FORVM, No. 337/338
Februar
1982

Reagans Schlachthof

Gespräch über die Lage in Zentralamerika mit Michael Siegert

Wenn Jaruzelski täte, was die mittelamerikanischen Diktatoren von Reagans Gnaden dürfen, nämlich Tag für Tag fünfzig Menschen umbringen, dann würden sich unsere Medien überschlagen (Jaruzelski hat in Summe etwa 200 auf dem Gewissen, an die 20 gibt er zu). Reagan ist dabei, in sein eigenes Vietnam zu stiefeln, es liegt mitten in Amerika. Die Sporen klirren schon.

Journalist im Folterland

Was tut sich in Guatemala?

Gabriel: Als Journalist kann man dort überhaupt nicht einreisen, da ist man sofort verdächtig. Wenn man sich in Ländern wie Salvador, Honduras oder Chile in die Nähe der Macht begibt, wird man automatisch verdächtigt. Die guatemaltekische Regierung hat überhaupt kein Interesse daran, den Anschein zu erwecken, als ob sie die Menschenrechte wahren wollte. Sie lagen sich deshalb sogar mit den USA in den Haaren, besonders unter Carter, der ihnen ja sogar die Militärhilfe gestrichen hatte.

Jeder, der was wissen will und ein Ausländer ist, also ein Journalist, der ist von vornherein ein Kommunist, der gehört zur anderen Seite. Wer als Journalist identifiziert wird, muß damit rechnen, daß man ihn in einem unbemerkten Augenblick umlegt. Der Unterschied zu den Binnenmorden ist, daß man in diesem Fall versucht, ein Eifersuchtsverbrechen oder sowas vorzutäuschen. Das ist vor ein paar Monaten einem französischen Journalistenehepaar passiert. Sie wurden mit Folterspuren und durchschnittenen Hälsen am Strand aufgefunden.

Wie kommst du also zur Guerilla?

Gabriel: Wichtig ist, dort nicht aufzufallen. Die Kontakte zur guatemaltekischen Befreiungsbewegung müssen diskret sein. Die können einen nicht im Hotel aufsuchen, was sogar in El Salvador noch möglich ist; man kriegt die Anweisung, Ausschau zu halten nach gelben, roten oder blauen Käppis, und ohne mit den Leuten zu sprechen wird man dann weitergeschleust von einer Autobushaltestelle zur anderen, bis man selber nicht mehr weiß wo man ist, und in einem Augenbliek, wo man’s am wenigsten vermutet, wird man in ein Auto gezerrt, wobei man nicht weiß wer einen zerrt, und wird dann in irgendeiner abgelegenen Straße abgeladen. Dort verbringt man eine Nacht, wobei einem die Compañeros andere Leute vorstellen, mit denen man Interviews macht, man muß aber beim Morgengrauen das Haus wieder verlassen.

Man darf vor allem niemand auf dem Leim gehen. Mir hat sich zum Beispiel einer im Hotel als Putschistenoberst vorgestellt. Vielleicht hat er irgendwie vermutet, ich wäre Journalist, und sagte, er ist auf dem Weg das Regime zu stürzen, daß er viele Offiziere hinter sich hat, und daß die nächsten Wahlen gar nicht zustande kommen würden — sicherlich um herauszufinden, wer ich eigentlich bin.

Was hast du ihm gesagt?

Gabriel: Ich bin Anthropologe.

Das paßt immer, das ist ja jeder irgendwo.

Gabriel: Die lustigste Gschicht war, da hab ich heuer ein Interview mit einem nordamerikanischen Militärberater in Honduras gemacht. Ich bin einfach in einem Hotel abgestiegen, wo die waren, und hab mich beim Frühstück zu einem hingesetzt. Er hat mir sein Leid geklagt, daß er immer so aggressive Blicke von den Leuten erntet, er war in US-Uniform. Er hat gesagt, daß er sich hier unter den Militärs in Honduras wohler fühlt, weil in Panama können sie ihn nicht leiden.

Er war sehr naiv, auch für ihn war ich eine Art Ethnologe auf Studienreise. Am Schluß hat er gesagt, er verstünde nicht, warum seine Vorgesetzten ihm so wenig über die militärischen Einsätze mitteilen, sie hielten ihn wohl für einen Trottel, der diese Informationen gleich dem nächstbesten Reporter erzählt!

Der tägliche Mord der Rechten in El Salvador:
ein Mann wird im Hinterhof seines Hauses tot aufgefunden
(San Salvador, März 1981, Photoreport/Sygma)

Honduras: Kleines Koordinationsmanöver

Wie ich dann das nächstemal Anfang Oktober 1981 zu dieser Militäroperation der Amerikaner an der Atlantikküste hinwollte, hat mich die amerikanische Botschaft schon identifiziert gehabt, und sie haben mich nicht hingelassen.

Worum ist es dabei gegangen?

Gabriel: Es sollte ein kleines Koordinationsmanöver der US-Luftwaffe mit Hubschraubereinsatz und einigen Patrouillenbooten sein, um den Kampf gegen Drogen- und Waffenschmuggel zu üben. In Wirklichkeit wurden an der Küste im Grenzgebiet zwischen Guatemala und Honduras durch Fernsteuerung Kommunikationssysteme ausprobiert, wobei guatemaltekische und honduranische Infanterie auf Befehle von Hubschraubern und Schiffen operierten.

Das ist das vietnamesische Modell.

Gabriel: In Vietnam haben auch nordamerikanische Mariner mit eingegriffen. Hier scheint man sich durch den Einsatz der Kommunikationstechnologie das Image des Eindringlings ersparen zu wollen. Man will wie ein unsichtbarer Geist 30 Kilometer vor der Küste die Operationen, die von lokalen Militärs durchgeführt werden, steuern.

