Streifzüge, Jahrgang 2023
März
2023

Panem et circenses oder: Reise zum Ursprung

1.

Blicken wir für einen Augenblick, sofern uns nichts Besseres einfällt, in die Tiefe der Zeiten zurück, genauer: in die Ära des imperium romanum. Wir sehen hier vieles, insbesondere aber auch Phänomene, die insofern Beachtung verdienen, als sie die Vorgänger einer Transformation zu repräsentieren scheinen, die hier und heute sich anschickt, Gestalt anzunehmen, und auf die wir am Schluss dieser historischen Reise kursorisch hinweisen werden. Gründlicher haben sich damit schon andere beschäftigt. – Die Rede ist, was das Vorläufermodell aus der antiken Epoche betrifft, von der annona und den circenses.

2.

Was aber ist unter annona zu verstehen? Nun, es handelt sich hier um die staatliche Lebensmittelversorgung von Rom und (später dann auch) von Konstantinopel, um ein System, das sich darin resümiert, dass die plebs dieser urbanen Zentren (wahre Kolosse im Kontext der agrarischen Verfasstheit der Länder dieser Zeit) kontinuierlich mit Nahrungsmitteln versorgt und zugleich, hinsichtlich der Ernährungslage, unabhängig von ihrer monetären Kapazität gemacht werden sollte. Auf diese Weise versuchte man zu verhindern, dass die Masse der Bürger in diesen Städten von Hungerkrisen (mit all ihren Folgen auch für die herrschende Klasse) heimgesucht würde – Bürger oder proletarii, die infolge des massiven Einsatzes von Sklaven auf den Latifundien ihrer agrarischen Basis verlustig gegangen und daher scharenweise in die Stadt, in einer Art Landflucht, getrieben worden waren.

Da das Hauptnahrungsmittel der mediterranen Zonen zu dieser Zeit schlicht und einfach das Brot war, konzentrierte sich das System der annona selbstverständlich auf die Zufuhr von Getreide und die Verteilung gebackenen Brotes, auch wenn, wie wir noch sehen werden, es sich darauf keineswegs beschränkte.

Das Getreide, das dafür nötig war, wurde als Grundsteuer in den afrikanischen Provinzen (insbesondere in Africa proconsularis), in Sizilien und in Ägypten eingezogen und dann nach Rom respektive Konstantinopel verschifft (wobei nach der Gründung der östlichen Hauptstadt durch Kaiser Konstantin das ägyptische Getreide exklusiv nur mehr dorthin und nicht mehr nach Rom verbracht werden sollte).

In den afrikanischen Provinzen, die also die Hauptlast für Rom zu tragen hatten, wurde dieses Steuergetreide unter der Aufsicht eines praefectus annonae Africae, der dem Reichspräfekten direkt unterstand, requiriert, um dann von den dortigen Häfen aus nach Rom verschifft zu werden.

Der Transport des Getreides (während der Seefahrtsaison vom März bis November) – man spricht von etwa 175.000 Tonnen im Jahr – oblag dabei den navicularii, privaten Reedern, die Schiffe auszurüsten und zu betreiben hatten, und zwar als ein munus, gewissermaßen eine Steuerverpflichtung in Form eines „Dienstes“, der aber Steuererleichterungen und die Befreiung von sonstigen Lasten (munizipaler Natur) implizierte. Es versteht sich von selbst, dass diese navicularii auch eigene Waren auf diesen Schiffen transportierten (Olivenöl und Keramik), so dass dieser munus kein Verlustgeschäft war.

Das Getreide wurde dann, einmal sicher vor Rom angekommen, von den Häfen Ostia und später Portus aus in die urbs gebracht, wo es von den römischen Autoritäten (unter einem praefectus annonae) übernommen und in Lagerhallen, den horrea, vorläufig gelagert wurde. Von dort gelangte es schließlich in die Mühlen, in denen es von Sklaven (von Strafgefangenen zumeist) zu Mehl verarbeitet wurde (mehr und mehr unter Zuhilfenahme von Wasserkraft, wobei man das Gefälle der Aquädukte dazu ausnutzen konnte). Einmal gemahlen, wurde es am Ende der Kette endlich in die Bäckereien geliefert, von wo aus man das gebackene Brot an die städtischen Ausgabestellen verteilte.

