Zum ruhenden und fließenden Verkehr
Trotz unterschiedlichster Vorstellungen über die Funktion der Straße und deren Nutzung, trotz heftiger Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen BenützerInnengruppen um die Verfügung über den Straßenraum, hat das Kraftfahrzeug in den letzten 200 Jahren seinen Anspruch auf den Straßenraum behauptet und ausgebaut. Und es ist nicht absehbar, daß sich daran in Zukunft etwas ändern wird. Selbst die letzten Versuche (Parkraumbewirtschaftung, Verkehrs- und Parkleitsysteme) sind am Primat des motorisierten Individualverkehrs orientiert.
Schon vor der Erfindung — Einführung, Verbreitung — des Automobils machten sich bereits prinzipielle Probleme im Straßenverkehr bemerkbar. [1] Die Situation der FußgängerInnen (keineswegs so rosig, wie das aus heutiger Sicht gerne gedacht wird), der ruhende und fließende Verkehr im Straßenraum, forderten und förderten schon früh Lösungen, die in Ansätzen heute noch gültig sind.
Seit Anfang des 18. Jahrhunderts dient die Straße vorrangig dem fließenden Verkehr, wobei damit sowohl die Fortbewegung mit Wagen als auch das Fortkommen zu Fuß verstanden wurde. Der Straßenraum war bis dorthin wenig reglementiert, die Trennung in Gehsteige und Fahrbahnen war nicht vorhanden. In der Folge, mit zunehmendem Verkehrswachstum, wurden Verordnungen erlassen, die die Einschränkung von Verkaufsständen, die Räumung von auf Straßenflächen lagernden Gütern, die Verweisung der FußgängerInnen auf ihnen zugedachte Streifen, das Vorgehen gegen vorschriftswidrig geparkte Wagen und die Offenhaltung von Passagen zum Ziel hatten. Der ruhende Verkehr wurde dabei als zentrales Hindernis für den Verkehrsfluß angesehen. Wie heute dienten auch damals Halte- und Parkverbote der Aufrechterhaltung der Flüssigkeit des Verkehrs:
1706 — erste Anweisungen, daß leere Wagen, die in engen Gassen abgestellt sind, aus dem Weg geräumt werden sollen;
1753 — Verfügung, daß vor Wirtshäusern keine Wagen abgestellt werden dürfen, [2]
1775 — das Abstellen von Fuhrwerken vor Häusern wird ausdrücklich verboten.
Der ruhende Verkehr stellte also schon im 18. Jahrhundert ein Problem dar, das schrittweise einer konsequenten Lösung zugeführt wurde: Das Parken im öffentlichen Straßenraum wurde zunehmend reglementiert und schließlich gänzlich verboten. Und daran sollte sich bis 1928 bzw. 1930 nichts ändern. Die Pferdestärke wurde zwar ab 1890 zunehmend durch den Benzin-, Diesel- und Elektromotor ersetzt, der Straßenraum blieb bis 1928 bzw. 1930 zuallererst Verkehrsraum, der jedoch für andere Nutzungen offenstand. 1928 wurde für Wien eine Straßenverkehrsordnung verabschiedet, die das Parkverbot von Fuhrwerken im öffentlichen Straßenraum aufrechterhielt. Ein dezidiertes Parkverbot für Automobile war darin zwar nicht enthalten, Fuhrwerke wurden jedoch als mit Tieren bespannte oder motorisch bewegte Fahrzeuge definiert. Das Fahrzeug Automobil blieb im Zustand eines „Stehzeugs“ aus dem Straßenraum verbannt, bzw. wäre verbannt geblieben, wenn dieses Gesetz nicht in der Folge verfassungsrechtlich aufgehoben worden wäre. In der Übernahme eines Bundesgesetzes (BGBl Nr. 438 vom 20. Dezember 1929) wurde im Gesetz vom 15. April 1930 (Gesetz über die Straßenpolizei im Bundesland Wien) der öffentliche Straßenraum auch in Wien zum Abstellraum für Fahrzeuge. [3] Straßen und der über ihnen befindliche Luftraum dürfen ab diesem Zeitpunkt nur mehr zu Zwecken des Verkehrs benutzt werden. Jede andere Verwendung des öffentlichen Straßenraumes ist genehmigungspflichtig. Die Weichen für die automobile Beschlagnahme des öffentlichen Raumes waren gestellt.
