FŒHN, Heft 23+24
 
1997

Landeshauptmann Weingartner: So betrog ich die Tiroler!

Die Liste der Transit-Schmähs, mit deren Hilfe der Straßengüterverkehr durch Tirol in den letzten Jahren immer wieder aufs neue gesteigert werden konnte, ist lang. Manches ist in früheren FÖHN-Heften dokumentiert. Hier sei, weil es auch mit dem EU-Beitritts-Komplott zu tun hat, nur an die sogenannte Öko-Punkte-Regelung erinnert. Dieser großangelegte Bluff war im Zuge der Verhandlungen über den Transitvertrag (1991) von der EG bzw. ihren PR-Beratern ausgeheckt worden. Um sich jedoch die Zustimmung der österreichischen Bevölkerung zu erschleichen, wurde der österreichische Verkehrsminister Streicher ausersehen, ihn als revolutionären Vorschlag ins Spiel zu bringen. Nach außen hin stellte sich dann die EG gegen diese Regelung, erreichte damit — wie vorgesehen — eine starke (blinde) Solidarisierung der transitgeplagten Bevölkerung mit dem Minister, dem es damit schlußendlich gelang, dieses „zukunftsweisende Öko-Punkte-System“ „gegen“ die EG durchzusetzen. Auch in den unmittelbaren Beitrittsverhandlungen drohte die EU immer wieder damit, diesen (für sie so ungemein günstigen) Transitvertrag nicht zu akzeptieren, woraufhin viele in Österreich regelmäßig wie auf Kommando vehement zu verteidigen begannen, was sie nur bekämpfen hätten können.

Noch bevor Wendelin Weingartner zum Landeshauptmann bestellt war, ließ er sich bereits von der größten österreichischen PR-Agentur, der Wiener „Publico“, z.B. über gestylte Pressekonferenzen, uns verkaufen. Diese Agentur wird uns im Zusammenhang mit der gekauften Volksabstimmung noch häufig begegnen. Die Publico-Filiale Innsbruck war übrigens von Anfang der Brennerbasistunnel-Politik an damit beauftragt, diese Politik gegen die Bevölkerung durchzusetzen. Ein Konzept, das uns vorliegt, beinhaltet so ziemlich alles vom „Aufbau einer Lobby“ über „Journalistenbetreuung“, der Einsetzung eines „Verein Pro Brenner als PR-Träger“ bis zur „Neutralisierung von Alternativprojekten“ und von der „Ruhigstellung der Bürgerinitiativen“ bis zum „Auseinanderdividieren“ derer, die dem Projekt nicht zustimmen. Dieselbe Publico Tirol führt derzeit eine Kampagne „Pro Wirtschaft Tirol“ gegen uns durch, die von Land Tirol, Wirtschaftskammer und natürlich Industriellenvereinigung jährlich mit 2,7 Millionen Schilling gespeist wird. Letztere ist nach wie vor der Hauptfinanzier der ÖVP Tirol (dessen Geschäftsführer LA H. Krieghofer nach der Veröffentlichung einer ganzen Reihe von entsprechenden Belegen in FÖHN 18 das frei heraus als „politisches Sponsoring“ bezeichnet hat). Hierher gehört noch, daß der Regierungspartei Weingartners von der Wiener Werbeagentur Schilling Communications mit „Wir Tiroler“ ein neues Erscheinungsbild (Corporate Identity) verpaßt wurde, das vor Frauenfeindlichkeit und nationalem Dünkel strotzt und somit ganz gut zu diesem Parteiobmann paßt (W. Weingartner in der amtlichen „Tiroler Landeszeitung“ 1/90: „Der Intelligenzquotient ist bei uns doch höher.“). Genau um diese Figur, die sich ihre politischen Themen von einem Politik-Consulter austüfteln läßt („Die symbolische Politik ist zu forcieren.“) und die beim Einstudieren ihrer Tricks vom irischen Star-Medientrainer Alec Taylor gecoacht wird, um diese Figur geht es in der folgenden Geschichte.

Als am 1. März 1994 die österreichische Delegation in Brüssel den von der EU-Kommission vorgegebenen Bedingungen für den Beitritt zugestimmt hatte („Beitrittsverhandlungen“), befand sich in Tirol gerade der Landtagswahlkampf in seiner heißen Phase. Um die Bevölkerung zu täuschen und sich möglichst viele Stimmen zu erschwindeln, drohte der Landeshauptmann, „wegen des unzulänglichen Transitabschlusses mit der EU ein Nein zum Beitritt zu empfehlen“ (Presse, 4.3.94). Der Heuchler lobte sich landauf landab wegen seiner „Sturheit“ und seiner „harten Haltung“ und konnte auf diese Weise die absolute Mandatsmehrheit ergaunern. So weit, so bekannt.

Nach dieser Kurve galt es, die nächste zu nehmen. Er mußte die Tirolerinnen und Tiroler zum „Ja zur EU“ verführen. Um diesen Schwenk zu vollziehen, war ein schlechter Charakter und ein guter Schmäh nötig. (Ja, und das Mitspielen der Medien. Daran freilich ist noch selten etwas gescheitert.) Weingartner sagte nunmehr, er könne der Tiroler Bevölkerung ein Ja nur empfehlen, wenn die Bundesregierung der Realisierung einer neuen Eisenbahntrasse im Unterinntal zustimme. Und jetzt kommt’s. Man achte auf den zeitlichen Ablauf: Am 2. Mai 1994 fand in Innsbruck ein Sonderlandtag zu diesem Thema statt. Weingartner ließ sich dort, wie die Tiroler Tageszeitung schrieb, für die Gespräche in Wien „den Rücken stärken“. Diese hochgespielten, alles entscheidenden Verhandlungen sollten am 4. Mai stattfinden. Bereits am 2. Mai 1994 gab der Tiroler Landeshauptmann dem Sender Bozen (RAI) das folgende Interview für die Ausstrahlung am 5. Mai in der Sendung „Brennpunkt“:

„Nachdem die Gespräche über die neue Unterinntaltrasse, also eine umweltfreundliche Trasse, positiv verlaufen sind, ... ist auch diese Bedingung erfüllt, sodaß ich ganz klar ja zur EU sagen kann.“ (W. Weingartner im RAI-Interview noch im Landtagssaal)

Zwei Tage später führte er in Wien in großer medialer Inszenierung die angekündigten „beinharten Bahnverhandlungen“. Zweimal drohte dabei, wie er nachher in Umlauf setzte, deren Abschluß zu scheitern. Nach sechs Stunden aber hatte sich „der Tiroler Sturschädel“ durchgesetzt und konnte „aus vollem Herzen ja zu Europa sagen“ (TT, 6.5.1994).

Der Transitverkehr hat seit damals noch in einem ungeahnten Ausmaß zugenommen. Eine unterirdische Bahntrasse durch Tirol ist nach wie vor (gottseidank) in weiter Ferne. So wurden die Tirolerinnen und Tiroler innerhalb von zwei Tagen zweimal betrogen.

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