Grundrisse, Nummer 35
September
2010
Walden Bello:

Politik des Hungers

Berlin: Assoziation A, 2010, 199 Seiten, 16 Euro

Walden Bellos Verteidigung des Kleinbauerntums

Der Titel der deutschen Übersetzung „Politik des Hungers“ täuscht etwas über den Inhalt des Buches hinweg. In Walden Bellos „The Food Wars“ geht es eigentlich weniger um Hunger, als um die Verhältnisse in der Landwirtschaft. Nur in der Einleitung, die sich auf die Lebensmittelpreise-Krise (2007-2008) bezieht, wird vermerkt, dass die Anzahl der Hungernden weltweit um ca. 125 Millionen Menschen gestiegen ist. 2007 litten laut den Vereinten Nationen 923 Millionen Menschen an Unterernährung. Die zentrale Aussage des Buches des alternativen Nobelpreisträgers und Professors für Soziologie an der Universität der Philippinen ist schnell zusammengefasst: Das Kleinbauerntum, das in erster Linie auf Subsistenz ausgerichtet ist, würde eine alternative Wirtschaftsform zum globalen Kapitalismus darstellen. Als Klasse erwiesen die Bauern eine außerordentliche Beharrlichkeit und wären bisher trotz aller Voraussagen von Marxisten und Weltbank noch nicht untergegangen (21). Sie würden sich nun sogar in Organisationen wie dem internationalen Bauernverband „La Via Campesina“ ( HYPERLINK „http://viacampesina.org/en/http://viacampesina.org/en/) zusammenschließen und als „Klasse für sich“ für ihre Rechte kämpfen.

In den weiteren Kapiteln wird die Landwirtschaftspolitik in Mexiko, auf den Philippinen, in Afrika und China behandelt. Bello stellt die 60er und 70er Jahre den späteren neo-liberalen Strukturprogrammen positiv gegenüber. Damals strebten viele Regierungen in der 3.Welt eine Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln an, schützten die eigenen Märkte vor Exporten und subventionierten Landwirtschaft oder auch Lebensmittel. Als Teil der Strategie gegen den Kommunismus unterstützten die USA in Taiwan, Südkorea, Japan moderate Bodenreformen, damit sich Bauern keinen linken Bewegungen anschlossen. Seit den 80er Jahren vollzog sich ein Politikwechsel. Die Strukturprogramme der Weltbank und des Internationalen Währungsfond (IWF) zwangen die nationalen Regierungen zur Öffnung der Märkte. Diese Maßnahme hätte die Landwirtschaft teilweise ruiniert, Flüchtlingsströme ausgelöst und die Nahrungssicherheit der Bevölkerung von Importen aus dem Ausland abhängig gemacht. In „Politik des Hungers“ erscheinen dagegen die 70er Jahre als goldene Zeiten für Kleinbauern. Bello attestiert sogar dem philippinischen Diktator Marcos, dass er wenigstens die Landwirtschaft unterstützt habe. Mit der Kommunistischen Partei Chinas geht Bello vergleichsweise milde ins Gericht, macht sich aber Sorgen, dass China im Zuge des Beitritts zur Welthandelsorganisation (WTO) das Ziel der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln aufgeben könnte (140). „Politik des Hungers“ ist mehr eine politische Kampfschrift, als eine fundierte akademische Abhandlung. Es scheint, als wollte Bello aus aktuellem Anlass schnell ein Buch veröffentlichen. Das Kapitel zu China stützt sich nicht unwesentlich auf die Reportage „Zur Lage der chinesischen Bauern“ der Journalisten Chen Guidi und Wu Juntao. Die akademischen Standardwerke zum Verhältnis von Partei und Bauern werden hingegen nicht zitiert.