Damit wurde die Umfunktionierung des gemischt genutzten mittelalterlichen Lebensraumes Straße in den Verkehrsraum der Moderne auch rechtlich zum Abschluß gebracht. Aber auch der Verkehrsraum wird durch diese gesetzlichen Bestimmungen in seiner Nutzung revolutioniert: War das Parken bisher generell verboten und an die ausdrückliche Genehmigung durch die Behörde gebunden, wird ab nun das Halten und Parken generell gestattet und die Behörde muß die Halte- und Parkverbotszonen verordnen und kennzeichnen. Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Regelung des Straßenraumes wird der öffentliche Raum nun auch zum Lagerraum für abgestellte Fahrzeuge. [4]
Und daran hat sich wiederum bis heute wenig geändert. Auf die solcherart verschärfte Konkurrenz um den Straßenraum auch vor dem Hintergrund der zu erwartenden bzw. geplanten Motorisierung wurde erstmals in der Reichsgaragenordnung (1939) reagiert. [5] Das Abstellen von Fahrzeugen im öffentlichen Straßenraum wurde darin nicht grundsätzlich verboten, die bisherigen gesetzlichen Regelungen blieb also aufrecht. Es wurde allerdings das Instrument der Stellplatzverpflichtung eingeführt. Die Reichsgaragenordnung verpflichtete denjenigen (diejenige), der (die) „Wohnstätten, Betriebs- und Arbeitsstätten oder ähnliche bauliche Anlagen errichtet oder Um- und Erweiterungsbauten ausführt, die den Wert solcher baulichen Anlagen erheblich steigern, hat für die vorhandenen und zu erwartenden Kraftfahrzeuge der Bewohner, des Betriebes und der Gefolgschaft Einstellplatz in geeigneter Größe, Lage und Beschaffenheit samt den notwendigen Zubehöranlagen auf dem Baugrundstück oder in der Nähe zu schaffen“. [6]
Mit der Reichsgaragenordnung wurde somit zweierlei versucht. Einerseits sollte, durch die Freihaltung der Straßen vom ruhenden Verkehr, der Verkehrsablauf optimiert und damit ein höherer Motorisierungsgrad möglich gemacht werden, andererseits war beabsichtigt, die Erreichbarkeit diverser Ziele (Wohnung, Arbeitsstätte etc.) mit dem Automobil zu ermöglichen. Die Stellplatzverpflichtung wurde in die Gesetze der Zweiten Republik übernommen und modifiziert, wobei scheinbar in Vergessenheit geriet, daß es sich dabei um ein Instrument zur Forcierung der Motorisierung handelt. Eine Entlastung des öffentlichen Straßenraumes vom Verkehr, wie dies in den folgenden Jahrzehnten immer wieder argumentiert wurde, konnte damit nicht erreicht werden.
Der automobile Aufbruch in den fünfziger und sechziger Jahren fand somit optimale gesetzliche Bedingungen vor. Der Motorisierungsgrad stieg in diesem Zeitraum sprunghaft an, die Situation im Straßenraum verschärfte sich zunehmend. [7] Von seiten der Politik wurde das Problem als solches zwar erkannt, die Lösungsvorschläge waren im großen und ganzen aber an den Interessen der KraftfahrerInnen orientiert. Beispielhaft zeigt sich das in einer Erklärung des damaligen Wiener Bürgermeisters Jonas:
In jeder Großstadt sind die Verkehrsprobleme die allerdringlichsten geworden, da mit ihnen auch die Verkehrsunfälle in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Sie sind deshalb überall so schwer zu lösen, weil man die Struktur und die Größe der Straße nicht so rasch ändern kann, als die Zahl der Fahrzeuge steigt. [8]
Das Problem wurde nicht im steigenden Verkehrsaufkommen gesehen, sondern in der Organisation des Verkehrs und in den räumlichen Gegebenheiten, die einer reibungsloseren Verkehrsabwicklung im Wege standen. Weiter führt Jonas aus, wäre es natürlich selbstverständlich, daß „die Gemeinde alle (sic!) Straßenflächen schafft“, die der fließende Verkehr benötigt. Eine ungerechte Belastung der Allgemeinheit wäre es nach Jonas allerdings, wenn die Gemeinde allein für die Erstellung von Garagen und Parkflächen zu sorgen hätte. Wer ein Auto besitzt, hat jedenfalls selbst dafür zu sorgen, daß er es „in der Nacht wo abstellen kann“. [9] Damit zumindest dies reibungslos vor sich gehen konnte, wurden in immer größerem Umfang Flächen für den ruhenden Verkehr gewidmet. Durch Gehsteigverschmälerungen und die Zerstörung eines funktionierenden Radwegenetzes wurde der, auch von den Medien vehement geforderte Parkraum geschaffen. Zunehmend wurden städtebauliche Entwicklungen forciert, die auf das Auto als Verkehrsmittel zugeschnitten waren. Die immer weitergehende Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraumes durch den motorisierten Individualverkehr wurde selbstverständlich. Im Rahmen der ersten Wiener Verkehrsenquete (1955) wurden zwar erstmals kritische Stimmen laut, die in diesem Rahmen geforderte Einhebung einer Dauerparkgebühr war jedoch nicht durchsetzbar. Weitgehend hatte sich damals schon die Überzeugung durchgesetzt, daß es quasi ein Recht der AutofahrerInnen auf (kostenlosen) Parkraum gebe.
