenzen, wo Menschen jene geistige Freiheit in Anspruch nehmen, die sie nie bekommen hätten, hätten nicht andere für sie den Kopf hingehalten, daß sie heute in Demokratie und Freiheit leben.

Ich frage Sie: Wer hat nun eigentlich den Kopf hingehalten für mich, daß ich heute in Demokratie und Freiheit lebe? Etwa jene SS-Offiziere, die Sie auf dem Ulrichsberg um sich scharen? Ich darf Ihnen etwas bekennen, wofür Sie sich aufgrund meines Alternativtextes vor Ihrer Verbalattacke hätten interessieren sollen, dann wäre diese vielleicht ausgeblieben: ich wurde gerade von solchen SS-Hitlerschergen im riesigen Wald eines ostpreußischen Junkers hinter Königsberg im Jänner 1945 in einem Strafbataillon der „siegreichen“ Deutschen Wehrmacht durch Lungen- und Oberarmdurchschüsse lebensgefährlich verwundet und bin seither schwerkriegsgeschädigt. Mein Traum aus der Gymnasialzeit, später einmal Arzt oder Pianist zu werden, war ausgeträumt für immer ... Ich war in keiner der zahlreichen Nazi-Organisationen gewesen und hatte ein P.V. in meinen Wehrmachtspapieren. Und ich weiß es: hätte Hinkel gesiegt, gäbe es heute weder mich noch meine slowenischen Landsleute in Kärnten noch ... noch ... noch. — Daher bin ich nicht nur unseren Widerstandskämpfern, den mutigsten aller Abwehrkämpfer dieses Landes aus meinem ganzen Herzen dankbar. Ich bin es auch den norwegischen, französischen, italienischen und allen anderen, daß sie bis zum Endsieg ausgeharrt haben, diese treuesten Patrioten und Retter Europas, genannt auch Partisanen. Ist sie nicht verwerflich, eine solche Umwertung der Unwerte, die Ihnen ermöglicht, für diese selbstlos sich aufopfernden Kärntner Antifaschisten den Titel „Feinde Österreichs“ abzuleiten? Das ist der Gipfel! Dann war wohl Hitler ein Freund Österreichs und der gesamten Menschheit? Ein feiner Anschauungsunterricht für die Jugend unserer Kärntner Heimat!

Ich mache mir Gedanken darüber, wieviel von meiner monatlichen Lehrerpension mir der Bezirksrichter Klagenfurts wohl abzwicken würde, nennte ich Sie in diesem Zusammenhang einen puerilen Maulreißer (= Angeber) mit billigstem Imponiergehabe und parater Leimrute für potentielle reflexionsunfähige Neuwähler, sowie einen merkwürdigen Doktor, der die Lehre von den Gesetzen und der sie betreffenden Semantik offensichtlich extra dafür studiert hat, um als Politiker deren Verdrehung betreiben zu können. Ich denke hiebei an Ihre Verhinderung der Errichtung einer öffentlichen zweisprachigen Volksschule in Klagenfurt/Celovec, obwohl diese Ihnen vom Verfassungsgerichtshof aufgetragen wurde.

Aber zurück auf den Kärntner Berg: Von Nürnberg werden Sie wohl noch nie etwas gehört haben? Vom Internationalen Gerichtshof, der — im Gegensatz zu Ihrer Anschauung — sehr wohl zwischen schlechten, d.h. aggressiven, und guten, d.h. defensiven Soldaten zu unterscheiden wußte und den Nationalsozialismus mit seiner verbrecherischen kriegsverherrlichenden, heldenhaft verlogenen Herrenmenschenmentalität eindeutig verdammt hat! Für Ihr Kärnten, wie Sie es sich offenbar herbei wünschen, war Adolf Hitler keine Gefahr, nur Napoleon und die Jugoslawen waren es. So konnte ich es Ihrer Rede auf dem — von Ingeborg Bachmann literarisch verewigten — ehemaligen Adolf Hitler-Platz am 10. Oktober entnehmen.

Da kann ich nur sagen: O wie schade, daß es Sie im herrlichen Hitler-Krieg noch nicht gab! Sodaß auch Sie — wie ich und meine bedauernswerten Kameraden — angeschissene Unterhosen hätten tragen dürfen, mit der Schnauze im Dreck hätten liegen können und Blut riechen, Blut aus abgerissenen Gliedmaßen und durchschossenen Köpfen, und Dreck aus aufgerissenen Soldatengedärmen hätten betrachten können, die sich nicht mehr zurückstopfen lassen in den Bauch, und den berauschenden Duft aus eitrigen verfaulenden Druckverbänden hätten riechen dürfen, die unter Wahnsinnsschreien von abgefrorenen amputierten Gliedmaßen gezogen wurden ...

Sodaß auch Sie sich ein wahrhaftes Bild hätten machen können von Pflichterfüllung, Soldatenehre und Heldentod, diesen ekelhaftesten gottverdammten Lügen auf den Lippen heimatlicher Demagogen, die Schwein hatten, in dieser scheußlichen Hölle am Leben geblieben zu sein, sowie ihrer schwachsinnigen phantasielosen Parolennachbeter, verklemmten Säbelraßler und bestiefelten Bumbumwüteriche.
Aber damit wir uns nicht mißverstehen: um Sie zur verantwortungsvollen politischen Besinnung zu bringen, wünsche ich mir selbstverständlich keinen weiteren Krieg, wohl aber ersuche ich Sie in aller Form: Lassen Sie die Zunge weg von den ärmsten aller armen, von den erbarmungswürdigsten aller erbarmungswürdigen Kriegsopfer, die ins Gras haben beißen müssen, weil Hitler ihnen befohlen hatte, ihren Kopf für den Sieg seiner Tyrannei hinzuhalten, nicht weil sie Helden werden wollten. — Sie, Doktor Haider, schulden diesen Opfern des bösartigsten aller bisherigen Tyrannen nichts als Pietät, nichts als eine Schweigeminute dort oben auf dem Kärntner Berg!

Können Sie mich verstehen, daß Ihre unaufhörliche Vermarktung ihres „Heldentodes“ in mir schmerzliche Übelkeit erregt? — Lassen Sie der Wahrheit wegen am kommenden 10. Oktober doch endlich die Witwen und Waisen Ihrer „Kriegshelden“ vors Mikrophon! — Allein aufgrund dieser Ihrer Ulrichsbergpredigt — bar aller Liebe, bar aller Ehrfurcht vor den Millionen geschlachteter Hitlerdienstkriegsgegner und standrechtlich erschossener Verweigerer — scheint es mir zum Schutz unserer Demokratie an der Zeit, daß die Staatsanwaltschaft des Landesgerichtes in Klagenfurt von sich aus untersucht, ob Ihre politischen Lehren nicht dem Tatbestand einer gewissen verbotenen Wiederbetätigung entsprechen und welcher geistigen Freiheit demnach Grenzen zu setzen wären — Ihrer oder meiner?

Tuce/Tutzach, 11.10.1990
Janko Messner

*) Janko Messner, Hans Piccottini: Kärntner Triptychon, Koroski triptih, Trittico carinziano, herausgegeben vom Robert-Musil-Archiv, Klagenfurt/Celovec 1990

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