FORVM, No. 333/334
September
1981
Fritz Teufel

Neuer Roter Wedding

Gespräch im besetzten Haus

Fritz Teufel, der Till Eulenspiegel der deutschen Studentenbewegung anno ’68, seit einem Jahr nach einem halben Jahrzehnt Gefängnis wieder frei‚ [1] lebt jetzt in einem besetzten Haus in Westberlin. Über 2000 junge Leute halten dort 160 Häuser besetzt. Ende August veranstalteten sie das Spektakel „Tuwat“ (tu etwas). Wie Fritz Teufel seine Vergangenheit und Gegenwart sieht, erzählte er unserem Redakteur Michael Siegert, der ihn besuchte.

Kochen, essen verliebt sein

Wann habt ihr dieses Haus besetzt?

Teufel: Im November letzten Jahres, ich war nicht dabei. Ich kam am 12. Januar. Ich bin im Oktober 1980 rausgekommen aus’m Trakt, und dann bin ich erstmal nach Dahlem gezogen, zu so Leuten, die mir geschrieben haben in’ Knast.

Wo warst du eingesperrt?

In Moabit. War fünf Jahre und einen Monat in Moabit. Das letzte Dreivierteljahr in einem Hochsicherheitstrakt zu acht.

Warum bist du dann in dieses Haus gegangen?

lch hab hier jemand besucht, der mir in’ Knast geschrieben hat. Dann hab ich mich verliebt, hier in dem Haus, und außerdem hat mir das ganze Haus gut gefallen, die Leute, die man da treffen konnte. Ich hatte das Gefühl, da ist mehr Leben als in Dahlem — das war so ’ne Wohngemeinschaft mit vier, fünf Leuten.

Wie ist hier das Leben?

Ich bin als einer der letzten eingezogen, da war baulich eigentlich nicht mehr so viel zu tun. Es ist auch ’ne gewisse Fluktuation in dem Haus.

Wohngemeinschaften hat es ja schon lange gegeben.

In den sechziger Jahren, da gab es einen „harten Kern“, wie es damals genannt wurde in der Springerpresse, und sonst eigentlich nix. Eine Öffentlichkeit, die geprägt wurde durch die Springerpresse. Und heute ist es halt anders, weil die erste APO-Generation angefangen hat, sich ein bißchen zu etablieren, auch in den Medien vertreten ist. Die andere Sache ist die, heute sind mehr Leute geworden, die irgendwie aussteigen und was anderes machen wollen. Was die Hausbesetzer betrifft, das ist die Bewegung von heute, Leute, die nicht so viel reden oder Theorien machen, sondern einfach damit anfangen, irgendwo ein Haus instandzubesetzen, und alles andere ist erstmal nicht so wichtig.

Es kommt also nicht aus dem Kopf?

Es sind sehr viele, die vorher in einer Bürgerinitiative waren und jahrelang versucht haben, im Stadtteil Mieterpolitik zu machen und die dann auf Häuser gestoßen sind, die leerstanden, wo grade noch die letzten Mieter drin waren, wie hier; da wohnt noch ’ne Familie drin, die in die Bürgerinitiative gegangen sind und gesagt haben, he, hört mal ihr, die jagen hier alle raus und wir wollen drinbleiben, könnt ihr uns nicht unterstützen? Das Haus sollte mal abgerissen werden, dann ist die Abrißgenehmigung widerrufen werden, dann sollte es irgendwie luxusmodernisiert werden, was aber eigentlich nicht einleuchtet, weil dafür gäb’s schönere Häuser. Es gehört einer Gesellschaft, die wieder irgendwie dem Senat gehört. Sie hat auch im märkischen Viertel viele Häuser.

Wenn du hier wohnst, ist das auch eine Suche nach einer neuen Lebensform?

