MOZ, Nummer 54
Juli
1990
Expo ’95

Massenpsychologie der Trägheit

Die Gemeinde Wien sucht in Werkstattgesprächen, die geplante Weltausstellung mit Inhalten zu füllen.

Wenig Chancen im derzeit so ausländerempfindlichen Wien: die Remise als neuer Markt für Handelstreibende aus aller Welt
Bild: MOZ-Archiv

Immobilienhaie und Sanierungsspekulaten haben sich schon auf die 1995 in Wien und Budapest stattfindende Weltausstellung eingestellt. Kapitalkräftige Firmen reißen sich um Häuser und Grundstücke in der Leopoldstadt, dem 2. Wiener Gemeindebezirk. Gekauft wird alles, was zu haben ist. Die Nähe zum EXPO-Gelände verspricht den Anlegern satte Gewinne.

Die Gemeinde Wien hingegen weiß noch nicht so recht, wie sie die „Brücken in die Zukunft“ anlegen soll. Die Ideensuche geht weiter. Ende Mai dieses Jahres lud die EXPO-Werkstatt zu Werkstattgesprächen in den Wiener Messepalast. StadtplanerInnen, WissenschaftlerInnen, Medienleute, PolitikerInnen etc. sollen in fünf Arbeitskreisen Ideen für das Großspektakel erarbeiten.

„Die 1989 veranstaltete, für die Bevölkerung offene Ideensuche wird 1990 fortgesetzt“, heißt es gleich zu Beginn im Papier des Arbeitskreises Nummer eins, der sich mit der Neuausschreibung des im Vorjahr abgehaltenen Wettbewerbs für alle Wienerinnen und Wiener beschäftigte. Der geplante Ausschreibungstermin mit Anfang Juni wird aber nicht mehr eingehalten werden können. Jedenfalls wird nach Abschluß des Bewertungsprozesses der eingereichten Projekte, die „interessante Ansätze“ gezeigt hätten, aber „einer Betreuung und Weiterbearbeitung“ bedürften, eine Ausstellung organisiert werden, um die prämierten Arbeiten der Bevölkerung näherzubringen.

Eine Ausstellung ist auch das Ziel des Arbeitskreises „Multikulturelle Stadt“. Geplant ist, nachdem im Vorjahr in der Volkshalle des Rathauses „Donau(t)raum“ gezeigt wurde, eine Schau am gleichen Ort, in der Antworten auf Fragen wie „Wie Umgehen mit der Ausländerfeindlichkeit?“ gesucht werden. Gedanken, die ganze Stadt als Ausstellung zu benützen — etwa die Gegend um den Brunnenmarkt in Wien Ottakring würde sich hier anbieten — gibt es, doch die Realisierbarkeit eines solchen Vorhabens ist schwierig. Möglicherweise wird eine Plakataktion die Ausstellung begleiten.

Ein ganz anderes Projekt haben die „Freunde der Remise“ vor. Die ehemalige Straßenbahnremise in der Vorgartenstraße nahe der Reichsbrücke, in der heute Autobusse abgestellt werden, ist durch ihre Nähe zum Ausstellungsgelände zum interessanten Objekt geworden. Vor allem zwei Gruppen stehen schon vor der Tür und wollen sich die Halle für ihre Zwecke aneignen. Die einen wollen eine Theaterfabrik für verschiedene Freie Theater- und Kulturgruppen einrichten, die anderen ein Ökozentrum, wo z.B. alle Schadstoffwerte von ganz Wien abgelesen werden können. Die Frage „Wo steht diese Halle?“ geschichtlich, sozial, stadtplanerisch — wurde zunächst einmal in den Hintergrund geschoben. Eine Möglichkeit, die eher geringe Chancen auf Verwirklichung hat, ist, die Remise als Marktplatz für die am Handelskai agierenden HändlerInnen aus aller Welt zur Verfügung zu stellen, also multikulturell zu nutzen.

Mit „Bewegungen, die in das Wien des 21. Jahrhunderts führen“, beschäftigt sich ein weiterer Arbeitskreis, der von der „Massenpsychologie der Trägheit“ über „Studien zum neuen Fußgänger“ bis zum „Flaneur zur rush-hour“ eine relativ große Bandbreite als Thema gewählt hat.

Schließlich sollen die Arbeitsgruppen „EXPO-Medial“ Überlegungen anstellen, wie die Vermarktung des Spektakels, vor allem in den elektronischen Medien, am geeignetsten zu bewerkstelligen ist. Die Offensive in Richtung EXPO ist also voll im Gang. Die Gemeinde Wien sollte sich aber auch Gedanken darüber machen, welche Maßnahmen geeignet sind, die BewohnerInnen des EXPO-Umfeldes, die von Absiedlung und hohen Mietpreisen bedroht sind, vor den Spekulanten zu schützen.

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