Wurzelwerk, Wurzelwerk 40
Juni
1985

Wir haben eine Arena

Geschichte und Gegenwart

Wieder ziehen die Wolken ein Stück weiter und bedecken sanft den Mond. Und wieder komm ich nicht zu meinem Foto. Vorne die dunklen Umrisse des Arena-Verwaltungsgebäudes — hinten der Nachthimmel. Nächstes Mal probier ich’s mit dem Stativ. Vielleicht läßt sich das, was ich hier schon öfters beobachtet und empfunden habe, auch gar nicht fotografieren. Genausowenig, wie ich es auf Anhieb erklären könnte.

Das Wahrzeichen der Arena: der alte Schlot

Im Spätsommer 1976 hatte ich mein persönliches 1968. Damals, als wir unsere ganze Sehnsucht in einem Projekt wiederfanden. Und so bitter enttäuscht wurden. Heute erscheint es naiv, daran geglaubt zu haben. Aber damals, als wir mitten drinn waren!? Knapp dreihundert Meter von der heutigen Arena entfernt, wo jetzt der Zubringer der Südosttangente ist, dort war irgendwo der Arenawirt, der Eingang zum Auslandsschlachthof, zur alten Arena. Gleich links hat mein Freund Karli in der Sanität mitgeholfen. Dann das Café Schweinestall. Verschiedene Halien. In einer war gerade eine Party mit der von mir mitgebrachten Stereoanlage. In der großen Halle spielten die verschiedensten Musiker. Vielleicht gerade Sigi Maron oder Bob Downs, der mit seinen Flöten zauberte. Einmal kam sogar Leonard Cohen in die Arena raus und sang für uns vom tanzenden Rabbi.

In einer anderen Halle war eine Ausstellung. Der Helnwein war da und auch mein Zeichenprofessor vom Gymnasium, der Pichl. Daneben töpferte jemand. Alle waren voll von Zuversicht und tausend Plänen. Venceremos!

Das war auch noch nicht dagewesen. Bisher hatte man ja immer die Kultur von oben vorgekaut und dann überreicht bekommen. Die Zwangsbeglückung war selten boykottiert worden. Und jetzt gleich in so breiter Front. Selbstverwaltung, Basisdemokratie und intensive Kommunikationsformen quer durch die sozialen Schichten fingen da an zu funktionieren. Mit Anfangsschwierigkeiten, versteht sich, aber doch. Zuerst war das Gelände großzügig zur Verfügung gestellt worden. Schon kurze Zeit später hatte man es sich anders überlegt. Und da wurde die Arena besetzt. Als Antwort darauf kamen im Oktober die Bagger. Die Gemeinde hatte den Grund verkauft. An diverse Großkonzerne. Raffiniert, nicht? Und genau das Stück Grund, wo die Arena gewachsen war. Rundherum war zwar noch viel freies Feld, aber so war es wohl praktischer. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Schöps & Co konnten ihre Betonsilos errichten und die Unruhestifter, die sich anmaßten, selbst denken zu wollen, war man vorderhand auch los.

Die meisten resignierten. Dem aufmüpfigen Rest gab man im August 1977 einen Teil des ehemaligen Inlandsschlachthofs. Eine Art Alibihandlung. Ein Areal von etwa einem Zwanzigstel des anderen Geländes. Die ursprüngliche Idee der Gemeinde war, auch die Verwaltung zu teilen. Drei Leute von der Arena und drei, gleichsam als Kontrolle, von der Gemeinde. Dieser Vorschlag wurde von den Arenaten abgelehnt. Heute hat man die Selbstverwaltung durchgesetzt und seit 1980 gibt’s sogar Subventionen. Der harte Kern sind eine Handvoll Idealisten. Und was die geschaffen haben, ist etwas ganz anderes, als da drüben war, aber in seiner Art auch einzig. Unzählige, zumeist interessante Konzertveranstaltungen mit diversen österreichischen und internationalen Musikern. Viel Underground, aber auch Stars wie Alvin Lee (Ex-Ten Years After) und Ian Gillan (Deep Purple), Saga und New Order, Gil Scott-Heron und Wolfgang Ambros. Weiters läuft nach Sommernachtstraum und Romeo und Julia mit Leonce und Lena von Georg Büchner derzeit schon das dritte Theaterstück mit dem Beinhardt-Ensemble. Aufführungen finden jeden Freitag-Samstag-Sonntag bis zum 23. Juni statt. Und für den Herbst ist Frühlingserwachen von Frank Wedekind geplant.

Vom 12. bis 14. Juli gibts heuer wıeder ein Black Musik-Open Air. Unter anderen kommen so bekannte Reggaemusiker wie Third World, Steelpulse, Gregory Isaacs und Sly & Robbie (außer durch ihr Mitwirken bei Black Uhuru vor allem durch diverse Projekte mit den Rolling Stones, Grace Jones und anderen bekanntgeworden).

Voraussichtlich noch in diesem Jahr ist ein Zyklus: Das andere Lied (politische Texte) zu erwarten.

Ausstellungen sind auch wieder im Gespräch.

Kräftige Lebenszeichen also von einer Institution, die mit ein wesentlicher Tragpfeiler für Wiens Kultur ist. Hoffentlich sägt nicht wieder einer dran. Und wenn, sollten wir ihm in den Arm fallen.

Jetzt hab ich doch mein Foto. Aber ich hab das Gefühl es zeigt nur vage, was ich spüre. Dabei spüre ich es so deutlich. Manches läßt sich eben kaum fotografieren.

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