Heft 4-5/2003
August
2003

Selber schuld!

Über den Umgang mit einem sexistischen, lesbenfeindlichen Übergriff am ASF

Es gab einen lesben­feindlichen sexisti­schen Übergriff am ASF (Austrian Social Forum), das von 31.5. bis 1.6.2003 in Hailein auf der Perner Insel stattfand. Was gerade in diesem Rahmen politisch problematisch ist, ist dennoch passiert.

Wir als Wendo-Gruppe greifen nun Aspekte auf, die uns klassisch im Um­gang mit sexistischen Über­griffen erscheinen und über diesen einzelnen Fall hinaus­gehen. Wir wollen dazu Stel­lung beziehen und aufzeigen, was uns daran und an der Rezeption bemerkenswert er­scheint sowie schließlich For­derungen für ein nächstes ASF formulieren.

Definitionsmacht liegt bei der Frau

Von verschiedenen Seiten wurde der Vorfall in Frage gestellt, mit dem Prädikat „angeblich vorgefallen“ ver­sehen und so diskutiert. Dass die Benennung als se­xistisch und/oder lesben­feindlich der Frau obliegt, ist ein immer wiederkehren­des von Feministinnen ein­gefordertes Thema.

Unterdrückungsverhältnisse, wie auch sexuelle Unter­drückungsverhältnisse, er­fordern eine Kontextualisierung und eine Einbeziehung gesellschaftlicher Machtkonstellationen. Jede patriarchal strukturierte Gesellschaft setzt Frauen und Männer in spezifischer Weise miteinan­der in Beziehung, legt dem Mann den Subjekt- der Frau den Objektstatus nahe. Die vielfache Objektivierung von Frauen in Gewaltverhältnis­sen erschwert auch das gene­relle Setzen von Grenzen und das Benennen von sexisti­schen Übergriffen. Die herr­schende Norm ist die Identi­fikation mit dem Blick des Täters, die Grenzziehung der betroffenen Frau dadurch nicht einfach. Wie in Selbst­verteidigungsgruppen viel­fach diskutiert und erkannt wurde, reagieren Frauen in Übergriffsituationen mit fol­genden Strategien: nicht wahrnehmen, relativieren, verharmlosen, negieren, sich selbst die Schuld zuweisen, etc. Der Prozess der Gegen­steuerung — Wahrnehmen und Benennen — ist ein langwieriger und niemals abge­schlossener. Die Auseinan­dersetzungen in der zweiten Frauenbewegung haben zur Einsicht geführt, dass die Entscheidung über die eige­nen Grenzen und deren Überschreitung von den Frauen selbst getroffen wer­den soll — die Definitions­macht von sexuellen Über­griffen liegt demgemäß bei den Betroffenen. Das bedeu­tet auch, dass es keine objek­tiven Maßstäbe im Sinne des bürgerlichen Rechts gibt, wenn über konkrete Fälle von sexistischen Übergriffen gesprochen wird. Forderungen nach einer objektiven Messlatte sind in einem spe­zifischen Herrschaftskontext zu lesen und das Ergebnis solcher Forderungen kann daher nur als Scheinobjekti­vität bezeichnet werden. Auch in gemischtgeschlecht­lichen politischen Kontexten haben Frauen ihre Defini­tionsmacht vielfach eingefor­dert; dass dies immer noch nicht Konsens ist, zeigte ein weiteres Mal der Übergriff am ASF.

Lesbenfeindlichkeit

Im konkreten Fall hat der se­xistische Übergriff auch noch eine weitere Komponente. Da es sich um ein lesbisches Paar handelte, ist der Über­griff also auch als eine Rückeroberung von abhanden ge­kommen Sexualobjekten zu deuten — eine weitere Va­riante der Objektivierung von Frauen. Das lesbische Be­gehren von Frauen wird nicht ernst genommen, igno­riert oder normativ als he­terosexuell interpretiert. Der Mann bleibt Subjekt des Be­gehrens und kann sich als ge­nießender Rezipient einer Perfomance à la Hetero-Soft­pornos angesprochen fühlen.

