Streifzüge, Heft 41
Oktober
2007
2000 Zeichen abwärts

Schrei nach Kapitulation

Tag ein, Tag aus dasselbe Theater: ständig reüssieren, sich präsentieren müssen; und doch permanent dem Untergang geweiht sein: Das Leben als bürgerliches Konkurrenz-Subjekt ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Die Warengesellschaft sorgt dafür. Doch was dagegen tun?

Musik-Hören könnte hilfreich sein. In ihrem neuen Album empfiehlt die Hamburger Diskursrock-Band „Tocotronic“ nämlich Folgendes: „Und wenn du kurz davor bist / Kurz vor dem Fall / Und wenn du denkst / Fuck it all / Und wenn du nicht weißt / Wie soll es weitergehen / KAPITULATION“. Moment einmal: ausgerechnet Kapitulieren soll die Lösung sein? Das leuchtet nicht gerade ein! Doch der Schein trügt. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich der Begriff als äußerst deutungsreich. Zwar ist er normalerweise überwiegend negativ besetzt, denn Aufgeben tun bekanntlich ja nur Loser, doch (oder gerade deswegen! ) lässt er sich auch gesellschaftskritisch umdeuten. Kapitulation, wie „Tocotronic“ argumentieren, kann als Bruch mit dem Status quo sehr befreiend sein, sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Unter Umständen wird damit – wie bspw. ein Blick auf die Vergangenheit offenbart – sogar etwas Furchtbarem ein Ende gesetzt.

„Im Anfang ist der Schrei“, so benennt John Holloway den Dissens als Ausgangspunkt von Verweigerung und Reflexion. Kapitulation als Nicht-mehr-weiter-Machen meint im Grunde das Gleiche, ist jedoch eine viel fragilere Position. Da ihr von vornherein die Machtfrage entrückt ist, eröffnet sich, indem sie ihre eigene Schwäche mitdenkt, ein anderer, tendenziell subtilerer Blickwinkel auf die Welt. Das ist zugleich ihre wesentliche Stärke. Aus Kapitulieren wird Rekapitulieren, sich der prekären Lage bewusst zu werden. Damit wäre der erste wichtige Schritt getan. Anschließend kommt es „nur“ noch darauf an, welche Schlüsse daraus gezogen werden, denn die bloße Verweigerung alleine stellt noch keine emanzipatorische Perspektive her.

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