ZOOM 4+5/1996
Oktober
1996
Stay behind the NATO

Strategia della tensione

Ein Überblick über die italienischen Wurzeln von Gladio, die Verwicklung von Geheimdiensten und faschistischen Gruppierungen in die Massaker zwischen 1969 und 1993.

Italien ist das klassische Beispiel dafür, wie FaschistInnen und Geheimdienste die Demokratie stürzen wollten. Heute, da die Linke in der Regierung sitzt beziehungsweise diese unterstützt, sind die Putschversuche, Massaker und Morde kaum mehr vorstellbar. Doch der Erfolg der Linken ist auch eine Folge des Niedergangs der alten politischen Kaste, deren ProponentInnen allzutief in die dunklen Machenschaften verstrickt waren – wie der heute vor Gericht stehende ehemalige Ministerpräsident Giulio Andreotti. In den staatlichen Institutionen, der Polizei, dem Militär und teilweise der Justiz sitzen nach wie vor viele derer, denen jedes Mittel recht war, Linke und KommunistInnen zu bekämpfen.

Gegen einen der ganz großen Drahtzieher, Licio Gelli, laufen ganz frische Ermittlungen im Zusammenhang mit einem riesigen Waffenhändlerring, den die italienische Polizei Anfang Juni ausgehoben hat, nachdem der Geheimagent Francesco Elmo im Oktober letzten Jahres ausgepackt hat. Im Zentrum der Organisation steht der slowenische Waffenhändler Nicholas Oman, ihre Verbindungen reichen von Wladimir Schirinowskij bis zum Erzbischof von Barcelona Ricard Maria Charles, der über die Vatikanbank IOR 100 Millionen Dollar gewaschen haben soll.

Die Wurzeln von Gladio

Die italienischen Wurzeln von Gladio gehen auf das Jahr 1942 zurück, als der amerikanische Geheimdienst erfolgreich Druck auf das Justizministerium ausübte, den inhaftierten Mafiaboß Charles „Lucky“ Luciano freizulassen. Im Gegenzug bereitete Luciano 1943 die Landung amerikanischer Truppen in Sizilien vor. Dies war der Anfang einer langen Zusammenarbeit zwischen der USA und den Mafiosi von der „Cosa Nostra“.

Gleichzeitig knüpfte das „Office of Strategic Services“ (OSS), die Vorläuferorganisation der CIA, noch während des Zweiten Weltkriegs enge Kontakte zur katholischen Kirche, insbesondere zum Malteserorden. Zu dessen „Rittern“ gehörte OSS-Chef William „Wild Bill“ Donovan ebenso wie der spätere CIA-Capo William Casey. Und noch einer war dabei: Licio Gelli, Großmeister der geheimen Freimaurerloge „Propaganda Due“ (P 2), der als der große Koordinator von Geheimdienstaktionen, Mafiaoperationen, Drogen-, Waffen- und anderen dunklen Geschäften der italienischen Nachkriegsgeschichte gilt. Der Hinrichtung durch italienische PartisanInnen entkam der Nazi-Kollaborateur durch Flucht zur US-Army. Dort wurde er vom „Counter Intelligence Corps“ (CIC) angeworben, 1950 rekrutierte ihn auch der noch junge italienische Geheimdienst SIFAR. Gelli wurde zum wichtigsten Mittelsmann zwischen der CIA und dem ersten Geheimdienstchef General Giovanni De Lorenzo, seine Kontakte reichten bis zu den Präsidenten Reagan und Bush. Auf der Mitgliederliste seiner 1981 enttarnten Loge P 2 fanden sich zahlreiche hochrangige Geheimoffiziere, aber auch Medienmogul und Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi.

Im Dezember 1945 wurden alle ehemaligen italienischen Geheimdienste aufgelöst. In den folgenden Jahren lag die Spionage allein in den Händen der US-Agenten vom OSS. Der legendäre paranoide OSS-Agent James Jesus Angleton, später Counter-Intelligence-Chef der CIA, baute ein geheimes Netzwerk auf, mit dem die Basis für Gladio gelegt wurde. Allein zwischen Kriegsende und 1953 pumpten die Vereinigten Staaten vier Milliarden Dollar für Geheim- und Hilfsprogramme nach Italien.

