Streifzüge, Heft 31
Juni
2004

Sie schlafen nicht im Zombie-Zirkus

Ein bemerkenswertes Buch von Kathrin Röggla über die ProtagonistInnen der New Econony

Bücher, die in den Bestsellerlisten rangieren, gehören in der Mehrzahl nicht zu denen, die mein besonderes Interesse wecken. Eine Ausnahme sei hier vorgestellt.

der senior associate: müsse er zugeben: ein wenig geistesgestört seien die arbeitszeiten schon, das sei ihm klar, wenn einem die arbeit nicht über alles gehe, dann könne man das auch nicht machen. das verstünde sich von selbst. man mache ja locker 14 stunden, wenn nicht gar 16 oder mehr. und das sei natürlich ein riesenunterschied. gerade diese zwei stunden mehr, die einem von der freien Zeit noch abgeknappst würden, die könnten sie einem irgendwann nicht mehr bezahlen. diese letzte stunde freizeit, die sie einem wegnähmen, die sei einfach die teuerste. müsse er zugeben: die wenigsten könnten so was auf dauer durchhalten. (…)

anfangs sei er da ja mehr rangegangen mit der haltung – ,sozusagen‘: das sei ja nicht er, der den job mache. er spiele vielmehr eine rolle, er spiele vielmehr mit und schaue sich das sozusagen an. oder eine art experiment, das er mit sich durchführe, unter dem motto: mal sehen, wie sich diese welt so anfühlt. das sei eine haltung, die man so nicht durchziehen könne. er würde sagen, nicht länger als zwei wochen durchhalten könne, weil das eben ein job sei, der einen 100 % fordere. man könne nicht 16 stunden am tag arbeiten und dem team gegenüber eine emotionale schranke haben, das ginge nicht. zumindest bei ihm nicht. möglicherweise könnten das andere, aber er sei nicht der typ, der 24 stunden eine rolle spiele, nein, das sei er nicht.

Dieser Duktus, dieser Jargon, diese Kunstsprache ist der Ton dieses Buches. Dramaturgisch geschickt in indirekte Rede gesetzt, in dritter Person über sich selbst sprechend, häufige Wiederholungen, viel Konjunktiv, außerdem konsequente Kleinschreibung. Kathrin Röggla hat für ihren neuen Roman „wir schlafen nicht“ an die dreißig mehrstündige Gespräche mit VertreterInnen der New Economy geführt, mit Unternehmensberatern, Online-Redakteurinnen, Consultants, Key Account Managerinnen, Coaches, Programmierern und Praktikantinnen. Verarbeitet hat sie all das Recherierte zu einem Buch, das die Aufmerksamkeit, die es erregt, verdient; zu einem Buch, das Rögglas sprachliches Potenzial, welches ihr in der Vergangenheit auch jene bescheinigt haben, die – so wie ich – mit ihren bisherigen Büchern nicht viel anfangen konnten, voll zur Geltung bringt. Die 1971 geborene Salzburgerin, die seit über zehn Jahren in Berlin lebt, debütierte im Jahr 1995 mit „Niemand lacht rückwärts“. Es folgten „Abrauschen“, „Irres Wetter“ und „really ground zero“. Sie bekam unter anderem den Sacher-Masoch-Preis und den Italo-Svevo-Preis.

In „wir schlafen nicht“ gibt es keine Handlung im herkömmlichen Sinn, es wird nur geredet, quasi ein Orginaltonhörspiel zum Lesen. Die sechs ProtagonistInnen – die Charaktere, auf die Röggla ihr „Forschungsmaterial“ gekonnt verdichtet hat – erzählen einer imaginären Interviewerin, die nie direkt in Erscheinung tritt, in 33 Kapiteln unter anderem über life-style, den mckinsey-king, harte bwl, privatleben, schmerzvermeidung, wir schlafen nicht, koma, gespenster, schock, gedächtnis, runterkommen und exit-szenarien: die key account managerin, 37; die praktikantin, 24; die online-redakteurin, 42; der it-supporter, 34; der senior associate, 32; und der partner, 48.

Der Ort des (Reflexions-)Geschehens ist auf einer Messe angesiedelt und in der Branche der Unternehmensberater. Die Messe, ein Ort der verschärften Bedingungen. Röggla erklärt gegenüber Irene Binal von Ö1, die Messe sei ein Ort, wo drei Dinge gleichzeitig geschehen. Es wird normal gearbeitet, es werden Verträge geschlossen und Vereinbarungen getroffen. Es geht aber auch um Selbstdarstellung, man verkauft sich selbst über die Stände, über die Rhetoriken. Und das Ganze findet überdies auf einer medialen Ebene statt.

