FORVM, No. 202/II/203/I
Oktober
1970

Staberl

I.

„Inmitten von Gleichgeschalteten ein Kerl, der seine und damit gleichzeitig die Meinung von einer runden Million Österreicher so von der Leber weg schreibt und sagt ...“: das ist Staberl von der „Kronen-Zeitung“ (Leserbrief, 4.8.). Die „runde Million“ ist eine Untertreibung: viel mehr Österreicher sind mit Staberl einer Meinung, weil er die seine zu der ihren macht. Dafür spricht der immer steigende Verkaufserfolg von „Österreichs auflagengrößter Tageszeitung“, ihr Wachstum an wirtschaftlicher und somit politischer Macht. An alldem hat Staberl als Starkolumnist maßgeblichen Anteil: seine Art ist die Eigenart der „Kronen-Zeitung“.

Die wichtigste Zielgruppe der „KZ“ waren anfangs und sind immer noch die Pensionisten: Werbung für die neue „Wochenausgabe der KZ“: „Nicht vergessen: Die ‚Wochenausgabe‘ gehört zur ‚Kronen-Zeitung‘ wie’s Kipferl zum Kaffee!“ Schon der Name des Blattes wendet sich an Leute, die sich noch an die gute alte Zeit der Monarchie erinnern und Romy Schneider als „Sissy“ nur durch Tränenschleier wahrnehmen können. Damit auch Menschen, die für eine Erotisierung durch die zahlreichen Abbildungen fast nackter Minderjähriger mit vorgereckten Brüsten und gespreizten Beinen nicht mehr in Frage kommen, noch späte Objekte für ihre unausgeschöpfte libidinöse Zärtlichkeit finden, sucht eine „Tier-Ecke“ mit herzigen Photos Herrin und Frauerln für verwaiste Haustiere; Österreichs König der Tiere, der populäre und allzu populärwissenschaftliche „Verhaltensforscher“ Otto Koenig, schrieb bis vor kurzem in der „KZ“ über das aussterbende Kreuchen und Fleuchen.

Mit dem frustrierten Pflegetrieb alter vereinsamter Menschen, der durch alles Kleine, Stupsnäsige, Hilflos-Dreiste geweckt werden kann, spekuliert allein schon das äußere Format der Zeitung, vom inneren ganz zu schweigen. Die journalistische Zuchtrute verhuzelt folgerichtig zum Diminutiv: der „Staberl“ zeigt’s denen da oben, er sagt es ihnen hinein: ein von der Psychoanalyse Verdorbener mag sogar im Staberl den kleinen Penis entdecken, diesen Brennpunkt der zärtlichen Pflegelust alter Menschen.

Zugleich gestattet das innere und äußere Kleinformat eine Identifizierung: die „KZ“ ist klein wie die alten Leute, wie ihre Handtaschen, in denen sie bei den Friedhofsbesuchen, der toten Geselligkeit der Alten, neben Knirps und Kerzen leicht Platz findet. Sie gibt sich wirklich als die ganz kleine Zeitung für die ganz kleinen Leute. „50 Zeilen mit Gott“ genügen der sentimentalen Religiosität, selbst Frucht der Einsamkeit. Schlüssellochgeschichten, etwa die „Adabei“-Rubrik oder eine Serie aus Erlebnisberichten von Vergewaltigungen informieren über das Leben der Jungen und Reichen und gestatten den individuell und sozial Impotenten, wenigstens durch den Voyeurismus an dem versäumten und nicht wiederholbaren Leben teilzuhaben. Wenn Mitmachen unmöglich ist, ist „Dabeisein“ um so wichtiger.

