FORVM, No. 374
März
1985

Trendwende und Zensur

Beiträge eines Symposions der Grazer Autorenversammlung

Verfassungsgesetze sind bestenfalls Zielsetzungen, und was daraus wird, bestimmen die Menschen immer noch selber. In diesem Land muß es möglich sein, daß ein Faschist, ein Nazi, ein Kommunist, irgendjemand zu Gericht geht und beansprucht, Recht zu bekommen. Es muß in diesem Land möglich sein, daß wir die Notwendigkeit und unvermeidbare Kollision von Freiheiten akzeptieren.

(Heribert Steinbauer, Nationalratsabgeordneter und Mediensprecher der ÖVP)

Die Freiheit ist nur in der einfachen Zahl unendlich groß, darum hat man sie uns auch immer nur in der wertlosen vielfachen Zahl gegeben.

(Johann Nestroy)

Trotz freier Meinungsäußerung, Pressefreiheit und der seit 1982 garantierten „Freiheit der Kunst“ (§ 17a der Österreichischen Bundesverfassung) erleben Zensur und zensurähnliche Vorfälle derzeit eine neue Blüte.

Spektakulärstes Beispiel dafür ist das gerichtliche Vorgehen gegen den am 18. November 1983 noch vor seiner österreichischen Erstaufführung durch das Landesgericht in Graz beschlagnahmten Film „Das Gespenst“ von Herbert Achternbusch sowie die österreichweite Beschlagnahme der Buchausgabe dieses Films am 21. Dezember 1983 durch das Landesgericht für Strafsachen in Linz. Vorgangsweise und Maßnahme widersprechen sowohl dem am 30. Oktober 1918 noch durch die provisorische Nationalversammlung beschlossenen und bis heute gültigen Staatsgrundgesetz: „Jede Zensur ist als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend als rechtsungültig aufgehoben“, wie auch der wörtlichen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes dazu: „Das Verbot eines Films vor seiner Aufführung ist verfassungswidrige Vorzensur. Der Verfassungsgesetzgeber hat die Entscheidung getroffen, diese Präventivzensur ausnahmslos zu verbieten.“

Daß diese Beschlagnahmungen wie weiters bald darauf die des Thomas Bernhard-Romans „Holzfällen“ sowie eine Reihe von Fällen politischer Interventionen (angefangen von der Verweigerung der Vergabe des Niederösterreichischen Landeskulturpreises an Hermann Nitsch bis hin zum Gefälligkeitsakt der Eliminierung eines Gerhard Roth-Interviews für die Sendung „Politik am Freitag“ über das Verhältnis zwischen Künstlern und SPÖ) überhaupt möglich waren und wie im Fall „Das Gespenst“ bis heute aufrecht geblieben sind, daß berufsverbotsähnliche Beschäftigungsverbote und deren Begrüßung durch die Gewerkschaft (Absetzung der „Club 2“-Moderatoren Günther Nenning und Freda Meissner-Blau) sowie die Applanierung sonstiger Unebenheiten (Einstellung kritischer Sendungen wie „Prisma“ oder „Teleobjektiv“, Rechtsgutachten gegen Mitarbeiter und Gestalter unliebsamer Beiträge bzw. vom ORF geförderter Filme wie „Atemnot“) die öffentlich-rechtliche Anstalt ORF endgültig zu einer Öffentlich-gerichtlichen werden haben lassen, daß also alles in allem es nahezu schon als Prädikat gelten kann, unter Klage- und Beschlagnahmeandrohungen zu publizieren, auszustellen oder vorzuführen, ist sicherlich nicht mehr in einer Kategorie erklärbar, die den Einzel- oder Sonderfall für sich in Anspruch nehmen kann.

Insbesondere dann nicht, wenn mit dem erst 1981 verabschiedeten Mediengesetz Möglichkeiten bestehen, die von einer Zensur in ihrer ureigensten Form kaum mehr zu unterscheiden sind und der Gesetzgeber selbst seine in der Österreichischen Bundesverfassung abgegebenen Garantieerklärungen so wenig ernst nimmt, daß er sich durch eine simple ORF Gesetz-Novelle veranlaßt fühlt, die „freie Kunst“ durch Einbeziehung in das Bundesgesetz über den ORF zwei Jahre später gleich noch einmal zu befreien, ganz so als würde man es für möglich halten können, daß die Gültigkeit der in der Österreichischen Bundesverfassung enthaltenen Rechtsgarantien vor den Toren des öffentlich-rechtlichen ORF endet.

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