ZOOM 2/1998
Mai
1998

Erfassung ohne Verfassung

Teil I: Die Erregung

Der autoritäre Kapitalstaat der EU und seiner Mitgliedstaaten in seiner noch rudimentären Polizeiform. Vorläufige Aufzeichnungen am Beginn des Zeitalters der repressiven „Demokratien“.

Seit geraumer Zeit werden uns die südostasiatischen Tigerstaaten voller Lob durch westliche Medien und PolitikerInnen, von Unternehmen gänzlich zu schweigen, als das Nonplusultra der sozialökonomischen Entwicklung dargestellt. Autoritär regierte Staaten mit schwachen oder verbotenen Gewerkschaften, mit legitimierten Scheinwahlen, niedrigen Löhnen und flexiblen Arbeitszeiten. Ist damit, nach dem gigantischen Börsenkrach und den irrwitzigen Währungsverlusten, nun Schluß? Mitnichten. Niemand redet mehr über Südostasien als das Vorbild, sondern Südostasien als Bedrohung, gegenüber dessen Billiglöhnen und -produkten man sich weiter rüsten müsse. Die autoritäre politische Rahmenerstellung dafür, genannt Schengen, läuft weiter. Österreich ist seit 1. April 1998 Teil des kleinen luxemburgischen Städtchens.

Freuten wir uns am Ende des Kalten Krieges über den Zugewinn an Sicherheit in der Welt, über das Wegfallen unsinnig teurer Rüstungsprojekte, über das Kommen eines Mehrs an Demokratie, wurden unsere diesbezüglichen Hoffnungen schnell abgeräumt. Jetzt bekommen wir es knüppeldick: Schleierfahndung, Rasterfahndung und Lauschangriff, Europol und Schengener Kontrollen. Wer will da noch wissen, wieviel das kostet? Und wem? Leidtragende zahlen Selbstbehalt. Und wessen Idee der entstehende Sicherheitsapparat war oder ist? Ist es eine enorm einflußreiche Polizeilobby, die sich unkontrolliert selbst aufbläht, ist es die konservative Meinung einer älter werdenden Gesellschaft, oder sind es die Medien des Boulevards, in denen kleinste Vorgänge zu gesellschaftlichen Katastrophen aufgeblasen werden? Oder auch makrostrategische Planungen derer, die die sozialen Gesetze, solidarische Vorstellungen und gemeinschaftliche Regeln als Behinderung empfinden? Wie soll man das wohl werten, wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) anläßlich der Bauernproteste gegen Billigimporte die französische Regierung dazu verurteilt, alle Maßnahmen gegen seine eigenen StaatsbürgerInnen zu ergreifen, um die Sicherstellung des freien Warenverkehrs zu gewährleisten? Kann man bis zur Verhängung des Ausnahmezustandes gegen seine Bevölkerung vorgehen, wenn es das Interesse der EU verlangt? Was für ein Interesse? Auf jeden Fall ein übergeordnetes, uns übergeordnetes.

Ökonomischer Hammer (eine liberale Wirtschaftspolitik verlangt ... )

Der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens, der Kollaps der osteuropäischen Wirtschaften, der vereinigte Ansturm von Globalisierung und Organisierter Kriminalität, das Anwachsen von EU und NATO ließ die Medien jedwede progressive, humane Entwicklung zu Grabe tragen. Der allgemeine Pragmatismus von liberalen Gnaden wurde als ewiges Leitbild für Gesellschaft und Politik verkündet. Dafür gibt es wirtschaftliche Gründe.