Wer also die „KZ“ nach Aufmachung und Inhalt prüft, wird kaum bestreiten können, daß sie sich an alte, abhängige und einsame Menschen wendet, an Leute, die dem Neuen befremdet bis ängstlich gegenüberstehen und vom Leben nichts wollen als Sicherheit und Erhaltung der Kaufkraft ihrer Pensionen. Die Kehrseite ihrer Ängstlichkeit ist eine krankhafte Neugier nach allem, was sie kaum kennenlernen konnten und wofür es jetzt jedenfalls zu spät ist: Orgien und Perversionen, Rauschgift und Schießereien, die oberen Zehntausend und die Unterwelt, Brillanten und große Wagen, Hörigkeit und Gewalt, und vor allem und immer wieder und auf jeder Seite und von jeder Seite die entblößten Körper junger Mädchen.

II.

Kaum hat man aber den österreichischen Pensionisten als hauptsächliche Zielperson der „KZ“ identifiziert, wird man auch schon stutzig: denn erstens finden sich die typischen Merkmale der „KZ“ auch bei den anderen deutschsprachigen „Boulevardzeitungen“, und zweitens ist dieses kleinformatige Pensionistinnenblatt immerhin zu „Österreichs auflagengrößter Tageszeitung“ avanciert — und ein Ende der Karriere ist noch nicht abzusehen. Daraus ergibt sich eine zwingende Schlußfolgerung: es gibt eigentlich viel mehr „Pensionisten“, als man gemeinhin dafür hält; in der Tat ist das heutige Publikum der „KZ“ schichtenmäßig kaum spezifisch: Sie wird vom leitenden Angestellten mit demselben zustimmenden Vergnügen gelesen wie vom Hilfsarbeiter. Sind sie also alle Pensionisten?

In gewissem Sinn sind sie es wirklich: es gibt offenbar das Phänomen des „Pensionismus“ als eine Ideologie, die nicht auf den klassischen Pensionisten zu beschränken ist. Man kann die Entwicklung des Proletariats in den kapitalistischen Ländern seit Marx so sehen, daß es hier die Kapitalisten verstanden haben, die „Arbeitnehmer“ in ein pensionistisches Abhängigkeitsverhältnis zu bringen: Treueprämien und mannigfache „Bindung an den Betrieb“ gehen Hand in Hand mit der Erzeugung einer Atmosphäre von Unsicherheit: der Unternehmer hört nicht auf zu betonen, daß er, nach reinen Rentabilitätskriterien, dauernd Leute entlassen müßte, um zu rationalisieren.

Der Arbeiter erhält den Eindruck, vom „Arbeitgeber“ das Gnadenbrot zu bekommen: er soll sich als Pensionist sehen. Alles Neue beginnt ihn mit Lebensangst zu erfüllen: der Fortschritt kann nur dazu führen, ihm mit unverständlichen und übermenschlichen Maschinen den Arbeitsplatz zu stehlen; ein Umsturz der Besitzverhältnisse kann jetzt auch ihn um einen Besitz bringen: seine sichere „Lebensstellung“, seine Pension. Im Bewußtsein des Arbeiters macht sich ein Gefühl der Minderwertigkeit breit: er fühlt sich altmodisch und unter den neuen Maschinen nur geduldet, ein Atavismus, ein Rentner des sozialen Wohlfahrtsstaates. Er fängt sicher keine Revolution an: er sieht sich nicht mehr wie zu Marxens Zeit als Vorhut, als neue Klasse durch die neuen Produktivkräfte der Massenfabrikation — er fühlt sich immer mehr als die Nachhut einer veraltenden Klasse, zurückgedrängt durch neue Produktivkräfte, von denen er nichts versteht: die Automaten. — Aber einstweilen zahlt der gute Unternehmer im Einvernehmen mit dem regen Betriebsrat den reichlichen Arbeitslohn weiter aus — als Pension.

Über den Pensionismus beim Bauernstand mit seinen staatlich gestützten Preisen und beim Angestelltensektor mit der Bedrohung durch die Computertechnologie braucht nichts gesagt zu werden: überall kommt die pensionistische Mischung von Existenzangst und diffuser Dankbarkeit dem „sozialen Frieden“ zugute.

