Heft 1-2/1999
Juni
1999

Kollateralschaden

Zu den Bildern der Belgrad Winterproteste, November/Dezember 1996

Den NOTO KOSOWAR-Kriegsbildern von Christian Helbock stellen wir in diesem Heft Fotos aus einer Dokumentation der Wochenzeitung Vreme über die Winterproteste 1996/97 in Belgrad gegenüber. Mit täglichen Massenprotesten setzte damals das Oppositionsbündnis Zajedno („Gemeinsam“) aus Demokratischer Partei (Zoran Djindjic), serbischer Erneuerungsbewegung (Vuk Draskovic) und der kleinen Bürgerlichen Allianz (Vesna Pesic) die Anerkennung der Kommunalwahlen vom 17. November durch. Gleichzeitig entstand eine starke studentische Protestbewegung, die dritte seit 1991 und vollkommen autonom von Zajedno, die mit zahlreichen phantasievollen, aber letztlich erfolglosen Aktionen insbesondere eine Demokratisierung der universitären Strukturen anstrebte.

Die Fotographien bezeugen, daß sich die Menschen in Serbien von der Furcht befreien. Der therapeutische Effekt wird langfristig zu bedeutenden politischen Konsequenzen führen. Politik wird demystifiziert. Ideologien und die Trennung in Rechte und Linke (in diesem Zusammenhang meint rechts die Opposition und links die Regierung, Anm. M. K.) hat einer Trennung in jene mit Humor und in jene, die zu diesem niemals fähig wären, Platz gemacht.

(aus dem Vorwort zur Dokumentation)

Die Bilder zeigen die Symbole dieser Protestbewegung: Pfeifen, Eier, die roten Studentenausweise, Tafeln mit den Logos der oppositionellen Sender B92 und Radio Index, Fahnen: die jugoslawische neben der britischen, der star-bangled Banner neben einer Ferrari-Flagge. Bekannt war die Regenbogenfahne der Frauen in Schwarz, die auf ihren Transparenten und Flugblättern auf die Unterdrückung der Kosovo-AlbanerInnen aufmerksam machten. Die offizielle Opposition stand den Verhältnissen in Kosova bestenfalls indifferent gegenüber, so wie die Kosovo-AlbanerInnen auf die demokratischen Bemühungen der SerbInnen mit Gleichgültigkeit reagierten.

Allabendlich, als im staatlichen Fernsehen die Hauptnachrichten liefen, gingen die BelgraderInnen mit Kochtöpfen und anderen Lärminstrumenten vor die Häuser. Sie verweigerten sich der Propaganda, indem sie demonstrierten, daß sie ihr nicht mehr zuhörten. Gleichzeitig stieg die Zahl der HörerInnen von, zum Beispiel, Radio Index von 100.000 auf eine Million.

Während des Krieges in diesem Frühjahr wurden fast alle nichtstaatlichen Stationen geschlossen, die technische Ausrüstung beschlagnahmt, die Betreiber vor Gericht gestellt und eingesperrt. B92 sendet seit April nur mehr im Internet.

Die NATO warf, nachdem sie Raffinerien, Elektrizitätswerke und Kommunikationseinrichtungen zerbombt hatte, über Serbien Flugzettel ab: Kein Benzin / Kein Strom / Kein Handel / Keine Freiheit / Keine Zukunft / MILOSEVIC.

Information warfare: actions taken to achieve information superiority in support of national military strategy by affecting adversary information and information systems while leveraging and protecting our own information and information systems.