Mit dem Beitritt Italiens zur NATO im März 1949 wurde auch der militärische Geheimdienst neu gegründet: Die Gründung des „Servizio Informazioni Forze Armata“ (SIFAR) erfolgt unter Anleitung der CIA und Koordinierung der NATO. Auf Empfehlung der Amerikaner wird 1956 General De Lorenzo zum Chef des SIFAR ernannt, der bereits während des Kriegs die Militärspionage geleitet hat. Unter seiner Leitung wird ein Jahr später die eigentliche Gladio-Struktur, das „Büro R“ (wie „Ricerche“ = Nachforschungen) gegründet.

Der unter amerikanischer Federführung neugegründete Geheimdienst rekrutierte sich zu einem beträchtlichen Teil aus alten Faschisten. Als 1966 ein Putschplan De Lorenzos – der sogenannte „Piano Solo“ – aufzufliegen droht, wird der SIFAR aufgelöst und durch den „Servizio Informazioni Difesa“ (SID) ersetzt. Dessen erster Chef Eugenio Henke soll nach Aussagen eines Südtiroler Gladiators als Revanche für den Südtirol-Terror 30 Attentate in Österreich in Auftrag gegeben haben. Als Reaktion auf die Verwicklung des Geheimdienstes in die Massaker der siebziger Jahre wird dieser 1977 ein weiteres Mal „reformiert“: Aus dem SID entstehen SISDE – „Servizio Informazioni Sicurezza Democratica“, als innenpolitischer Dienst dem Innenminister unterstellt – und SISMI – „Servizio Informazioni Sicurezza Militare“ unter der Oberhoheit des Verteidigungsministeriums. Doch auch diesmal bleiben die alten Seilschaften am Ruder. SISMI-Chef Santoviti ist ebenso P-2-Mitglied wie sein Stellvertreter Pietro Musumeci, der wie Gelli wegen des Bombenanschlags auf den Bahnhof von Bologna (1980) verurteilt wurde.

Die Massaker: 245 Tote und über 600 Verletzte

12. Dezember 1969, Mailand, Piazza Fontana. Die Massenbewegung der StudentInnen und ArbeiterInnen hat im Herbst 1969 ihren Höhepunkt erreicht, als durch eine Bombe vor der Landwirtschaftsbank im Zentrum Mailands 16 Menschen getötet und 84 verletzt werden. Die Polizei ermittelt, wie es bei fast allen Anschlägen zur Regel werden wird, sofort gegen Linke. Es kommt zum „zufälligen Tod eines Anarchisten“ (so der Titel eines Theaterstücks von Dario Fo über den Vorfall): Giuseppe Pinelli „fällt“ während seiner Einvernahme durch die Polizei aus dem Fenster. Der Geheimdienst legt falsche Spuren und verwischt richtige, der ermittelnde Polizeikommissar wird von Faschisten ermordet. Weitere zwölf in die Ermittlungen verwickelte Personen begehen entweder „Selbstmord“ oder sterben bei „Unfällen“. Die schließlich angeklagten Faschisten werden allesamt 1989 in letzter Instanz freigesprochen.

Als ausführender Täter des Massakers wird heute das ehemalige „Ordine Nuovo“-Mitglied Delfo Zorzi genannt – mittlerweile ein schwerreicher Geschäftsmann in Tokio. Vorbereitet wurde das Attentat nach neueren Ermittlungen vom Anführer der bewaffneten Gladio-Zellen in Venetien Enrico Minetto. Es wird immer klarer, daß die italienischen Faschisten im Auftrag der CIA beziehungsweise der NATO handelten. Trotzdem scheint es zweifelhaft, daß das Geheimnis über das schier undurchdingliche rechtsextreme Netzwerk jemals vollständig gelüftet werden wird. Einer der ermittelnden Staatsanwälte hielt Ende letzten Jahres resignierend fest: „Bis heute besteht eine noch höchst aktive Struktur in Italien und im Ausland, mit dem Ziel der Kontrolle von Menschen, die in der Vergangenheit an schlimmsten Attentaten beteiligt waren. Diese ist in der Lage, ungeheure finanzielle Mittel und juristische Unterstützung für die Kämpfer bereitzustellen, gegen die von den Strafverfolgungsbehörden ermittelt wird.“

31. Mai 1972, Peteano

In einem kleinen Ort in der Nähe von Triest tötet eine Autobombe drei Carabinieri. Die Neuaufnahme des Verfahrens durch den venezianischen Untersuchungsrichter Felice Casson führt 1990 zur Aufdeckung des Gladio-Skandals. Unter anderen wird der Chef des militärischen Geheimdienstes SISMI angeklagt. Ausführende des Anschlags waren die „Ordine Nuovo“-Mitglieder Vincenzo Vinciguerra und Carlo Maggi. Ersterer wurde zu lebenslanger Haft verurteilt – eine der wenigen Ausnahmen in der nicht endenden Serie von Freisprüchen für rechtsextreme Terroristen durch italienische Gerichte.