Die Affinität gerade der österreichischen Mentalität zum Pensionismus ist oft festgestellt worden. Das aktivste am Österreicher ist seine Fremdenverkehrsbilanz; er weiß: seine Stärke ist das Museale, das Ausstellen deı guten alten Zeit; die Zukunft ist bedrohlich, denn sie macht Sprünge in die Ausstellungsobjekte, häuft Staub drauf, entwertet sie zuletzt als längst bekannt und altmodisch. „Es ist an uns Heutigen, dieses Erbgut nicht nur zu nützen, sondern auch zu mehren und vor allem immer wieder aller Welt zu zeigen.“ (Otto Stradal, Das große farbige Österreichbuch, Wien 1970).

Oswald Wieners Vorschlag, den Österreicher von Geburt an zu pensionieren mit der Auflage, bei sich zu Hause jeden interessierten Fremden einzulassen, damit der sehen kann, wie früher einmal gelebt wurde, legt ätzend und präzis den Kern des Nationalgefühls bloß. — Wer’s nicht glaubt, der lese Österreichs auflagengrößte Tageszeitung.

III.

Wenn man also die österreichische Arbeitswelt einmal überspitzt als ein großes Altersheim sehen möchte, so erfüllt darin Staberl die Funktion jenes rüstigen Greises, der es wagt, bei der Ausspeisung gegen das schlechte Essen zu protestieren; die Insassen klopfen begeistert ans Geschirr; die Anstaltsleitung findet begütigende Worte: bei der derzeitigen Budgetlage sei das Essen luxuriös.

Alles bleibt beim alten — bis auf eines: Staberl ist jetzt der Liebling der Insassen des Altersheimes Österreich, geachtet und gefürchtet von der Leitung.

Staberl hat in den stagnierenden Stil der Zeitungsschreiber endlich eine neue Note gebracht; als ein echtes Genie hat er das Nächstliegende aufgegriffen, nämlich das „Politisieren“ auf Parkbänken und in Wirtshäusern, und sich daraus eine Trade mark geformt. Der Ton, den er für gewöhnlich anschlägt und erfolgreich dem „seriösen Kommentar“ und dem Greinen über den Verlust der „Menschlichkeit“ im modernen Alltag entgegensetzt, ist der Mißton der Rage, einer übers Ziel hinausschießenden und an ihm vorbeischießenden Wut, die im schlauen Wissen um ihre eigene Ohnmacht ohne Risiko maßlos sein darf. Auf den Anfall folgt Beifall, dann Ermattung. Die Aggression ist abgeführt, keiner hat sich wehgetan.

Die zwei oder drei Spalten künstlicher Empörung, in die Staberl sich steigert, bringen kein positives Ergebnis. Die Undurchsichtigkeit der Machenschaften von „denen da oben“ für „uns da unten“ wird immerfort an komischen Einzelfällen aufgezeigt (etwa: Ankauf eines elektrisch verstellbaren Pults für das Rathaus um 90.000 Schilling; 10.8.); aber nie folgt aus der Demonstration, daß die „oben“ machen können, was sie wollen, die klare Nutzanwendung: die Forderung nach Einsicht der Bürger in alle Geschäfte, nach Mitbestimmung, nach direkter Demokratie.

Immer wenn es um Geld geht, ist die Tourenzahl von Staberls Rage am höchsten. Das entspricht genau der Tatsache, daß sich die Lebensangst des Pensionisten in Geiz umzusetzen pflegt. Jedesmal, wenn ruchbar wird, daß die Ausschütter der „Pensionen“, die Bosse und Politiker, Verschwendung treiben mit „unserem“ Geld oder, ohne „uns“ zu fragen, willkürlich mit der Pension knausern, erhebt Staberl ein Geschrei. Da er jedoch immer dafür sorgt, daß ihm vor Wut rot oder schwarz vor den Augen wird, geht er nie das Risiko ein, mit klarem Kopf die allgemeinen Ursachen und Folgerungen aus solchen „Sauereien“ deutlich zu machen, damit sie eventuell nicht mehr vorkommen. So bleibt alles wie es war, und Staberl kann sicher sein, bald wieder Gelegenheit zu einem populären Tobsuchtsanfall zu bekommen.

