MOZ, Nummer 55
September
1990

Hokus pokus multikulturell

Kulturbacchanten taumeln trunken vor Begeisterung von der „Woche des afrikanischen Films“ zur Ausstellung „Schätze der Türkei“, um sich anschließend an der Sushi-Bar mit japanischen Spezialitäten zu laben. Sie leben in einer der großen Städte Westeuropas oder Nordamerikas und tauchen ein in die metropolitane Vielfalt des kulturellen Angebotes.

Endlich darf wieder positiv gedacht werden. Ein leitendes Prinzip macht sich breit in den Magazinen des Zeitgeists und in den Politikerherzen. Multikulturalität ist das Zauberwort, das den Metropolen des Westens den anrüchigen Beigeschmack der Herrschenden über Unterdrückte, der Besitzenden über Besitzlose nimmt.

Schau dich um in deiner Stadt, und du wirst sehen: die ganze Welt ist hier zu Gast und hat dir etwas mitgebracht. Tauch ein in die Vielfalt der Kulturen bzw. das, wozu wir sie gemacht haben. Das alternative Gefasel vom Nord-Südgefälle, von erster, zweiter, dritter und gar vierter Welt ist obsolet geworden. Hier, in unserer Großstadt, sind alle gleich vor dem Gesetz der Kultur, und hier ist auch anzumerken, daß die bösen Multis von früher, die Konzerne, uns erst die Augen geöffnet haben, wie gleich und nahe wir einander doch sind. Ob schwarz oder weiß, mandeläugig oder mit Kullerblick, Benetton steht allen gut zu Gesicht und Körper und Coca-Cola hält uns alle jung und fit. That’s life. Wir sind alle eine große Familie und niemand kann unsere traute europäische Häuslichkeit trüben.

Gerade wir ÖsterreicherInnen im besonderen können in dieser Hinsicht auf eine lange Tradition zurückblicken. Einstmals ein Vielvölkerstaat, haben wir uns zum Schmeletiegel der mitteleuropäischen Kulturen entwickelt. Abgesehen von den Hawliceks, ohne die wir nichts täten, würden auch die TürkInnen noch in der Türkei und die JugoslawInnen noch in Jugoslawien sitzen. Doch sie alle wußten: Bei uns haben sie eine Chance, mehr, als sie in ihren Heimatländern finden konnten. Wo sonst gab’s Arbeit in Hülle und Fülle, ohne sich die Finger schmutzig zu machen, die Füße wundzulaufen oder die Abgase des Großstadtverkehrs einzuatmen. Wo sonst wurde ihnen großzügig Wohnraum zu niedrigen Mieten angeboten und die Möglichkeit, frei ihre traditionellen Gebräuche auszuüben.

Und auch wir Alteingesessenen profitierten davon. Wir lernten, zuerst Schaschlik zu essen und dann auszusprechen, später kam dann der Döner Kebab hinzu. Wir öffneten unsere Herzen, sagten ‚Tschusch‘ zu ihnen und ließen ihnen Zeit, sich zu assimilieren. Im Kino saßen wir dann aufgeschlossen in den vordersten Reihen, um Yilmaz Güneys „Der Weg“ anzusehen, und hielten den Atem an ob der rauhen Wirklichkeit des fernen Anatolien. Wir lernten von fremden Kulturen und wußten dadurch, daß all die Fremden, die zu uns kamen, es bei uns besser hatten als sonstwo. Kein Wunder, daß sich dies herumsprach und immer mehr Frauen und Männer aus immer ferneren Ländern anreisten, um sich in unserer Toleranz zu sonnen, auch wenn die politischen Klimaverhältnisse mäßig waren.

Wir hießen sie willkommen, und wie. Für die lästigen Einreiseformalitäten, die sich unsere Regierung ausgedacht hatte, konnten wir nichts. Dafür taten wir anschließend alles, um den Neuankömmlingen unsere Gastfreundschaft zu zeigen. Wir gingen auf die Straße, um eine diskriminierende Einquartierung in Kasernen zu verhindern, wir protestierten dagegen, daß die Gäste ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zum Opfer fielen, auch um den Preis der Rückkehr in ihre Heimatländer.

Wir bestimmten, was Kultur war und erleichterten den Ansiedlungswilligen damit ihre Eingliederung. Wir zeigten ihnen, wieviel aus sozialen Gegensätzen zu lernen ist. Sie von unten, wir von oben. Einer hat halt immer das Bummerl, wie schon ein altes Wienerlied sagt, doch an sich ist das ja nix Schlechtes. Und aufsteigen können alle, wenn sie wollen. Unser Bundeskanzler heißt ja auch Vranitzky und nicht Müller, ganz abgesehen vom Sinowatz, der einer sogenannten nationalen Minderheit entstammt.

Doch erst der bundesdeutsche Trend hat uns auf unsere Qualitäten aufmerksam gemacht und ihnen einen Namen gegeben: wir sind multikulturell. Wir haben unser Jugoslawenviertel und unsere Türkenkolonie und irgendwo einen polnisch dominierten Schwarzmarkt. Und Frankfurter Wurstel gibt’s bei uns schon lang. Wir haben ein Frauenzentrum und ein Lesben- und Schwulen-Haus in einer rosa Villa. Wir haben Obdachlose und die Kinder vom Karlsplatz, abgesehen von den echten Punks, die durch die Wiener Straßen ziehen und und deren Bild durch ihre Buntheit verschönern. Wir haben auch einen Opernball, der international besucht wird und wo sich die Finanzkultur ein Stelldichein gibt. In der Oper und in den Bundestheatern ist die Hochkultur zu Hause, während die Subkultur in Kellertheatern zu finden ist. Es gibt den Naschmarkt mit dem Balkan-Flair und die französischen Wochen in den Kaufhäusern, die Gelateria Italiana und die griechischen Souvlaki. Einfältig, wer die Vielfalt nicht wahrhaben wollte.