Der beim Anschlag verwendete Sprengstoff „T 4“ stammte aus einem der 139 geheimen italienischen Gladio-Waffenlager. Der Waffenexperte Marco Morin, ebenfalls „Ordine Nuovo“-Mitglied, hatte mit einem gefälschten Gutachten offensichtlich im Gladio-Auftrag die Spur des Sprengstoffs in Richtung „Rote Brigaden“ gelenkt. Dem Geheimdienst gelang es, Morin auch als Gutachter in die Untersuchungen wegen der Ermordungen des christdemokratischen Ministerpräsidenten Aldo Moro und des Anti-Mafia-Staatsanwalts Dalla Chiesa einzuschleusen.

28. Mai 1974, Brescia, Piazza della Loggia

Während einer antifaschistischen Demonstration der Gewerkschaft explodiert eine Bombe, die 9 Tote und 90 Verletzte fordert. Zwei Prozesse 1985 und 1989 enden mit Freisprüchen für alle Angeklagten.

4. August 1974, „Italicus“-Express

Die Explosion einer Bombe in einem Schnellzug auf der Strecke Florenz-Bologna tötet 12 Fahrgäste und verletzt 48. Zwei Neofaschisten werden zu lebenslanger Haft verurteilt, die Urteile aber 1986 wieder annulliert.

9. Mai 1978, Ermordung Aldo Moros

Auch bei der Ermordung des christdemokratischen Ministerpräsidenten nach 55 Tagen Gefangenschaft durch die „Roten Brigaden“ hatten Geheimdienste ihre Finger im Spiel. Die Brigaden waren sowohl vom italienischen Geheimdienst als auch von der CIA infiltriert. Beispielsweise sollen Waffenlieferungen der PLO an die Brigaden Teil eines Vertrags zwischen der PLO und der CIA gewesen sein.

In später in einem Quartier der „Roten Brigaden“ aufgefundenen Briefen aus der Haft deutete Moro an, daß er geopfert werden sollte. Er fürchtete den Einfluß von Andreottis engen Beziehungen zur CIA auf sein Schicksal. Moro war ein Verfechter des „historischen Kompromisses“ zwischen ChristdemokratInnen und KommunistInnen, seine Ermordung paßte nur zu gut in die „Strategie der Spannung“ von CIA und italienischem Geheimdienst. In der Abschrift der Briefe waren entscheidende Stellen gestrichen. Die beiden Männer, die am meisten über Moros Briefe wußten, wurden ermordet: Dalla Chiesa und der Journalist Mino Pecorelli. Der Mafia-Pate Thomas Buscetta beschuldigte Andreotti, die Ermordung der beiden aus Furcht vor möglichen Enthüllungen angeordnet zu haben. Andreotti steht zur Zeit in Palermo wegen seiner mutmaßlichen Komplizenschaft bei der Ermordung Pecorellis vor Gericht. Einer der blutrünstigsten Mafiakiller, Calogero Ganci, gestand im Juni dieses Jahres, Dalla Chiesa erschossen zu haben.

27. Juni 1980, Ustica

Über der nördlich von Sizilien gelegenen Insel Ustica stürzt eine DC-9 mit 81 Menschen an Bord ab. Alle kommen um. Fast zeitgleich stürzt über den kalabresischen Bergen eine libysche MIG-23 ab. Den Hintergrund dieses „zufälligen“ Zusammentreffens schilderte die italienische Wochenzeitung „Panorama“ folgendermaßen: „Die DC-9 der ‚Itavia‘ wurde, wahrscheinlich aus Versehen, im Laufe einer geheimen, auf internationaler Ebene organisierten Militäraktion abgeschossen, deren Ziel der Sturz des libyschen Regimes und die physische Eliminierung von Muhammar Ghadaffi war.“

