Streifzüge, Heft 2/1997
Juni
1997

Populistische Televisionen

Notizen zur kulturindustriellen Auflösung der Politik

Politik reduziert sich immer mehr auf die Inszenierung medialer Auftritte: Diskussionsrunden, Konfrontationen, Talk-Shows sind in. Besonders vor den Wahlen. Besonders im Fernsehen. Grund genug also, zwischen den Wahlgängen nachzufragen, was da abläuft.

Die aufgeführten Debatten selbst bringen meist wenig Interessantes oder gar Neues. Aufgeschrieben würden sie leicht als ein schwadronierendes Aufsagen von wechselnden Beliebigkeiten und obligaten Beliebtheiten zu erkennen sein. Würde man Namen oder Texte vertauschen, es dürfte kaum auffallen. Dort, wo das Ausgesagte so ähnlich geworden ist, daß man schon fast einen kollektiven Einsager vermuten könnte, müssen gefällige Äußerlichkeiten in ihrer Dimensionierung wachsen.

An politischen Duellen interessiert primär das Duell, nicht die Politik. Politik wird zum Spektakel, zum televisionären Realkabarett. Es ist, im wahrsten sinne des Wortes, ein Schauspiel. Auseinandersetzung wird in hohem Ausmaß irrationalisiert. Begeisterung ist identisch mit Entgeistigung. Wer gibt’s wem? Welcher Schlag ist ein Treffer? Kein Tiefschlag ist verboten, vorausgesetzt, er sitzt. Es ist ein Spiel ohne Spielregeln. Alles ist erlaubt: „Fair is foul, and foul is fair.“ (Shakespeare) Der Gegner muß abmontiert, nein: richtiggehend demontiert werden. Die Brutalität der Worte ersäuft die Ähnlichkeit der Vorhaben und Anliegen. Sie simuliert Differenz durch Grobheit.

Inhaltliche Unterschiede sind nicht substantiell, Ideologie erscheint bloß als aufgesetztes Surrogat zur Befriedigung der eigenen Klientel. Man denke nur an das jüngste Beispiel, wo italienischer Links- und Rechtsblock sich gegenseitig vorwarfen, das Wahlprogramm des Kontrahenten gestohlen zu haben. Derweil, sie bräuchten sich das Gleiche nicht zu stehlen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis (nach den Wahlkonzepten) auch die Wahlprogramme bei Werbefirmen bestellt und gekauft werden können. Es geht da nicht (mehr) um Verständigung und Selbstverständigung, sondern nur noch um eine unmittelbar zu erreichende gesellschaftliche Verständlichkeit.

Politik folgt in ihren Aussagen den subjektiven Wünschen in Form von Versprechungen, in ihren Handlungen hingegen den objektiven Zwängen in Form von Entsprechungen. Diese Diskrepanz wird aber nicht ihrem inhaltlichen Gehalt nach wahrgenommen und zum Gegenstand der Debatte gemacht, sondern die Objektivität des Bruchs wird in der Tagespolitik als subjektiver Verrat übersetzt. Das Problem der Differenz zwischen politischem Rezept und gesellschaftlicher Rezeption ist, daß jenes gesellschaftlichen Notwendigkeiten entspringt und entspricht, als deren Entwicklungsgehilfe es sich der Unbill der gesellschaftlichen Rezipienten unweigerlich aussetzt, die eben diese Differenz sich bloß oberflächlich als Widerspruch innerhalb der Politik versinnlichen, nicht aber als einen zwischen Gesellschaft und Rezeption begreifen. Nicht die Analyse des Gesellschaftlichen beschäftigt daher die Politik, sondern die Analyse der gesellschaftlichen Rezeption. Nicht Was ist? oder Was tun?, sondern Wie kommt was rüber?