Wo warst du damals?

Gabriel: Ich hab von Managua aus die andere Seite gesehen. Der Oktober wurde in Nicaragua zum Monat der allgemeinen Mobilisierung gegen die nordamerikanische Intervention bestimmt. Jeden zweiten Tag waren Demonstrationen, die Leute mußten ihre Milizuniformen anziehen, was bei einer Gesamtzahl von hunderttausend Milizsoldaten in Nicaragua ein ziemlich martialisches Bild ergab.

Was kannst du von der Situation in Honduras erzählen, da waren ja jetzt auch Wahlen?

Gabriel: Honduras ist so wie die Schweiz im zweiten Weltkrieg ein Umschlagplatz zwischen Nationen, die sich im Krieg befinden. Auf der einen Seite ist es das Operationsfeld von 200 amerikanischen Militärberatern, auf der anderen Seite gibt es auch den Versuch — sowohl von der Carter-Zeit her wie auch von den internationalen Organisationen — mit Entwicklungshilfe einen Art Modellstaat einzurichten; es gibt wenig soziale Probleme am Land, das Kooperativensystem herrscht vor.

Die Großgrundbesitzer sind traditionell mit den Militärs verbündet, und die sind gespalten, und jetzt kommt’s drauf an, welche dieser beiden Fraktionen stärker ist. Bisher war die Fraktion stärker, die den zivilen Weg gehen wollte und die sich dagegen wehrt, in den zentralamerikanischen Konflikt hineingezogen zu werden; das sind auch die, die die Wahlen gewonnen haben, nämlich die Liberale Partei.

Auf der anderen Seite sind es die Scharfmacher unter den Offizieren, die einen Putsch planen und dabei die Möglichkeit sehen, dann selbst ans Ruder zu kommen; gleichzeitig versprechen sie, in Nicaragua einzumarschieren und die USA dadurch zu zwingen, ebenfalls in Nicaragua zu intervenieren. Sie sehen im Krieg ein Mittel, dem »Angriff des Weltkommunismus zu begegnen«.

Wenn das geschieht, würde eine Kettenreaktion eintreten: der Honduras-Putsch führt zu einer Synchronisierung der drei Armeen von Honduras, Salvador und Guatemala, und es käme zu einem Überfall der drei Armeen auf die befreiten Gebiete in El Salvador mit amerikanischer Steuerung. Ich fürchte, daß es auch so kommen wird.

Gibt es in Honduras eine Opposition dagegen?

Gabriel: Ja, es gibt innerhalb der liberalen Partei einen linken Flügel, der den größten Teil der Basis hinter sich hat. Übrigens angeführt von einem Mann, der mit Österreich sehr gute Beziehungen hat, den früheren Rektor Jorge Arturo Reyna, der unsere österreichischen Entwicklungshilfeprojekte in Nicaragua geleitet hat. Er ist jetzt eine Art Sozialdemokrat in Honduras.

Es gibt aber auch eine Guerillabewegung, mit der ich Interviews gemacht habe. Sie wollen vor dem Putsch nicht in Erscheinung treten. Sie haben Order, wenn sie bei Banküberfällen erwischt werden, sich als gewöhnliche Verbrecher auszugeben. Honduras ist übrigens das Land mit den meisten Banküberfällen der Welt. Es gibt dort Leute, die gehen ohne Waffe in eine Bank, ziehen eine Frucht mit einem Taschentuch heraus und sagen, das ist eine Bombe, Geld her — und sie kriegen es auch! Es gibt nur 12.000 Mann Sicherheitsdienst in Honduras.

Die Guerilla hat einige salvadorianische Gefangene, die in Honduras sicherlich dem Tod geweiht waren, befreit, indem sie in Managua ein Flugzeug entführte. Sie haben auch Landpächter eingesetzt, die in diesem unterbevölkerten Land Boden aufgekauft haben. Diese Güter sollen bei Beginn des offenen Befreiungskampfes befreite Gebiete bilden. Wenn es zu einem Militärputsch kommt, wollen die Guerillaorganisationen sofort einen Gegenschlag führen.

Was hätte das zur Folge?

Gabriel: Daß das letzte ruhige Land von Zentralamerika in den Krieg hineingezogen würde. Der Prozeß begann fast überall so — etwa in Salvador —, daß die Liberalen ans Ruder kommen und versprechen, die sozialen Mißstände mit Reformen und friedlichen Mitteln zu lösen. Sie halten ihr Versprechen nicht, die Repression geht weiter, und dann bricht das Ganze an einem bestimmten Zeitpunkt auf, wie in Nicaragua z.B. mit dem Mord an dem Journalisten Pedro Camorro, wie in Salvador mit dem Mord an den sechs führenden Mitgliedern der FDR im November 1980 — da gibt’s immer so Punkte, wo man plötzlich spürt: jetzt gibt’s keine friedliche Lösung mehr.

Wenn die Guerillabewegung zu früh einsetzt, vor diesem Punkt, und die militärischen Aktionen übertreibt, erscheint sie als Aggressor und gewinnt nicht die Unterstützung des Volkes.

Dieser Punkt ist in Honduras noch nicht erreicht?

Gabriel: Nein, ein Zeichen sind auch die Wahlen, die für die Liberalen ausgegangen sind. Wenn jetzt alles mit rechten Dingen zuginge, müßten die Militärs entmachtet werden. Zum erstenmal ist dort ein Zivilregime. Die Militärs und die Amerikaner werden es aber nicht zulassen. Deshalb muß es zu einem Konflikt zwischen den Zivilen an der Macht und den Militärs kommen, und es ist wahrscheinlich, daß der so ausgehen wird wie in Bolivien, wo ja dann die Präsidentin gestürzt wurde.