Im Monat August zum Beispiel verteilte sich Staberls Rage auf folgende Themen: Innenpolitisches: 70%; Außenpolitik: 0%; Sonstiges: 30% (darunter fallen zornige oder besinnliche Betrachtungen zur Luftverschmutzung, zum Herzinfarkt, zur Tierfeindlichkeit der Jäger, zum müden Sommerschlußverkauf). Von den innenpolitischen Glossen wiederum befassen sich 80% mit Geldfragen; davon geht die Hälfte auf Verschwendungen bei denen „oben“, die andere Hälfte entfällt auf die Geißelung von obrigkeitlicher Gelderpressung und finanziell nachteiligen Willkürakten gegen den „kleinen Mann“.

Bei einem Fall letzterer Art, auf dem Staberl besonders „eifervoll“ (ein Lieblingswort) herumritt, ging es um die sog. Seniorenermäßigung bei den Österreichischen Bundesbahnen: Seit neuestem sollten Pensionisten, die so eine Ermäßigung erwerben wollten, eine einmalige Zahlung von 50 bis 200 Schilling leisten. Staberl bekam eine irre Wut: „Frechheit ... Unverfrorenheit ... Schildbürgerstreich ... Ausgeburten kranker Gehirne ... Ein bedürftiges Pensionistenehepaar soll also 100 oder 400 Schilling hinlegen! ... Unerhörter Schritt ... kapitaler Bock ... freche Forderung ... Gedankenlosigkeit ... Zynismus ... Frotzelei ... Aussackelung der Pensionisten ...“ (15.8.)

Der Verkehrsminister antwortete mit einem Brief: er lud Staberl zu einem aufklärenden Gespräch ein, bei dem dieser auch seinen Wunsch wahrmachen könne, dem Minister Protestbriefe um die Ohren zu schlagen. Staberl veröffentlicht den Brief und beantwortet ihn (23.8.):

„Werter Herr Minister, hochverehrte Exzellenz! ... Ich bedanke mich mit der dem gewöhnlichen Bürger im Verkehr mit derart hochgestellten Instanzen so wohl anstehenden Submission für die von Ihnen geäußerte Bereitschaft, Ihre Zeit an ein Gespräch ... zu verschwenden.“ Dann lehnt Staberl das Gespräch ab und wiederholt lieber bezüglich der Ermäßigung: „... bodenlose Frechheit ... Unverfrorenheit sondergleichen ... unsozial in höchstem Ausmaß ...“

Nachdem er dreimal „Sehr geehrter Herr Minister“ eingestreut hat, erklärt Staberl sodann bezüglich des Um-die-Ohren-Schlagens der Protestbriefe, was „ein sogenannter Konditionalsatz“ ist: „Ich habe in der Möglichkeitsform geschrieben ... Ich bin, sehr geehrter Herr Minister, bisher ein unbescholtener Bürger. Ich werde mir, halten zu Gnaden, wegen Ihnen nicht meine unbefleckte Strafkarte verpatzen! Es handelte sich somit bei den Briefen, die ich sehr gern um Ihre werten Ministerohren schlagen würde, um eine bildhaft, nicht wirklich substanziell gemeinte Floskel oder, wie der Fachmann sagt, um eine Façon de parler. — Genehmigen Sie, hochverehrter Herr Minister, den Ausdruck meiner ganz vorzüglichen Hochachtung. Und so weiter. Doch muß auch das leider nur eine bloße Höflichkeitsfloskel bleiben, solange Eure Exzellenz so eisern an dem Vorhaben festhalten, ausgerechnet die österreichischen Rentner und Pensionisten zugunsten der ÖBB so hinterfotzig aussackeln zu wollen. In diesem Sinn bin ich Ihr Staberl.“