Diese Mühlen und diese Bäckereien wurden von den pistores betrieben, die in einem Kollegium (dem corpus pistorum) zusammengeschlossen waren (ebenso wie übrigens auch die navicularii in einem collegium der Schiffer) und deren Pflicht zur Herstellung von Brot an den Besitz von Landgütern gebunden war, die sich eines Steuerprivilegs erfreuten. Ebensowenig wie die navicularii mit dem Transport, waren auch die pistores nicht direkt mit dem Mahlen und dem Backen beschäftigt: Man delegierte die Aufgaben selbstverständlich an subalterne actores (und die Arbeit als solche an Sklaven).

Das Freibrot, das man schließlich an mehreren Ausgabestellen unter der Aufsicht von Beamten verteilte, hieß in den Gesetzen panis gradilis (also „Treppenbrot“), weil sich die Empfangsberechtigten (die incisi) auf Treppen aufstellen mussten, um das Brot in Empfang zu nehmen. Dort waren ihre Namen und die Menge an Brot, zu deren Erhalt sie berechtigt waren, auf Bronzetafeln angeschlagen. Jeder incisus besaß darüber hinaus einen Berechtigungsnachweis aus Bronze oder Blei (eine tessera), auf dem sein Wohnort und die Menge, die ihm zustand (und zwar je nach der Familiengröße), vermerkt war. Der Anspruch auf Brot war im Prinzip nicht vererbbar, doch sind offenbar die tesserae nicht nur vererbt, sondern auch gehandelt worden. Der Verkauf des Treppenbrotes war im übrigen verboten.

Doch nicht nur Brot (etwa 200 Kilogramm jährlich pro berechtigtem Bürger), auch andere Lebensmittel wurden vom Staat zur Verfügung gestellt, teils gratis, so wie das Brot – Olivenöl aus Afrika und Schweinefleisch aus den südlichen Regionen der Apenninenhalbinsel (Kampanien, Lukanien, Bruttium und Samnium) –, teils zu stark herabgesetzten Preisen, wie im Falle des Weins.

Anspruch auf die annona civica hatten alle Bürger (der populus romanus respektive die plebs frumentaria), mit Ausnahme der Beamten und der Angehörigen von senatorischen Geschlechtern – und natürlich auch nicht die Sklaven. Insgesamt wurden wohl (im 4. Jahrhundert u.Z.) um die 200.000 cives, fast die Hälfte der gesamten Stadtpopulation, mit Gratisbrot, Gratisolivenöl und Gratisschweinefleisch versorgt.

Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch in anderen großen Städten der Antike Getreide oder Brot kostenlos verteilt worden sind, und zwar von reichen Bürgern dieser Städte als „Geschenk“ an die Bürger, das sie kraft ihres Status als Bürger erhielten (im Rahmen einer sogenannter Euergesie, worunter man nichts anderes zu verstehen hat als die private Übernahme von im Prinzip öffentlichen Funktionen, so die Errichtung von Bauwerken, etwa von Bädern, die Ausrichtung von Spielen oder eben auch die Getreideversorgung).

Überhaupt sollte hervorgehoben werden, dass der Anspruch auf kostenlose Versorgung am Bürger-Status hing, nicht daran, bedürftig zu sein. Wie Peter Brown richtig sagt: „For in Rome and in many other cities of the later empire (if on a smaller scale), to receive a dole of food did not make one a beggar. It made one a citizen.“ (P. Brown, Through the Eye of a Needle, Princeton University Press (2012), S. 70)

Schließlich aber ging auch das Brot den Weg allen Fleisches: Mit den Wirren seit der Schlacht von Adrianopel gegen die Goten (378) und dem seither erfolgten unaufhaltsamen Eindringen von germanischen Barbaren in das Reich, insbesondere aber mit der Eroberung der afrikanischen Provinzen durch die Vandalen (bis 439), verkümmerte das annona-System im Laufe der Zeit (wobei man noch eine Zeit lang auf Getreide aus Sizilien, Apulien, Bruttium, Lucanien oder Sardinien zurückgreifen konnte), wohl einer der Gründe für den massiven Populationsverlust Roms, bis am Ende der Nachfolger Gregors des Großen als Papst (und daher Stadtherr), Sabinianus (604–606), der kostenlosen Brotverteilung ein Ende gesetzt haben dürfte. – Und auch in Byzanz fand das annona-System spätestens mit der Eroberung Ägyptens 642 durch die arabischen Heere ein Ende.