Sicher. Man kennt die Leute, die im Haus wohnen, besser als in einem normalen Mietshaus. Man unterstützt sich gegenseitig, man hat für dies und jenes gemeinsame Kassen. Doch wenn’s irgendwelche Reibereien und Fraktionierungen gibt, die gibt’s wahrscheinlich in jedem Haus, die unterschiedlichsten Ansichten über dies und jenes. Aber gleichzeitig sehe ich in dem Haus ein Kaleidoskop von Möglichkeiten: neben mir hat jemand gerade vor, sozusagen sein Geschlecht zu verändern und außerdem spielt er Schlagzeug. Wir haben ein paar Theaterleute in dem Haus, einen Artisten, der jongliert. Leute, die in Anti-AKW-Gruppen sind, die Bürgerinitiative der Mietergruppe ... Es wird ein bißchen Cannabis angepflanzt.

Fritz Teufels gefälschter Ausweis (1975): Affinität zu Österreich?

Eine Revolution, die Spaß macht

Anno ’68 hat man doch immer große Theorien gewälzt bei derlei Unternehmen.

Kommunetheorie ’68 war eigentlich schon damals ’n bißchen so Spaßgerilja, etwas, das Spaß machen soll, auch die Revolution, sonst geht keener hin.

Und das macht Spaß hier?

Man kann hier ooch gut kochen, gut essen, Feste feiern, verliebt sein ...

Was ist der Unterschied zu einer Wohngemeinschaft?

Es ist auch ein gewaltiger Streß, weil immer Räumungsgefahr herrscht. Allgemein werden die Auseinandersetzungen wieder zunehmen. Die Mehrheit der Leute hier im Haus ist eher dran interessiert, länger hier drin zu wohnen. Es wurde uns ein zweifelhaftes Angebot gemacht: Wohngemeinschaften von Fixern und Alkoholikern sollen hier rein, mir irgendwelchen Oberärzten. Wir sollten dann so eine Art freiwillige Sozialarbeiter abgeben.

Was habt ihr geantwortet?

Einige waren noch am Reden, ich war eigenflich von Anfang an dagegen, weil die hatten uns auch gleichzeitig angedroht‚ wenn wa das nicht machen würden, dann würden sie das in der Öffentlichkeit gegen uns ausspielen, und das haben se dann ooch getan. Es gab einen Artikel in der Morgenpost: „Besetzer wollen nicht mit Kranken zusammenwohnen“, wo sie versucht haben, Hausbesetzer gegen Nervenkranke auszuspielen.

Wie steht’s hier mit Strom, Gas, Wasser?

Wir haben Strom, angemeldet bei der Bewag. Das wird bezahlt im Namen von den Leuten, die angemeldet sind, die sind alle fiktiv, auch am Briefkasten, „Sobota“ und noch so ’n paar Leute, die machen den Schriftverkehr mit den Behörden.

Ihr habt kein Telefon?

Das könnte man beantragen, aber ich bin beispielsweise dagegen, weil dann so Leute wie du dann dauernd hier anrufen würden. Daß mal einer herkommt, ist zum Glück nich so häufig.

Was machst du sonst?

Ab und zu mal schreib ich in der Taz‚ [3] ich hab da auch schon gesetzt und im Fotoarchiv ein bißchen rumsortiert, weil ich mich jetzt zunehmend fürs Fotografieren interessiere. Finde, daß in der Taz viel zuviel Kleingedrucktes ist und zu wenig Grafik, Comics und Fotos.

Entsteht hier in den Häusern eine neue Kultur?

Du siehst ja, wie die Häuser angemalt sind. Ich stell fest, je länger ich in dem Haus bin, um so schöner wird es, von innen und von außen, weil man halt mehr Zeit hat. Wenn de in’ vierten Stock gehst, dann siehste, da ist das Treppenhaus schon ein bißchen wohnlich gemacht mit’m Teppich, mit Möbelstücken, die hier rumstehn. Man kann ja im Treppenhaus viel mehr machen. im Grunde hat es so angefangen, daß sich die Leute ein Zimmer gemacht haben wie sie’s gewöhnt waren.