Das ist interessant: Im entscheidenden Moment hat Staberl unter lautem Kläffen den Rückzug angetreten. Hier hatte die undurchlässige Membran zwischen „Unten“ und „Oben“ für Staberl auf einmal ein Loch bekommen: er sollte der „Exzellenz“ persönlich die Meinung sagen. Aber so wie Hunde aufhören zu bellen und davonrennen, wenn plötzlich der trennende Zaun zu Ende ist, um erst in sicherer Entfernung wieder zu kläffen anzufangen, so ist Staberl weggelaufen; bellende Hunde beißen nicht.

Was für volle Hosen muß dieser Mann vor jeder Art von Vorgesetzten haben! Gerade in seinem gehässigen Gespöttel zeigt der Brief, wie fixiert Staberl aufs obrigkeitliche Denken ist; ohnmächtig parodiert er einen Anachronismus: so mag in den „Sissy“-Filmen ein Hofrat mit Seiner Majestät reden. Wem solches Ducken fremd ist, der kommt erst gar nicht auf die Idee, Floskeln zu ironisieren, die er ohnehin nie gebraucht, auch vor einem Minister nicht.

Aber Staberls Weltbild, eben das pensionistische, braucht Zäune zwischen Oben und Unten, gegen die er sich gefahrlos in Rage werfen kann. Gäb’s diese Zäune nicht, müßte er mit dem Minister von gleich zu gleich reden und vernünftige Vorschläge machen. Mancher wäre neugierig, was für eine Figur Staberl dabei machte: „Wieso sind Sie Trottel nicht selber schon Minister geworden, wenn Sie alles besser wissen?“, fragt ein Leser (1.9.) Nein, nein, das wäre Anmaßung: Staberl läßt keinen Zweifel, daß ein Minister eine andere Sorte Mensch ist als er, mit riesiger Macht und höherer Bildung: daher das giftige Einstreuen von Bildungsbrocken, das gehässige Aufwärtskläffen.

Er hält sich lieber hübsch unten auf, in der Höhe der obrigkeitlichen Waden: In der Glosse „Der Saubär“, worin er sich aus unersichtlichen Gründen über die Errichtung eines modernen Schweinestalls in Vösendorf ereifert, läßt er keinen Zweifel, als welches Tier er bei der nächsten Inkarnation unter uns zu weilen gedenkt: „Der Saubär Rex, der ob seiner Bissigkeit einen Hundenamen nehmen mußte, hätte ich aber ... nicht sein dürfen. Denn sonst hätte glattwegs und mit Überzeugung dem (sic) Herrn Stadtrat ins Wadel gebissen Ihr Staberl.“ (13.8.)

Das Schwein hat in Staberls Weltbild überhaupt eine zentrale Stellung: „Generäle hätten wir jetzt gewissermaßen zum Schweinefüttern“ (22.7.). „Heute brüsten wir uns mit Mozart. Doch damals haben wir uns dem Mann gegenüber ärger benommen als die Säue, registriert Ihr Staberl.“ (20.7) usw. usf. ...

Das Schwein, immer unten im Dreck, den es in Rage geraten um sich schleudert, das Schwein als WadelbeiBer ... Sollen die oben nur unter sich bleiben; wir armen Schweine da unten nehmen den Sauhirten nicht auch noch ihre Verantwortung ab; wozu werden sie denn bezahlt? Aber wehe, wenn es nicht Pensionen gibt zum Schweinefüttern: dann beißen wir den Exzellenzen ins Wadel. Staberl hält zu uns, der läßt sich nicht von einem Minister verführen und auf die andere Seite ziehen: er bleibt bei uns Pensionisten und spielt den Saubären, daß die oben sich richtig fürchten.