Und doch gibt es einige, die die Gunst der Stunde leugnen. Kultureller Reichtum, meinen sie, sei mittlerweile der Reichtum der Besitzenden, sich Kultur leisten zu können. Kultur als Gesamtheit der Lebensäußerungen eines Volkes ist abgelöst worden durch Aufsplitterung in verwertbare Einzelheiten. Eine fotogene dunkle Haut oder eine Besonderheit der jeweils regionalen Küche lassen in den Hintergrund treten, daß Menschen sie zu Markte tragen müssen, daß Köche und Köchinnen die begehrten Spezialitäten fern des Ursprungslandes der Gewürze zubereiten müssen, daß sie, um physisch zu überleben, zu Köchen oder Köchinnen in einem fremden und zumeist feindseligen Land wurden. In den Hintergrund geschoben wird die Tatsache, daß AusländerInnen selten wegen unserer ach so schönen Heimat und wegen der netten Leute hierherkommen, sondern weil sie politische und wirtschaftliche Umstände dazu treiben. Notgedrungen müssen sie dann über sich bestimmen lassen, welche ihrer kulturellen Traditionen erwünscht sind. Toleranz ist dort angesagt, wo mit ihr Profit zu machen ist, denn nix is umsonst. Im Patchwork der Kulturen dominiert der Ausverkauf. Und dahinter versteckt vollzieht sich die Grenzziehung der Zweidrittelgesellschaft unbarmherzig. Ein Drittel taucht ins Kulturbad, zwei Drittel bilden das erfrischende Naß. Die soziale Lage hat sich nicht gebessert, sondern im Gegenteil verschärft. Und im Namen der hochgejubelten multikulturellen Gesellschaft werden Spannungen weggeleugnet, Mißstände ignoriert. Wen interessiert zum Beispiel das Schicksal moslemischer Ehefrauen in Österreich, wenn eine hübsche Bauchtänzerin das orientalische Abendmahl versüßt? Wen das Schicksal von der immer größer werdenden Zahl der Unterstandslosen, wenn sie nicht gerade das großstädtische Sicherheitsbedürfnis beeinträchtigen?

Multikulturell heißt auch, die städtische Wirklichkeit zu abstrahieren, in schöne Worte zu verpacken, was gar nicht schön ist. Ein Ästhetizismus wird zu Politik, nämlich Kultur- und Wirtschaftspolitik, der Anpassung statt Wäderstand hervorruft, der bestechend ist in seiner Käuflichkeit. Wer will nicht dazugehören zu jenen, denen alles im Leben ein bißchen leichter fällt. Anonymität der Großstadt, Beton und Umweltverschmutzung belasten die Sinne und lassen nach Ausflüchten suchen. Willkommen ist daher jede Ablenkung, die, zu Kultur erklärt, bedenkenlos konsumiert werden kann. Hauptsache, sie zeigt ein attraktives Äusseres, erzeugt ein Zugehörigkeits- oder Abgrenzungsgefühl. Schöne Werbefotografien von einer besseren Welt säumen die Baustellen, hinter denen ganze Stadtviertel abgerissen werden, um den Verwaltungsgebäuden der Managementgesellschaft Platz zu machen. Der Kampf jeder gegen jede/n um eine menschenwürdige Ersatzwohnung wird in den Annoncenteilen der Tageszeitungen ausgetragen.

Die beinharte Konkurrenz zeigt kein Gesicht, Ideenwettkampf ist angesagt, das klingt gleich viel harmloser. Nichts und niemand ist für etwas zuständig oder verantwortlich.

Wien hat zwar noch keinen Stadtrat für multikulturelle Angelegenheiten, doch an Stelle dessen ein Marktamt, das den Kulturaustausch zwischen Ex-Ostblocklern auf der einen Seite und dem Kulturvolk von Wien andererseits behutsam regelt. Eine Kulturstadträtin und eine Unterrichtsministerin sorgen im Wettstreit dafür, daß wir gleichzeitig mit der körperlichen Fühlungsaufnahme mit DDR-BürgerInnen, Tschecho-Slowaklnnen und UngarInnen Dokumentarfilme über deren Land betrachten können. Theaterbühnen und Galerien haben offenbar die Existenz unserer nördlichen und östlichen Nachbarn erst seit dem Herbst des Vorjahres wahrgenommen und überschwemmen uns seitdem mit immer neuen Entdeckungen — die Gesinnung der Künstler und KünstlerInnen ist ja jetzt einwandfrei prowestlich orientiert.

Kunst ist gleich Markt und Markt ist gleich Geschäft. Letzteres blüht, und wenn dabei ein Scherflein für uns abfällt, soll’s uns recht sein.

Das Brainstorming für die kulturelle Bedeutung der Weltausstellung 1995 hat schon eingesetzt, und es würde nicht verwundern, wenn in den betreffenden Gremien auch hier der Wettkampf der Metropolen in die multikulturelle Einfachheit der Gesinnung münden würde.

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