Wie sind eure Beziehungen zu anderen Leuten, z.B. hier im Vorderhaus oder rundherum?

Ganz gut. Vorne ist so ’n Tante-Emma-Laden, Onkel Thaefs heißt der‚ der erzählt einem, was da heute so alles passiert ist, der ist so ein bißchen schrullig, trotzdem mag er uns ooch. Am Sonntag haben wir außen den Balkon ein bißchen bemalt, da kamen dann Typen von gegenüber ans Fenster, wir haben ein paar Worte gewechselt. Nebenan gibt es ein Kinderkrankenhaus, und einer der hier wohnt ist dort so ’ne Art Hausmeister.

Berliner Kommune

Das könnte sich durch die ganze Stadt ziehen, man könnte immer mehr Häuser besetzen, faktisch sozialisieren. Dann entstehen auch autonome Strukturen in und zwischen den Häusern. Wo könnte das hinführen?

Zur Berliner Kommune, zur ersten Stadt ohne Autos, ohne Bullen ... Es wäre toll, wenn et so Übergänge gäbe zum Mietboykott bei Leuten, die schon in Häusern wohnen. Man könnte sich ooch ’ne gesetzliche Regelung der Art vorstellen, daß jedes Haus, das seinen Baupreis eingebracht hat, keene Miete mehr kosten darf, fertich. Ein Dach überm Kopf sollte zu den Grundrechten gehören.

Anno 68 war die Dritte-Welt-Romantik sehr stark, aber es war was weit Entferntes. Hier hat man etwas, das einen selber betrifft, da kämpft man für sein eigenes Interesse.

Im Grunde kannte man damals seine Interessen ooch schon, zum Beispiel haben wir von Hausbesetzungen geträumt zu der Zeit. Es hat halt ’ne Weile gedauert, bis die Leute da waren, die so Träume verwirklichen. Wenn de jetzt das Richtige träumst, kann das durchaus Wirklichkeit werden. Berlin ist ein Ort, der bedeutungslos genug ist, um hier was in Gang zu bringen. Es wird sowieso alles finanziert.

Wenn man dich bei dem Tuwat-Spektakel auf die Bühne stellen würde, was würdest du den Leuten empfehlen?

Tu wat de willst.

Die Bewegung ist eigentlich untheoretisch, empirisch.

Sie ist abenteuerlustig.

Du machst jetzt keine Aktionen mehr?

Gott nee, manchmal fahr ich mit ’ner roten Nase U-Bahn oder auf’m Fahrrad durch die Stadt (er setzt eine Clownnase auf).

Und was geschieht da?

Kinder lachen, andere Leute wissen nicht so recht, wie se gucken sollen.

Was tut sich noch in den besetzten Häusern?

Es gibt beispielsweise Fahrradwerkstätten in fast jedem Haus. Vielleicht ein, zwei Autos. Hausbesetzer sind Leute, die sehr intensiv leben und die deshalb nicht das Hauptaugenmerk aufs Geldverdienen richten, sie haben ein relativ niedriges Einkommensniveau.

Wie verdient ihr Geld?

Die meisten studieren. Ich jobbe eigentlich, wie ich Lust hab. Ich bin noch sehr damit beschäftigt, das Leben wieder zu recherchieren. Furchtbar gern laß ich Termine platzen. Wir könn’ gleich irgendwas ausmachen! Wenn wir jetzt verabredet gewesen wären, wär ich wahrscheinlich nicht dagewesen.

Straßenschlacht vor dem Schöneberger Rathaus Ende Juni 1981 in Berlin (Foto Stefan Schaaf)

Karriere als Dieb

Was würdest du dich selber fragen?

(nach längerem Schweigen): Wer bin ich?

Und was wäre die Antwort?

Ein Achselzucken. (Pause) Ein Dieb.

Das hast du verbrieft.