Zeichnete sich die Situation in den fünfziger und sechziger Jahren durch eine zunehmende Belegung des Straßenraumes für die Zwecke des motorisierten Verkehrs aus, so setzte sich diese Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten beinahe ungebremst fort. Zwar kam es im Rahmen einer Gegenbewegung (beginnend in den späten sechziger Jahren) zur Errichtung von Fußgängerzonen, Wohnstraßen und einem (immer noch ungenügenden) Ausbau des Radwegenetzes, Grundsätzliches an der Haltung zum motorisierten Individualverkehr hat sich jedoch nicht geändert. Die Interessen der AutofahrerInnen blieben bei der Gestaltung des Straßenraumes und der Stadt dominierend. Durch die getroffenen Maßnahmen (Straßenbau, Garagenbau, fortlaufende Anpassung der Bestimmungen zur Stellplatzerrichtung) wurde die Ausweitung der Problematik und nicht deren Lösung befördert.
Fast 40 Prozent des gesamten Straßenraumes einer durchschnittlichen Straße im dichtbebauten Stadtgebiet werden mittlerweile vom ruhenden Verkehr in Anspruch genommen. Weder eine laufende Angebotsausweitung im öffentlichen Raum noch die im Zuge der Neubautätigkeit geschaffenen Stellplätze außerhalb des Straßenraumes konnten verhindern, daß sich besonders seit 1985 die Parkraumsituation im dichtbebauten Stadtgebiet weiter verschlechtert. [10]
Die Auswirkungen der in den letzten Jahrzehnten gesetzten Maßnahmen sind somit als katastrophal zu bezeichnen, ohne hier konkret auf einzelne Punkte (Umwelt, Zersiedelung, Nutzung des öffentlichen Raumes) einzugehen. Die in den letzten Jahren teils geforderten, teils umgesetzten und auch geplanten Maßnahmen unterscheiden sich dabei nicht grundsätzlich. Den Bemühungen zur Entschärfung der Situation durch Straßenneu- bzw. -umbau ist zwar etwas seltener Erfolg beschieden, das grundsätzliche Bekenntnis zum motorisierten Individualverkehr und dessen Wachstum ist jedoch ungebrochen. Die neuen Schlagworte lauten Parkraumbewirtschaftung, Verkehrs- und Parkleitsysteme. Die Optimierung des fließenden und die Organisation des ruhenden Verkehrs sollen den begrenzten Straßenraum für die Aufnahme einer noch größeren Zahl von Automobilen befähigen.