Das Ende des Militärkeynesianismus hat in eine tiefe, weltweite Rezession geführt. Die Überproduktion von Gütern am Weltmarkt in verschiedenen wichtigen Sektoren hat einen Preiskrieg in Gang gesetzt, der bis heute anhält und ein mächtiger Anschub für weitere Deregulierung von Arbeits- und Umweltnormen in Europa ist. Der Machtdiskurs des Neoliberalismus setzt seither endgültig die Maßstäbe: individuelle Deregulierung, Privatisierung der Sozialkosten und effizienten Opportunismus, Verzeihung: pragmatisches Sparen in den Himmel heben. Massenentlassungen, Verlagerung von Industrien, Absenkungen von Sozialstandards, genannt Sparpakete, wurden als Sachzwang einer notwendigen Globalisierung der Wirtschaft erzwungen, die Exportorientierung als Nonplusultra gegenüber dem kleiner werdenden inneren Markt auf Grund der sich beschleunigenden Verarmung gepriesen. In Europa trifft diese globale Entwicklung auf die sich erst legistisch entfaltende Binnenmarktkonzeption der EU-Kommission, die diese Tendenzen aufgreift und sie weiter legitimiert.

Sozialer Amboß (... eine rigorose Sozialpolitik)

Als Verantwortliche der Maastricht-Kriterien sind für die Europäische Kommission Preisstabilität und Budgetausgleich ungleich wichtiger als Arbeitslose und Arme, deren Anzahl statistisch nach unten manipuliert wird. Auch hier wurde in den Achtzigern ein Markt von Hunderten von Millionen suggeriert, der heute dank Massenentlassungen und Armut so nicht mehr vorhanden ist. Die maschinelle Rationalisierung der Industrie macht arbeitende Menschen überflüssig, was ja einmal als positive Utopie, wenn dies mit Umverteilung des Reichtums einhergeht, galt. Aber heutzutage, im „Neoliberalikum“!

Der Rückzug der Staaten aus der Umverteilungspolitik zugunsten von Eliten läßt die Menschen nationalistische Appelle an den paternalen Staat richten. Was also fällt innovativen PolitikerInnen dazu ein: weniger Geld für viele, weniger AusländerInnen, mehr Gefängnisse, mehr Sicherheit durch mehr Polizei, mehr soziale Unsicherheit, mehr Überwachung, mehr Strafen, Arbeitspflicht, private Sicherheitsdienste, Ehrenämter, freiwillige soziale Arbeit, selber UnternehmerIn der eigenen Arbeitskraft werden! Aber bitte nicht illegale/r Unter- oder ArbeitnehmerIn werden — etwa in Sachen Auftragsmorde, Zuhälter, Prostituierte, Drogen-, Menschen-, Waffenhandel/-schmuggel, Schutzgelderpressung —, sondern in Würde arm sein und nicht konsumieren in der Konsumgesellschaft. Vielleicht Ordensbruder/-schwester werden, die haben jetzt sicher Nachwuchsprobleme!

Und wie es halt einmal so bei zunehmender Verarmung ist, wächst rein zufällig damit politischer Widerstand, aber auch die Kriminalität. Dazu öffneten sich die Grenzen Osteuropas, und statt vor Freude darüber lange und ausgiebig zu feiern erstarrte man vor Schreck angesichts der nachholenden Arbeits- und Konsumwut. Dem galt es schleunigst einen Riegel vorzuschieben. Und schon ergibt sich die Verschiebung von Problemen aus sozialer Wahrnehmung in die ordnungsstaatliche und polizeiliche Sichtweise. Das erfolgt meist unter dem Kunstgriff „Ausländerkriminalität“. Hier ist Deutschland die Blaupause für alle anderen. Einerseits setzte mit der Vereinigung der zwei Staaten eine Kampagne gegen „Asylbetrüger“ ein, getragen von konservativen Politikern und Medien, exekutiert von Rechtsextremen, andererseits machte Deutschland Druck auf alle anderen Länder, die Asylgesetzgebung zu verschlechtern und die Einwanderungsquoten herunterzufahren. Und schließlich schloß Deutschland auch noch vorbildhaft für alle anderen EU-Länder bilaterale Rückschiebeabkommen mit entsprechender Finanzierung ab. Allerdings konnte dadurch die mentale Vereinigung nicht erzwungen werden. Die Westdeutschen betrachten die Ostdeutschen weiterhin als Lohndrücker und/oder als Subventionsempfänger. Die anderen EU-Länder folgten dem leuchtenden Beispiel und so senkte sich ein neuer Vorhang, quer durch Europa, symbolisiert durch den Namen „Festung Schengen“.