Das war aber nur der eine Aspekt der Sorge des Staates (direkt oder indirekt über die Euergesie) für die Bürger. Denn der Mensch lebt, wie es so schön heißt, nicht nur vom Brot allein. Nein, er bedarf auch der Unterhaltung und des Vergnügens.

Und dafür wurde reichlich gesorgt, handelte es sich hier nun um Gladiatorenkämpfe, Tierhatzen, Wagenrennen oder um Aufführungen in den Theatern.

Gladiatorenkämpfe und Tierhatzen (venationes) fanden in den Arenen oder Amphitheatern statt (in Rom im Kolosseum), blutige Spektakel, die am laufenden Band Tote produzierten. Im Rahmen dieser Veranstaltungen wurden im übrigen auch zum Tode Verurteilte hingerichtet, was man, was die Exekution durch Raubtiere betraf, ad bestias nannte. Dabei wurden Krokodile vom Nil, Bären vom Balkan oder auch Löwen von den südlichen Bergregionen der afrikanischen Provinzen zum Einsatz gebracht. Wenn es einmal nicht so blutig zugehen sollte, dann begnügte man sich auch mit der Jagd auf Antilopen oder Gazellen.

Wagenrennen fanden im Zirkus (etwa im circus maximus in Rom, der rund 380.000 Zuschauer gefasst haben soll) oder im Hippodrom (wie die Rennbahn in Konstantinopel hieß) statt. Es gab vier factiones („Rennställe“) – die Weißen, die Roten, die Grünen und die Blauen –, staatlich anerkannte Vereine, die ihre eigenen Wagenlenker und ihre eigenen Pferde besaßen. Die Fans dieser Faktionen waren in Assoziationen organisiert, die besonders in Konstantinopel eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben spielten, sozusagen als pressure groups (über das Skandieren von Slogans).

Zu den Aufführungen im Theater im eigentlichen Sinn schließlich zählten Tragödien und Komödien, der Mimus, Gesangsfestivals oder auch Pantomimen.

Die meisten dieser Spiele wurden anlässlich der großen Staatsfeste gegeben (Spiele für die Magna Mater, die Ceres usw.; Kaiserfeste; konsularische und prätorische Spiele). Der zeitliche Umfang dieser Festivitäten war dabei für heutige Begriffe enorm: Es wurden in Rom 155, wenn nicht, nach einer anderen Rechnung, sogar 177 Tage im Jahr dem Zirkus oder dem Amphitheater gewidmet.

Organisiert und finanziert wurden die Spiele (ludi et spectacula) einerseits von den Kaisern, andererseits aber auch von Privaten, etwa Senatoren (Symmachus, das Haupt des Senats um 400, tat sich da besonders hervor) oder reichen Bürgern, im Rahmen der Euergesie, wie schon bei den Getreidespenden: als „Geschenk an die Bürger“.

So wie die annona traten dann aber auch die circenses mit dem Untergang der antiken Gesellschaftsform von der Bühne ab, um durch andere Unterhaltungsformen abgelöst zu werden.

Zuerst mußten die Gladiatorenkämpfe weichen. So äußerte Kaiser Konstantin 325 in einem Edikt sein Missfallen daran, was zur Folge hatte, dass den Nicht-Professionellen die Teilnahme untersagt sowie die Praxis aufgegeben wurde, Verurteilte als Gladiatoren auftreten zu lassen. Man schickte sie fortan lieber in die Minen (damnatio ad metalla). Indessen, obwohl sie der Ächtung der christlichen Kaiser verfielen, bestanden die Gladiatorenspiele in Rom noch geraume Zeit weiter, bis sie von Kaiser Valentinian III. 438 endgültig abgeschafft worden sein dürften (wahrscheinlich war diese Praxis aber schon vorher nach und nach eingeschlafen).

Tierkämpfe hatten ein längeres Leben, auch wenn man die Hinrichtung in der Arena auch in diesem Fall durch die Verschickung in die Minen ersetzte. Das letzte Spektakel dieser Art, das man aus den Quellen kennt, wurde im Kolosseum in Rom 523 organisiert.

Am längsten hielten sich die Wagenrennen, insbesondere im Hippodrom von Konstantinopel, aber auch noch in Rom nach dem Fall des Imperiums im Jahre 476: Die letzten aus Rom überlieferten Wagenrennen hat offenbar der Gotenkönig Totila nach seiner zweiten Einnahme der Stadt 550 organisiert. Aber auch die fränkischen Könige pflegten die Wagenrennen noch im 6. Jahrhundert, so in Arles, in Soissons oder in Paris.