Messen waren es auch oftmals, auf denen Röggla ihre InterviewpartnerInnen aufstöberte. Messen, auf denen „es mit der kulinarischen versorgung überhaupt nicht klappt“. „unglaublich, da steht ein freßstand an dem anderen, und keiner hat was vernünftiges!“

Killerschlaf am Bürotisch

Der Schlafentzug taucht im Buch immer wieder auf: „nee, schlafen sei nicht schick, ,das komme nicht so gut‘. wer schlafe, sei auch schlecht beraten, so als berater.“

Unbedarften fällt unweigerlich die Frage ein: Gehört Schlafentzug nicht zum Repertoire moderner Foltermethode?

der it-supporter und die key account managerin:

noch einmal sage er: man könne nicht vorschlafen, das sei seine meinung. also, wenn man ihn fragen würde, dann müsse er sagen, praktisch ein ding der unmöglichkeit. der körper speichere schlaf nicht, er speichere alles mögliche, aber schlaf das schafft er nicht. man müsse sich eben nach anderen möglichkeiten umsehen –
– vielleicht ein nickerchen zwischendurch?
– oder der minutenschlaf!
– am bürotisch!
– oder schlafen in geparkten autos, auch schon gemacht: in tiefgaragen, in parkhäusern.

manche sagen ja, sie schliefen im stehen, doch das hat er noch nie gesehen –
– also sie hat sich angewöhnt, sich beim fliegen ein stunde killerschlaf zu holen. und wenn die tage superheftig waren, hat sie sich manchmal in irgendein Büro zurückgezogen und kurz zehn, fünfzehn minuten die augen zugemacht.
– jeder kennt das doch. man sagt dann: ich geh mal frische luft schnappen. in wirklichkeit geht man nur drei räume weiter, setzt sich auf einen leeren bürostuhl und knackt dann einfach mal zehn minuten weg.
– klar, wir sind alle nur menschen!
– aber sag das mal jemandem auf den kopf zu! (… )

er könne es nur wiederholen: nein, man könne nicht vorschlafen, das ginge nicht. auch wenn sie es nicht wahrhaben wolle, das funktioniere einfach nicht. genetischer defekt von anfang an sozusagen – keine ahnung! aber man müsse sich mal vorstellen, was da los wäre, wenn man es könnte, wenn man das entwickeln könnte, die fähigkeit schlaf zu speichern. da wären die meisten nicht mehr zu halten. ganze kindheiten würden da investiert, nur um genügend schlaf für später zusammenzukratzen. oder wenn man schlaf übertragen könnte: so von einem menschen zum anderen, das wäre es doch, ganze schlafbanken würden da angelegt –
– so ein umgekehrtes koks!
– aber eigentlich ist er sich sicher, daß man das entwickeln wird –
– sie ist sich sicher, daß sie schon in irgendwelchen labors daran arbeiten.

Immer mehr in Mode – zahlen, um arbeiten zu dürfen!

Das New Economy High Life ist zwar kläglich abgesoffen, aber die masochistische „Lust“ an der Ausbeutung ist weitgehend geblieben. Mit dem vielzitierten Spaß bei der Arbeit ist es allerdings nicht so weit her. Insbesonders für Junge, die versuchen, einen Job zu ergattern sieht es mehr als gruselig aus. Die Praktikantin hat noch „keine firmenvergangenheit zur hand“ und auch „keine steuerberater-, keine wirtschaftsprüfer- und unternehmensberatereltern. oder gar zahnarzteltern. kleinbürgerseltern, das ja, das könne man schon sagen, also praktisch nicht existierende, zumindest, was ihre berufliche existenz betreffe.“ Keiner will ihr glauben, dass es heute ohne Eltern nicht geht, genausowenig, wie ihr jemand glaube, das sie keine Krankenversicherung habe. „das würde sie selbst ja nicht einmal glauben, daß sie derart unterversichert“ sei. Heute müsse man sich einen Arbeitsplatz schon kaufen! Ja, es greife immer mehr um sich: „ja, zahlen, dass man arbeiten darf“. „das komme nicht aus japan, wie anzunehmen sei, sondern von überall her, wo man heute einen arbeitsmarkt vermuten könne. (…) das würde sich sozusagen global erwärmen, denn das gehe durch alle kontinente, zumindest, was attraktive arbeitsplätze betreffe –, ist ja auch logisch!‚ könne man nur sagen, denn das liege doch auf der hand, daß auch ein attraktiver arbeitsplatz einen marktwert habe, und an den meistbietenden verkauft werden könne. das sei eine logik, die im prinzip eingängig sei, nur von manchen nicht verstanden würde.“

nein sie wisse nicht, zu was sie bereit wäre, um einen job zu kriegen, das wisse sie nicht, sie vermute mal zu einigem.

