Streifzüge, Heft 1/2002
März
2002

Anmerkungen zu Gerhard Scheit „Kososvo und Auschwitz“

(Streifzüge 2/2001)

Dem kategorischen Imperativ [Adornos] gemäß wäre aber die Universalisierung als eine zweischneidige Befreiung von Auschwitz zu denken, eine, die zwar das Massenmorden beendet hat, aber zugleich die Voraussetzungen dafür bewahrt, dass es sich wiederholen kann. Dem Imperativ gemäß zu denken hieße: jeder Zeit damit zu rechnen, dass die Einheit von Universalisierung und Sonderform ein neues Auschwitz hervorbringt.

Damit ich vom ersten Satz einen Weg zum zweiten finde, muss ich zum einen das von Adorno und zum andern das von mir Gemeinte an jeweils einem Punkt klarstellen bzw. ergänzen. Adornos kategorischer Imperativ bezieht sich auf das Tun: „… alles zu tun, damit Auschwitz nicht sich wiederhole.“ Er bezieht sich nicht auf das Begreifen von Auschwitz; vielleicht, möchte ich behaupten, bezieht Adorno sich hier bewusst nicht aufs Begreifen, weil der Imperativ die durch ihn suggerierte Bedingung der Möglichkeit einer richtigen Praxis nur durch ein gewisses Nichtbegreifen überhaupt aufrechterhalten kann. Als Imperativ sagt er ja: Was auch immer sonst der Fall sein mag, das hier, dies Herausisolierte – also unerkennbar Gemachte – wollen wir verhindern!

Was mich betrifft: Die Universalisierung, die von Auschwitz zweischneidig befreit hat, hat die Voraussetzungen für ein neues Auschwitz nicht bewahrt, sondern neu geschaffen: als jene symbiotische „Einheit von Universalisierung und Sonderform“, zu der die äußerliche Konstellation, in der die universalistischen Befreier von Auschwitz letzterem als der extremsten Form des deutschen Sonderwegs gegenüberstanden, gediehen ist. Innerhalb dieser Einheit sind die verfolgten Menschenrechte zugleich die verfolgenden Menschenrechte, die Schwachen, um deretwillen man eingreift, dank einer wundersamen Verdoppelung, die das Signum der modernen Eingreifsituationen ist, zugleich die Starken. Hunderttausendmal ist diese Verdoppelung in den Vernichtungslagern erträumt worden, oder, um ehrlich zu sein: zumindest niemand von denen, die sich in die Dokumente und Zeugnisse über die Vernichtungslager hineingedacht haben, hat umhin gekonnt, von dieser Verdoppelung zu träumen. Die Realität, die die Erfüllung des Wunsches gewährt, die das Böse als besiegbar, das Unbeherrschbare als beherrschbar vorführt, ist freilich selbst unbeherrschbar und böse.

Das hört bei der kalauerhaften – nicht nur phantasievoll auszudenkenden, sondern faktisch zu beobachtenden – Zuspitzung auf, dass, wer sich auf die Nato bezieht, dies durch ein Szenario bewerkstelligt, das dem durch die zivilisatorische Verarbeitung von Auschwitz geschaffenen Schema möglichst nahe kommt und die im antinazistischen Unterricht eingeübten Reflexe auslöst; siehe Afghanistan. Das Trauma, das zum Ausstieg führte – dergestalt, dass man sagte: Nie wieder! -, wird so zur Einstiegsdroge. Was folgt, ist die wirkliche Geschichte, eingesperrt in den Versuch, wieder auszusteigen. Allenfalls der reflexive Schlußpunkt – „Wären wir doch nie eingestiegen!“ – hat wieder einen Bezug zur Phantasie.

Es fängt aber an – die kalauerhafte Gegenwart lehrt es – bei den universalistischen Momenten des deutschen Sonderwegs selbst. Die fixe deutsche Idee, das Judentum auszurotten, enthielt und entwickelte universalistische Momente der Identifizierung und Verfolgung, die dem antisemitischen Unsinn, das ausgemacht Besondere, folglich Auszusondernde sei das Weltjudentum, zur Wirklichkeit verhalfen. Was der zivilisierte Universalismus heute mit Befriedigung konstatiert, dass kein Übeltäter sich mehr in Sicherheit wiegen kann, das hat der deutsche Sonderweg an den Juden exekutiert. An der westeuropäischen NSGeschichte, die, anders als die osteuropäische, im westdeutschen Bewußtsein Spuren hinterlassen hat, ist vielleicht nichts so traumatisch wie das Schicksal jener in vermeintlich sichere Länder entflohenen Juden, die vom deutschen Nazismus eingeholt wurden, nach dem Motto: wir vergessen niemanden, und wir kriegen alle. Es ist undenkbar, dass ein solches Motto sich von seinen eigenen Bestimmungen emanzipiert. Seine Antagonisten wären allenfalls Vergeßlichkeit und Schlamperei, nicht jedenfalls die jeweils richtige Bestimmung des Bösen.

Als der Universalismus – in der brüchigen Gestalt, die damals die atlantischen Mächte und die Sowjetunion zu Alliierten machte – Auschwitz befreite, hatte er wie gesagt die teuflischste Verkörperung des deutschen Sonderwegs vor sich. Geblendet von dem, was er sah, geblendet zweifellos auch vom Wunder der „Alliierung“, übersah er das Universalistische im Besonderen. In der systematischen Ausschlachtung des Vernichtungsapparats, dem Export des know how und der Täter, der Umwertung der Zurückbleibenden an der Frontlinie zum kommunistischen Gegner, wurde das wahrhaft Universale der deutschen Besonderheit praktisch, freilich nicht theoretisch begriffen. Nicht die subversive Verfolgung deutscher Sonderinteressen im Schutz des Universalismus, sondern die Tatsache, dass der deutsche Sonderweg bereits dank seines eigenen Universalismus ein integraler Teil des letzteren ist, ist der entscheidende Grund dafür, dass wir, auch wenn wir gar nichts begreifen, schon die Ankündigung, die Menschenrechte verteidigen zu wollen, heute als eigentümlich bedrohlich empfinden, so als wäre die Substanz, um die es da geht, regelrecht vergiftet.

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