FORVM, No. 384/385/386
April
1986
Neil Postman:

Wir amüsieren uns zu Tode

Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie

Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser, 1985, 208 Seiten, Brosch., DM 25,—

Soma, die Glücklichmacherdroge aus Aldous Huxleys Modell einer negativen Utopie „Schöne neue Welt“ hat Amerika überschwemmt. Dieses Soma ist jedoch anders als bei den alten Indern und Huxley kein berauschendes Getränk, sondern passend zum Zeitgeist ein elektrischer Hausaltar, — das TV.

Diese These durchzieht Postmans Buch, das er aber nicht als Generalangriff auf das Fernsehen verstanden haben will. Er beklagt darin den Niedergang des Buchdruck-Zeitalters und den Anbruch des Fernsehzeitalters. Der gewaltige Schritt von der Schriftkultur zur Bildkultur sei in seiner Bedeutung nicht erkannt und daher auch viel zu wenig beachtet worden, denn in dem Maße, wie der Einfluß der Buchdruckkultur schwindet, müssen sich die Inhalte der Politik, der Bildung und anderer öffentlicher Bereiche notwendigerweise verändern und in eine Form gebracht werden, die dem neuen Medium TV angemessen ist.

Während die Schrift es leicht macht, Gedanken einer kritischen, konzentrierten Prüfung zu unterziehen, ist das beim „Und jetzt“-Medium fast unmöglich. Die durchschnittliche Länge eines Nachrichtenbeitrages beträgt 2 Minuten. Es bleiben also effektiv nur 2 Minuten, um über ein Problem nachzudenken — „und jetzt“ zum nächsten Programmpunkt. Diese zwei Bindewörter hält Postman für gefährlich, da sie nichts verbinden, sondern alles von allem trennen. Die Nachrichtensendung wird so zur Unterhaltung, der Wetterbericht das einzig Überprüfbare.

Postman fürchtet um die amerikanische Nation, wenn sich die Menschen von Trivialitäten ablenken lassen, das kulturelle Leben neu bestimmt wird von einer Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Varieténummer herunterkommen. (Sicher ein Vorteil für Ronnie, der ja sozusagen vom Fach ist.)

Ein Indiz dafür könnte die gleichgültige Reaktion der Öffentlichkeit auf Reagans widersprüchliche Aussagen sein, die selbst Mitarbeiter des Präsidenten überraschen, wie in einem in der New York Times erschienen Artikel mit der Überschrift „Nachlassendes Interesse für Reagans Fehldarstellungen“ zu lesen ist. Die Öffentlichkeit lehnt es ab, sich für die Lügen des Präsidenten zu interessieren. „We are not amused“, und darum interessiert es uns nicht.

Das heißt aber nicht, daß die Öffentlichkeit bereit ist, jedem zu vertrauen: ein unsympathischer Nachrichtensprecher ist nicht glaubwürdig und ein dicker, glatzköpfiger Politiker ist undenkbar. In Österreich ist der Hausaltar, laut einer Statistik aus dem Jahr 1982, bereits in allen Haushalten vorzufinden. (Wieweit die Österreicher tatsächlich vom technischen Valium abhängig sind, das herauszufinden ist Aufgabe der Medienforscher.)

Ein Ausweg aus dieser Situation, so meint Postman, ıst nur dann möglich, wenn bereits in den Schulen ein neues „Medienbewußtsein“ geschaffen werden kann, denn kein Medium ist gefährlich, soferne seine Benützer wissen, wo die Gefahren lauern.

Es sei aber erwähnt, daß es, als die Zeitung noch ein junges Medium war, bereits warnende Stimmen gab, die den Lesern ein ähnliches Schicksal voraussagten, wie es jetzt Postman für uns fürchtet. So zum Beispiel Ahasver Fritsch, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts folgendes niederschrieb:

daß die Zeitungen über das Gemüt herrschen und demselben eine größere Lust und Vergnügen bey zu bringen gestand seyn / als Saitenspiel / Gesang / Lust — Spiele / Tänze / Spaziergang / Wasserfart und allerlei Kurzweil mehr / als welche gar bald eine Sattsamkeit bringen und zum einen Reue und Verdruß / nach deren Beywonung erwecken: Dahingegen neue Zeitungen immer je angenemer werden / je mehr man derselben lieset und anhöret.

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