Ja. Mir scheint die Bezeichnung politisch motivierter Sockendieb verdient. Meine erste Strafe war wegen Diebstahl, ich bin mal erwischt worden in so ’nem Selbstbedienungsladen in der Willmersdorfer Straße in Charlottenburg, das war kurz bevor wir in die K I (Kommune I) einzogen. Beim Rausgehen hat die Verkäuferin gesehen, ich hab ein halbes Pfund Butter in der Manteltasche, da ist sie mir hinterhergeloofen. Ich hätte wegrennen könne, aber ich war irgendwie so konsterniert, daß ich da mitgetrottet bin. Ich hab meine Aktentasche aufgemacht, da waren drei Paar Socken drin und ein Schuhspray. Und dann haben se die Bullen geholt und sind wir halt zum Revier gefahren.

So begann deine Karriere als Dieb.

So ist sie aktenkundig geworden.

Und jetzt reißt du dir schon ganze Häuser unter den Nagel. War’s für dich schwer, dich nach der Haft wieder zurechtzufinden?

Ja. Wenn einer fünf Jahre im Knast war, ist es wahrscheinlich immer schwer. Dabei hab ich’s noch relativ leicht gehabt, weil ich die Unterstützung von Freunden hatte. Auf jeden Fall hatte ich erstmal zu sorgen, ein Dach überm Kopf zu finden und zu wissen, wovon ich lebe. Eine Zeitlang hab ich ooch Geld vom Sozialamt gekriecht. Das Hauptproblem ist ja, man fühlt sich wie von ’nem andern Stern, trotz allem. Ich hab ooch fünf Jahre der Geschichte nicht miterlebt.

Da hilft einem das Zeitunglesen nichts?

Das is irgendwie ’ne andere Welt, das schwarz auf weiß im Knast zu lesen als mitzuerleben, wie die Leute sind. Manchmal fehlt mir das direkt, daß ich nicht mehr soviel lesen kann, nicht ins Fernsehen glotze ... versäumst ’ne Menge.

Du hattest Fernsehen im Gefängnis?

Teils, teils — manchmal hatt ich’s ooch nich. Zeitweise hatte ich ein batteriegetriebenes. Nach der Kontaktsperre ’77 ist dann alles eingezogen worden. Es wurde dann auf ein Programm festgestellt wiederausgehändigt. Später, als dann der Hochsicherheitstrakt eröffnet wurde, da gab’s ’nen großen Gemeinschaftsfernseher, der von der Decke baumelte, in der Zeit, in der wir Aufschluß hatten, also täglich 14 bis 22 Uhr. Da konnte man fernsehen, wenn man wollte. Auf jeden Fall sehr viel mehr, als ich jetzt Zeit hab.

Mit welcher Begründung haben sie dich in den Hochsicherheitstrakt gesteckt?

Zu der Zeit galten wir alle als dringend verdächtig, den Lorenz entführt zu haben, wir waren ja die Berliner „Hauptterroristen“. Außerdem ist einer der Mitangeklagten, Till Meyer, mal befreit worden in Moabit. Bei einem andern isses gescheitert. Vier Wochen später ist der Till dann in Bulgarien verhaftet worden. Das war während der Prozeß lief. Die [Gefängnisse] werden ja gebaut wie die Trabantenstädte, das is moderne Knastarchitektur, Hochsicherheitsbereich kriegt jeder Knast, egal ob für sogenannte Terroristen oder sogenannte Vollzugsstörer.

Das ist jetzt schon Standard?

Ja, was dazukommt ist Technik: überall Überwachung mit Kameras in den Gängen und in den sogenannten Kommunikationsräumen.

In der Zelle bist du nicht von der Fernsehkamera überwacht?

Nee, da biste nur mit einer Gegensprechanlage mit der Zentrale verbunden. Der kann hören, ob du atmest oder Selbstgespräche führst oder am Fenster rumbrüllst. Dann gibts noch die alte optische Überwachung in der Form, daß ein Spion in deiner Zellentür ist. Der kann von außen reinkieken. Das ist so ’n Spezialding, da siehste von innen nix mehr, aber er sieht dich. Du kannst ihn allenfalls draußen rumschleichen hören. Aber wenn sie auf Filzpantinen ankommen, hörst du wohl nix.