50 Tote pro Tag durch rechte Todesschwadrons in den letzten zwei Jahren:
Reagans Freiheitsideal in El Salvador
Bild: Photoreport/Sygma

Guatemala: Alle tot

Wir sprachen davon, daß du in Guatermala warst.

Gabriel: Ja, im April/Mai 1981. Wenn man so von draußen hereinkommt, sieht man in der Hauptstadt selber Militärkonvois und vier oder fünf verschiedene Arten von Polizei und Geheimpolizei. Ziemlich ungut schaut das dort aus. Die Leute der demokratischen Opposition, auch der Linken, sind alle tot, die Gewerkschaftsführer, die ich von früher gekannt hab, ebenso. Es gibt dort nur den Untergrund und das Militär.

Und die befinden sich in einer Auseinandersetzung, wobei der Untergrund etwas dazugelernt hat, nämlich nur mit Guerilla-Aktionen geht es auch nicht, sondern sie müssen eine Form finden, wo die Zivilbevölkerung integriert wird, ohne daß sie gleich am aktiven Kampf mit den Waffen teilnimmt. Außerdem gibt es wenig Waffen. Die »Frente Popular 31. Jänner (1981)« hat in den letzten Monaten eine Strategie entwickelt: es wurden kleine, fast ungefährliche Bomben im ganzen Land geworfen, meist vor kleineren Polizeistationen, um die Armee und Polizei in Atem zu halten. Die Idee war, wie können sie Kräfte binden, ohne sich selbst dem Kampf zu stellen.

Ché und die Indianer

Wie arbeitet die Guerilla?

Gabriel: Der Großteil von Guatemala ist Indiogebiet, dort ist die Guerilla am stärksten, in Qiche z.B. Die EGP (Guatemaltekisches Volksheer) arbeitet mit den indianischen Organisationen zusammen. Schon bei Ché Guevara in Bolivien 1967 war das Problem: wie geht eine Guerilla mit indianischen Organisationen zusammen? Die Guerilla hat normalerweise vertikale Strukturen, die Befehlsstruktur einer Armee, während die Indianer den Rat der Alten haben. In einer Guerilla sind die 16jährigen die wichtigen Leute! In Qiché hat man eine Form gefunden, wie die Sozialstruktur intakt bleibt und die Guerilla unter der Kontrolle des Rats der Alten operiert.

Also nicht sich wie Guevara über die Indianer hinwegsetzt, sondern sich ihnen eher unterordnet. Guevara ist ja an diesem Fehler gescheitert.

Gabriel: Eben. Weil sie vom Volk nicht isoliert sind, kann man sie auch schwer zählen. Mitte des Jahres sind rund zwanzig »Sicherheitshäuser« der Guerillaorganisation Orpa zerstört worden. Das sind Häuser, in die sich Guerillas nach den Operationen zurückziehen. Die guatemaltekische Armee macht übrigens seit zwei Jahren kein Hehl daraus, daß sie Nicaragua überrennen will.

Gibt es politische Parteien in Guatemala?

Gabriel: Doch, aber sie werden vom Militär beherrscht, es sind faktisch Fraktionen innerhalb des Militärs. Jetzt werden z.B. Wahlen vorbereitet, man weiß auch schon, wer der neue Präsident sein wird.

Wer?

Gabriel: Ein gewisser Guevara. Das ist aber Schein. Was da oben ist, bleibt immer gleich.

Und in der Opposition? Gibt es eine Front mit der nationalen Bourgeoisie?

Gabriel: Das hat’s einmal gegeben im Rahmen der FTCR (»Gemeinsame Front gegen die Repression«), die ist aber daran gescheitert, daß alle Führer im Lande umgebracht wurden, und zwar auch diejenigen, die bei den letzten Wahlen mitgemacht haben.

Ich war vor über einem Jahr zu Besuch bei V. G. Kramer, der war Vizepräsident von Guatemala, den sich der Präsident General Romeo Lucas Garcia so als Aushängeschild für die damalige Carter-Politik der demokratischen Fassade gehalten hat. Der hat bei diesem Spiel anfänglich mitgemacht, wollte aber dann nicht mehr, wie er gesehen hat, daß alle seine Freunde umgelegt worden sind und er nur verschont blieb, weil er Vizepräsident war. Ich kam also zu ihm, er war völlig mit den Nerven fertig, er sagte, ich kann nirgends hin, das Haus ist umstellt von Polizisten und Soldaten. Er bestellte die Armee, die erschien ihm sicherer, aber die schicken ihm immer Polizisten, er hatte Angst um sein Leben. Er wolle weg. Er hat dann einen Staatsbesuch ausgenutzt, um in den USA um politisches Asyl anzusuchen.

Das wurde ihm gewährt?

Gabriel: Ja, und dort ist er jetzt. Mit einem Wort, breite demokratische Front ist in Guatemala jetzt nicht mehr drin. Jetzt geht’s darum, wer gewinnt den Krieg.

El Salvador: Köpfe rollen

Der Krieg ist ja am stärksten in Salvador. Was hast du dort erlebt?

Gabriel: Ich war 1981 mehrere Male dort, Jänner/Februar, Mai/Juni und im August. Durch die Jänner-Offensive, die im Ausland fälschlicherweise als Endoffensive dargestellt wurde, obwohl sie nur ein erster Versuch des Aufstands war, sind die Verbände, die im Vorjahr die großen Demonstrationen gemacht haben, zum aktiven Kampf übergegangen und mußten sich dann zurückziehen auf Gebiete um die Vulkane herum und im Hügelland. Sie haben sich dort eingelebt, sind in Verbindung mit der Zivilbevölkerung getreten.