Die Ringkämpfe begeistern: Jöö, so a Theater. Selbst ein kritischer Kopf wie Werner Vogt hatte an Madeleine Petrovic am meisten auszusetzen, daß sie ihn um das Vergnügen der medialen Konfrontation Haider gegen Pilz gebracht hat. Das Duell Rechts- gegen Linkspopulist ist es, das hier eingefordert wird. Nicht, was Haider ist, wird hier mehr gefragt, sondern wie er auf der Schaubühne am besten hinzurichten ist. Solche Betrachtung hat Haider mehr internalisiert als ihr recht ist. Solche Begegnung mit ihm ist in keiner Weise eine aufgeklärte oder gar emanzipatorische, sondern ergötzt sich daran, daß da noch einer ist, der das schnelle Wort so leer daherzureden versteht, nämlich ein unserer. Im Saloon rauchen die Colts. Gib’s ihm, schreien die Fans.

Die Duelle werden nicht angeschaut, um zu sehen, was die Politiker zu sagen haben, sondern, ob sie zu reden verstehen, wie sie gestikulieren und sich artikulieren, Taferl aufstellen und Sprüche klopfen, Schläge austeilen und Übergriffe parieren, Mascherl tragen oder Lederjacke. Zwischen Seitenblicken und Politikererblicken ist der Unterschied nicht substantiell. Ja, er verliert sich sogar zusehends in seinen existentiellen Erscheinungen.

Existentielles und televisionäres Erscheinen sind synchronisiert. Daher ist es auch verständlich, daß sie in den Parteisekretariaten die Stoppuhren zücken, um ja peinlich genau die Kontingente an Sekunden zu überwachen. Deren Job besteht darin, das jeweilige Quantum einzufordern und gegebenenfalls zu steigern. Das politische Geschäft analogisiert sich der Warenwirtschaft. Es ist ohne deren Kriterien nicht mehr erklärbar. Was darüber hinausgeht, ist größtenteils Simulationstheater. Und doch, was in den Sekretariaten geschieht, ist nicht kleinlich, es ist notwendig, weil adäquat. Banale Kritiken, die idealistisch alte Zustände einfordern, greifen zu kurz.

Gefragt werden muß freilich auch nach der psychischen Dimension, die dieses Schlachten und Befetzen überhaupt erst ankommen läßt. Berufliche wie reproduktive Anstrengungen erfordern meist soviel Zeit und Aufwand, daß außertourlich keine Anstrengungen mehr unternommen werden können. Konsum frißt Geist. Die Kulturindustrie hat sich der Politik bemächtigt.

Die Leichtigkeit der Konsumtion ist die Kehrseite der Schwierigkeit des Alltags. Nach dieser Leichtigkeit gieren die so dimensionierten medialen Konsumenten. Es ist daher übertrieben und irreführend, wenn Peter Rabl schreibt: „Die live übertragene direkte und wenig gesteuerte (sic!, F.S.) Politiker-Diskussion bietet dem Wähler ungefilterte (sic!, F.S.) Information und Entscheidungshilfe, die wir in den Printmedien nicht liefern können.“ (Kurier, 26.November 1995) Es ist vielmehr eine Show, der Filter und Steuerung durch objektive Standardisierung geradezu immanent sind.

Bei Strafe des Untergangs hat man sich dem anzupassen. Aufpassen muß man freilich nur, daß man nicht zuviel des Guten tut, bloß noch als Abziehbild erscheint. So geschehen der grünen Spitzenkandidatin: „Madeleine Petrovic entblößte sich bei allem glaubhaften Ernst im Anliegen als unflexibles, leicht aus dem Kurs zu bringendes Produkt von zu viel Medientraining“, schreibt Peter Rabl in einem der noch freundlicheren Kommentare. (Ebenda) Dem ist nicht zu widersprechen. Die zur Schau gestellte Überaffirmation kann sich bitter rächen. „Putz dich auf, eher red’ ich nicht mit dir“, sagte der reich gewordene Schlucker zu seiner Sopherl in Nestroys „Zu ebener Erde und im ersten Stock“. Der gesamtmediale Schlucker forderte von Madeleine & Co nichts anderes ein. Putzen wir sie auf, damit wir uns an ihr abputzen können, scheint das journalistische Motto gewesen zu sein.

