Grundrisse, Nummer 33
März
2010
Lucas Cejpek:

Wo ist Elisabeth?

Wien: Sonderzahl, 2009, gut gebunden, 228 Seiten, 16 Euro

Würde man „Wo ist Elisabeth?“ mit Lucien Goldmanns Soziologie des Romans aus dem Jahr 1964 als Objekt einer Metasprache lesen wollen, ließe sich feststellen, daß dieses Werk eine „literarische Transformation des Alltags in der individualistischen, auf Warenproduktion beruhenden Gesellschaft“ darstellt, daß es also ein Roman ist, der seine Aufgabe erfüllt.

Mit einer Handtasche fängt die Geschichte an und über das verlorene Jackett des Autors, Schuhe, Strumpfhosen bis hin zu allen möglichen und unmöglichen Einrichtungs-Gegenständen des Wohnalltags – im speziellen der Couch – und schließlich Ansichtskarten erstreckt sich die Dingwelt des Buches. Aber auch Container und Banknoten kommen zur Sprache. Die Habseligkeiten, das im Jahr 2004 zum Schönsten gekürte Wort, erhält sogar ein eigenes Kapitel. Die Romanheldin, dieses nach Goldmann „hellsichtige und blinde Opfer des Antagonismus zwischen einer realen Geschichte und einer wahren Ethik“ wäre dann Elisabeth, die Titelfigur. Doch Elisabeth, eine Sekretärin, die im Wiener Finanzministerium angestellt ist, glänzt durch Abwesenheit. Sie ist verschwunden. Nach ihr wird in dem auto-biographisch gefärbten Roman von Lucas Cejpek gesucht – bis zum erstaunlichen Ende. Die Recherchen, die der Autor anstellt, werden vielfach gebrochen, der Text besteht aus verwickelten Gedankensträngen, die aber alle um ein Zentrum kreisen – um Elisabeth.

Roland Barthes definiert den Roman hingegen atypisch als „allgemeines Werk mit verschwommenen Umrissen, das den Widerspruch zwischen Wissen und Schreiben löst“.

Der schöne Umschlag des Buches von Thomas Kussin mit dem zyklamroten Schatten, der am Rand gelb angehaucht ist, deutet solche Undeutlichkeit an. Mittendrin erhalten wir dann schließlich sogar vom Autor selbst Auskunft über seine Praxis: „Elisabeth ist nur ein Name, das heißt, Elisabeth bedeutet nichts. Elisabeth ist das Zentrum, um das sich alles dreht, der Angelpunkt, das heißt die Leere, um die herum der Roman konstruiert ist und durch die er atmet.“ Die Leere, das Verschwinden, das Ungewisse, das Vergessen, ja das Vergessen des Vergessens und vielfältige andere Verluste, sich Auflösendes und Sprünge nehmen sich Raum auf den Seiten. Ganz bestimmt ereignet sich in diesem Roman nur das: Veränderung. Eine linear durchlaufende Story gibt es nicht, die Schreibweise ist zersplittert. Man kann sich den Roman als in 370 Kapitel aufgeteilt vorstellen, welche jeweils mit einer Überschrift aus einem Wort oder einem Wort plus Artikel bestehend betitelt sind und einer Art wortknappen Inhaltsangabe, die darunter in Klammer steht. Das Spektrum dieser nuancenreichen Mosaiksteinchen reicht von Wortspielen über Anagramme, kleinen Verdichtungen, Listen, Listen von Fragen, und immer wieder Fragen, einem Kirschkuchen-Konzept von Lawrence Weiner und nachfolgendem Kirschkuchen-Rezept, über Zitate aus Wörterbüchern, Found Footages aus Werbetexten bis hin zu historischen Recherchen und lustigen Ideen. Und wohl noch mehr. Dazwischen ist viel Spielraum für eigene Spekulationen – Spekulationen ohne weltweite Folgen. Am Ende des Buches werden alle die Stimmen explizit genannt, die außer Lucas Cejpek selbst im Buch zu Wort kommen.

Der Autor hat Germanistik und Amerikanistik studiert, lebt in Wien und arbeitet hier wie ein Daidalos, der ein kunstvoll geschriebenes Labyrinth erstellt. Sein Theseus ist allerdings einer, der nie zu Ariadne zurück wollte, nachdem er Minotaurus erlegt hatte, so Lucas Cejpek. Und jetzt liege er außerdem mit den Amazonen im Clinch. Wir sind eingeladen uns lesend durch dieses Labyrinth fortzubewegen. Wir machen einen Gedankengang nach Dubai, in die Stadt mit dem größten künstlich entstehenden Hafen und dem höchsten Turm der Welt, dem Mega- Mekka des globalen Kapitalismus. Elisabeth könnte eventuell dorthin entführt worden sein. Oder dort einkaufen. Oder sich freiwillig, einmal im Monat mit deutschsprachigen Frauen zum sonntäglichen Frühstück treffen. In Bowling Green im Mittelwesten der USA, wo wir auch gedanklich landen, tobt Tornado Johannes (meine Wahl aus den drei möglichen Namensangeboten fiel auf Johannes). In der Nationalbank fliegen derweil die Banknoten durch die Luft und der anwesende Bettler wird mit Scheinen überhäuft. „Jeder möchte gut leben in einem so reichen Land.“

„Solange es noch einen Bettler gibt, solange gibt es noch Mythos“, schreibt Walter Benjamin im Passagenwerk. Lucas Cejpek schreibt einen Mythos fort. Hierzulande ist der Name Elisabeth ja auch sisihaft kakanisch konnotiert. Sisi war die Kaiserin, die von einem Anarchisten ermordet wurde, die aber auch wegen ihrer obsessiven Individualität durch intellektuelle Eliten zu einer Kultfigur erhoben wurde. Gabriele d´Annunzio schwärmte von Sisi als einer „Halbgöttin des Traums“ und der rumänische Philosoph Emil Cioran schätzte ihre existenziellen Wolkenkraxeleien. „Elisabeths Versuch war es, einem Aufbruch Gefolgschaft zu leisten, sich in machtfreie Naturlandschaften zu stellen. Die Gegenwart entlarvt eine zur Unmöglichkeit gewordene Tatsache. In der Bedrohung der Umwelt spiegelt die Welt die Gewalt. Gegenstimmen müssen Orchester werden.“ (Lisa Fischer, Schattenwürfe in die Zukunft oder die Aktualität der Fragen einer Kaiserin, im Ausstellungskatalog: Sisi, Sisismus, Sisismen, 1998). Lucas Cejpek zieht in dem Konzert dieses Orchesters die Prosaregister. Seine Elisabeth ist keine Kaiserinheldin, sie ist Stellvertreterin der extremen Mitte, die sie flieht. Gewissheit will dort herrschen, denn „ein System, dem es um die Wahrung privater Bereicherung geht, erträgt prinzipiell jenen Aspekt von Lebendigkeit, der Verlust heißt, nicht.“ (Birge Krondorfer, Kulturrisse, Heft 3 2009). Tiere kommen natürlich auch vor, aber hier sind es Krokodile und Falken und das ist eine edle Abwechslung im Hundealltag Wiens. „Wo ist Elisabeth?“ ist ein voll spannender Roman und einer, der vom Frau-Werden handelt. Am Ende hat Lucas Cejpeks „Elisabeth“ drei Wünsche frei und taucht, verändert, auf.

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