Die nimmt mehr und mehr teil, muß sie auch, denn periodisch gibt es sogenannte »Invasiones«, Angriffe der Armee, wo die alles was sie da erwischen, sei es Zivilbevölkerung, alter Bauer, Kleinkind, niedermetzeln, sie verbrennen die Häuser, wie sie es von den amerikanischen Militärberatern aus Vietnam gelernt haben: die Strategie der verbrannten Erde.

Dabei weiß die Armee eigentlich nie, wann der Gegenschlag kommt. Es gibt Hinterhalte, Bombenexplosionen, unter Bäumen lauern versteckte Minen auf sie. Die Soldaten sind verschreckt, weil sie das Terrain nicht kennen. Sie werden von der Guerilla, die mit den Bauern zusammen kämpft, relativ bald zurückgedrängt. Normalerweise gehen gegen ein Gebiet von tausend Quadratkilometern 4-5000 Soldaten vor. Da wurlt es vor Uniformen, aber die Leute organisieren sich in relativer Ruhe und haben »Sicherheitsgebiete«, die schwer einzunehmen sind.

Gegen die Maisfelder wird vom Militär mit Brandbomben vorgegangen. Die Luftwaffe schießt unkontrolliert auf die Zivilbevölkerung. Anfang des Jahres 1981 haben solche Invasionen Tage gedauert, dann Wochen und Monate, immer mit dem Ziel, die Guerilla dort auszurotten. Das ist nicht gelungen.

Ein Drittel befreit

Wie groß ist das befreite Terrain?

Gabriel: Die FMLN sagt, es ist ein Drittel, die Washington Post sagt, es umfaßt ein Viertel des Staatsgebiets. Dort wohnt vielleicht eine Million Leute von sechs Millionen Salvadorianern.

Wie bist du da hingekommen?

Gabriel: Man kommt über den Flugplatz ins Land, trifft sich irgendwo mit jemandem, ich mußte zu einer bestimmten Zeit auf einer bestimmten Straße auf- und abgehen. Wenn da nichts los war, am nächsten Tag zur selben Zeit, und das durch eine Woche hindurch, bis ich dann endlich auf einen Kontakt stieß. Man wird eingeschleust über ein Niemandsland, Dörfer, wo noch die Spitzel der Armee wohnen und andererseits auch schon die Mitarbeiter der Organisation. Beide wissen voneinander, und für uns ist das Peinliche, daß wir da ja wieder hinausmüssen. Es kommt da öfter zu Zwischenfällen; einmal ist ein Journalist mit einem »Führer« eingereist, der mit falschem Paß unterwegs war, der wurde bei einer Polizeikontrolle um seinen Namen gefragt, und er wußte ihn nicht! Beide wurden abgeführt, der Journalist ist dann irgendwie freigekommen, aber der andere ist nie wieder aufgetaucht.

Bist du auch schon angehalten worden?

Gabriel: Ja, immer wieder. Aber in El Salvador kann man sich zum Unterschied von Guatemala als Journalist ausgeben. Allerdings, einen Venezolaner, den sie verdächtigt haben, mit den Guerillas zusammenzuarbeiten, haben sie verhaftet und mit Spritzen bearbeitet, er hat erzählt, Blut sei ihm aus den Augen, Ohren und aus der Nase geronnen, er hätte erbrochen, sechs, acht Stunden lang, und dann hätten sie ihn verhört. Er hat sich so schlecht gefühlt, daß er seinen eigenen Tod herbeisehnte. Am nächsten Tag hat dann die venezolanische Botschaft interveniert, es kam zu einem politischen Arrangement, und er wurde freigelassen.

Die Methoden gegen Salvadorianer sind aber noch um einiges drastischer?

Gabriel: In den befreiten Gebieten findet man nach dem Besuch der Militärs abgeschlagene Köpfe vor den Häusern, schwangeren Frauen wird das Kind aus dem Bauch geschnitten usw., alles um die Bevölkerung einzuschüchtern. Das erreicht natürlich das Gegenteil, die Leute werden noch kämpferischer.

Guerillaspontis

Gibt es in den befreiten Gebieten schon Ansätze einer neuen Gesellschaft?

Gabriel: Ja, es gibt dort Kampfzeiten und Friedenszeiten. In den Friedenszeiten versucht man, nicht nur die Verteidigung durch Graben von unterirdischen Tunnels zu verbessern, sondern auch einen politischen Konsolidierungsprozeß einzuleiten: Agrarreform, Alphabetisierungskampagne, gesundheitliches Vorbeugesystem — alles ohne Mittel.

Ich finde diese Gesellschaft im Sinne meines Verständnisses von Sozialismus weiter fortgeschritten als die von Nicaragua, weil sie eine Kollektivierung des Landes vorgenommen haben, aber nicht so, daß das Eigentum der einzelnen Bauern aufhört, sondern so, daß sie freiwillige kollektive Arbeitstage für die Allgemeinversorgung einlegen; im übrigen bestellen die Bauern ihre Parzellen selber. Die militärische Infrastruktur der Guerilla wird ernährt durch diese kollektive Landbestellung.

Es gibt in den befreiten Gebieten vier oder fünf verschiedene Organisationen, die jede ihre eigene Linie haben. Die FPL, die stärkste von diesen, rechnet damit, daß der ganze Krieg noch 20 Jahre dauern wird. Andere wieder sind so Guerillaspontis, die haben zu mir gesagt, willst du was filmen, wir stellen uns hier an die Straße, wir beschießen den nächsten Militärkonvoi, leg dich hier hinter den Stein ...

Wie ging das aus?