Aber auch für die innere Wohlordnung der Festung wird gesorgt. Unter der Devise vom Sozialschmarotzertum der AusländerInnen und Unanständigen konnten Barrieren gegen Sozialansprüche von jedermann/frau errichtet werden, Zugänge beschränkt, Finanzierungen ausgetrocknet, Gesetze erlassen und die Kontrolle erhöht werden. In Deutschland überlegt man sich Sozialdetektive, die die Armen, vulgo SozialschmarotzerInnen, überwachen sollen. In England funktioniert das schon ganz gut, Thatcher sei Dank. Ein denunziatorischer Anruf von NachbarInnen genügt für eine Kontrolle vom Sozialamt. Insofern sind uns die BritInnen mal in einem Gebiet voraus, in dem wir uns in Österreich als MeisterInnen betrachten. Und sonst machen sich Überlegungen breit, die Arbeitspflicht, so wie in Zeiten faschistischer Diktaturen, wiedereinzuführen. Ein weiterer Schritt in die illiberale Demokratie: politische Freiheit bei gleichzeitiger Zurücknahme ziviler Freiheiten. Eine allumfassende, „sanfte“ Repression auf Grundlage der Existenzerpressung in kapitalistischen Marktwirtschaften.

Kollaboration der sozialpolitisch reaktionär eingestellten Medien

Legitimiert wird diese Repression durch die Medienberichterstattung, die ein diffuses Bild der Gewalt erzeugt. Dazu kommen die Klagen der Polizeibehörden über mangelnde Kompetenzen und unzureichende Infrastruktur. Alles das, was bis vor kurzem entweder illegal oder gar nicht geregelt für Polizeibehörden war, soll nun legal werden. Dieser Legalisierungsstrategie, polizeilichen und geheimdienstlichen Allmachtwünschen Gesetzesrang zu verleihen, steht die Forderung nach noch mehr Verboten, nach härterer Illegalisierung von Handlungen zur Seite. Diese Wünsche werden gerne von PolitikerInnen aufgegriffen, die nah an rechtsaußen grenzen oder sich als HardlinerInnen (you know, tough eggs) profilieren wollen. Von dort geht mann/frau rasch über zu Ausländerkriminalität, Zuwanderungsstopp und Asylverboten: staatlich gebotener Rassismus. Hinzu kommen Bücher über ein weltweit agierendes Verbrechersyndikat, das von Rußland her droht, und in denen entsprechende Abwehrmaßnahmen gefordert werden: Lauschangriff, Rasterfahndung etc. Solche Gelegenheiten, einer verunsicherten Gesellschaft harte Maßnahmen zu empfehlen, lassen sich auch ehemals als Linke oder Aufklärer geltende Autoren nicht entgehen: Jürgen Roth, Werner Raith, Jean Ziegler. Oder folgen sie nur dem Lemmingzug der Zeit und der Mehrheit in der illiberalen Demokratie? Den meist in privaten Händen befindlichen Medien geht es nicht mehr um objektive Informationen, sondern um Auflagensteigerung, Marktanteile und damit Inseratensteigerung. Diese Inserateneinnahmen können aber nur durch gefällige Wirtschafts- und Politikberichterstattung gehalten oder gar gesteigert werden. Diese durch und durch stolze Haltung der meinungsfreien Medien wird gerne als allgemeines Interesse der KonsumentInnen camoufliert. Eine solche Informationspolitik, die ja mittlerweile Infotainment genannt wird, hat seit den Achtzigern Platz gegriffen. Sie fördert nicht mehr politische Aufklärung über Interessen und Sachverhalte, sondern bestätigt die von Autoritäten wie Politikern und Managern erzeugten Vorurteile.

