Heft 3-4/2005
Juni
2005

„Piece Number 26“: Die ungehaltene Ansprache

des österreichischen Bundespräsidenten anlässlich des Gedankenjahres 2005

Eine Kolumne in formaler An- und inhaltlicher Ablehnung an die „Nicht gehaltene Rede des israelischen Ministerpräsidenten“von Ulrich Harbecke (gesendet im WDR, am 2. Mai 2004).

Zitat:

Ich ehre alle Opfer dieser unseligen Periode, gleichgültig, oh sie unter der Zivilbevölkerung oder unter den Soldaten zu beklagen waren und ich verstehe den Schmerz jedes Einzelnen der einen Vater, einen Sohn, eine Mutter oder eine Schwester verloren hat.

(aus der tatsächlichen Ansprache Heinz Fischers anlässlich des Gedankenjahres 2005.)

Liebe Österreicherinnen, liebe Österreicher!

Diese Republik ist 60 Jahre alt. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Nicht ohne Stolz darf ich auf die großen und kleinen Erfolge verweisen, die dieses Land und seine Bürgerinnen und Bürger seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust errungen haben. Auch ist es Zeit, an die Toten zudenken.

Niemals würde ich vergessen, gegenüber den Opfern des Krieges, jenen der Shoa einen besonderen Platz einzuräumen.

Denn die einen haben an der Front oder zu Hause mitgeholfen, dass die anderen überhaupt erst um ihre Rechte, ihr Hab und Gut, ihre Würde und schließlich um ihr Leben gebracht werden konnten. Daher würde es mir im Traum nicht einfallen, sie einfach in einen Topf zu werfen. Aber:

Nach dem Krieg haben Bevölkerung und Regierung dieses Landes umgehend Bedeutung und Tragweite der NS-Verbrechen erkannt und die Verantwortung dafür übernommen. Den Überlebenden des Holocaust wurde folgerichtig sofort mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln geholfen. Nicht aus Mitleid oder schlechtem Gewissen, sondern in selbstverständlicher Anwendung schadenersatzrechtlicher Logik: Die wenigen Juden, die den Holocaust überlebt hatten und trotz Allem, was ihnen angetan wurde, in Österreich bleiben wollten haben schnell und unbürokratisch das ihnen geraubte Eigentum an Wohnsitzen, Barvermögen, Pretiosen, Kunstgegenständen, Wirtschaftsgütern, Grund und Boden usw. zurückerhalten, ebenso, wie zur Emigration getriebenen Universitätsprofessorinnen, Künstlerinnen, und Beamtinnen anstandslos in ihre alten Positionen zurückkehren konnten. Diejenigen, die ihre Zukunft verständlicherweise im damaligen Palästina sahen, erhielten eine entsprechende Verzichtsentschädigung und wurden mit allem Nötigen versorgt, um sich dort eine Existenz aufzubauen.

Dabei wurden reichlich Mittel aus dem Marshall-Plan, die unverdientermaßen auch Österreich und Deutschland in den Schoß fielen, aufgewendet und ebenso zur Linderung der Verwüstungen entrichtet, die Österreicher und Deutsche vor allem in Polen, in der damaligen UdSSR sowie in Frankreich, England und in den Ländern der Balkanhalbinsel angerichtet haben. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle den „Trümmerfrauen“, deren symbolischer Einsatz in Stalingrad, Leningrad, Warschau oder Coventry zwar die Untaten ihrer Landsleute nicht im Entferntesten aufwiegen konnten, die aber einen Beitrag für das Existenzrecht Österreichs im Nachkriegseuropa stifteten.

In Scham müsste ich heute versinken, hätten wir die Überlebenden der Shoa nach der Befreiung von Auschwitz und all den anderen Konzentrationslagern ziellos als „Displaced Persons“in Europa herumirren lassen, hätten sie mondkalter Bürokratie und zynischem Desinteresse schutzlos ausgeliefert und schließlich dazu gezwungen, eine halsbrecherische Odyssee über das Mittelmeer zu unternehmen, um schließlich in der Fremde des Nahen Ostens den Schutz eines Staates zu suchen, der damals noch gar nicht bestand und schon bekämpft wurde.

In Scham müsste ich heute versinken, hätte Österreich „arisiertes Eigentum“, sowie die Erträge der NS-Zwangsarbeit und die nach dem Kriege uns zugeflossenen amerikanischen Hilfsgelder einfach in die eigene Tasche gesteckt, das Ergebnis unter dem Titel „Wirtschaftwunder“darüber hinaus als einen eigenen Erfolg verkauft und erst Jahrzehnte später - als es kaum noch überlebende Opfer gab - widerwillig und in winzigen Häppchen einen lächerlichen Anteil des Raubgutes refundiert; nur um sich auch mit dieser Peinlichkeit zu brüsten und vorsorglich ein Ende präsumptiver Forderungen zu verlangen.

Weil sich jedoch diese Republik - nicht großherzig oder mildtätig - sondern verantwortungsbewusst verhalten hat, nur aufgrund ihrer Entschlossenheit, den Schaden, den namhafte Anteile ihrer Bevölkerung vor 1945 als Mitglieder der SA, der SS, der Wehrmacht, als Ariseurlnnen, als Entjudungsbeauftragtlnnen oder als sonstige Denunziantinnen verursacht oder zugelassen haben, wenigstens nach 1945 mit aller Kraft „wieder gut“zu machen, den einzelnen Opfern und Israel beizustehen - dem Staat der Überlebenden des Verbrechens, das nicht mehr gut gemacht werden kann, kann ich die Worte sprechen : „Ich bin stolz auf Österreich.“

Ansonsten müsste die Losung lauten: „60 Jahre sind genug!“und: „Nie mehr wieder Österreich!“

Guten Abend!

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