Katastrophale Auswirkungen
Im Hinblick auf den ruhenden Verkehr ist vor wenigen Jahren in Wien das Modell der Parkraumbewirtschaftung eingeführt worden. Mit ihr wurde, Jahrzehnte nach der erstmaligen Forderung zu deren Einführung, eine Maßnahme durchgesetzt, die die Benützung von Parkplätzen durch Gebühren regelt. Notwendig und letztlich auch durchsetzbar ist die Parkraumbewirtschaftung geworden, nachdem im dicht bebauten Stadtgebiet die Situation einzelner BenutzerInnengruppen (BewohnerInnen) nicht mehr „tragbar“ war. Durch die Parkraumbewirtschaftung sollen die Bedingungen für den Wirtschaftsverkehr, die Verbesserung der Umweltqualität durch den Rückgang des Parksuchverkehrs, die Rückgewinnung von Gestaltungsräumen im öffentlichen Raum, eine Finanzierungsgrundlage für den Bau von Garagen und die Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs erreicht werden. Die Erfahrungen mit diesem Modell sind auf den ersten Blick als durchaus positiv zu bewerten, [11] trotz einiger „Vorteile“ werden gewisse Probleme im Zusammenhang mit dem ruhenden Verkehr von diesem Modell der Parkraumbewirtschaftung jedoch nicht oder nur langfristig vermindert. Die immer wieder angeführte attraktivere „Gestaltung“ des öffentlichen Raumes benötigt Flächen, in/auf denen das realisiert werden kann. Die Parkraumbewirtschaftung geht aber davon aus, daß die BewohnerInnen jedenfalls, wenn auch gegen Gebühr, einen Stellplatz haben. Der öffentliche Straßenraum ist jedoch alleine durch die BewohnerInnen fast zu 100 Prozent ausgelastet. War es bisher selbstverständlich, daß das Kraftfahrzeug im öffentlichen Raum kostenlos (mit Einschränkungen) abgestellt werden konnte, so wurde mit der Parkraumbewirtschaftung und dem BewohnerInnenvorrecht ein Anspruch auf Parkraum festgeschrieben. Und es ist festgehalten, daß die Stellplätze nur unter Berücksichtigung der Parkraumbilanz im Straßenraum reduziert werden dürfen. Großartige Veränderungen sind unter diesen Bedingungen, betrachtet man die Prognosen zur Motorisierung und der Stellplatzbilanz für die nächsten 10 bis 15 Jahre, nicht zu erwarten. [12] Gleichzeitig kann im Zusammenhang mit der Parkraumbewirtschaftung von Kostenwahrheit keine Rede sein. Untersuchungen zu den Kosten eines Stellplatzes im öffentlichen Straßenraum kommen zu überraschenden Ergebnissen. Urban (1993) kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluß, daß für einen Quatratmeter Stellplatz pro Jahr ohne Berücksichtigung der Umweltkosten als Minimum Kosten von rund 1.150 Schilling anfallen. Ein Parkplatz mit 14 Quatratmeter würde so im Monat rund 1.140 Schilling bzw. 16.050 Schilling pro Jahr kosten. Die Umweltkosten berücksichtigend, kommt er auf eine Summe von über 18.000 Schilling pro Jahr und Stellplatz, das sind fast 900 Prozent mehr, als derzeit für einen Stellplatz zu bezahlen ist. Den größten Teil davon machen die Grundstückskosten aus. Knoflacher (1993) geht in seinen Berechnungen bzw. Betrachtungen im Hinblick auf die Kosten eines Parkplatzes im öffentlichen Raum noch einen Schritt weiter.
„Es wird behauptet, daß wir in einer Gesellschaft der freien Marktwirtschaft, der sozialen Marktwirtschaft, ja gar der öko-sozialen Marktwirtschaft leben. Wenn dieses System funktionieren soll, dann ist es selbstverständlich erforderlich, wesentliche Lebensbereiche, wie etwa jene des Verkehrs, diesen Prinzipien ebenfalls zu unterwerfen.“ [13]
Er legt seinen Berechnungen die durchschnittliche Miete für Wohnungen zugrunde und errechnet aus ihnen den Preis für einen Quatratmeter Boden. So erhält er für einen Parkplatz, den er mit 10 Quatratmeter annimmt, eine monatliche Miete von ca. 2.000 Schilling, würden die Nebenflächen (Zu- und Abfahrt) eingerechnet, ergäbe sich ein Betrag von 4.000 Schilling pro Monat. Dazu rechnet Knoflacher noch die ökologischen Kosten, den Wert von Grün in der Stadt, ein. Unter Vernachlässigung der sozialen Aspekte ist so nach Knoflacher in einer funktionierenden Marktwirtschaft der Wert eines Parkplatzes (10 Quatratmeter) im öffentlichen Straßenraum im Inneren der Stadt mit etwa 4.000 bis 5.000 Schilling pro Monat zu veranschlagen. Die von ihm vorgeschlagene Lösung ist die Schaffung von Stellplätzen in Garagen.