EU-Binnenmarkt nach Maastricht

Diese Probleme stellen sich aber nicht nur in Österreich, sondern in allen EU-Ländern, sowohl was die legistische Vorgangsweise als auch was das Erstarken rechtsextremer Parteien und Gewalttaten anbelangt. Vieles bleibt aber verschwommen, nämlich ob der Prozeß des EU-Binnenmarktes die Segregation zwischen („echten“) EuropäerInnen und NichteuropäerInnen bestimmt, ob die einzelnen Nationalstaaten von selbst zu solchen Maßnahmen gegriffen hätten, ob die Globalisierung der Produktionsstätten und die Industrialisierung von nichtwestlichen Staaten und der Wettstreit um Kapitalanlagen und Investitionen die sukzessive Zertrümmerung der sozialen Errungenschaften zu dem Zeitpunkt, zu dem man sie gerade braucht, erzwungen haben. Einerseits hat der Schengener Prozeß die Binnenmarktentwicklung begleitet, andererseits war der Fall des Comecon Mitte der achtziger Jahre noch nicht klar. In die Binnenmarktkonzeption sind vornämlich Vorüberlegungen europäischer Multis eingeflossen, die sich durch Konzentrationsbewegungen und Aufkäufe für zukünftige Preiskriege vorbereiten oder diese dadurch womöglich ausschalten wollten. Diese Fusionen waren und sind von Massenentlassungen begleitet, die den inneren Konsummarkt aber verkleinern. Wenn dazu die EU-Staaten für die Konvergenzkriterien von Maastricht ein Deflationsregime errichten, entbrennt der Lobbykrieg der diversen Interessengruppen zwischen Verlierern und Gewinnern um den noch verbleibenden Verteilungschatz des jeweiligen Staates. Hier ist es dann aus mit gemütlich.

EU-Binnengesellschaften

Diese Territorien sind durch entsprechende Bedrohungsbilder der Medienproduktion, die sich wiederum der Polizeiinformationen bedient, genügend eingestimmt. Die unfreiwilligen Objekte dieser Bilder, die freiwillig oder gezwungen aus der Arbeitsgesellschaft ausgestiegen sind, fließen im alltäglichen Bewußtsein ineinander.

Punks, DrogenkonsumentInnen, Obdachlose, Bettler, Sandler und bereits auch Arbeitslose wurden von Polizei, Wirtschaft und Medien in den EU-Staaten zum inneren Bedrohungs- und Feindbild aufgebaut. Als VerliererInnen bedrohen sie das Erscheinungsbild der Städte, der Gesellschaft, des freien Marktes. Sie müssen aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt, ausgeschlossen und deshalb von zuständigen Einschließungskräften kriminalisiert werden. Dazu werden die nötigen Kriminalisierungsgesetze beschlossen. Bagatelldelikte werden zu Vorbereitungen von Schwerverbrechen hinaufstilisiert, um die schon Marginalisierten noch weiter von der Gesellschaft auszuschließen, um sie endgültig einzuschließen. In den heutigen Beschäftigungslagen kann aber jede/r von der flexiblen Arbeitsmarktgesellschaft ausgestoßen werden, unnötig werden, daher erkennt jede/r in diesen Marginalisierten seine/ihre eigene mögliche Zukunft. Dieser Horror muß verdrängt werden. Daher gibt es eine hohe Akzeptanz gegenüber den reaktionären Vorstellungen von Polizei und Medien. Gerade die Jugendkultur wird so zu einem reichen Betätigungsfeld polizeilicher Aktivitäten. Kommt die Polizei damit nicht zu Rande, so nehmen Handelsvereinigungen, Kaufleute einer Straße etc. gerne die Dienste von ins Kraut schießenden privaten Sicherheitsdiensten an. Auch bei der österreichischen Post stehen bereits private Sicherheitswürstel bei der Auszahlung des Arbeitsgeldes herum und markieren. Der neue Arbeitsmarkt für Arbeitslose: das private Sicherheitsdienstleistungsangebot, und schon ist mann/frau wieder etwas Besseres.