Gabriel: Es ist dann nicht dazu gekommen, der Kommandant hat es verboten. — Sie machen z.B. Alphabetisierung ohne Bleistift, sie ritzen die Buchstaben mit Holzsicheln in den Boden ein, oder mit der Machete ins Holz. Oder sie legen die Waffen so zusammen, daß sie Buchstaben ergeben.

Mit den gekrümmten Kalaschnikow-Magazinen können sie das »B« machen ...

Gabriel: Es war eigentlich überraschend für mich, daß sie dort keine sowjetischen Waffen haben, sondern belgische FAL-Gewehre, G-3 und MI6 aus den USA, alte Karabiner — ein Salat, der ihnen zu schaffen macht, weil sie verschiedene Munitionssorten brauchen.

ERP-Guerilleros in El Salvador:
sie basteln ihre Waffen selbst
Bild: Votava/Keystone

Heiner Geißler beim christlichen Diktator

Du warst ja auch bei der salvadorianischen Staatsspitze — wie war das?

Gabriel: Ich habe mich nach der Jänner-Offensive gefragt, wie ich am besten nach El Salvador komme. Da habe ich gehört, daß der Heiner Geißler, Generalsekretär der CDU, eine Zentralamerikareise unternimmt. Ich habe ihn in Managua getroffen und dann im Flugzeug nach Salvador interviewt. Er war übrigens in Begleitung von vier Journalisten, und ich hab mich da angehängt. Es war das einzige Mal, daß ich auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt nicht dieses gemischte Gefühl in der Magengrube gehabt hab, weil wir nämlich im kugelsicheren Wagen direkt zum Haus des »christdemokratischen« Präsidenten Duarte gefahren sind.

Duarte hat erzählt, wie gefährlich das ist, wenn man so kleine Terroristengruppen groß werden läßt. Geißler hat immer wieder darauf verwiesen, er kenne das auch aus Deutschland ...

Ja, die RAF könnte sich in Schleswig-Holstein mit den deutschen Bauern verbünden und befreite Gebiete schaffen!

Gabriel: Duarte machte einen recht befriedigten Eindruck, da war nämlich gerade die erste Offensive vorbei, und meinte, es brauche nicht viel, um mit der Guerilla fertig zu werden. Die Hauptschuld trüge die internationale Propaganda des Weltkommunismus, die auch die Bundesrepublik infiltriert hätte. Das hat auch der Heiner Geißler bestätigt und versprochen, er wird sein möglichstes tun, um dem entgegenzutreten.

Da hat er euch gemeint. Die deutsche Presse an die Front!

Zu wenig Waffen für den Bischof

Gabriel: Ja. Dann wurde gegessen. Die Präsidentengattin mußte übrigens mit den Leibwächtern auf einem Hintertisch speisen. Die Tür geht plötzlich auf und Monsignore Arturo Rivera y Damas tritt ein. Er ist der Nachfolger des am 23. März 1980 in seiner Kirche erschossenen Erzbischof Romero.

Weiß man schon, wer Romero erschossen hat?

Gabriel: Ja, es war einer der Leute von Oberst D’Aubuisson. Er ist der Protektor der Mörderbanden, einer der Vertrauensleute der paramilitärischen Organisation ORDEN, die eine Privatfehde mit der gegenwärtigen Militärclique führt, ein Machtkampf innerhalb der Junta. D’Aubuisson hat versucht, 1981 durch einen Putsch an die Macht zu kommen. Für die Junta war der Mord am Erzbischof unangenehm. D’Aubuisson ist aber schon zu mächtig, man kann ihn nicht mehr einsperren.

Was sagte der neue Oberhirte?

Gabriel: Es entwickelte sich ein Gespräch über die Unzulänglichkeit der amerikanischen Waffenlieferungen. Duarte hat gesagt, es seien nur sechs Hubschrauber geliefert worden, obwohl man sich geeinigt hätte, daß 20 kommen sollten. Das Oberhaupt der salvadorianischen Kirche hat sich darüber ebenso beschwert wie der christdemokratische Sekretär aus Deutschland. Mich hat die Stellungnahme des Erzbischofs überrascht. Öffentlich erläßt er Proteste gegen die Regierung ebenso wie gegen die Guerilla.

Was hast du auf der Regierungsseite sonst noch erlebt?

Gabriel: Am nächsten Tag sind wir nach Santa Anna gefahren, wo diese Kaserne ist, die während der Offensive von einem sozusagen dissidenten Bataillon des Heeres übernommen worden ist. Der Heiner Geißler steht vor dem Trümmerhaufen und einer der Colonels erklärt voll stolz, wie sie die Guerilla in die Flucht geschlagen haben, und er mit sachverständiger Miene: Na, das sieht man den Jungs ja an ...

Nächste Szene am Landgut von Morales Ehrlich, einem Juntamitglied. Heiner Geißler steht mitten in einem Meeting plötzlich auf und sagt, daß er sich eigentlich in derselben Front befindet wie die von der Nationalgarde mobilisierten Bauern, weil auch er in Deutschland einen Kampf gegen Kräfte zu führen hat, die nicht zugeben, Kommunisten zu sein, es aber in Wirklichkeit sind: die nennen sich Sozialdemokraten. Auch in El Salvador würde ja die Guerilla von der Sozialdemokratie unterstützt.

Nachdem er dies unter allgemeinem Beifall verkündet hat, kam es zu einem peinlichen Zwischenfall. Wie Geißler vom Podium herunterstieg, hat ihn so ein alter Bauer angefaßt und angefleht — er wollte sich niederknien —, er möge doch etwas tun, seine drei Söhne sind verschwunden. Heiner Geißler hat versucht, darüber hinwegzuschauen, und Morales Ehrlich hat gesagt, er wird den Fall unter die Lupe nehmen.