Was das jedoch am Grad der Motorisierung und an der bevorzugten Nutzung der Straße durch Automobile ändern würde, ist zu hinterfragen. Und inwieweit andere Nutzungen, Spiel- und Freiräume, unter Anlegung marktwirtschaftlicher Prinzipien so noch Raum hätten, muß ebenfalls fraglich bleiben. Bestehen bleibt jedoch, daß für eine kostendeckende Gebühr ein Vielfaches der augenblicklich veranschlagten Gebühr bezahlt werden müßte. [14]
Leitsysteme
Parkleit- und Verkehrsleitsysteme stellen augenblicklich den Hoffnungsträger zur Lösung automobiler Engpässe dar. Im Verkehrskonzept für Wien (1994) wird festgehalten, daß neue Informationssysteme genauestens auf deren Auswirkungen auf den Kfz-Verkehr überprüft werden müssen, um nicht gegenläufige verkehrspolitische Entwicklungen zu unterstützen. Parkleitsysteme im Sinne einer übergeordneten Steuerungsstrategie werden dabei positiv beurteilt, weil der Parksuchverkehr doch einen wesentlichen Bestandteil der Belastung durch den Verkehr einnimmt.
In Wien haben sich alle institutionell zuständigen Magistratsabteilungen, Behörden, ParkhausbetreiberInnen und Interessensvertretungen zur Einrichtung eines Parkleit- und Informationssystems entschlossen. Es handelt sich dabei jedoch um kein „reines“ Parkleitsystem, sollen dadurch doch die Verkehrssicherheit, die Umweltbedingungen und die Effektivität des Verkehrsablaufes verbessert werden. Es soll Teil eines zukünftigen Gesamtsystems sein, das den Verkehrsfluß beeinflussen soll. Hier ist die Kritik an Leitsystemen für den Kfz-Verkehr anzusetzen. Wird einerseits mit der reibungsloseren Verkehrsabwicklung und den ökologischen Vorteilen, die natürlich nicht fehlen dürfen, argumentiert, so darf nicht übersehen werden, daß zuallererst einer Optimierung der Auslastung des begrenzten Straßenraumes und damit wiederum einer Vergrößerung des Verkehrsaufkommens Vorschub geleistet wird. Die durch Verkehrsinformationen zeitlich und räumlich verringerten Wege und die damit verbundenen positiven ökologischen Auswirkungen werden durch das zusätzliche Verkehrsaufkommen wieder „wettgemacht“. In Deutschland ist die Entwicklung im Hinblick auf Verkehrsleitsysteme weiter fortgeschritten, die ersten Erfahrungsberichte lassen allerdings wenig Positives erwarten. Das Rezept heißt Telematik. Die Verbindung der Rechenleistung moderner Computer mit der flexiblen digitalen Kommunikation ist in Deutschland schon längere Zeit im Einsatz, um das Chaos in den Straßen zu ordnen und Verkehrsunfälle vermeiden zu helfen. Eva-Maria Thoms hat die Kritikpunkte und auch die finanziellen Hintergründe im Zusammenhang mit der Einrichtung von Verkehrsleitsystemen zusammengefaßt:
Weil dem Expansionsdrang des Autoverkehrs nicht beizukommen ist, klammert sich die kommunale Verkehrspolitik an jeden Strohhalm. Vor allem die Elektroindustrie im Verein mit den Autobauern preist die telematische Verkehrssteuerung fast als Wundermittel gegen den Stau an. Die einfache Tatsache, daß schlichtweg zu viele Autos in den Städten unterwegs sind, weiß zwar jeder, doch nur wenige wollen sie wahrhaben. (...) Und weil gerade die Autoindustrie weiß, daß Autos sich nur solange verkaufen lassen, wie man auf den Straßen auch fahren kann, ist Stuttgart zur heimlichen Hauptstadt der Telematik geworden. Bis zum Ende des vergangenen Jahres (1995, Anm. Verf.) war die Schwabenmetropole Testfeld eines großangelegten Versuches, mit Hilfe der Telematik den Verkehrsfluß zu verbessern. Finanziert wurde das Ganze von der Industrie. (...) Nur eines hat der Versuch mit dem Namen Storm nicht gebracht: freie Fahrt in Stuttgart. [15]
Den gesetzten Maßnahmen ist somit eine neue Qualität abzusprechen. Vielmehr handelt es sich darum, mit neuen Mitteln eine Politik fortzusetzen, in deren Mittelpunkt das Automobil bzw. dessen Fortkommen und nicht so sehr die Lösung der durch das Automobil verursachten Probleme stehen. Für die nahe Zukunft ist denn auch, von lokalen Verbesserungen abgesehen, keine Veränderung der Situation im öffentlichen Straßenraum zu erwarten. Bestenfalls ist vor dem Hintergrund der weiter steigenden Motorisierung keine Verschärfung der Situation zu erwarten.