Die Ordnungspolitik der EU-Staaten

Vorgebliches Feindbild ist die Organisierte Kriminalität. Sie muß mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden. Da müssen Privatsphäre und Bürgerrechte zurückstehen. Und OK kann vieles sein. Dabei kann sie, wie in Italien zu analysieren war, nur mit Hilfe von Teilen des Staates funktionieren: ganz oben über Einflußnahme wichtiger Politiker, Richter und Polizeipräsidenten, ganz unten durch schlichte Bestechung kleiner Beamten. Im heutigen Rußland ist sogar die Identität von Politikern, Beamten und Unternehmern mit sogenannten Mafiosnik gegeben. Das bedeutet, daß nur die Überwachung der Staatsbeamten und der VolksvertreterInnen ausreichend Schutz vor der OK bietet. Oder? Aber reden wir doch von den eigentlichen Zielobjekten der Überwachung.

Lauschangriff, Rasterfahndung, Schleierfahndung, illegal Arbeitende, AusländerInnen, AsylwerberInnen, Sozialschmarotzer — immer mehr wird verschärft, verfolgt, kriminalisiert und vor allem differenziert, sprich segmentiert, auseinanderdividiert: da hedonistische, pflichtvergessene drogenkonsumierende Jugend, dort in Frühpension Flüchtende oder Abgeschobene, ängstliche RentnerInnen, „unanständige“ Arbeitslose, hart arbeitende UnternehmerInnen, bureaukratische Superverdiener. So wird eine Sozial- und Sicherheitspolitik legitimiert, ein Polizeistaat erbaut, in dem dessen Exekutoren auf gesetzlicher Basis weitreichende Ermächtigung haben, ganze Bevölkerungsteile zu kontrollieren und zu erfassen. Datensammlungen anderer Institutionen werden vernetzt, mit oder ohne Genehmigungen, der Zugriff auf Grund schwach formulierter Gesetze immer möglich, der Datenschutz ein Scherz, die bürgerliche Privatsphäre eine nun doppelte Illusion. Die Freiheit des Individuums wird nicht mehr politisch definiert, nur mehr wirtschaftlich und juristisch. Die juristische Produktion von Gefangenen und die materielle von Gefängnissen wie in den USA könnte aber vielleicht so umgangen werden.

Die Asylgesetzgebung ist mit Hilfe der Drittlandklausel auch auf politische Flüchtlinge positiv nicht mehr anwendbar. So werden in Österreich wegen dieser Klausel eines angeblich sicheren Landes pro Jahr 15.000 Menschen in Schubhaft genommen und ausgewiesen. Ab 1.1.1998 laut neuerlich renoviertem Asylgesetz werden die Flüchtlinge schon an Österreichs Grenzen sortiert, eine Berufung von dort aus gegen einen negativen Bescheid ist praktisch unmöglich. Damit sind das österreichische Asylgesetz und die Schengener Abkommen im technischen Bereich bereits fast deckungsgleich: dort das Fax an das Bundesasylamt, hier der SIS-on-line-Computer.

In Deutschland arbeiten Verfassungsschutz und Polizei angeblich nur bei der Bekämpfung Organisierter Kriminalität zusammen, obwohl bekannt ist, daß die politischen Referate der Polizei schon lange mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz kooperieren. In Bayern ist der Lauschangriff zur „präventiven“ Verbrechensbekämpfung erlaubt. Ministerpräsident Stoiber will diesen auf ganz Deutschland ausweiten, unter dem Hinweis auf die vergleichsweise niedrige Kriminalität in Bayern im Vergleich zum Beispiel zu Bremen. Daß mit der präventiven Verbrechensbekämpfung, ausgestattet mit den Mitteln des Lauschangriffes, der Schleier- und der Rasterfahndung, die Polizei nicht nur Möglichkeiten und Maßnahmen in die Hand bekommt, sondern ungeheure Macht, wird nicht diskutiert. Die Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdienstbereichen, das zukünftig erlaubte Abhören von Berufen, die den gesellschaftlichen Teil eines liberalen Rechtsstaates repräsentieren, also Ärzte, Rechtsanwälte und Journalisten, bekommt nun gesetzlichen Rang. Nur Politiker sind in Deutschland ausgenommen. Warum eigentlich, wenn man nach Italien sieht, wo die Democracia Christiana nicht mehr existiert, da sie mehr einer organisierten Bande aus Kriminellen als einer politischen Partei ähnelte.