Ein Zoo für den lieben Gott

Hat man dauernd das Gefühl, immer hört und schaut jemand auf einen, so wie der liebe Gott?

Klar, das Gefühl sollen die Menschen ja ooch haben. In Kaufhäusern und an Verkehrsknotenpunkten sind ja auch überall so Kameras.

In der Wiener U-Bahn ist das besonders krass, du siehst die Kameras und Videoschirme dauernd vor dir. Wie wirkt sich das im Gefängnis aus?

Ich glaube, auf die Dauer werden die Leute wahrscheinlich apathisch. Schau dir mal die Affen und die Raubtiere im Zoo an! Ich war mal im Zoo, unglaublich, wie auf’m Kopf geschlagen beim Anblick der gefangenen Tiere, wie grauenhaft sich lange Gefangenschaft auswirkt auf jede Bewegung; und daß die Leute, die davorstehen und lachen, gar nicht sehen, daß sie hier ausgesprochen schwermütige oder melancholische Tiere vor sich haben! Der Trakt — du siehst kaum Mitgefangene, oder immer nur dieselben, und hast das Gefühl der Allmacht des gewaltigen technischen Apparates.

Wir haben uns gedacht, die einzige Art, sich dagegen zu wehren, ist so ’ne Art Schauspieler zu werden, immer Vorstellung zu geben für die Kamera. Ne andere Art wäre sich tot zu stellen, aber das hältste auch nicht aus. Das ist so ähnlich, wie wenn de gegen die Zensur kämpfst als Gefangener, weil alles, was de liest, da durch muß, und alles, was de schreibst, und du gezwungen bist, dann im Kampf gegen die Zensur zum Schriftsteller zu werden, alle Sachen so zu formulieren, daß es unangreifbar wird. Man kann der akustischen Überwachung dadurch begegnen, daß man ein bißchen Theater spielt.

Ein bißchen haben wir dat auch so gemacht. Also beispielsweise haben wir vor der Kamera gesessen und uns vorgestellt, daß die armen Schweine von Beamten nicht so gut essen wie wir. Wir haben auch so kriegerisch aussehende Gymnastikübungen vor der Kamera veranstaltet, um sie irgendwie einzuschüchtern. Und wenn’s zum Prozeß ging, haben wir uns auch sehr gern kostümiert. Der Prozeß lief ja zweieinhalb Jahre, an zwei oder drei Tagen in der Woche.

Wie viele wart ihr?

Wir waren sechs Angeklagte, und wir hatten schon in den Zeiten, als es den Trakt noch nicht gab, eine Stunde Hofgang am Tag. Als der Prozeß begann und kurz vorher haben wa ooch einmal zwei Stunden Sport und zwei Stunden Zusammenschluß gehabt in der Woche. In’ Trakt hamse dann gleich so ’nen Pingpongtisch ringestellt im sogenannten Kommunikationsraum.

Weswegen bist du eigentlich verurteilt worden?

Ich bin verurteilt worden als Dieb. Beziehungsweise wegen Begünstigung — das war ’ne alternative Verurteilung. Es bezieht sich auf die Geldsumme von 30.000 Mark mit einigen ausländischen Devisen, die bei der Verhaftung von mir und Gabriele Rollnik im Umzugsgepäck waren. Außerdem war ich bewaffnet und hatte falsche Papiere bei mir.

Und dafür hast du fünf Jahre bekommen?

Ja, sie konnten mir nicht nachweisen, daß ich bei einem Banküberfall beteiligt war.

Das Gericht hat angenommen, weil ich das Geld in meinem Besitz hatte in der Kenntnis, woher es stammte, daß ich es klauen wollte oder die Täter begünstigen. Und wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Urkundenfälschung ...

Welche kriminelle Vereinigung soll das gewesen sein?

