Grundrisse, Nummer 23
September
2007
Henning Böke

Maoismus

China und die Linke – Bilanz und Perspektive

Stuttgart: Schmetterling Verlag, Reihe theorie.org, 2007, 216 Seiten, 10 Euro

China boomt! Und das nicht nur ökonomisch. Neben den immensen Wachstumsraten der chinesischen Wirtschaft ist um das „Reich der Mitte“ ein veritabler Medienhype entstanden: keine Zeitschrift, kein Fernsehsender der nicht schon einen Themenschwerpunkt über die aufsteigende Weltmacht im Programm hatte. Doch auch die Revolten boomen in diesem riesigen Land. So teilte das chinesische Ministerium für öffentliche Sicherheit im letzten Jahr mit, dass im Jahr 2005 87.000 Delikte gegen die öffentliche Ordnung registriert wurden. Zu den Delikten zählten Justizbehinderungen, unerlaubte Menschenansammlungen sowie Kämpfe und Ruhestörungen, heißt es in der Erklärung. Bereits im September 2004 stellte die 4. Plenartagung des XVI. Zentralkomitees eine ernste soziale Krise im Land fest. Selbst die Regierenden, die sich selbst immer noch Kommunisten nennen, haben also registriert, dass die Bevölkerung gegen die gesellschaftliche Situation rebelliert. Doch wie kann so etwas in einer „kommunistischen Volksrepublik“ geschehen?

Im neuesten Band der bisher sehr gelungenen Reihe theorie.org des Schmetterling Verlags zieht Henning Böke eine Bilanz des Maoismus. Er zeichnet prägnant die oftmals verwirrenden und sich widersprechenden Etappen der chinesischen Entwicklung von der Gründung der Kommunistischen Partei 1921 bis heute nach. Dabei geht er ausführlich auf die verschiedenen Strömungen innerhalb der KP ein, mit leichter Sympathie für die maoistische Linke. Er zeichnet die geschichtliche und theoretische Entwicklung nach, die zum Bruch der kommunistischen Weltbewegung in einen sowjetischen und einen chinesischen Flügel führte und zeigt, wie die „Mao Zedong Ideen“ die Neue Linke im Westen beeinflusste. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die maoistischen K-Gruppen, sondern zeigt auch welchen Einfluss die Entwicklung in China auf marxistische Theoretiker wie Louis Althusser und Charles Bettelheim hatten.

Weit wirkmächtiger als in den Industriestaaten ist die Rezeption des Maoismus in den sich entkolonialisierenden Nationen des globalen Südens und den dabei aktiven nationalen Befreiungsbewegungen. Dort wird der chinesische Weg als alternatives Entwicklungskonzept aufgefasst, welches sich gegen eine einseitige Fokussierung auf eine rasche und rücksichtlose Industrialisierung, wie sie sowohl von den westlichen Industriestaaten, als auch der Sowjetunion vorgegeben werden, wendet. Der Autor zieht dabei für China eine verhalten wohlwollende Bilanz. Auch wenn eine umfassende Befreiung der Menschen dabei nicht erreicht wurde, so spreche es doch für China, so Böke, dass dort nicht das blinde Wirken des Marktes regiere und sich die Menschen unterwerfe, sondern dass es zumindest teilweise noch eine rationale Kontrolle über den Produktionsprozess gebe. Dieses Primat der Politik vor der Ökonomie werde allerdings seit dem Ende der Kulturrevolution und Maos Tod immer weiter zurückgedrängt.

Vom ursprünglichen Versprechen der Revolution die Emanzipation des Menschen zu verwirklichen, ist in dieser Perspektive allerdings nicht mehr viel geblieben. Und auch auf eine zentrale Frage des Buchs, wie denn nach einer erfolgreichen Revolution der Übergang zu einer befreiten Gesellschaft organisiert werden kann, ist diese Antwort unbefriedigend.

Deutlich wird dagegen, dass der maoistische Anlauf, der mit dem Anspruch auftrat die Fehler des sowjetischen Entwicklungsweges zu vermeiden, ebenfalls gescheitert ist. Aus diesem Scheitern stellt sich die Frage, die sich sowohl für die Bolschewiki, wie für die Maoisten nach der siegreichen Revolution ergab, ob der Übergang in eine befreite Gesellschaft nur auf der Grundlage einer vollständigen Industrialisierung möglich ist. Diese Frage hat in der revolutionären Bewegung seit dem Briefwechsel zwischen Marx und der russischen Sozialrevolutionärin Vera Sassulitsch von 1881 eine lange Tradition. Die rätekommunistische Linke bejaht diese Frage und sieht in der ökonomischen Rückständigkeit in Russland und China den objektiven Grund für die Unmöglichkeit des Kommunismus in diesen Ländern. Henning Böke weist diese Kritik als deterministisch zurück, kann aber auch keine befriedigende Antwort geben, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob sich diese Frage theoretisch überhaupt beantworten lässt.

Aus den Erfahrungen der bisherigen revolutionären Anläufen heraus kritisiert er zu Recht die Staatsfixierung der siegreichen Revolutionäre, ob nun in Russland oder in China, und setzt dem die umfassenden Aktivitäten der Gesellschaftsmitglieder entgegen. Er verweist hierbei auf die Ausführungen zur Zivilgesellschaft von Antonio Gramsci. Eine aktuelle Umsetzung dieses Konzeptes sieht er in den Aktivitäten des Zapatistischen Befreiungsheeres in Mexiko, die eine Eroberung der Staatsmacht ablehnen und stattdessen den Aufbau einer sich selbst transformierenden Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt stellen. Ironischerweise sind die Zapatisten ursprünglich aus einer maoistischen Guerilla entstandenen.

Der Autor bezieht sich positiv auf eine „Neue Linke“ in der heutigen chinesischen Gesellschaft, die sich vor allem gegen wirtschaftliche Liberalisierung und kulturelle Verwestlichung wendet. Deren Konzepte sind allerdings von der Hoffnung geprägt, die Marktwirtschaft ließe sich sozial abfedern und sei somit nichts anderes als das kleinere Übel. Gegenüber den positiven Bezugnahmen auf die massiven sozialen Unruhen im Land, die von der sozialrevolutionären Linken im Ausland vorgenommen werden, ist er allerdings skeptisch. Denn diese Unruhen gehen nicht von der maoistischen Basislinken, deren politisches Bewusstsein in der Mao-Ära gebildet wurde aus, sondern in erster Linie von ArbeiterInnen bäuerlicher Herkunft, die erst in den letzten Jahren proletarisiert worden sind. Dieser neuen ArbeiterInnenbewegung fehle folglich die linke Sozialisation und der Bezug auf die linken Erfahrungen in China. Doch vielleicht wird sich gerade dies als ihr großer Vorteil erweisen.

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