Schengen, das EU-System zur Ausschließung
oder: Der Binnenmarkt und seine Küstenregionen

Nachdem die normale legale Zuwanderung durch Anwachsen der Massenarbeitslosigkeit zunehmend überflüssig und daher kaum mehr geduldet wurde, verschärfte die EG schon gegen Ende der achtziger Jahre ihre Asylpolitik gegenüber Flüchtlingen — gemäß dem Abkommen Schengen II aus dem Jahre 1990. Die „Harmonisierung“ der Gesetze und Vorschriften der einzelnen EG-Mitgliedstaaten wurde als notwendige begleitende Absicherung zum entstehenden Binnenmarkt gesehen. Mit dem Stichjahr 1993 sollten die inneren Grenzen fallen, und das wurde sofort als Sicherheitsdefizit wahrgenommen. Daher sollten die allgemeine Überwachung und Kontrolle ausgebaut, das Nacheilen der Polizei über die Grenzen erlaubt, die BürgerInnen einer jederzeitig möglichen „Schleierfahndung“ im grenznahen Bereich unterworfen werden. Jeder Polizist symbolisiert potentiell die Grenze. Die Polizei als das Eigenste des Staates, das herrschende Identifizierungsangebot? Das personifizierte Grenzziehende? Für rechtsextreme Parteien sehr wohl!

An den Beratungen zu Schengen in den achtziger Jahren nahm auch Österreich teil. Man nahm schon damals, vor der Ostöffnung, an, daß billige Arbeitskräfte innerhalb der EG ausreichend vorhanden sein werden, sodaß an außerhalb der EG lebenden Arbeitskräften kein Bedarf mehr sein werde. Eine scharfe Abschottung nach außen war deshalb nur durch einen gemeinsamen Datenverbund und gleiche Regelungen bezüglich Asyl, Aufenthalt und Arbeitsbewilligung für Nicht-EG-BürgerInnen gegeben. Als dann in der ersten Euphorie die osteuropäischen Staaten die Menschenrechtskonvention unterzeichneten und die Migration liberalisierten, weil sie diese Gesetze als Angleichung an westliche Wertnormen und nicht als Instrumente des Kalten Krieges und der seinerzeitigen tätigen Reue über Versäumnisse im Zweiten Weltkrieg interpretierten, war Schengenland noch nicht einsatzbereit. Daher setzte jede westeuropäische Regierung zuerst auf eigene Maßnahmen zur Abschottung. Doch ermöglichte es der Zusammenbruch der osteuropäischen Wirtschaften, den insgeheim schon lange vorbereiteten Sicherheitsstaat EU nun auf der öffentlichlichen Bühne erscheinen zu lassen. Das Publikum war schon entsprechend eingestimmt.

Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Ostblocks begannen in Deutschland, Frankreich und anderen EG-Ländern Kampagnen konservativer Politiker, unterstützt durch die Massenmedien, in denen eine Überfremdung festgestellt, ein Einwanderungsstopp gefordert, AsylwerberInnen als kriminell, asozial und parasitär hingestellt und politische Verfolgung als irrelevant dargestellt wurden. Hinzu wurde die Diffamierung oft auf Wirtschaftsgründe verengt. Mit dieser Legitimierung versehen, wurden einerseits die notwendigen Verfassungsänderungen in diesen sensiblen Bereichen erreicht, die Schengen-Beschlüsse von den Parlamenten hingenommen, andererseits erstarkten rechtsextreme Bewegungen, häuften sich Anschläge gegen JüdInnen, TürkInnen, AsylbewerberInnen und Behinderte. Durch die oben erwähnten Gesetze zu Asyl und Aufenthalt wurden viele in die Illegalität gedrängt, kriminalisiert. Das veranlaßte dann rechtsextreme Parteien und die Polizeien, vom Ansteigen der Ausländerkriminalität zu schwätzen. Hinzu kamen das Ansteigen der Arbeitslosen durch Fusionen, Auslagerungen und Schließungen von Betrieben, der Abbau des Sozialstaates, die Verschärfungen der Arbeitsbedingungen, der restriktive Kurs der neoliberal ideologisierten Zentralbanken und Regierungen.

