MOZ, Nummer 56
Oktober
1990

Was täten wir ohne Bundesheer?

oder: Es herrscht Krieg mit den Romans und Olgas

Zwei Plakataktionen kämpften in den letzten Wochen um die Sympathie der Österreicher und Österreicherinnen. Bundesweit warb das Verteidigungsministerium für den Krieg, nur in Wien der Bürgermeister für Ausländerinnen integration.

Beides sind von Herrn und Frau Österreicher ungeliebte Themen. Von Krieg, so wie er früher mal war, will sowieso niemand mehr was wissen, und mit der propagierten Abschreckung — „österreichischer Igel gegen russischen Bären” — können Militärs sich heute nur mehr lächerlich machen. Fazit: Das Bundesheer sank im öffentlichen Ansehen ähnlich tief wie die gedemütigte Fußballnationalmannschaft. Der ewig beschworene Feind im Osten hat sich als Block aufgelöst — und ist zerfallen in Millionen und Abermillionen Einzelfeinde. Was viel schlimmer ist, denn der abstrakte Russ’, bis an die Zähne bewaffnet, wartend, das kleine Österreich zu überfallen, war ja weit weg, während der konkrete Pole oder gar Rumäne, der, ausgestattet mit Waren aller Art und dem Wunsch, Westgeld zu verdienen, sich ab der Jahreswende in Österreich tummelte. Und da eine wohl satte Vierfünftel-Mehrheit dachte wie Jörg Haider — es seien „nicht die Besten”, die da kämen — oder wie Helmut Kukacka — „Kriminaltouristen“ — oder wie Franz Vranitzky — „wir brauchen keine Salamiverkäufer“ —, entschloß sich Helmut Zilk, im roten Wien darauf hinzuweisen, daß die assimilierten Buseks, Marizzis oder Zilks nicht nur als Politiker hochangesehen, sondern vor allem als Säuglingsschwestern, Eisverkäufer oder Zeitungskolporteure ganz gut verwertbar seien. Daß die türkische Serap, Kloputzerin, oder der jugoslawische Branko, Bauhilfsarbeiter, in der Imagekampagne nicht berücksichtigt wurden, darf Zilk nicht extra vorgeworfen werden, entspricht es doch österreichischem Konsens, daß, wenn schon Ausländer, dann wenigstens die aus dem Osten und nicht aus dem Süden. Die sind in der Hierarchie der Ungewollten ganz unten, die Letzten.

Seit Anfang September ist entschieden, welche Plakataktion die erfolgreichere war: Das Bundesheer sichert die Ostgrenze, um zu verhindern, daß polnische oder rumänische Staatsbürgerinnen illegal einreisen. Das ist zwar nicht ganz der plakatierte Krieg, aber immerhin.

Wahltaktische Überlegungen haben bei der Entscheidung des Innenministers, das Bundesheer zu einer „Assistenzleistung“ heranzuziehen, sicher eine Rolle gespielt. Seit Monaten werden die Angst vor und der Haß auf jene, die versuchen, in Österreich ihrer tristen Lebenssituation zu entkommen, geschürt. Profitiert hat davon vor allem die FPÖ, die in diesem Klima Apartheid in den Schulen — Unterrichtstrennung für in- und ausländische Kinder — fordern kann, und, das ist gewiß, dafür am 7. Oktober belohnt werden wird. Mit dem Einsatz des Bundesheeres an der Grenze hat die Große Koalition, vor allem aber die SPÖ, bewiesen, daß auch sie ‚Kompetenz‘ in der Ausländerfrage habe. Den Testballon hatte Peter Marizzi, SPÖ-Zentralsekretär, mit dem berühmten „das Boot ist voll” gestartet — niemals zuvor und wohl auch niemals danach hatte er solche Popularitätswerte.

Zweitens ist die Sicherung der Ostgrenze eine einmalige Chance für das Bundesheer. Die patrouillierenden Soldaten, ausgestattet mit 30 Patronen für den scharfen Schuß, erwecken den Eindruck, Sicherheit zu schaffen. Was Werbekampagnen nicht zustande brachten, ist somit vollbracht: Zwei Drittel der Österreicherinnen begrüßen die Aktion des Bundesheeres. Armeekommandant Philipp kann sich denn auch freuen, daß das Bundesheer sich momentan wieder größerer Beliebtheit erfreut. Zwar ist es sicher noch zu früh, aus dem kurzfristig gesteigerten Ansehen eine Trendwende ablesen zu wollen, zwar ist es richtig, daß die an der Grenze diensttuenden Soldaten dies ohne rassistischen und militaristischen Eifer tun (woran der kalte, nasse Boden, auf dem sie schlafen müssen, sicher mitschuld ist), Tatsache aber ist, daß die Debatte über die Aufrechterhaltung oder Abschaffung des Bundesheeres künftig an Hand des militärischen Einsatzes gegen Flüchtlinge diskutiert werden wird. Für die antimilitaristische Bewegung, die bereits 60.000 Unterschriften für die Abschaffung gesammelt hat, wird es von entscheidender Bedeutung sein, die Bunker- und Mauerstimmung innerhalb der Bevölkerung abzubauen.

Denn wenn es stimmt, daß die Situation im ehemaligen Ostblock in Zukunft noch schlechter wird — und es spricht alles für diese Annahme —, dann könnte es leicht sein, daß aus dem vorläufig auf zehn Wochen begrenzten Einsatz des Heeres an der Grenze ein dauerhafter Zustand wird. ‚Abschreckung‘ sagen Militärs dazu — denn es wird sich in fernen Ländern herumsprechen, daß an der österreichischen Grenze Soldaten marschieren, die im Falle der sogenannten „Notwehr“ oder „Nothilfe“ schiessen dürfen. Wilhelm Kuntner, ehemaliger Kommandant der Landesverteidigungsakademie und graue Eminenz der heimischen Wehrpolitik, sprach offen aus, daß unser zusammengeraubter Reichtum einer militärischen Verteidigung bedarf. Denn was wäre, fragt er, „wenn die Menschenmassen aus der ‚Dritten Welt‘ kommen und sich holen wollen, was ihnen die Kolonialmächte genommen haben?“

Nun entspricht dieses Szenario keineswegs der Wirklichkeit. Zu gut funktioniert das Einsperren der Armen in ihren Ländern, zu gut funktionieren militärische und paramilitärische Unterdrückung, zu hoch sind ökonomische und administrative Hürden, zu sehr sind antiimperialistische Bewegungen in der Defensive, um den Marsch der Verelendeten auf die reichen Zentren als denkbar anzunehmen.

Zwar werden immer wieder Einzelne versuchen, den ‚goldenen Westen‘ oder ‚Norden‘ zu erreichen und die dichtgemachten Grenzen zu durchdringen; auch die liberalste Flüchtlingspolitik vorausgesetzt, wird die Welt durch diese Wanderungen nicht gerechter werden.

Frei bewegen dürfen sich im Weltmaßstabe nur Kapitalien und Waren, eine Liberalität, die auch Ressourcentransfer von den Peripherien in die Zentren genannt werden kann — dem einen Riegel vorzuschieben, diese Grenzen dichtzumachen, wäre wünschenswert. Doch die österreichische Regierung hat durch ihren Wunsch, an der EG, der menschenaussperrenden Festung und dem kapitalbefördemden Markt, teilzuhaben, bewiesen, daß sie an der postkolonialen Ausbeutung festhalten will.

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