Aber schließlich ist das alles nicht mehr auszuhalten, sie will raus aus „diesem ewigen assessment-rausch, diesem testmodus, in dem alle gefangen seien. sie habe keine lust auf diese scheinsituationen, diese bewerbungsspielchen.“ Fähigkeiten seien ja gar nicht gefragt, „es geht um ein commitment für das system (SIC!!!, M. W.), das man nicht so einfach erwerben kann, das sitzt tiefer in einem drin.“ Entweder müsse sie nun wieder zurück auf Start, wieder in den Ausbildungsmarkt, aber wie solle sie das finanzieren, oder sie jobbe einfach mal so, als Putzfrau oder im Supermarkt.

Ein beklemmender Abglanz dessen, was jungen Menschen in Zukunft noch viel häufiger und noch viel massiver widerfahren wird?

Nur Sprachkunst oder auch Kritik?

Kathrin Röggla hat in ihrem neuen Buch die Form perfekt mit dem Inhalt zur Deckung gebracht: eine beeindruckende sprachliche Leistung dieser entpersonalisierte, oft hysterische BWL-Sprech, dieser Business-Talk mit all den US-amerikanische Arbeitsmoral heischenden Anglizismen. Angesichts dieser Sprachkunst ist es kein Wunder, dass das Buch durchwegs positiv aufgenommen wurde. Manche bemängeln jedoch eine fehlende explizite Stellungnahme der Autorin sowie einen Erkenntnisgewinn; von den beschriebenen Zuständen, von der körperlichen und seelischen Ramponiertheit der New Economy-Adepten hätte man ohnehin schon länger gewusst.

Mir scheint aber, manche wollen es doch nicht so genau wissen. Wie wäre es mit der Erkenntnis, dass nicht nur die einzelnen Menschen der New Economy „gestört“ sind, sondern, dass es die gesellschaftlichen Verhältnisse sind, die solch hervorbringen, die die Einzelnen veranlassen, sich derart selbstzerstörerisch zu verhalten? Diese Tatsache wird in „wir schlafen nicht“ durchaus mittransportiert. – Röggla schafft es, das Recherchematerial ihrer Originalinterviews in ihrem Roman so zu verdichten, den Text so sehr durch sich selbst sprechen zu lassen, dass er sich auf hervorragende Weise selbst konterkariert. Als Kritik an den durchgeknallten Verhältnissen kann dies ohne weiteres bezeichnet werden.

Apropos Kritik: Gänzlich tot sind die im Buch zu Wort kommenden Dead Men Working noch nicht. Sie sind alles andere als völlig geschlossene Monaden, die ihre Situation nicht reflektieren würden. Sicher hat die Autorin die (Selbst)Kritik herausdestilliert; daraus ein allgemeines hohes Reflexionsniveau bzw. einen hohen Reflexionswillen abzuleiten, wäre wahrscheinlich nicht zulässig. Vielleicht macht auch das den Erfolg des Buches aus: dieses stellvertretende Artikulieren, zu dem man selbst nicht kommt, vor lauter rund um die Uhr arbeiten. Das „kleine Alkoholproblem“, die Tablettensucht, die regelmäßigen Autounfälle, das Durchdrehen, die Arbeitssucht, die Panikattacken, die Halluzinationen, die Vergesslichkeit, der Verlust der Stimme, die zeitweilige Unzurechnungfähigkeit, die sexuelle Deprivation kommen unverblümt aufs Tapet. So deutlich und sprachlich gekonnt wie Kathrin Röggla hat die makabren Absurditäten der ganz normalen Arbeitswelt jedenfalls noch kaum jemand zum Ausdruck gebracht.

der senior associate: nein, meist gingen die leute dann weniger aus moralischen gründen, sondern weil der life-style sie total ankotze: all das short-sleeping, quick-eating und diese ganzen nummern. und das hotelgeschlafe, das business-class-gefliege, das first-class-gewohne. irgendwann könne man das alles nicht mehr sehen.

man könne die minibar nicht mehr sehen.

man könne die minibar nicht mehr sehen und die immergleichen gesichter an der rezeption.

auch die kästchen auf dem teppich, die habe man schon durchgezählt.

und fliegen wie busfahren, das könne man auch nicht mehr haben.

aber auch diese ewige wachstumslogik, die man irgendwann gegen sich selbst anwende.

Kathrin Röggla hat auch eine Hörspiel- und eine Bühnenfassung dieses Buches geschrieben – was sich regelrecht aufdrängt. Erstere hat der Bayerischen Rundfunk produziert und zweitere hatte im April am Düsseldorfer Schauspielhaus Prämiere. In Düsseldorf – einer der bedeutendsten deutschen Messestädte – auf einer Bühne, die eine Mischung aus einem archaischen Affenfelsen und einem eiförmigen, einer Raumkaspel ähnelnden Messestand ist.

Eine Fortsetzung von „wir schlafen nicht“ hat sie schon in Arbeit. Das Thema des neuen Buches „junk space“ sind Angststörungen. Auf ein Wiederlesen!

Kathrin Röggla: wir schlafen nicht, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004, 220 Seiten, 19.50 Euro

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