All das hat ein Klima der Unsicherheit, der Angst und des Hasses geschaffen, und damit die Lust auf Bestrafung, auf Rache an jederfrau/mann. Im Kampf um die Arbeitsplätze wurden der Aufbau eines Sicherheitsstaates, die Ausgrenzung von Nicht-EU-BürgerInnen als handlungsanleitende Werte akzeptiert. Der allgemeine Rechtsruck katapultierte Werte und Haltungen, die noch in den frühen siebziger Jahren als rechtsradikal galten, in das Zentrum der Gesellschaften, getragen von Medien, Polizei und Politikern.

Staatssicherheit statt sozialer Sicherheit hat aber noch einen zweiten Aspekt. Der Binnenmarkt, die Zusammenschlüsse europäischer Konzerne zur besseren Konkurrenz gegen die USA und Japan am Weltmarkt, getragen von einem einheitlichen Binnnenmarkt als politökonomische Operationsbasis, haben wie schon oben erwähnt zur Massenarbeitslosigkeit, zur Verarmung ganzer Regionen und weitreichender Deindustrialisierung geführt. Dazu kommen Privatisierungen wichtiger volkswirtschaftlicher Produktionen und Leistungen und Deregulierungen in der Marktwirtschaft, denen eine härtere und wachsende Regulierung durch die Sozialämter am Arbeitsmarkt gegenübersteht. Die Produktion von Armen, billigen Illegalen, jeder Ausbeutung unterworfenen Arbeitskräften, von prekären Arbeitsplätzen, von Ghettos und Dritter Welt innerhalb der EU sowie dem damit einhergehenden Ausschluß und die gesetzliche Produktion von Nicht-EU-Menschen ist schon früh ins Blickfeld der polizeilichen und juristischen Regulatoren geraten. Statt Solidarität Konkurrenz um die Arbeitsplätze, Arbeitsplatzbesitzertum und Fremdenvertreibung. Diese zerstreute Masse und ihre möglichen Gefühlsausbrüche muß unter Kontrolle gehalten werden, wobei die Instrumente dieser von unsichtbar bis spürbar reichen.

Festung Europa

Geschengt

Das Schengener Abkommen von 1985 ist ursprünglich aus der Absicht entstanden, die Grenzkontrollen innerhalb der EG abzuschaffen und die äußeren Grenzen der EG nach einem gemeinsamen Recht zu sichern. Da einerseits Großbritannien, Irland und Dänemark nicht dazu bereit waren und andererseits Italien, Griechenland etc. noch nicht willkommen waren, beschlossen die anderen Länder, die gemeinsamen Maßnahmen außerhalb des EG-Rechtes zu vereinbaren und durchzuführen. Die EG-Kommission wurde Beobachter beim Schengen-Rat. Dieser wiederum kooperierte mit der Trevi-Gruppe. Durch das außerhalb der EG beschlossene Schengener System konnten die fünf Regierungen Druck auf die anderen Staaten ausüben, sich dem ohne parlamentarische Kontrolle entstandenen Rechtssystem anzugleichen. Schengen basiert allerdings nur auf bilateralen Verträgen zwischen den Staaten, solange bis die Dritte Säule vergemeinschaftet werden kann.