So unglaublich diese Version klingt, sie hat einen wichtigen Kronzeugen: Guglielmo Sinigaglia, Verbindungsmann zwischen italienischen und französischen Geheimdiensten. Laut Sinigaglia bestand der Putschplan aus mehreren Phasen: „Von einem sizilianischen Stützpunkt aus Waffenlieferungen an libysche Rebellen; Abschuß des Flugzeuges, das in der Nacht des 27.6.1980 Ghadaffi von Tripolis nach Warschau bringen sollte durch ein von einem libyschen Rebellen gesteuertes Flugzeug; Landung eines auf U-Booten verschifften internationalen Kommandos in Libyen zur Unterstützung der Rebellen, um den Staatsstreich durchzuführen. Der Plan schlug fehl, als statt Ghadaffi die DC-9 der ‚Itavia‘ getroffen wurde.“

Ähnlich schildert ein ehemaliger SISMI-General den NATO-Putschversuch gegen Libyen in einem zwölf Jahre alten Dossier, das im Januar dieses Jahres in seiner Wohnung gefunden wurde. Demnach sei Ghadaffis Flugzeug von ein oder zwei von libyschen Rebellen gelenkten Jägern verfolgt worden. Daraufhin seien ein oder zwei französische Jäger aufgestiegen „und schossen einen libyschen Jäger ab: den, der in Kalabrien abstürzte. In der kurzen Luftschlacht entkam Ghadaffis Flugzeug und wurde mit dem Zivilflugzeug verwechselt, das zum Ziel der französischen Rakete wurde.“ Der General hielt in seinem Schreiben weiters fest, daß der damalige Staatspräsident Cossiga voll eingeweiht gewesen sei.

Auch die „Ustica“-Affäre ist von einer Reihe von dubiosen „Selbstmorden“ und tödlichen „Unfällen“ von Menschen geprägt – mindestens zwölf –, die etwas über die Zusammenhänge zu erzählen gehabt hätten. Der Journalist Werner Raith vertritt die These, daß auch die von der italienischen Kunstflugstaffel „frecce tricolori“ im August 1988 im deutschen Ramstein verursachte Katastrophe, bei der 70 Menschen starben, eine Spätfolge von „Ustica“ war. Zwei der verunglückten Piloten seien durch Manipulationen an ihren Maschinen zum Schweigen gebracht worden.

2. August 1980, Bologna, Bahnhof

Eine Bombe tötete 85 Menschen und verletzte 200. Nach 15 Jahren werden im November 1995 rechtskräftige Urteile gefällt. Zwei Mitglieder der terroristischen „Nuclei armati rivoluzionari“ (NAR – Bewaffnete Revolutionäre Kerne) werden zu lebenslanger Haft verurteilt, die SISMI-Offiziere Pietro Musumeci und Guiseppe Belmonte wegen Legen falscher Spuren zu mehrjährigen Haftstrafen. Die mutmaßlichen Auftraggeber, P-2-Großmeister Licio Gelli und sein Helfershelfer, der CIA-Agent Francesco Pazienza, zu jeweils zehn Jahren.

Nicht verurteilt wurde Stefano Delle Chiesa, der den Anschlag organisiert und den Sprengstoff besorgt haben soll. Musumeci, 1980 stellvertretender SISMI-Chef, versuchte den Verdacht auf die deutsche „Wehrsportgruppe Hoffmann“ zu lenken. Tatsächlich war Karl-Heinz Hoffmann mit Delle Chiesa zusammengetroffen. Mitglieder seiner Gruppe landeten drei Tage vor dem Anschlag in Rimini.

Die Verbindung zu Hoffman ist auch in einem größeren Zusammenhang von Interesse: Die Bombe von Bologna war Auftakt zu einer Serie von drei weiteren Anschlägen in ganz Europa: Keine zwei Monate später sterben am 26. September mitten in einer heißen Wahlkampfphase – damals kandidierte Franz Josef Strauß für das Amt des Bundeskanzlers – bei einem Anschlag auf das Münchener Oktoberfest elf Menschen (siehe auch „Forstmeister Lembke“). In der Woche darauf folgt ein Anschlag auf die jüdische Synagoge in Paris, ein weiterer auf den Karneval der schwarzen Bevölkerung Londons im Januar 1981 wurde von der Zeitschrift „Searchlight“ vereitelt.

23. Dezember 1984, Eilzug 904

Eine Bombe, die in einem Tunnel explodiert, tötet 27 Menschen und verletzt 180.