Wozu aber der ganze Aufwand, die annona und die circenses? Es dürfte nicht schwer sein, den Grund zu erraten: Es ging schlicht und einfach darum, die städtischen Massen gewissermaßen zu anästhesieren, um damit dem Aufruhr und den Krawallen in den städtischen Ballungsgebieten entgegenzusteuern, die zwar die Gesellschaftsordnung nicht gefährden konnten, wohl aber die Ruhe und die Sicherheit der herrschenden Klasse. Wichtig in diesem Zusammenhang war, den Eindruck zu vermitteln, dass es sich dabei nicht um Almosen für die „Armen“ handelt, sondern um ein Vorrecht des Bürgers. Das war dann der Kitt zwischen Oben und Unten, der über die Vermeidung der Gründe der Proteste hinaus (nämlich des Hungers und der Fadesse) dann zusätzlich noch die Neigung zur Unzufriedenheit und zum Unmut schmälern sollte.

3.

Wie soeben gesehen, traten die annona und die circenses nach und nach ihren Rückzug vom historischen Podium an. An ihre Stelle trat ein Umgang mit den unteren Klassen christlichen Typs, ein Umschwung, der dadurch auch erleichtert wurde, dass die Provinzen des römischen Reiches (im Westen, später dann aber desgleichen im Osten) sich in einem Prozess der praktisch völligen De-Urbanisierung befanden, so dass die Bedingungen für Aufruhr und Krawalle (wie sie sich in den Städten ergaben: die Zusammenballung von Massen) von alleine verschwanden und damit auch die Notwendigkeit, diese städtischen Massen mit den überkommenen Mitteln ruhigzustellen – ja, es verschwand mit der civitas auch die Basis jeglicher Euergesie im strikten Sinne des Ausdrucks (ein Verfall, der freilich aus den verschiedensten Gründen schon früher eingesetzt hatte): die „Liebe zur Stadt“ (amor civicus) und damit natürlich auch zu den Bürgern. Ganz zu schweigen davon, dass mit dem Untergang des Imperiums selbst (der Herrschaft über Provinzen) der staatlichen annona, der Krönung der antiken „Sorge um den Bürger“, der Boden unter den Füßen entzogen worden war.

Es würde zu weit führen, auf sämtliche Hintergründe dieses Wandelns einzugehen, daher nur so viel: Waren für die „Heiden“ (also die heidnische Fraktion der herrschenden Klasse) die „Objekte der Freigebigkeit“ die cives der civitates, so für die christlichen Grundeigentümer die „Armen“ schlechthin. „The benefactors of the cities gave to their ‚fellow citizens‘ and never to the poor. Some of these citizens might well be poor, but their poverty in itself entitled them to nothing. They received entertainment, public comforts (such as great bathhouses), and (in many cities) considerable doles of food. But they did not receive them on the basis of need. They received them because they were members of a privileged group. They were the populus or plebs of the city. This was the imagined, vigorous core of the urban community. To love the city was also to love its citizens with ‚unique affection‘ – and to love no one else.“ (Brown, Through the Eye …, S. 68) Demgegenüber trat für die christliche Elite der Arme als solcher in den Fokus der Aufmerksamkeit. Diese Dichotomie mit Bezug auf das Objekt der „Freigebigkeit“ („Bürger“ oder „Arme“) implizierte dann notwendigerweise auch unterschiedliche Formen, sich generös zu erweisen: hier Getreidespenden, öffentliche Bauten und Spiele, dort hingegen Almosen (also die caritas in einem christlichen Sinn).

Die Hinwendung der Elite hin zu den Armen (und weg von den Bürgern) hatte nun nicht zuletzt damit zu tun, dass man von Seiten dieser Elite nicht mehr das Prestige im Zeitlichen erhoffte (weil man dieses Prestige auch gar nicht mehr erhoffen konnte), sondern man erstrebte stattdessen das ewige Heil in der „anderen Welt“ (das insofern in den Vordergrund rückte, als die „diesseitige Welt“ nach dem Verfall der religio civilis mit Bezug auf „spirituelle Belange“ dieser Grundbesitzer-Elite offenbar nichts mehr zu bieten hatte), und zwar dadurch, dass man Almosen verteilte, eine Haltung, die sich, was sich von selbst versteht, nur vor dem Hintergrund des Verfalls der antiken Lebensbedingungen selbst durchsetzen konnte (der „angekündigte Tod“ des Imperiums und das Hinschwinden der Städte).