[1] Wie die frühe Festlegung auf den Vorrang des Fließverkehrs, so war auch die Faszination eines eigenen Wagens schon vor der Erfindung des Automobils festzustellen: „Wagen und Pferde — davon träumt und phantasirt jeder Großstädter! Dreißig Jahre mißt er in seinem Laden Perkal und Bänder (...), dreißig Jahre handelt er mit Syrup und Käse (...), bloß um nach Verlauf dieser mittleren Dauerzeit des menschlichen Lebens das Vergnügen zu genießen, in eigener Equipage zu steigen und nach Hietzing oder Döbling zu fahren.“ (Czeike, F.: Regelung und Sicherung des großstädtischen Straßenverkehrs seit dem 18. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel Wien, Wien 1981, S. 199).
[2] Diese Regelung wurde von den GasthausbesitzerInnen als geschäftsschädigend eingestuft und, jedoch ohne Erfolg, beeinsprucht — glückloser als heutige Bemühungen gegen die Absenkung der Promillegrenze.
[3] In § 1 wurde die Fahrbahn als Teil der Straße, der für den Fahrverkehr bestimmt ist, festgeschrieben. Das Halten wurde als das Stehenlassen zum Ein- und Aussteigen, Auf- und Abladen und das Parken als Stehen und Warten lassen eines Fahrzeugs für längere Zeit definiert. Weiters wurden mit diesem Gesetz Halte- und Parkverbote und die Nutzung der Straßen im allgemeinen geregelt.
[4] Hieß H.: Garagenbauprogramm für Wien, 1995, S. 16.
[5] „Die Förderung der Motorisierung ist das vom Führer und Reichskanzler gewiesene Ziel. Die Zunahme der Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr erfordert, daß die öffentlichen Verkehrsflächen für den fließenden Verkehr frei gemacht und möglichst wenig durch ruhende Kraftfahrzeuge belastet werden. Zu diesem Zweck müssen die Kraftfahrzeuge dort, wo sie regelmäßig längere Zeit stehen, außerhalb der öffentlichen Verkehrsflächen ordnungsgemäß eingestellt werden.“ (RGO: Verordnung über Garagen und Einstellplätze, Berlin, 18.2.1939).
[6] Ebd.
[7] 1951 war von der Polizeidirektion bekanngegeben worden, daß es in Wien rund 63.000 Kraftfahrzeuge gebe und wöchentlich 200 Fahrzeuge neu angemeldet würden. Bis 1970 stieg die Zahl der Kraftfahrzeuge auf knapp 370.000 an.
[8] »Rathaus Korrespondenz«, 10. Oktober 1955, Blatt 1765.
[9] Ebd.
[10] Verkehrskonzept für Wien, 1994, S. 76.
[11] Ein deutlicher Rückgang der Stellplatzauslastung, insbesondere in der Morgenspitze, war zu verzeichnen; eine Reduktion des ein- und ausströmenden Verkehrs um 10 bis 15 Prozent; eine wesentliche Reduktion des Falschparkeranteils; einen bedeutenden Rückgang des Parkplatzsuchverkehrs; eine starke Reduktion der Pkw-Verkehrsleistung innerhalb des 1. Bezirkes; eine bessere Auslastung der öffentlichen gewerblichen Garagen; keine signifikant zusätzlichen Belastungen der Parkraumsituation in den Randbereichen der angrenzenden Bereiche. (Vgl. Klotz, A.: Die Parkraumbewirtschaftung in Wien; in: »Perspektiven« 7/1996, S. 30).
[12] Die Prognosen für das Jahr 2011 weisen eine 91- bis 98-prozentige Auslastung des öffentlichen Straßenraumes aus. (Vgl. Hieß, H.: Garagenbauprogramm für Wien, 1995).
[13] Knoflacher, H.: Zur Harmonie von Stadt und Verkehr: Freiheit vom Zwang zum Autofahren, 1993, S. 121.
[14] Für Deutschland werden die Kosten für die Allgemeinheit im Zusammenhang mit dem ruhenden Verkehr mit 9 bis 15 Milliarden Mark angegeben.
[15] Thoms, E.-M.: Die total verkehrten Städte; in: »Die Zeit«, 9. August 1996, S. 10.