Mai 1993, Florenz

Eine Bombe zerstört die weltberühmten Uffizien und tötet fünf Menschen. Zwei weitere Bomben folgen Ende Juli desselben Jahres in Rom und Mailand (6 Tote, insgesamt 98 Verletzte). Die drei Anschläge waren der bislang letzte aufsehenerregende Versuch, die gegen die faschistisch-geheimdienstliche Allianz ermittelnden PolizistInnen und RichterInnen einzuschüchtern. Der im Mai dieses Jahres verhaftete sizilianische Mafiaboss Giovanni Brusca, auf dessen Konto unter anderem die Ermordung des Anti-Mafia-Richters Giovanni Falcone geht, gestand seine Beteiligung an den Anschlägen.

In die Massaker verwickelte faschistische Organisationen

Movimento Sociale Italiano (MSI)

1946 von Giorgio Almirante, Pino Rauti, Julius Evola und Clemente Graziani gegründete faschistische Partei. Im gleichen Jahr stellten Rauti, Evola und Graziani auch die bewaffnete Untergrundorganisation „Fasci di Azione Rivoluzionaria“ auf die Beine. Almirante, gegen den wegen des Blutbads von Peteano Anklage erhoben wurde, führte die NeofaschistInnen von 1969 bis 1987. Sein Nachfolger Gianfranco Fini machte die nunmehr als Alleanza Nazionale (AN) firmierende Partei zur drittstärksten Partei Italiens. Pino Rauti, „godfather“ und Koordinator der verschiedenen faschistischen Terrorgruppen, soll auf der Lohnliste der CIA gestanden haben. 1965 gehörte er zu den Mitorganisatoren eines vom „Institut für militärische Studien“ in Rom abgehaltenen Treffens über den „revolutionären Krieg“, an dem RechtsextremistInnen, aber auch Verantwortliche des Geheimdienstes SIFAR teilnahmen. Auf dieser Versammlung wurde jene „Strategie der Spannung“ entworfen, welche vier Jahre später erstmals in die Tat umgesetzt wurde. 1989 zog Rauti für den MSI in das Europaparlament ein und führt heute die faschistische Splitterpartei „Movimento Sociale Tricolore“ (MST) an, die bei den letzten Wahlen unter einem Prozent blieb.

Ordine Nuovo

Das „faschistische Studienzentrum“, zu deutsch: Neue Ordnung, wurde 1956 vom radikalen Flügel des MSI um Pino Rauti gegründet. Anfang der sechziger Jahre zählte die Gruppe über 10.000 Mitglieder. Ordine Nuovo und vor allem deren Führer Rauti unterhielten engen Kontakt zur faschistischen Internationale, zur französischen Terrorbewegung OAS, zur „Jugend Europa“ usw. AktivistInnen der Terrortruppe oder aus deren Umfeld waren in praktisch alle faschistischen Blutbäder verwickelt. Rauti soll beispielsweise der Anstifter des Attentats auf der Piazza Fontana gewesen sein. Als Almirante 1969 den Vorsitz des MSI übernahm, trat die Ordine Nuovo geschlossen wieder der Partei bei.

Avanguardia Nazionale

1960 von Italiens bekanntestem Rechtsterroristen und Ordine-Nuovo-Mitglied Stefano Delle Chiesa gegründete und 1973 wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung aufgelöste Schlägertruppe, auf deren Konto zahlreiche Morde gehen. Delle Chiesa unterhält beste Kontakte zu Geheimdiensten, bereits 1960 soll er als Agent angeworben worden sein. Er handelte mit Drogen und Waffen, arbeitete für Francos Armee und war 1980 in Bolivien zusammen mit Klaus Barbie und dem deutschen Neonazi Joachim Fiebelkorn in einen Putsch verwickelt. Er gilt als einer der Haupttäter der Massaker auf der Piazza Fontana, auf den „Italicus“-Express und den Bahnhof von Bologna.

Ordine Nero

Unter dem Schutz des militärischen Geheimdienstes SID 1973 gegründete Nachfolgeorganisation von Ordine Nuovo und Avanguardia Nazionale, die sich zu zahlreichen Anschlägen wie etwa dem Blutbad in Brescia im Mai 1974 bekannt hat.