IV.

Die Zäune, die durch Staberls Weltbild laufen und mit deren Ausverkauf er sein Geld macht, sind aus altem Eisen: aus den „ehernen Gesetzmäßigkeiten“ eines extremen Konservativismus. Um diesen zu verteidigen, schreckt Staberl vor Widersprüchen nicht zurück. So kann er auf einmal beim Wohnungsproblem die entgegengesetzte Position einnehmen wie bei der Bahnermäßigung für Pensionisten. Am 16.7. schreibt er, die Sozialisten hätten endlich die „starrsinnigen Vorurteile der alten Marxisten“ über Bord geworfen: sie „haben erkannt, daß einer, der eine Wohnung haben möchte, dafür auch einen angemessenen Betrag zahlen sollte ... Wir leben ja gottlob nicht mehr im akuten Elend. Den meisten von uns geht es besser als je zuvor.“

Staberl zum Beispiel. Deshalb kann er sich über die „überraschend zahlreichen Österreicher, die immer zu behaupten pflegen, es ginge uns sehr schlecht“ nur wundern (2.1.) Aber wieso dann diese Aufregung wegen einmaliger Zahlung von 50 oder 200 Schilling? Wie ist das, lieber Staberl, wenn so ein „bedürftiges Pensionistenehepaar“ eine Wohnung braucht? Dafür sollen sie auf einmal einen „angemessenen Betrag“ erlegen, der gegen die „Aussackelung“ durch 50 oder 200 Schilling doch gewiß ein „ganzes Schüpperl“ ist?

Das kann nur verstehen, wer in Rechnung zieht, daß zum Pensionismus eine panische Angst vor den „Kummerln“ (Kommunisten, Linkssozialisten, Marxisten) gehört. Warum? Erstens: Weil der Kommunismus allen alles wegnimmt, dem Pensionisten die Pension, dem Greißler den Laden, der Milchfrau die Milch:

„Kommunisten, die fröhlich auf der Jesuitenwiese tollen, statt Greißler, Schuster und Milchfrauen zu enteignen, bekommen überhaupt im Handumdrehen geradezu menschliche Züge“, formuliert Staberl anläßlich des jährlichen Volksfestes der Kommunisten im Prater.

Zweitens: Unter den Kummerln gibt es nicht nur keinen Kaiser, sondern „überhaupt im Handumdrehen geradezu“ garnichts Nobles mehr, zum Beispiel „die ehemaligen Nobelstraßen von Budapest“. Aber unsere Kummerln sind nicht gefährlich, sondern nur „köstlich verkauzt‘“ und entlocken Staberl ein „stilles Lächeln“ (7.7.): es handelt sich um harmlose Irre, die nicht begreifen wollen, „daß das Phänomen des Wohlstandes und der allgemeinen Sättigung gottlob auch vor der arbeitenden Klasse längst nicht mehr haltmacht.“ (2.1.)

Von Staberl könnten die Kummerln lernen, was es mit dem Kapitalismus wirklich auf sich hat: „Der moderne Kapitalismus ist, sehr zu unserem Nutzen, nicht mehr das Schreckgespenst, als das ihn Karl Marx hingestellt hat. Die Ausbeutung der Menschen steht nicht mehr auf seinem Programm. Er bringt uns — und sich — vielmehr mit den giftigen Abgasen seiner Automobile und seiner Fabriken um, konstatiert ziemlich pessimistisch Ihr Staberl.“ (17.8.)

Das ist fein: das „Schreckgespenst“ hat sich zur Gaskammer gemausert; statt ausgebeutet zu werden, werden wir vom Kapitalismus, „sehr zu unserem Nutzen“, umgebracht.