Schon 1986 wurde dann eine „Ad-hoc-Arbeitsgruppe Immigration“ als Organ des EG-Ministerrates gebildet, deren Aufgabe es war, durch verstärkte Kontrollen der Außengrenzen und Koordinierung der Visa-Politik „dem Mißbrauch des Asylrechtes ein Ende zu machen.“ (Diese Phrase hat seither eine europaweite Karriere erfahren.) Die Harmonisierungen führten zu einer EU-weiten Verschärfung des Asylrechts der einzelnen Staaten und der Errichtung von Abwehrvorrichtungen gegenüber Nicht-EU-BürgerInnen. Dazu zählen Visapflicht für die BürgerInnen fast aller Nicht-EU-Staaten, das Schengener Informationssystem, welches Daten unerwünschter Personen und Sachen speichert, entsprechende Datenterminals an den Grenzen, eine infrarote Lichtgrenze gegen die osteuropäischen Staaten, ein Datensystem für Fingerabdrücke (EURODAC), verstärkte und hochgerüstete Grenztruppen. Diese sind mit Hohlraumsonden, Paßlesegeräten und Wärmebildkameras ausgerüstet. Dazu kommt die „Schleierfahndungs“-Befugnis, die Kontrolle von verdächtigen Personen im erweiterten Grenzbereich. So kontrollieren bayrische Grenzbeamte im östereichischen Raum und umgekehrt.

Wie bei Wirtschaftsunternehmen ist Datenschutz bei diesem EU-weiten Datenleitungen und -weitergaben nicht gegeben. Nur die Behörden selbst genießen diesen, wie eben auch die Wirtschaftsunternehmen. Das Löschen von Fehldaten und falschen Informationen ist nicht vorgesehen. Das SIS (Schengener Informationssystem) in Straßburg wird nicht nur zur Fahndung nach Personen und Sachen benützt, wie der Standard vom 3.12.1997 unvollständig berichtete, sondern auch zur Verhinderung der Einreise politisch mißliebiger Personen und Gruppen. Weitere Kategorien für Eingaben sind Festnahmen, Einreiseverweigerung, Vermißte, Aufenthaltsermittlung und verdeckte Registrierung. Österreich ist seit 27.10.1997 voll dabei, wobei Deutschland über Jahre hinweg enormen Druck ausgeübt hat, damit die österreichischen Grenzen dicht gemacht werden. Den gibt jetzt Österreich gemeinsam mit Deutschland an Italien weiter. Tolle Leistung, schengenreif zu sein. Im Frühjahr 1998 soll ein Containerzentrum am Flughafen Schwechat entstehen, für eine bessere Zentralisierung und Abschiebung von Schubhäftlingen. Damit folgt Wien dem Beispiel anderer Länder wie Frankreich, Belgien und Holland. Schengen hat einen „Sicherheitskordon“ von Drittstaaten erzwungen, gebildet durch die osteuropäischen Staaten.

Mit dem Amsterdamer Vertrag vom 17.6.1997 wurde Schengen in das EU-Recht integriert, mit einer Sonderstellung für Großbritannien und Irland. Oberstes Leitungsorgan wird in absehbarer Zukunft Europol sein. Davon mehr in Teil II in der nächsten ZOOM.

nächster Teil: Das System zur Einschließung

Europol

Begründet im Art. 8a des Maastrichter Vertrages vom 7.2.1992. Nachfolgeorganisation der interministeriell konstituierten TREVI-Gruppe vom 29.6.1976.

Aufgaben:

  • Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, des Rauschgifthandels und sonstiger Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität,
  • Harmonisierung der Asylpolitik (Schengener Abkommen),
  • Errichtung einer Europäischen Kriminalbehörde nach Vorbild des FBI ( das FBI ist zugleich auch der zivile Inlandsgeheimdienst und die Spionageabwehr der USA) und eines gemeinsamen Fahndungssystems EIS.

Organisation:
1. Ebene: Koordinationsausschuß der Ständigen Vertreter der EU-Staaten
2. Ebene: Arbeitsgruppen des EU-Ministerrates
3. Ebene: Europol Drug Unit (EDU)
4. Ebene: Europol Aufbaustab

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