Short Cuts
Änneke Winckel: Antiziganismus
Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland. Unrast-Verlag, Münster 2002, 200 Seiten, EUR 14,—
Ausgehend von der Analyse überregionaler Wochen- und Tageszeitungen gibt Winckel einen Überblick über Verbreitung und Ausdrucksformen des Antiziganismus im neuen, an alte Traditionen anknüpfenden Deutschland, das bereits zum Mauerfall protestierende Roma von einer KZ-Gedenkstätte prügeln ließ. Sie untersucht die Ressentiments gegenüber Sinti und Roma bei staatlichen Stellen, in der Bevölkerung sowie in den Medien und kommt auf Grund ihrer Analysen, bei denen man auch einiges über die Ausfälle grüner Funktionäre und über den deutsch-nationalen Attac-Helden Oskar Lafontaine erfährt, zu dem Schluß: „Das antiziganistische Denken und Handeln beträchtlicher Teile der deutschen Mehrheitsbevölkerung wurde seit 1989 konsequent von staatlicher Seite unterstützt und legitimiert.“
Winckel verweist auf den antikommunistischen Entstehungszusammenhang des deutschen Asylrechts und gibt einen Einblick in die personellen und strukturellen Kontinuitäten bei der Verfolgung von Sinti und Roma im postfaschistischen Deutschland. Sie betont, daß der Antiziganismus genauso wie der Antisemitismus mit dem Rassismusbegriff nicht ausreichend erfaßt werden kann. Winckel deutet auf die Momente autoritärer Rebellion und projektiver Identifikation im Antiziganismus hin und arbeitet Gemeinsamkeiten zwischen Antisemitismus und Antiziganismus heraus, ohne die zentrale Differenz einzuebnen: „Der Antiziganismus halluziniert den ‚Zigeunern‘ keine derart unfassbare, allumfassende Macht wie der Antisemitismus den Jüdinnen und Juden.“ Es finden sich einige Ausführungen über den Zusammenhang von der Konstruktion bürgerlicher Subjektivität und des Antiziganismus in der Moderne. Die sind jedoch so knapp ausgefallen, daß sie es kaum vermögen, ideologiekritisch die spezifische Funktion des Antiziganismus als eine Art Mischform aus Elementen des Antisemitismus und des Rassismus im bürgerlichen Bewußtsein mit seiner Abgrenzung gegen „Überwertige“ und „Unterwertige“ adäquat darzustellen.
Jürgen Elsässer: Der deutsche Sonderweg
Historische Last und politische Herausforderung. Hugendubel-Verlag, Kreuzlingen — München 2003, 264 Seiten, EUR 19,95
Elsässer war seit Beginn der 90er Jahre einer der wichtigsten Kritiker des wiedervereinigten Deutschland und auch in seinem neuen Buch finden sich dort, wo er ältere Arbeiten zusammenfaßt, brauchbare Ausführungen zur Vorgeschichte des Nationalsozialismus, zur postnazistischen Außenpolitik der BRD, zur Wiedervereinigung und zum Jugoslawienkrieg. Spätestens seit dem 11. September hat sich Elsässer allerdings mit einer fast kindisch anmutenden Realitätsverweigerung daran gemacht, Antisemitismus zu leugnen oder schönzureden, um wieder ganz traditionell in Antiimperialismus, ML-Antifaschismus und Arbeiterbewegung der Marke IG Metall machen zu können.
Der Unterschied zu früheren Texten wird an einem einfachen Beispiel deutlich. Im vorliegenden Buch schreibt er, die Versuche der BRD, aus dem Schatten der NS-Vergangenheit herauszutreten und diese für aktuelle Zwecke zu instrumentalisieren sei ohne die Hilfe der USA nicht möglich gewesen. Der Hinweis aber, daß sich das amerikanische Nachgeben gegenüber derartigen Ambitionen wie etwa beim gemeinsamen Besuch von Reagan und Kohl auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg auch aus der Sorge begründete, ein anderes Verhalten würde den Antisemitismus in Deutschland eventuell noch stärker fördern, findet sich nur in älteren Texten des Autors.
Die Distanzierung von der antideutschen Kritik geht bei Elsässer, der in besseren Tagen mit dem Slogan „Bomber Harris, don’t miss the right time“ in Verbindung gebracht wurde, inzwischen soweit, daß die Bombardierung der volksgemeinschaftlichen Festung Dresden nur mehr als „Massenmord an Zivilisten“ bezeichnet wird. Vom Antisemitismus ist bei ihm nur noch die Rede, wenn es um Luther oder Hitler, also um Vergangenes geht. Bei der Beschreibung der gegenwärtigen Situation findet er über weite Strecken keine Erwähnung. Und wenn doch, dann so: „Eine Zunahme des Antisemitismus war nicht festzustellen.“ Wenn einen etwas nicht mehr interessiert, bekommt man es offenbar auch nicht mehr mit. Und wenn es erst einmal soweit ist, vergißt man offenkundig selbst noch die grundlegenden Einsichten antideutscher Kritik. Elsässer hält die deutsche Ablehnung der britischamerikanischen Militärintervention im Irak keineswegs für etwas Besonderes.
Schließlich würden die meisten Staaten dieser Welt den Krieg ablehnen. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, daß ein regierungsamtlicher Pazifismus in einem Nachfolgestaat des Dritten Reiches in einer anderen Konstellation stattfindet als in anderen Ländern.
Auch wenn man es angesichts des Untertitels des Buches, der sich des Jargons halbamtlicher Politikberatung bedient, nicht erwarten kann, ist Elsässer im Gegensatz zum Großteil der von ihm so hofierten Friedensbewegung bewußt, daß es sich bei der neuen Achse Berlin-Paris-Moskau um keine pazifistische Gesinnungsgemeinschaft handelt. Dennoch hält er den „Bruch mit Amerika“ für „das Gebot der Stunde“, damit seine abenteuerlichen Spekulationen über ein „eurasisches Friedensnetz“ zumindest „eine Chance auf Gehör“ bekommen. Das wird den Israel- und USA-Hassern in der Antiglobalisierungs- und Friedensbewegung ebenso gefallen wie Elsässers neuen Arbeitgebern in der „jungen welt“, deren Berichterstattung er noch vor fünf Jahren als Beleg für den antikommunistischen und antisemitischen Charakter der Mehrheit der Linken angeführt hat.