(US-Department of Defense)

„Wir sind“, schreibt Christian Helbock, „auf der anderen Seite, von Fotografien vertreten, hinter dem schützenden Objektiv, auf der Seite der Sieger.“ 1993, während des Bosnienkrieges, ging ein Foto um die Welt, welches einen ausgezehrten Menschen mit nacktem Oberkörper hinter Stacheldraht zeigte, aufgenommen von einem britischen Fernsehteam auf der Suche nach Greuelbildern „der Serben“. Im jetzigen Krieg der Bilder wurde es wieder verwendet, untertitelt mit „KZ in Bosnien“. Doch nicht das Lager war eingezäunt, sondern das Grundstück nebenan, von welchem aus der Fotograf seine Aufnahmen machte. Das KZ war ein Auffanglager, in welches die Menschen freiwillig kamen. Die Entstehungsgeschichte dieses Bildes ist seit langem bekannt. Ihre Veröffentlichung wurde nicht unterdrückt. Es genügt, sie zu ignorieren.

Bild: Branko Pantelic, Blic

Die Strategie läßt sich unter der Überschrift „Schaut Euch diese Bilder an!“ subsumieren. Gezwungen zuzugeben, daß man nicht über Tatsachen berichtet, greifen die Medien zu dem Mittel der Erzeugung partiellen Mitleids, das in der heutigen Zeit offenbar am wirkungsvollsten ist: Mit Fotos von Elend und Schrecken, von Fluchtszenen wird Entsetzen über das Leiden der Opfer, wird Betroffenheit hergestellt. … Es gibt kein Tschinderassa-Bum, aber eine subtile Legitimierung dieses „humanitären“ Krieges. Wurden ehedem die Menschen durch Kriegspropaganda begeistert, so werden sie in diesem Krieg ruhiggestellt.

(Margret Jäger, Duisburger Institut für Sprach- und Sozialfosrchung, über die Berichte in westlichen Medien zum Krieg in Jugoslawien)

Die in den letzten Monaten hier veröffentlichten Bilder vom Krieg zeigten zwei Arten von Menschen. Den aus Kosova Flüchtenden gegenübergestellt waren ausgelassene und singende Massen auf den Straßen und Brücken von Belgrad oder Novi Sad. Sie trugen Tafeln mit dem Target-Symbol, mehreren übereinanderliegenden konzentrischen Kreisen. Das profil, zum Beispiel, übertitelte diese Bilder mit: Elektrischer Orgasmus. In Wien demonstrierende Kosovo-AlbanerInnen nahmen diese Metapher auf. Auf ihren Transparenten stand: NATO, just do it.

Die von Christian Helbock dokumentierten KOSOWAR-Bilder sind „für uns gemacht. Damit wir uns selbst kein Bild mehr machen müssen. Denn dieser Krieg, ob wir es wollen oder nicht, wird in unserem Namen geführt.“ Die Fotos vom Belgrader Winter 1996/97 wurden nicht für uns gemacht, die Proteste wurden nicht in unserem Namen geführt, von ihnen haben wir uns kein Bild machen müssen. Und wenngleich sie keine Bilder des Krieges sind, sind sie doch Bilder der Zerstörung dieses Krieges. Sie dokumentieren, was NATO-Presseoffizier Jamie Shea einen Kollateralschaden nennt.

Die Bomben nur einer Nacht haben all das zunichte gemacht, wofür sich mutige Menschen in serbischen Nichtregierungsorganisationen und demokratischen Gruppen in zehn harten Jahren eingesetzt haben: Die Aktivisten haben nicht versucht, irgend jemand zu stürzen — sie haben vielmehr versucht, zivilgesellschaftliche Strukturen zu entwickeln, freiheitliche Werte zu fördern, gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien zu vermitteln. Die Ansätze sind jetzt dahin.

(aus einer Erklärung des Belgrader „Zentrum für Menschenrechte“, April 1999)

Am 29. Juni begannen neuerlich Massenproteste in Serbien. In Cacak demonstrierten 8.000 Menschen für einen Rücktritt des Präsidenen. Der Bürgermeister, der sich 43 Tage lang versteckt gehalten hatte, trat erstmals wieder in die Öffentlichkeit. Als der Krieg begann, hatte er das Militär der Stadt aufgefordert, in der Kaserne zu bleiben, und Deserteure unterstützt. In Österreich wurden serbische Deserteure auch während des Krieges in Schubhaft genommen.

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