Abschließend beschäftigt sich Bello mit Wegen des kleinbäuerlichen Widerstandes. Als Beispiele nennt er Selbstmorde südkoreanischer Bauern, den französischen Bauern Jose Bove (Interview in http://www.newleftreview.org/?view=2358), der eine noch nicht eröffnete MacDonalds-Finale zerstörte und Mitgründer von „Confédération Paysanne“ ist, die brasilianische Landlosenbewegung MTS und den Verband „La Via Campesina“. Landwirtschaftliche Produktion sollte in erster Linie von Kleinbauern, Kooperativen und Staatsbetrieben übernommen werden. Als sinnvolle Forderungen listet Bello auf: Ernährungssouveränität (Selbstversorgung und Schutz vor Importen durch „Deglobalisierung“), Ablehnung von international standardisierten „Junk Food“-Produkten, ein neues Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft und Industrie sowie Bodenreformen, die eine gleichmäßige Verteilung des Bodens garantieren (181-183). Diese Vorstellungen hätten sich im „Kampf gegen den zentralisierten Sozialismus und den Neo-Liberalismus“ entwickelt. Sicher kann es für manche Länder sinnvoll sein, sich weniger von Lebensmittelimporten abhängig zu machen. Wenn man schon reformistische Forderungen aufstellt, erscheint mir die Abschaffung der hohen Agrarsubventionen in den USA und der EU ein besserer Schutz der Kleinbauern in der 3.Welt zu sein, als dass sich jedes Land mit einer Schutzzoll-Politik einigelt.

Bellos Buch ist die bäuerliche Variante der Nostalgie für eine Zeit vor dem Neo-Liberalismus, in der Märkte stärker reguliert und abgeschottet waren. Vereinfacht stellt er eine bäuerliche Produktionsweise dem Kapitalverhältnis gegenüber. Auch Kleinbauern sind in der Regel in Märkte und Lohnarbeitsverhältnisse eingebunden. Das Kapitalverhältniss braucht auch nicht-commodifizierte Bereiche der Gesellschaft (wie zum Beispiel unbezahlte Hausarbeit), um sich reproduzieren zu können. Bello schreibt: „Die Eigenschaften der kleinbäuerlichen Landwirtschaft – die Nähe zum Boden, die organische Verbindung von Familie und Hof, der Fokus auf den lokalen Markt, die arbeitsintensive Produktion und eine Haltung zur Natur, die weniger auf deren Beherrschung als vielmehr auf die Kooperation mit ihr abzielt – haben sich sämtlich entwickelt, um den Bedürfnissen nach ökologischer Stabilität, Gemeinschaft und guter Regierung gerecht zu werden“ (183-184). In dieser naiven Romantisierung des Dorflebens kommen persönliche Abhängigkeitsverhältnisse nicht vor. Der familiäre Kleinbetrieb ist eine traditionelle Wirtschaftsform des Patriarchats. Da hilft es auch wenig, wenn Bello in einem Halbsatz den Verband „La Via Campensina“ dafür lobt, dass er Genderfragen in den Mittelpunkt seines politischen Programms gestellt habe. In China ziehen viele Söhne und Töchter von Bauern heute die Fabrik dem Landleben vor, weil sie unter anderem der sozialen Kontrolle (der „organischen Verbindung von Familie und Hof“), lokaler Heiratsvermittlung und der Herrschaft der Alten entkommen wollen. Mit ökologischer Nachhaltigkeit von kleinbäuerlicher Wirtschaft ist es oft nicht weit her. In einigen Dörfern, die ich in China besucht habe, landet der gesamte Müll im Dorffluss.

Ähnliches kann auch über Supermärkte gesagt werden, in denen Bello nur ein Mittel zur Auspressung der Bauern zum Wohle der zahlungskräftigen Mittelschichten zieht. Sicher sind die Arbeitsbedingungen in den Supermarktketten vergleichsweise schlecht. Ohne Massentierhaltung und die riesigen Gemüseplantagen in Südeuropa, auf denen Migranten oft unter brutalen Bedingungen arbeiten, ist das heutige System der Nahrungsmittelversorgung nicht denkbar. Dennoch gibt es kein Grund zu Nostalgie für „Tante Emma“-Läden. Dort müssen Kinder und Frauen in der Regel umsonst mitarbeiten. Die Konsumenten, vor allen aus den unteren Schichten der Gesellschaft in den USA, Europa und den Schwellenländern, die durch die Supermärkte Zugang zu billigeren Lebensmitteln haben, spielen in Bellos Buch keine Rolle. Billige Preise sind nicht nur Folge der niedrigen Lohnkosten, sondern auch der geringen Gewinnspanne für ein Produkt, das durch die große Anzahl der Filialen trotzdem zu hohen Gewinnen insgesamt führt. Natürlich müssen die sozialen und ökologischen Folgen der heutigen „Nahrungsketten“ kritisiert werden. Supermarktketten könnten jedoch auch von den Arbeiter und Arbeiterinnen selbst verwaltet werden. Die schon vorhandene Zentralisierung würde gesellschaftliche Planung leichter machen. Die Frage, ob sich Massentierhaltung auch ökologischer und weniger brutal für die Tiere organisieren lässt, ist hingegen schwieriger zu beantworten.