Falanga Armata

In der „Bewaffneten Phalanx“ setzen FaschistInnen und Geheimdienste ihre Zusammenarbeit auch in den neunziger Jahren fort. Auf ihr Konto gehen Morde an Industriellen und Carabinieri, ein Brandanschlag auf ein Roma-Lager (2 Tote) und die Bomben in Florenz, Rom und Mailand im Jahr 1993. Die Falanga versteht sich als „nationalrevolutionär“ und ist wahrscheinlich die Nachfolgeorganisation der „Bewaffneten Revolutionären Kerne“ (NAR), die wegen ihrer guten Kontakte zu italienischen und deutschen Geheimdiensten bekannt war. Sie ist eine hochprofessionelle Terrorgruppe, die sich aus Carabinieri, Geheimdienstleuten von SISMI und SISDE sowie NeofaschistInnen zusammensetzt. Der Unterschied zu den früheren Gruppierungen besteht in den fehlenden – jedenfalls nicht bekannten – Querverbindungen zum NATO-Geheimdienst.

Quellen:
Harald Irnberger: Die Terrormultis. Jugend und Volk, Wien 1976;
Giuseppe De Lutiis: Storia dei servizi segreti in Italia. Editori Riuniti, Roma 1991;
La notte dei gladiatori – Omissioni e silenzi della repubblica. Calusca Edizioni, Padova 1992;
Hans Karl Peterlini: Bomben aus zweiter Hand – Zwischen Gladio und Stasi: Südtirols mißbrauchter Terrorismus. Edition Rætia, Bozen/Bolzano 1992, S. 36–42;
Jeder Tag ist der 25. April – Überblick über die neofaschistische Bewegung in Italien. Spinaceto Antifascista, Juni 1994;
Arthur E. Rowse: Gladio: The secret U.S. War to subvert Italian Democracy. Covert Action Quarterly No. 49, Summer 1994;
Uwe Herzog: Bombenleger von den Diensten. konkret 6/87;
Der Spiegel 48/1990 ·
antifa-info Nr. 14 – Frühjahr ’91;
Gladio, dreiteiliges BBC Special, Juni 1992;
Strategie der Spannung, Arranca Nr. 5, nachgedruckt in: Lotta Dura 1/96;
analyse und kritik 388, 7.3.1996;
apa, 19.6.1996.

Strategie der Spannung

Die Rechten stellen sich selbst in den Dienst des Staatsapparates, in dem sie eine Strategie unterstützen, die man als Strategie der Spannung bezeichnet. Dreißig Jahre lang bis in die achtziger Jahre wurde die Bevölkerung absichtlich in Unruhe und Angst vor einem Ausnahmezustand gehalten. Bis sie bereit war, einen Teil ihrer persönlichen Rechte im Austausch für größere Sicherheit aufzugeben, für die alltägliche Sicherheit, die Straße entlang zu gehen, mit der Bahn oder dem Flugzeug zu reisen, in eine Bank zu gehen. Die Menschen in diese Haltung zu zwingen, das ist die Logik, die hinter den Verbrechen steckt. Und da der Staat dahinter steht, der sich nicht selbst belasten wird, werden diese Verbrechen unaufgeklärt bleiben.

Vincenzo Vinciguerra, wegen der Morde von Peteano 1972 zu lebenslanger Haft verurteilter Neofaschist und Gladiator.

Der Plan „Demagnetize“

Bereits 1948 hatten die Amerikaner den Geheimplan „Demagnetize“ ausgeheckt, um ItalienerInnen wie FranzösInnen vom Kommunismus zu „entmagnetisieren“:

Das letzte Ziel des Planes ist es, die Kräfte der kommunistischen Parteien zu reduzieren, ihre materiellen Ressourcen, ihren Einfluß auf die italienischen und französischen Regierungen und im besonderen auf die Gewerkschaften, um die Gefahr so weit wie möglich zu reduzieren, daß sich der Kommunismus nach Italien und Frankreich verpflanzen kann und die Interessen der USA in den beiden Staaten schädigt. Die Einschränkung der Macht des Kommunismus in Italien und Frankreich ist ein prioritäres Ziel und muß mit jedem Mittel erreicht werden. Vom Plan Demagnetize dürfen die italienischen und französischen Regierungen nicht in Kenntnis gesetzt werden, da es klar ist, daß der Plan die jeweilige nationale Souveränität verletzt.

Zitiert nach der Parlamentarischen Untersuchungskommission über die Blutbäder, 20.6.1991.
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