Vielleicht ist der alte Bauer dann auch verschwunden ...

Gabriel: Die letzte Szene war in einem Gebiet, wo man uns versichert hat, alles sei normal. Es war aber kein Mensch mehr dort. Nämlich, wenn die Armee anrückt, ziehen die Leute weg. Es war an einem See, und außer einem Restaurantbesitzer und seiner Belegschaft war niemand mehr da. Heiner Geißler hat sich dort beim Mittagessen von Mitgliedern des salvadorianischen Generalstabs erklären lassen, wie doch alles ruhig ist, wo die ausländische Presse doch immer schreibt, daß in El Salvador alles drunter und drüber geht. Ein feierlicher Augenblick: Heiner Geißler zieht aus der Tasche Konrad-Adenauer-Plaketten und übergibt sie den Militärs als Dank der deutschen Christdemokraten.

Er hat sich dann etwas gewundert über einen Artikel von mir im Stern und hat eine Klage eingereicht.

Was wurde da draus?

Gabriel: Er hat die Zitate bestritten, aber ich glaube, es ist weiter nichts herausgekommen.

Der starke Mann mit dem Tonband

Mit wem hast du noch gesprochen in El Salvador?

Gabriel: Mit dem Verteidigungsminister Guillermo Garcia, dem starken Mann der Junta. Das Militär ist an sich nicht journalistenunfreundlich, man kann mit ihm besser reden als seinerzeit mit der nicaraguanischen Nationalgarde Somozas. Sie sind auch ein »christliches Heer«, nicht so eine zusammengefangene Räuberbande wie damals in Nicaragua, jedenfalls die Offiziere haben gewisse Sachen eingelernt und respektieren auch Journalisten. Garcia hat versucht, zu überzeugen. Er nimmt alle Interviews auf Tonband mit auf ...

Wie Tony Benn!

Gabriel: Er hat gesagt, daß es ja nur eine Frage der Zeit ist, bis die alle ausgemerzt sind, daß es zwar noch einige Rückzugsgebiete der Guerilla gebe, daß sie das aber unter Kontrolle hätten. Für einen Militär ist er sehr intelligent.

Und was geschah wirklich mit den befreiten Gebieten?

Gabriel: Sie haben Positionen halten können, und wenn Angriffe der Armee erfolgten, ist die immer weniger weit vorgedrungen. Seit der Oktoberoffensive, wo man die Brücken und Kommunikationswege der Armee gesprengt hat, ist es gelungen, mehrere befreite Gebiete zusammenzuschließen.

Die Guerilla hat auch logistische Probleme. Sie versucht, dieses Manko durch eigene Produktion wettzumachen. In der Konstruktion von Bomben, Minen usw. sind sie Meister. Sie produzieren das im Wald.

Wie stark ist denn die Militärpräsenz der USA in El Salvador?

Gabriel: Es werden etwa 80 bis 100 Nordamerikaner sein. In der Zwischenzeit hat der Verteidigungsminister an den Militärpakt Tiar (Tractado Interamericano de Defenca), der der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) angeschlossen ist, einen Appell gerichtet, und da haben sich Argentinien und Chile bereit erklärt, Unterstützung zu schicken. In Honduras gibt es 200 US-Militärberater. Es kommt jetzt sehr häufig zu Treffen der drei Präsidenten von Salvador, Honduras und Guatemala. Wenn man in El Salvador ist, spürt man jetzt schon, daß es die Hauptstadt von Zentralamerika ist. Alle wissen, wer El Salvador gewinnt, hat Oberwasser.

Costa Rica: Land ohne Armee ...

Costa Rica, das einzige Land ohne Armee, versucht sich rauszuhalten. Wirtschaftlich ist es 1981 dort bergab gegangen. Die Inflation gegenüber dem Dollar war 400 Prozent. Die Kaffeepreise sinken, außerdem haben sie zu viel Aufwand getrieben, und jetzt geht’s bergab.

Warum haben sie keine Armee? Das klingt erfreulich, aber kurios.

Gabriel: Sie haben eine sogenannte Guardia Civil, die auch bewaffnet ist, zwischen fünf- und zehntausend Mann, bei etwas über zwei Millionen Einwohnern. Daß sie kein Heer haben, ist also eine relative Angelegenheit, es gibt dort die üblichen » Antiterrorgruppen« ...

... aber mit Horst Herold?

Die Oppositionspartei Liberacion Nacional, die Mitglied der sozialistischen Internationale ist, hat gute Beziehungen zu Deutschland. Durch den SPD-Manager Harry Walters bekommt sie Wahlkampfmittel, und nach einem Wahlsieg (Anmerkung: im Februar 1982 eingetreten), so habe ich erfahren, soll der Schöpfer und langjährige Leiter des Bundeskriminalamts, Horst Herold, nach Costa Rica kommen, um dort eine Terroristenfahndung aufzubauen, was dazu führt, daß sich die politischen Exilorganisationen der Salvadorianer mit der Absicht tragen, dort wegzuziehen, wenn das passiert.

Du gibst den Guerillas eine Chance, auch wenn es zum Interventionskrieg kommt?

Haig mit Bomben & Granaten

Gabriel: Ja. Obwohl man ja bei Haig nie weiß, wann er wirklich angreifen wird. Manchmal sagt er morgen, manchmal klingt es wie übermorgen. Ich habe ihn bei der Konferenz von Cancun erlebt. Er schaut aus wie sein eigener Leibwächter und versucht, die Provokationen der Journalisten zu übertreffen, indem er ihre kühnsten Befürchtungen ausspricht; da redet er dann nur mehr von Bomben und Granaten, er steigt nicht mehr runter davon und freut sich sehr. Deshalb gibt’s auch viele Stimmen in Zentralamerika, die sagen, es wird nicht so heiß gegessen werden wie Haig es kocht.