Diese Gabe von Almosen unterschied sich nun darin von der Euergesie – im Hinblick auf ihren spezifischen „Vorteil“ –, dass sie (im Zeitlichen zumal) nicht-reziprok war, also kein „Austausch“ von Wohltätigkeit gegen Prestige, so dass dieses Almosengeben (als „Verlust“ und daher als „Selbst-Bestrafung“) geeignet erschien, die „Vergebung der Sünden“ zu erlangen. Die christliche Gabe unterscheidet sich, wie Peter Brown richtig sagt, von der Euergesie eben dadurch, dass es möglich war, ihr eine „übernatürliche Kraft“ zuzuschreiben: Sie schien geeignet zu sein, die Tore des Himmels zu öffnen (vgl. Brown, Through the Eye …, S. 83).

Mit dem Untergang des römischen Staates und dem Verschwinden der Euergesie mussten sich dann selbstverständlich auch die Formen des entertainment grundlegend ändern: An die Stelle von Arena, Amphitheater und Theater traten, nach zähem Ringen der Kirche übrigens, christliche Heiligenfeste, Prozessionen, Messfeiern in Basiliken, Kirchen oder (später dann) Kathedralen und der ganze Pomp, zu dem die katholische Kirche sich als fähig erwies.

Dieses Muster hielt sich dann über die ganze feudale Epoche hinweg, oft bis in die bürgerliche Ära hinein, auch wenn mit der Zeit ein Prozess der Säkularisierung einsetzen sollte: Die Armenpflege durch die Pfarreien wurde durch Armen- oder Arbeitshäuser ergänzt, der christliche Unterhaltungssektor durch öffentliche Hinrichtungen und Autodafés, Krönungszeremonien, Festeinzüge von gekrönten Häuptern, Leichenbegängnisse und Hochzeiten hochgestellter Personen, den Karneval und sonstige Spektakel.

4.

Wir können hier die bürgerliche Epoche kursorisch behandeln, da die Fakten bekannt sind: Die Arbeitshäuser wurden mit der Zeit durch staatliche Versicherungssysteme ersetzt (Arbeitslosen-, Kranken- und Pensionsversicherung), die Unterhaltung diversifiziert (Sportmöglichkeiten, Gastronomie, Urlaubsreisen usw.) und auf die Basis der modernen technischen Möglichkeiten (Kino, Radio und schließlich Television) gestellt.

Was uns mit Bezug auf die bürgerliche Ära aber speziell beschäftigen sollte, das ist ihr langsames Siechtum und prolongiertes Ende, das, wie es scheint, Transformationen nach sich ziehen kann, die uns unwillkürlich an bestimmte Institutionen früherer Zeiten gemahnen.

Denn ist man geneigt, die immanenten Tendenzen des bürgerlichen Produktionssystems zu extrapolieren, dann gelangt man dahin, konstatieren zu müssen, dass das ungebremste Steigen des Produktivkraftniveaus im Rahmen der kapitalistischen Profitmaximierung früher oder später dahin führen muss, dass mit der totalen Automatisierung und Robotisierung der Produktion (die, sozusagen, neue „elektronische Sklaven“ hervorbringt) die Lohnarbeit als Basis der Revenue breitester Schichten (der neuen proletarii im eigentlichen Sinn) wegfallen wird, so dass, sieht man von den services ab (aber wer sagt, dass die nicht auch automatisiert werden können?), man sich überlegen wird müssen, wie man die überflüssigen „Hände“ über die Runden bringen wird können. Und was bietet sich an? Nun, der panis gradilis. Wobei, wie schon im römischen Reich, es gar nicht ausgeschlossen ist, dass der Staat sich dabei Privater bedient – in einer partnership mit Konzernen und den Euergeten der post-modernen Zeit: den Gates, Soros und Konsorten. Für Unterhaltung aber ist auch schon gesorgt, zumindest für die woke Gemeinde: real-time-Katastrophenfilme, bei denen man mitspielen darf (oder muss), seien es „Pandemien“, Energiedefizite, Blackouts oder auch Kriege gegen sich selbst. – Im Vergleich dazu verblasst allerdings die Brutalität einer Tierhatz oder eines Gladiatorenspektakels.

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