Wie komme ich an? ist zur zentralen Frage des politischen Akteurs aufgestiegen. Was denke ich? Was will ich? Was mache ich? ist von untergeordneter Bedeutung. Genau deswegen leiden so viele Politiker unter der chronischen Krankheit des Reflexionsverlustes. Tiefschürfende Reflexionen sind im unmittelbaren Tagesgeschäft irrelevant bis hinderlich. Obzwar es ausgerechnet die Abgehobenheit ist, die kritisiert wird, ist paradoxerweise ein Mangel an dieser feststellbar.

In der Politik geht es um Überzeugtheit (nicht Überzeugung) und um Selbstbehauptung (nicht Selbstbewußtsein). Hochentwickeltes Ignorantentum, welches an der wahrgenommenen Oberfläche als G’spür erscheint, ist schlechterdings Bedingung des Erfolgs. Die hemdsärmelige Gradlinigkeit mancher Politiker ist nicht selten umgekehrt proportional zum tatsächlich Gemachten, vom Gemochten erst gar nicht zu reden. Sie ist durchaus nicht als Markenzeichen persönlicher Sensibilität und Integrität zu entschlüsseln. Das „Moch ma“-Phänomen, das den Stammtisch beeindruckt, ist nicht selten realitätsblind, aber es gefällt. Es redet nach dem Mund, nicht nach dem Hirn. Es suggeriert Klartext, ohne sich um den Kontext auch nur zu kümmern. (Politikwissenschafter der Zukunft werden das übrigens als Zilk-Syndrom beschreiben.)

Politik ist in ihrer seichten Pragmatik mehr denn je konkretionssüchtig, fernab von Abstraktion, Theorie und Plan. Realistisch ist für sie immer nur die jeweilige Praxis und deren aktuelle Anschlußfähigkeit. Und diese gestaltet sich stärker denn je als ein krudes Geschäft, als Verkaufen personifizierter Exponate.

Politik und Programmatik sind sich fremd geworden. Letztere regrediert auf das Niveau ideologischer Versatzstücke, erstere auf die Ebene des Sachzwangs. Wenn alles der unmittelbaren Verwertung unterworfen ist, kann es also gar keine ideologische Festigkeit irgendwelcher Grundprinzipien mehr geben. Politik wird zur reinen Taktik, sie ist sachorientiert und somit lose geworden: inhaltslos, konzeptlos, strategielos.

Das mediale Spektakel übertönt nur die grenzenlose Langeweile und zunehmende Inkompetenz des Politischen. Präsenz und Präsentation sind daher zum politischen Imperativ geworden. Die Daseinsberechtigung der Politik resultiert vornehmlich aus ihrer inszenierten, notwendigen wie unerträglichen Allgegenwart. Wobei aber gerade der Zwang zur Omnipräsenz es den Politikern verunmöglicht, ihre Auftritte auch wirklich vorzubereiten. Da er aber erscheinen muß, muß er sich primär um sein Erscheinungsbild kümmern.Von diesem hängen seine in Hitparaden-Form publizierten Öffentlichkeitswerte ab. Es ist so des Politikers Aufgabe, obwohl unvorbereitet, vorbereitet zu erscheinen; obwohl inkompetent, kompetent; obwohl uninformiert, informiert.

Wer überall und über alles etwas zu reden weiß, hat selten etwas zu sagen. Das Darüber-Reden-Können führt durch seinen übersteigerten, weil universellen Pflichtanspruch unweigerlich zum bloßen Drüber-Reden. Hüten sollte man sich vor denen,die immer alles auf den Punkt bringen. Des Politikers Metier ist der Small-talk, mag er den Mund auch noch sc voll nehmen.