Was bisher geschah

Dieser Vorfall wurde von den beiden betroffenen Frauen unmittelbar danach am ASF öffentlich gemacht. Folgendes passierte: Die Volxtheaterkarawane, in de­ren Projekt A.nanas S.ozial Fabrik der Täter involviert war, wurde informiert und thematisierte dies im näch­sten Plenum. Im Tagebuch der Karawanen-Homepage wird vermerkt, „der Verlauf der Diskussionen, die u. a. durch eine Äußerung einer an der A.nanas S.ozial Fab­rik beteiligten Person zwei Frauen gegenüber ausgelöst wurde, veranlasste mindes­tens eine Person aus dem Umfeld der A.nanas S.ozial Fabrik selbiges zu verlassen“ — was auch immer das be­deuten soll. Des weiteren fanden viele informelle Er­zählungen auf dem ASF statt, der Vorfall wurde am gleichen Abend ins Frauenplenum getragen, das dann beschloss, auf dem Abschlussplenum des ASF For­derungen zu formulieren. Dort wurde der Übergriff diskutiert, ohne die Namen der beteiligten Personen zu nennen und auch ohne konkreten Output. Zurück in Wien wurde auf dem Ple­num der Plattform für eine Welt ohne Rassismus der Tä­ter mit dem Vorfall konfron­tiert. Welche Auswirkungen die Debatte hatte, ist nicht bekannt. Wochen später kocht die Gerüchteküche noch immer, der Vorfall wird mittlerweile auch so tradiert: es gab am ASF einen sexistischen Vorfall, die betroffene Frau hatte „extrem wenig an“. Skurrilerweise erfährt dies genau eine der beteilig­ten Frauen. Auch an diesem Gerücht lässt sich die patri­archale Logik „sie ist doch selbst schuld“ als Opfer-Tä­ter-Umkehr ausmachen. Als eine Auswirkung der Debat­ten gibt es die Einladung zu einem Seminar ohne Fixter­min mit dem kryptischen Ti­tel „Die enthemmte Gesell­schaft im Schatten des Sexis­mus- und Rassismusdiskur­ses“, die sich vor allem an ausgesuchte Antirassismus­aktivistInnen richtet. Gleich im ersten Satz dieser Aussen­dung wird die Existenz eines sexistischen und lesbenfeind­lichen Übergriffs am ASF mit der Formulierung „angeb­lich“ in Frage gestellt. Im Ge­samten ist dies ein kümmer­licher Output.

Rassismus-Sexismus-Debatte

Nun stellt sich die Frage, wie­so Rassismus in der Einla­dung zu diesem Seminar vorkommt, und mit dem sexisti­schen und lesbenfeindlichen Vorfall in Verbindung gebracht wird. Ist dies darauf zurückzuführen, dass der Tä­ter dunkler Hautfarbe ist? Oder ist dies darauf zurück­zuführen, dass die Betroffe­nen weiße Mehrheitsösterreicherinnen sind? Wie intera­gieren Rassismus und Sexis­mus? Diese Fragen sprechen komplexe Sachverhalte an, die an dieser Stelle nur ange­rissen bleiben können. Was wir jedoch ansprechen wol­len, sind die Erfahrungen die die zwei betroffenen Frauen machten, als sie in verschie­denen Kontexten von dem Vorfall erzählten. Deutlich wurde hierbei, dass rassisti­sche Stereotype und Phantasien auftauchen bei der Er­zählung „schwarzer Mann und weiße Frau“. Die Typologisierung „sexistischer schwarzer Männer“ sowie der jeweils eigene Rassismus muss in diesem Zusammenhang immer mitbedacht werden, es gilt ganz einfach sensibel mit dem Thema umzugehen. Mit der Erwähnung dieses Sachverhaltes geht es uns darum aufzuzeigen, dass nur über die konkrete Benennung ein differenzierter Umgang mög­lich werden kann.

Worum es uns geht

Was wir mit diesem Text nicht wollen ist, dass eine ein­zelne Person zum Paradesexisten abgestempelt wird: Es geht nicht um das Abwäl­zen des Themas auf einen Mann, weil damit ein struktu­relles Problem individualisiert werden würde. Weiters greift eine ausschließliche Beurtei­lung der konkreten Situation in Hinblick auf Sexismus und Lesbenfeindlichkeit zu kurz und tappt wiederum in die besagte Objektivitätsfalle. Vielmehr geht es um eine ge­nerelle Diskussion, wie in der Linken und in antirassisti­schen Kontexten mit den Themen umgegangen wird bzw. um eine persönliche Sensibilisierung für die Materie.

Unsere Forderungen

Gegenüber einem nächsten in Österreich stattfindenden Social Forum verlangen wir, dass bereits im Vorfeld Über­legungen angestellt werden, wie Sexismus in diesem Kon­text zu begegnen ist; dass entsprechende Strukturen mit Entscheidungskompetenzen geschaffen werden, wie auch dass Workshops für Männer, die sich speziell mit Männergewalt beschäftigen, stattfinden. Kurz gesagt, es geht darum, zukünftige Struk­turen zu entwickeln, aber auch im Sinne einer Nachbereitung und Reflexion Po­sition zu beziehen. Es geht nicht, dass das ASF als offi­zielles Forum zum vorgefal­lenen Übergriff keine Stel­lungnahme abgibt!

Weiters fordern wir von folgenden Kontexten, in de­nen sich der Mann, der den Übergriff begangen hat, be­wegt, Stellungnahmen zu dem am ASF erfolgten Vorfall: ANAR, Die Bunten, Volx­theaterkarawane, Plattform für eine Welt ohne Rassismus, Bunte Demokratie für Alle.

Das Einfordern dieser Stellungnahme sehen wir als eine Notwendigkeit, um eine breitere Diskussion über Sexismus in linkspoli­tischen Kontexten zu ini­tiieren und eine Grundlage zu schaffen, auf der eine weitere Auseinandersetzung erst folgen kann!

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