Die Bewegung 2. Juni. Man wisse zwar nicht für wie lange, aber einige Zeit sei ich Mitglied gewesen.

Intellektueller an der Werkbank

Du hast ja damals auch einige Zeit als Arbeiter gelebt.

Meine Verhaftung passierte in Berlin, als ich nicht mehr gearbeitet hab. Wenn sie passiert wäre zu der Zeit, als ich gearbeitet hab, dann wäre die Sache anders gelaufen. Ich hab in Essen in einem sogenannten Preßwerk gearbeitet, die so Kunststoff und Kunstholzsachen gemacht haben, unter anderem Klodeckel. Zu einer Zeit, wo ich nach den Vorstellungen der Bundesanwaltschaft den Lorenz mitentführt haben sollte, den Drenckmann miterschossen — ein paar Sachen, die ich halt einfach nicht hab machen können, weil ich zu der Zeit im Dreischichtbetrieb in Essen an verschiedenen Pressen gestanden habe.

Früher hat man die physische Arbeit in der Linken hochstilisiert: der Handarbeiter mit seinen Muskeln ...

Ich möcht’s nicht mein Leben lang machen. Ich find’s aber auch wichtig, daß man das kennt, daß man weiß, wie’s einem da geht.

Meine Erfahrung ist, man kommt eigentlich nicht zum Denken. Die Erkenntnis, die man gewinnt, ist eigentlich nur: weg von da.

Wo hast du denn gearbeitet?

In einer Schlosserei, als Bohrer.

Vor allem, was meine Möglichkeiten, da Leute kennenzulernen und mit denen was zu machen, zu verändern, betrifft — die hab ich natürlich vollkommen anders eingeschätzt, als sie dann wirklich waren.

Solange man in den Fabriken keine Kämpfe führt, gibt’s ja auch dieses Miteinander nicht von den Menschen, sie spielen höchstens Fußball.

Kämpfe initiieren geht besonders schlecht, wenn de gesucht wirst. Es war körperlich sehr anstrengend, ich bin nicht sehr kräftig gebaut. Am Anfang war das wahnsinnig, im Lauf der Zeit hab ich’s dann ein bißchen besser ausgehalten.

Ich hab da nicht viel mehr gemacht als zu arbeiten, und hinterher bin ich dann auch noch Schwimmen gegangen. Abends auch Fernsehen, wenn ich nicht gerade Besuch hatte.

So hättest du beliebig lange überwintern können?

Ja, ich hab mir hinterher manchmal überlegt, daß ich vielleicht zu früh weggegangen bin. Ich bin da weggegangen — eigentlich schon wieder aus Sicherheitsgründen, nach der Schießerei in Köln, wo der Werner Sauber dabei draufgegangen ist und Karlheinz Roth verhaftet wurde. Da hab ich mir gedacht, es ist besser, ich brech die Zelte ab, weil die Leute aus Köln mal bei mir zu Besuch waren und ich annehmen mußte, daß es von Nachbarn eventuell beobachtet worden ist. Aber die sind gar nicht auf die Idee gekommen, mein Lebenswandel war zu sehr der eines Schichtarbeiters, der jeden Tag zur selben Zeit mit seinem Mofa losknattert und zurückkommt.

Bist du nicht aufgefallen als Intellektueller?

Du fällst ja nicht auf, wenn du zu Hause liest. Im Betrieb konnte man ja gar nichts lesen, da ist permanent Trouble. Ich war mit der Geschichte da angetreten, ich sei Medizinstudent, der das Studium da irgendwie verkracht hat.

Linker Militäridiotismus

Und wie haben sie dich hier verhaftet?