Der vollgenommene Mund kommt übrigens besonders gut an. Der Sager hat Konjunktur, und mit ihm, die Sager: Die begehrtesten Politiker gleichen immer mehr Conferenciers. Das treibt Jörg Haider in die Bierzelte oder Peter Pilz als Quasikabarettisten ins Wiener Szenelokal Spektakel. Was kann da also noch lustiger sein, als die von Werner Vogt eingeforderte direkt übertragene Doppelconference im Fernsehen?

Demagogie steht hoch im Kurs. Der sekundäre Populismus ist eben jetzt großgeworden, da Politik in Geiselhaft der Ökonomie immer weniger leisten kann. Populismus meint Überwindung der Vernunft zugunsten eines dumpfen Gefühls. Es herrscht das Ressentiment, es verlangt nach einprägsamen Formeln. Der Stammtisch ist nichts anderes als der Hort des Räsonierens, der „Freiheit von dem Inhalt und die Eitelkeit über ihn“, wie Hegel es treffend verspottete. Es will nicht denken, es will spüren. Führung und Verführung sind daher entscheidende Momente populistischen Agierens. Zwangscharaktere schreien nach Zwang und Bezwingern. Opfer verlangen nach Opfern. Deswegen ist auch die Skandalisierung einer der wichtigsten Transmissionsriemen des Populismus.

Der Aufstieg des Populismus ist gekoppelt mit einer Abkehr von der Schrift als vorherrschendem Kommunikationsmittel. Der Demagoge ist in der Schrift jedenfalls leichter zu entlarven als am Wort oder im Bild. Letztere sind seine Äußerungsmittel, erstere objektiviert hingegen den sonst übermächtigen Eindruck, macht jenen hinterfragbar. Was Rede bezaubert, entzaubert Schrift. Ruhe ist der Feind des Demagogen. Wer in aller Stille, zwei- oder dreimal den gleichen Satz oder Absatz lesen kann, wird die Banalität des Gedankens leichter erkennen als jener, der in der Masse steht oder vor der Mattscheibe sitzt, den Worten lauscht und den Bildern folgt, Tonfall und Abbild im Moment des Geschehens hinzunehmen hat. In der Schrift werden die Demagogen platt. Sie können weder begeistern, noch beeindrucken. Ihre verbale Monstrosität schlägt oft geradezu in Lächerlichkeit um.

Etwas vergröbert, aber doch: Die Diskretion der Schrift steht gegen die Indiskretion vom Tonbild. Dieses ist aufdringlich, es macht einen an, es sitzt im Kopf, es wird registriert — ob man will oder nicht. Anders die Schrift, ihre Zeichen müssen individuell erobert werden. Die Aufnahme von Schriftstücken erfordert mehr Rezeptionsvermögen und Rezeptionsleistung als jene des Tonbildes. Die Schrift wirkt nicht selbstläufig, sie muß ge-, ja erlesen werden. Da reicht kein Blick zum Einblick, geschweige denn zum Durchblick. Der Ausdruck der Schrift ist durch den ersten Eindruck nicht her- und vorstellbar. Bild und Ton sind assoziativ, Schrift rezeptiv.

Die Schrift springt nicht ins Auge, sie ist gemächlich und zäh, was aber auch heißt, daß sie unter dem vorgegebenen Tempo der gesellschaftlichen Entwicklung ins Hintertreffen gerät. Papier ist geduldig, Television ist ungeduldig. Das Tonbild ist den geistigen und gesellschaftlichen Regressionen kompatibler als die Schrift.

Der Druck bringt den Geist auf dessen Niveau. Die Demagogen sind nun umgekehrt den Lesern ausgeliefert, wie Zuhörer und Zuseher ihnen ausgeliefert waren. Deren Pointen werden schal, deren Witz derb, deren Argumentation brüchig. Was sie schrieben, hat sie beschrieben, was sie sagten, hingegen wenig gesagt. Eigentlich müßten sie Videoclips verschenken. Was sie, wie mir unlängst versichert wurde, auch schon tun.