Wurzelwerk, Wurzelwerk 21
Mai
1983

Der Mythos von Rasse und Nation

1. Teil

Ein österreichischer Busfahrer hat mit einem schwarzen Bergarbeiter mehr gemeinsam als mit dem Industriellen Mautner-Markhof, ein französischer Buchhalter hat mit einem russischen Lohnarbeiter mehr gemeinsame Erfahrung als mit einem Industriellen oder einem aus der Parteihierarchie. Es gibt auf der Welt eine große Anzahl Menschen, die hunderte verschiedene Sprachen sprechen, eine Vielzahl verschiedener Speisen essen, die aber alle eines gemeinsam haben: sie besitzen kein nennenswertes Eigentum und sind daher gezwungen, ihre Arbeitskraft anzubieten, um Mittel für den Lebensunterhalt zu erhalten.

AnniAldor ErtlFranz

Während dieser Artikel geschrieben wird, werden gerade Millionen von Menschen in Familien von Arbeitern hineingeboren. Sie mögen schließlich Lehrer werden, Gruben- oder Hilfsarbeiter oder vielleicht Pianisten.

Einer Sache können wir schon heute sicher sein, sie werden gezwungen sein, ihre Fähigkeit zu arbeiten ein Leben lang zu verkaufen, einfach um leben zu können. Und dann werden hie und da die Ausnahmen von dieser Regel geboren. Die Kinder von ein paar Familien, deren Namen auf Aktien und Obligationen zu finden sind, die große Ländereien, Betriebe und Versicherungsbüros besitzen, Familien von Finanziers, von internationalen Geschäftsimperien, von Industriebaronen. Von ihrer Geburt an wird diesen Kindern das Beste gegeben werden, das die Arbeiter dieser Welt produzieren.

Es gibt eine deutliche Klassentrennung in unserer Gesellschaft. Im Kapitalismus wird die Welt unterteilt in konkurrierende Nationen, mit einer staatlichen Maschinerie zur Verteidigung innerhalb der Länder. Der österreichische Staat z.B. nach der Befreiung vom Faschismus durch ausländische Truppen wurde von einer schwarz-roten, von einer nur schwarzen, dann von einer roten, in Zukunft wahrscheinlich von einer rot-blauen Regierung verwaltet, benützt bewaffnete Kräfte, um privates und staatliches Eigentum vor der eigenen Bevölkerung und vor eventuell eindringenden fremden Mächten zu schützen. Jeder Staat, die Staaten des Warschauer Paktes und die Staaten der 3. Welt eingeschlossen, verteidigt die Interessen der kleinen, privilegierten Minderheit, die die Macht innerhalb der Grenzen hat. Es ist das grundsätzliche Konkurrenz-Prinzip des Kapitalismus, das die Welt in rivalisierende nationale Blöcke teilt.

Aus diesem engen nationalen Profitdenken heraus sind wohl auch die gigantischen Summen, die für die Rüstung ausgegeben werden, zu erklären. Wir wollen einen Prominenten zu Wort kommen lassen, den Präsidenten des Club of Rome, Prof. Aurelio Peccei, der sagt:

Ich glaube, daß es heute ganz klar ist, daß dieses Erbe der Vergangenheit, dieses Erbe unseres tierhaften Ursprungs, nämlich die territoriale Souveränität, einfach überflüssig geworden ist. Die Errichtung von Nationalstaaten erwies sich seinerzeit als der beste Weg, mit dem Feudalismus fertig zu werden. Das war nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach dem Westfälischen Frieden, also vor 350 Jahren, in einer Zeit, als Europa noch mit Wäldern bedeckt war, die nur von wenigen Leuten auf Wagen durchquert werden konnten, die anderen gingen zu Fuß und jene, die lesen konnten, lasen beim Licht von Öllampen. Heute, im Zeitalter der Kommunikationsmöglichkeiten und des technischen Fortschrittes ist der Nationalstaat ein seltsames Relikt der Vergangenheit, das wir mühsam am Leben erhalten, und das eigentlich nicht mehr imstande ist, mit irgendeinem Problem der heutigen Zeit fertig zu werden. Das ist der Geist der Vergangenheit, den wir da mit uns herumschleppen.

Der Nationalismus hat viele Gesichter. Die verheerenden Zerstörungen durch den Faschismus lösten eine große Nachfrage nach Arbeitskräften aus. Um den Arbeitsmarkt zu entlasten holten die Industriestaaten Gastarbeiter aus den ehemaligen Kolonien, aus der Türkei, aus Spanien, Jugoslawien usw.

Was wir damit zeigen wollen, ist dies: Wenn es gilt, rasche Profite zu erzielen, dann pfeift die kapitalistische Herrscherklasse auf alle sogenannten nationalen und kulturellen Belange. Die entdeckt sie erst wieder, wenn sich die hereingeholten Kulis als Klotz am Bein erweisen. Dann werden sie, und sei es unter fadenscheinigsten Argumenten, zum Abschuß freigegeben.

Die Angriffe der Rassisten auf Gastarbeiter oder Emigranten haben keinerlei wissenschaftliche Grundlagen. Die menschliche Spezies hat grundlegend gleiche körperliche Merkmale und geistige Fähigkeiten, in diesem Sinne gibt es keine Rassentrennung, sondern nur eine Art des Homo sapiens. Es gibt nichts derartiges wie eine deutsche Rasse. Nationale Grenzen sind Linien, die von der Besitzgesellschaft im Laufe der Geschichte gezogen und immer wieder verändert wurden. Was sich heute eine Nation nennt, kann durchaus Leute von verschiedener kultureller und geschichtlicher Tradition umfassen. Vorurteile wegen der Hautfarbe zu haben ist ebenso unsinnig, wie wenn man sie von der Farbe der Augen ableiten würde. Die Hautfarbe als Rassenmerkmal ist willkürlich angenommen. Das zeigt auch die Praxis. So werden in den USA Leute asiatischindischer Herkunft als Weiße eingestuft.

Besonders zur Zeit des Sklavenhandels in den USA und des Piratentums der Engländer wurden Rassentheorien entwickelt, um die Sklaverei und den Kolonialismus als zivilisatorische Aufgabe gegenüber untergeordneten Rassen zu legitimieren. Bei einem Bankett sagte ein englischer Kolonialminister: „Die Kunst der Organisation ist dem weißen Manne vorbehalten.“ Und heute versucht man das Versagen „der großen Organisatoren“ den schwarzen Arbeitern in die Schuhe zu schieben. Es ist übrigens bemerkenswert, daß sich zwar sehr oft weiße und schwarze Arbeiter blutige Gefechte liefern, es aber noch nie zu solchen Ausschreitungen zwischen weißen und schwarzen von der Oberschicht kam. Es kann aber durchaus gesagt werden, daß die faschistisch-rassistischen Aktivitäten gewissen Kreisen sehr zusagen, weil sie geeignet sind, von den eigentlichen Problemen abzulenken.

Nationalismus, Faschismus, Rassismus sind auch die geeigneten Methoden, ideologisch einen Krieg vorzubereiten, wie es nachweislich vor den beiden Weltkriegen war und wie es auch heute noch ist.

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