Im September ’75, ich war gerade am Umziehen. Ende Juli waren die „Negerkuß“-Banküberfälle gewesen in Wedding, bei denen Flugblätter verteilt worden sind: Konjunkturprogramm der Bewegung 2. Juni, und Negerküsse für die Bankangestellten und Kunden, und dann haben se im September drei Leute verhaftet: Ralf Reinders, Inge Viett, Juliane Plambeck. Das war an ’nem Montag, glaub ich, am Samstag drauf, am 13. September, bin ich zusammen mit Gabi Rollnik verhaftet worden. Wir kamen da mit’m VW-Bus angefahren und wollten in die neue Wohnung, die ein Freund gemietet hatte, wobei der Vermieter Verdacht schöpfte. Daraufhin war die Wohnung schon voller Staatsschutz, als wir aufgeschlossen haben.

Was ist der Unterschied zwischen deiner damaligen Lage und heute?

Noch ist ja nicht abzusehen, wie das weitergeht mit den besetzten Häusern. Die Erfahrungen, die die Leute da gemacht haben, daß man wohnen kann, ohne Miete zu bezahlen ...

Früher hast du auch umsonst gewohnt, da kam das Geld sozusagen aus der „Expropriation“. Gut, man könnte sagen, das „Expropriieren“ ist auch eine Art Arbeit ...

Unterschiedlich, in der Zeit in Essen hab ich ja normal dafür gearbeitet. Das ist ja eigentlich ooch nicht der Zweck des bewaffneten Kampfes, daß de davon leben kannst.

Anfang der 70er Jahre gab es diese Welle in der deutschen Linken mit dem bewaffneten Kampf. Du hast dich da herausgewunden und bist Arbeiter geworden. Jetzt ist eine Szene entstanden, die hat bewiesen, man kann hier eine soziale Bewegung machen ohne Waffen. Wie siehst du das jetzt im Nachhinein, wo setzte diese Fehlentwicklung an? Kann das wiederkommen?

Es hat bestimmt angefangen mit der Identifizierung mit denjenigen, die in der Dritten Welt bewaffnet gekämpft haben zu der Zeit. Und hier dachten wir eben, wir kämpfen im Herzen der Bestie gegen denselben Feind.

War das ein Irrtum?

Nö, glaub ich noch nicht mal. Ich denke nur, daß dann eine Spezialisierung auf militärisches Denken eingetreten ist, die zu einem linken Militäridiotentum geführt hat. Der bewaffnete Kampf hat sich aus der Überzeugung entwickelt, daß de gegen ’ne bewaffnete Macht nur bewaffnet siegen kannst, wobei es mir inzwischen so scheint, als könne es auch Formen von entwaffnendem Kampf geben, mit allen Mitteln, wo die Produktion von Waffen verboten und unterdrückt wird und sie in irgend’nem Teil der Erde vernichtet werden. Man müßte das durch Verträge zustande bringen.

Was ihr hier macht, ist vielleicht nicht legal, aber es ist zumindest offen, und es sind irgendwelche Massen, nicht so riesige vielleicht, dabei.

Ja, die Massen sind relativ, es sind mehr als ’68, aber sie sind immer noch von den Massen abgegrenzt. ’68 hat man ooch sehr viele Leute mobilisiert zu bestimmten Anlässen, zu den Notstandsgesetzen ... Jetzt Gorleben und Brokdorf, dort war ich mit, das ist schon fast ’ne Größenordnung weiter. Inzwischen gibt es in Berlin im Unterschied zu damals das Potential der Alternativen Liste, linke Bourgeoisie könnte man das vereinfachend nennen, linke Lehrer und Anwälte ...

Linke Mittelschicht eigentlich!

... und mein Freund Kunzelmann, der ist auch in der AL, zusammen mit ’nem großen Teil seiner ehemaligen KPD-Freunde.

Fritz Teufel (mit Melone) auf Hausbesetzedemo: Spaßgerilja muß sein

Da Teife und da Hitla ...

Warst du beim Tuwat-Spektakel dabei?

Beim Fackelzug bin ich ein Stück mitgeloofen.

Warum nicht bis zum Ende? Haben dich die Gegendemonstranten abgeschreckt?