Bello hat sicher recht, dass Marx und andere Theoretiker die Zählebigkeit der Kleinbauern unterschätzt haben. Die kommunistische Bewegung hatte jedoch ein viel komplizierteres und ambivalenteres Verhältnis zu Bauern als Bello unterstellt. Das müsste der Herausgeber eines Readers mit Texten von Ho Chi Minh eigentlich besser wissen. In Ländern wie Russland, China und Vietnam spielten die Bauern eine wichtige Rolle in den Revolutionen. Sicher machten die Kommunistischen Parteien viele Fehler im Zug der Kollektivierung der Landwirtschaft. Trotzdem muss gesagt werden, dass das Scheitern des Versuchs, die Kleinbauernwirtschaft abzuschaffen, den weiteren Weg zum Kommunismus (Abschaffung von Warenproduktion und Privateigentum an Produktionsmitteln) blockierte. In der Sowjetunion und China herrschte nach den Hungersnöten ein Patt zwischen Staat und Bauern, das zur Stagnation führte. In vielen anderen Ländern, vor allen in Europa in der Zwischenkriegsperiode, stellten Kleinbauern oft das Fußvolk für reaktionäre Bewegungen unter dem Banner von „Eigentum, Familie, Vaterland“. Die NSDAP konnte sich z.B. Ende der 20er Jahre an die Spitze der Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein stellen. Die protestantischen und agrarischen Regionen in Norddeutschland wurden zu den Hochburgen der Partei, lange bevor sie an die Macht kam. „Reichsbauernführer“ Walter Darre verherrlichte die Kleinbauern auf eigener Scholle als „Blutsquelle des deutschen Volkes“. In Österreich formierte sich vom Land aus die rechte Heimwehr gegen das „rote“ Wien. Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuss errichtete schließlich als Kanzler die austrofaschistische Diktatur. Die Forderungen nach dem Schutz der heimischen Märkte, Autarkie und moderater Bodenreform wurden und werden auch von rechten Bewegungen erhoben. Bellos Forderung nach einer gleichen Verteilung des Bodens wird allerdings von den rechten Bauernfreunden nicht geteilt.

Heute lebt weltweit die Mehrheit der Menschheit in Städten. Die Menschen, die während der Preiskrise in über 30 Ländern rebellierten, waren in erster Linie die städtischen Armen und nicht Kleinbauern. Bei aller Kritik an den internationalen Agrarkonzernen, ist es fraglich, ob Kleinbauern die Welt ernähren können. Laut Bello soll das auch gar nicht das Ziel sein, sondern sie sollen das Überleben ihrer lokalen Communities sichern (195). In China, wo der Boden immer noch relativ gleich verteilt ist, können über 600 Millionen Zwergbauern das eigene Land nicht ernähren und Getreide muss immer wieder importiert werden. Trotzdem hat China in den letzten 30 Jahren einen großen Beitrag zur Reduzierung des weltweiten Hungers geleistet. Laut Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO sank der Anteil von unterernährten Menschen in den Entwicklungsländern von 37 Prozent (1970) auf 16 Prozent (2005). Im Zug der Preiskrise stieg der Anteil auf 17 Prozent an (2007). Wie steht diese Entwicklung im Verhältnis zu Bellos düsterem Bild von der Entwicklung der Landwirtschaft seit den 80er Jahren?

Bellos Buch ist sicher eine gute Einführung, um die Argumente der modernen „Volkstümler“ und Globalisierungsgegner kennenzulernen. In der kommunistischen Bewegung gab es die extreme Haltung, den Bauern als einem „Sack voll Kartoffeln“ jede eigenständige politische Rolle abzusprechen. Außerdem hat sich die Kollektivierung der Landwirtschaft im Rahmen einer zentralistischen Planwirtschaft in vielen Ländern nicht als effiziert oder emanzipatorisch erwiesen. Aus dieser Erfahrung sollte allerdings nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass Kleinbauerntum und Landleben zu verherrlichen.

Website von Walden Bello: http://www.waldenbello.org/

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