Aber Karl Marx kann garnicht oft genug so brillant widerlegt werden: In der Glosse „Ausbeutung in eigener Regie“ (Wochenausgabe, 8.8.) erzählt Staberl die Lehrfabel vom „Fliesenleger Hanselmann“, der jeden Tag, auch Samstag und Sonntag, zwölf Stunden arbeitet: Durch Pfusch erwirbt er sich „Kleinere Besitztümer wie Fernseher, Kühlschrank mit zwei Sternen und Waschmaschine“, ein „Wagerl“, ein „Häuschen im Grünen“. Urlaub muß der Gernegroß ausgerechnet an der Costa Brava machen. „Früher, in finsteren Epochen nämlich, mag der werktätige Mensch vom Kapitalisten ausgebeutet worden sein. Heute, im Sozialstaat, ist jedermann sein eigener Ausbeuter, findet Ihr Staberl.“ Werum muß der Hanselmann auch unbedingt das genießen wollen, was ihm die Konsumgesellschaft Tag und Nacht als absolut notwendig für sein Glück einbläut!

Staberl verwendet ein klassisches Argument der Konservativen: das Elend wird nicht relativ zum gleichzeitigen Reichtum der Besitzenden gemessen, sondern relativ zum ehemaligen Elend der Proleten: es geht euch doch immer besser, was wollt ihr denn noch! Aber der Maßstab der Not ist in Wirklichkeit immer der jetzt mögliche Reichtum, der Hanselmann will haben, was die anderen auch haben und für ihr Glück brauchen, und um es zu kriegen, muß er sich ordentlich ausbeuten lassen. Die Ausbeutung ist grausam wie eh und je, nur geht sie nicht wie früher über die natürliche Not des Arbeiters allein, der gegen das Verhungern arbeitet, sondern auch noch über die künstlich geweckte Not des Konsumzwanges.

Aber für Staberl ist der Marxismus widerlegt, weil die Zeit nicht bei Marx stehengeblieben ist und weil Staberl Bücher von Marxisten ungern anrührt. Von der so erklammenen hohen Warte des Marxismus-Pensionismus ist sein politischer Weitblick natürlich viel umfänglicher als der eines noch so sympathischen Kommunisten: „Dubčeks Vorhaben, einen kommunistischen Staat menschlich zu machen, hatte von Anfang an keine Chancen auf Erfolg. So besehen wäre zu sagen, daß Dubček kein kluger Politiker war ... Er hat das Unmögliche gewagt, weil es ein Mögliches einfach nicht gab ... Er hat ferner zuwenig gelernt.“ (10.7.) Jetzt ist alles klar: bei Staberl hätte Dubček in die Lehre gehen müssen! Gottlob erkennen immer mehr junge Österreicher Staberls Weisheit: er erhält am 14.7. einen „netten, einsichtsvollen Brief“: „Wir Jungen wollen alles auf den Kopf stellen und Bäume ausreißen. Aber ich glaube, man sollte manchmal wirklich auch auf die alten Hasen hören.“

Tun wir das: „Ich glaube nicht einmal, daß es viel Sinn hat, wenn die relativ satten Länder der Welt in pausenlosem Fluß Nahrungsmittel und sonstige Hilfsgüter nach Afrika schicken. Ich bin überzeugt, daß nach einer ehernen Gesetzmäßigkeit alle Völker und alle Kulturkreise zu bestimmten Zeiten ihrer Entwicklung mitten durch die Misere gehen müssen; und daß ihnen dabei eigentlich niemand helfen kann. Helfen kann man sich, wenn überhaupt, dann nur selbst.“

Staberl vergleicht sodann die Lage in Afrika mit dem Dreißigjährigen Krieg; damals hat uns ja auch keiner geholfen. „Wer sich den harten Realitäten nicht verschließt, ... wird vielleicht sogar zu der Überzeugung kommen, daß es letzten Endes für Afrika weit vorteilhafter wäre, wenn es sich selbst überlassen bliebe.“ (10.1.)

