MOZ, Nummer 57
November
1990

Sozialforschungsinstitut liquidiert

Eines Montags fanden sich die 16 Mitarbeiterinnen des „Instituts für sozioökonomische Entwicklungsforschung“ der österreichischen Akademie der Wissenschaften ausgesperrt. Über das Wochenende wurden die Schlösser ausgetauscht. An der Türe hing ein Zettel mit dem lapidaren Vermerk: „Bis auf weiteres beurlaubt“.

Seit Mitte September dieses Jahres hat das Institut seine Pforten geschlossen und wird sie wahrscheinlich nicht mehr öffnen.

Die Vorwürfe, die erhoben wurden und auch in einer Anzeige an die Staatsanwaltschaft mündeten, sind vorgeschoben. Vor allem gehe es um „Veruntreuung von Sachmitteln im großen Stile“, wie der Akademie-Präsident Prof. Otto Hittmair dem Betriebsratsobmann mitteilte, und um Datenmanipulation. Bei einem Mitarbeiter wurden Flugblätter der obdachlosen Hausgemeinschaft „Ägidi/Spalo“ gefunden, die angeblich auf Institutskopierern vervielfältigt wurden. Ein anderer hatte KPÖ-Korrespondenz in seinem Computer gespeichert. Beide wurden fristlos entlassen.

Waren von der Akademie-Leitung zuvor alle Unterlagen durchsucht und Bildschirminhalte auf Grund mangelnder Kenntnis der Computerbedienung mit Polaroidkameras fotografiert worden, rückte ein paar Tage später eine Abteilung der Staatspolizei an und transportierte kurzerhand die Computer und alle sonstigen Materialien der WissenschaftlerInnen — darunter auch private Briefe, Steuererklärungen, Bücher und dergleichen mehr — in zwei Lieferwagen einfach ab.

Der Konflikt zwischen der Institutsleitung und den MitarbeiterInnen schwelt bereits seit Jahren. Der früher dort tätige linke Sozialwissenschaftler Peter Fleissner, dessen Bestellung als Professor am Informatik-Institut der TU-Wien von Bundespräsident Waldheim bekanntlich verhindert werden sollte, konnte den Angriffen auf das seit 1973 bestehende Akademie-Institut von Seiten der erzkonservativen Professorenschaft noch trotzen. Jetzt wurde die erste Gelegenheit zur Beseitigung der ungeliebten, weil mit einem kritischen wissenschaftstheoretischen Ansatz arbeitenden Einrichtung genützt.

Inhaltlich beschäftigte sich die Institution vor allem mit drei Themen. Der Computer-Simulation der österreichischen Wirtschaftsentwicklung (Sozioökonomie), neuen Technologien bezogen auf die Sozialforschung und der Entwicklung von Computermodellen im Bildungsbereich. Durch den neuen Direktor des Instituts, Wolf-Dieter Grossmann, der an den für einen Mitarbeiter ‚überraschenden‘ Vorfällen maßgebenden Anteil hat, kam in letzter Zeit noch der Schwerpunkt Ökologie mit Ausrichtung auf eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung als Forschungsschwerpunkt hinzu.

Anfang Oktober wurde vor dem Institutsgebäude eine Kundgebung abgehalten. Eine Delegation der DemonstrantInnen brachte ihre Forderungen nach einer Rücknahme der Entlassungen und Beurlaubungen und der sofortigen Wiederinbetriebnahme des Instituts und Garantierung seines Fortbestandes dem Direktorium vor. Eine positive Antwort wollte den Betroffenen jedoch nicht bestellt werden. Die Liquidierung der Sozialforschungsstätte, so scheint es, ist bereits beschlossene Sache.

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