Ich glaube aber, die USA könnten in Zugzwang kommen. Irgendwann werden die zentralamerikanischen Armeen mobilisieren und zuschlagen, weil sie Angst haben vor dem Schicksal der somozistischen Nationalgarde, und dann werden die USA, auch wenn es noch nicht in ihr Konzept paßt, wenn sie noch bluffen wollen, sich gezwungen sehen, mitzutun.

Würden die USA auch mit eigenen Truppen einmarschieren?

Gabriel: Darüber wird jetzt bei den Befreiungsbewegungen diskutiert. Sie sind der Meinung, daß sie auch gegen die vereinigten Heere mit amerikanischer Unterstützung siegen würden. Wenn’s allerdings zu einer direkten Intervention käme, wäre das ein Vietnam ohne richtiges militärisches Ende, dort gab es ja auch keins.

Deshalb ist die gegenwärtige Hauptbemühung der Befreiungsbewegungen eine internationale Front des Solidarität. Man müßte die Amerikaner an den Verhandlungstisch zwingen.

Tendenzen sind konterrevolutionär! Sandinistenführung
(von links): Tomas Borge (Innenminister), Daniel Ortega (»Koordinator«), Humberto Ortega (Verteidigungsminister), Henry Ruiz (Planungsminister), Jaime Wheelock (Landwirtschaftsminister), Bayardo Arce (politische Kommission).
Bild: APIA

Nicaragua hat’s schwer

Wie siehst du die Lage im revolutionären Nicaragua? Es gibt ja jetzt die offene Opposition eines Flügels der nationalen Bourgeoisie.

Gabriel: Etwa zwei Drittel der Ökonomie sind in privaten Händen, weil man ja nur die Somoza-Vermögen enteignet hat. Seit dem Rücktritt Robelos haben die Unternehmer befürchtet, daß alles verstaatlicht wird, weshalb sie nichts mehr investiert haben. Die Sandinisten stehen voll und ganz zu der grundsätzlichen Allianz mit der Bourgeoisie.

Die Konflikte vergrößern sich mit der Verschlechterung der Wirtschaftslage.

Die Sandinisten haben den Bürgerlichen Wahlen für 1984 versprochen. Die einen glauben, wenn es zu einer Krise kommt, werden die Wahlen vorverlegt; die anderen meinen, denn werden die Sandinisten versuchen, sich an die sozialistischen Länder anzulehnen.

Aber das wäre auch keine Lösung. Heuer gab es zum Beispiel den Versuch, von Libyen Erdöl zu kriegen — die Hälfte des nicaraguanischen Exporterlöses geht in die Erdölrechnung hinein —, sie haben aber nichts bekommen. Die Sowjetunion hat einen Kredit über 50 Millionen Dollar versprochen.

Ich würde die Lösung unten suchen, nicht oben. Man sollte nicht enteignen, sondern Kooperativen ermutigen.

Also nicht Zentralplanung, sondern Arbeiterselbstverwaltung. Lernen vom polnischen Sommer!

Gabriel: Viele Mißstände lassen sich mittlerweile auf die Bürokratie zurückführen. Im Augenblick funktioniert die Produktion in den meisten staatlichen Betrieben weniger gut als in den Privatbetrieben.

Gibt’s Druck von außen auf Nicaragua durch militärische Infiltration?

Gabriel: Ja, das Land befindet sich in einem permanenten Notstand. Jeden Tag fast gibt es Zwischenfälle durch Exilsomozisten. Die sind nicht so stark, daß sie eine ernsthafte Gefahr darstellen. Sie fallen aus Honduras in ein nicaraguanisches Grenzdorf ein, legen sich mit der Grenzmiliz an; meist werden sie zurückgeschlagen. Mit diesen konterrevolutionären Organisationen habe ich auch gesprochen, sie wenden dieselbe Taktik an wie die Frente Sandinista seinerzeit.

Die Indianer scheren aus

Droht den Sandinisten noch anderes als die Rache der Somozisten?

Gabriel: Die Indios von der Atlantikküste, die Miskitos, welche mit acht Prozent der Bevölkerung die Hälfte des nicaraguanischen Territoriums bewohnen, sind auf Grund ihrer Spannungen zur sandinistischen Front auf die andere Seite übergegangen. Jetzt gibt es in Honduras Trainingslager für die Miskitos, wo sie von den Ex-Gardisten Somozas militärisch ausgebildet werden.

Der Führer der Miskitos, Steadman Fagott, hat den politischen Überblick verloren, er erinnert sich an die Zeit, wo er von den Sandinisten eingesperrt war, 41 Tage lang, und will von ihnen nix mehr wissen. Es gab da den »Plan ’81«, nach dem die Misurasata, die Koalition der Indianer mit den Sandinisten, ein Autonomiestatut vortragen wollte. Das wurde von der Zentralregierung in Managua als Separatismus bewertet, die haben die Leute reihenweise verhaftet.

Nach einem Zwischenfall in einer Kirche an der Atlantikküste, bei dem vier sandinistische Soldaten und vier Miskitos getötet wurden, hat sich die Krise verstärkt. Fagott ging nach seiner Freilassung in das benachbarte Miskitogebiet in Honduras, wo etwa 100.000 Miskitos wohnen (in Nicaragua leben 150.000 Miskitos).

Ich habe mit Fagott in Honduras gesprochen, er sucht Unterstützung gegen die Sandinisten. Sie erkennen die Grenze nicht an, im Augenblick wollten sie stärker gegen den kubanischen Einfluß kämpfen als gegen den der USA. Sie waren auch unter Somoza nie so stark unter Druck. Sie bauen Mais und Bohnen an und kennen keinen Privatbesitz.