Goldene Worte. Nur hätte Staberl ein paar hundert Jahre früher aufstehen sollen, um es den Kolonialmächten zu sagen.

„So nämlich schauen die neuen Führer des schwarzen Afrika aus ... Man sollte ihnen ihre Autos wegnehmen und sie aus ihren Villen dorthin treiben, wo sie rechtens hingehören. In den Busch. Staberl.“ (17.1.)

Bravo. Soviel über die Lösung der Probleme in der dritten Welt. Aber auch bei uns machen die Politiker entscheidende Fehler: „Antworten Sie, Euer Exzellenzen! ... Steigt Ihnen nicht die Schamröte ins Gesicht ...? ... Was haben (Sie) geleistet? Sie haben angeregt, ... daß die Schwulen straffrei gehen sollen.“ (25.7.) Statt sich um solch „diverses Larifari“ zu kümmern, sollten sie lieber den Personalstand der Polizei vergrößern (3.7.) Ganz richtig: Sicherheit hat Vorrang.

Das alte Blech der „ehernen Gesetzmäßigkeiten“ muß nicht nur zur Rechtfertigung für alles Elend auf der Welt herhalten, sondern auch noch für das Elend von Staberls Stil: „Das Volk nämlich vergißt wie nichts jene Männer, die sich für es aufgeopfert haben. ‚Für es‘ klingt grauslich, ich weiß; doch ist es leider nach den unerbittlichen Gesetzen unserer Sprache richtig.“ (24.8.)

Um das Ungeheuerliche dieses paarhufigen Journalismus bloßzulegen, dem vor abgestandener Rage nicht nur die Stimme überschnappt, müßte außer dem, was Staberl sagt, auch zitiert werden, was er nicht sagt. Man müßte ihm vorlesen, was andere am selben Tag zu schreiben wissen, da er zwei Spalten lang sich darüber giftet, daß Bauern bei Hainburg in Zillen über die Donau setzen mußten, ohne daß unser Bundesheer ihnen half (2.7.). Man müßte ihm einen Horizont zeigen, vor dem die von ihm angeprangerten Schweinereien und der Stall, in dem sie sich abspielen, ihre richtigen Proportionen erhalten; man müßte ihn mit Möglichkeiten des Journalismus konfrontieren, die anderswo Wirklichkeit sind; man müßte ihm seine Zäune umlegen; mit einem Wort: man müßte ihn bilden.

Schön wär’s. Aber ein Journalist mit Horizont ist unbequem; wer im warmen Stall will schon den Horizont sehen? Also verkauft er sich schlecht; Staberl dagegen verkauft sich; er geht ausgezeichnet. Und das ist doch das wichtigste: daß die Kasse stimmt. Das ist der Lohn dafür, daß keiner vollkommener als Staberl die narkotisierende Funktion der Boulevard-Journaille erfüllt: dem blöd Geborenen (und in einer so schnellen Zeit ist jeder blöd geboren) anerkennend auf die Schulter zu klopfen, daß er nichts dazugeiernt hat.

Über Staberl, den Altmetallverschepperer, und seine „runde Million Österreicher“ läßt sich sagen, was er anläßlich des ihm unfaßbaren Streiks der englischen Dockarbeiter feststellt:

„Doch gibt es im Leben ganz allgemein einen Punkt, von dem aus der Appell an die Vernunft nutzlos ist. Es gibt einen Punkt, jenseits dessen man die Geister, die man gerufen hat, nicht mehr los wird.“ (26.7.)

Aber in ein Altersheim für Geister der Vergangenheit ließen sie sich vielleicht sperren; dort können sie schadlos unter sich sein, bis sie endlich verraucht sind. Man soll die Hoffnung nicht verlieren: denn gerade hinter der Bissigkeit dieser Saurier steckt die ängstliche Vorahnung, daß die Zukunft nur ihre Eiszeit sein kann.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)