Ich hab die gesehen, vielleicht wär ich auch neugierig gewesen. Fridolin haben die vielleicht abgeschreckt. Fridolin ist mein Kompagnon. Eine 15jährige Schulschwänzerin.

Weshalb ist eure Haustür verschlossen?

Es ist schon besser, wenn man gucken kann, wer kommt. Obwohl es ja auch schön wär, in Häusern zu leben, wo de einfach die Tür offenlassen kannst. ’s gibt bestimmt überall Leute, die so ähnlich drauf sind wie wir hier. Wir ziehen alle an einem Strang gegen die Idioten, die über Waffen und wahnsinnige Apparate verfügen.

In Wien gibt es noch kein besetztes Haus. Die Szene ist zu klein.

Es sind aber viele Österreicher in Berlin. Wie ich mal ’68 in Wien war, da war schwer was los. Die österreichische Polizei hat durchgedreht. Sie haben mich gleich am zweiten Tag festgenommen, wegen Falschparkens, Ruhestörung pipapo. im Jahr ’68 waren wir scheint’s ooch die ersten Langhaarigen in Wien. Langhaarig zu sein genügte da schon, um Aufsehen zu erregen. Ein Beamter der Wiener Polzei sagte: „Aus Deitschland kommt nix guats, erst da Hitla, dann da Teife.“ Dann haben se mich abgeschoben und mir zehn Jahre Aufenthaltsverbot verpaßt.

Die sind ja jetzt schon um. Das ist schon Geschichte, deutsch/österreichische.

Wär alles ganz anders gekommen, wenn der alte Fritz und Maria Theresia damals zusammengepaßt hätten ...

Dann gäbe es heute ein riesiges Deutsches Reich, das würde dieselbe üble Rolle in Europa spielen wie jetzt die Russen. Ich sehe das als Österreicher so: wir wären die Unterdrückten in dem System, die Preußen wären oben, also ihr.

Ich bin ja auch Südländer, Schwabe. Kleine Länder find ich eigentlich sympathischer.

Fritz Teufel 38, wurde durch seinen Ausspruch in einer Gerichtsverhandlung berühmt, als er aufgefordert wurde, sich zu erheben: „Wenn’s der Wahrheitsfindung dient ...“ Ab Frühjahr 1978 stand er mit den 2.-Juni-Leuten in Berlin vor Gericht, zweieinhalb Jahre lang. Knapp vor Ende des Prozesses präsentierte er ein hieb- und stichfestes Alibi für die Hauptanklagepunkte Lorenz-Entführung und Drenckmann-Mord: er hatte als gewöhnlicher Handarbeiter in Essen an der Presse gestanden, in einer Plastikfabrik. Jetzt wohnt er im besetzten Hintertrakt des Hauses Groninger Straße 50 in Berlin Wedding. Das Haus, wiewohl noch im Ausbau, ist schon einigermaßen wohnlich. In Fritz Teufels Zimmer steht die Bücherstellage hinter einer malerisch durchbrochenen Wand, die übrigen drei Wände sind mit originellen Aufschriften verziert, die ich leider vergessen habe. Der Bewohner liegt während des Gesprächs halb auf seinem Bett, der Reporter sitzt zu seinen Füßen. Lange Pausen durch das Ziehen an der Wasserpfeife. Fritz spricht leise, macht aus sich nichts her und meint am Schluß, daß es wohl zu wenig sei, was er da gesagt habe.

Michael Siegert

[1Über diese Jahre informiert das Buch Ute Erb/Fritz Teufel: Briefe, um DM 16,80 im linken Buchhandel.

[2Über diese Jahre informiert das Buch Ute Erb/Fritz Teufel: Briefe, um DM 16,80 im linken Buchhandel.

[3Taz, Abkürzung für die Tageszeitung, Spontizeitung für Westdeutschland, das Blatt der linken Szene. Es erscheint fünfmal in der Woche in einer Auflage von etwa 40.000, bei 20.000 Abonnenten; die „Zentralredaktion“ ist in Berlin-Wedding, Wattstraße 11

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