Haben die Sandinisten Angst vor einer Segregation?

Gabriel: Ja. Sie haben das Minderheitenproblem unterschätzt. Zuerst waren es vielleicht nur Verständnisschwierigkeiten, und dann hat es sich polarisiert, keine Seite hat mehr nachgegeben. Die Sandinisten sehen in Fagott einen Konterrevolutionär; er selbst versteht sich als Revolutionär, aber nicht als Kommunist, sondern als Vorkämpfer der Autonomie.

Ich habe z. B. mit den Misurasata-Führern gesprochen, die waren sehr angetan vom jugoslawischen Modell. Auch von Polen. Sie wollten die staatlichen Stellen des Landwirtschaftministeriums besetzen, um sie aufzulösen.

Proporz auf nicaraguanisch

Gab es nicht auch eine linke Opposition in Nicaragua?

Gabriel: Unmittelbar nach der Machtübernahme in Nicaragua gab es zwei, drei Monate das Problem mit den Trotzkisten, die Brigade Simon Bolivar an der Atlantikküste. (Anmerkung: Da es sich um Ausländer handelte, wurden sie abgeschoben.)

In der Arbeiterschaft gab es eine Organisation ursprünglich maoistisch-albanischer Tendenz, die nicht ins sandinistische Bündnis aufgenommen wurde, die aber den bewaffneten Kampf mitgemacht hat, die Frente Obrero, die Arbeiterfront. Ihre Tageszeitung hatte den Titel Pueblo, Volk. Sie sind im Februar 1980 eingesperrt worden, dann hat man sie wieder freigelassen.

Im gleichen Aufwaschen wurde eine der kommunistischen Parteien, die Partido Comunista, verfolgt, weil sie Streiks unterstützt hat. Jetzt kurz vor Jahresende ist das wieder passiert, wobei diesmal die Gewerkschaft aktiver war. Einige ZK-Mitglieder wurden zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Am selben Tag hat man auch die Unternehmerführer verhaftet. Der Führer der Unternehmer, Enrique Dreyfus, hat mir erzählt, wie überrascht er war, als er eines Tages in der Zelle aufgewacht ist und neben ihm lag der Generalsekretär der KP, Altamirano. Die kommunistische Gewerkschaft ist inzwischen ziemlich stark »desartikuliert« worden, wie’s dort so schön heißt, sie hat jetzt neue Führer, die mit den Sandinisten ein Herz und eine Seele sind.

Es wird also sowohl gegen die bürgerliche Opposition vorgegangen wie auch gegen die linke?

Gabriel: Ja, das ist der nicaraguanische Proporz ...

Apia: Linke Presseagentur auf schwankendem Boden

Du hast in Managua eine eigene Presseagentur mitbegründet. Kannst du ihre Ziele schildern?

Gabriel: Ja, sie heißt APIA, hat ihren Sitz in Managua und Mexiko und besteht aus freiberuflich tätigen Auslandsjournalisten — Lateinamerikaner, Europäer, eine Kanadierin, einer aus den USA. Wir bilden eine Kooperative, die mit geringen Mitteln versucht, an ein Maximum von Medien heranzukommen. Wir wollen möglichst viel publizieren, auch wenn es nicht immer bezahlt wird.

Wie viele Leute könnt ihr da erreichen?

Gabriel: Wir arbeiten z.B. für ein mexikanisches Radio, das hat eine Zuhörerschaft von 10 bis 15 Millionen. Daneben noch für das honduranische Radio, das nicaraguanisch »Radio Sandino«, auch in Kanada und Österreich werden unsere Berichte gesendet. Wir liefern auch an Nachrichtenagenturen.

Dadurch haben wir z.B. die Möglichkeit, die Situation in Nicaragua mitzuzeichnen, als Gegengewicht zu den eurozentristischen Nachrichtenkonzernen. Wir liefern nicht einfach einen propagandistischen Abklatsch der Politik der Frente Sandinista, sondern sind so Alternativlinge. Deswegen nennen wir das ganze auch Agencia Periodistica de Informacion Alternativa, APIA.

Jetzt sind wir dabei, in Europa ein Netz zu schaffen mit den Alternativmedien, die in der letzten Zeit sehr gewachsen sind: die Berliner tageszeitung (Auflage 40.000), in Italien die Lotta continua (Auflage 50.000), die wieder erscheint, teilweise auch für die Pariser Libération, die Wochenzeitung in der Schweiz ... die kriegen unsere Berichte mit dem Fernschreiber (Telex). Wir wollen jetzt sogar eine eigene offene Telexleitung bekommen und hoffen sehr auf Unterstützung durch hiesige Stellen.

Welche Rolle spielt ihr im innernicaraguanischen Spektrum? Wie kommt ihr mit dem Regime aus?

Gabriel: Wir dürfen was sagen, wenn wir’s nicht zu laut sagen. Wir haben zum Beispiel sehr viel publiziert über den Konflikt an der Atlantikküste, aber mehr unter Analyse des honduranischen Aspekts. Wir haben versucht, die Linie einer möglichen Wiederversöhnung anzupeilen und haben auch konkrete Vermittlungsvorschläge gemacht. Aus solchen Gründen unterstützen uns einige der Kommandanten oben.

Dann aber auch wieder nicht. Wie wir einmal in Le Monde diplomatique von »Tendenzen« in Nicaragua gesprochen haben, hat Tomas Borge erklärt, es gebe nur zwei Arten von Journalisten: die revolutionären und die konterrevolutionären; die über »Tendenzen« sprechen, sind eindeutig konterrevolutionär. Das geht so hin und her.

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