Context, Juridikum
Oktober
1995

Postmodernes Roulette

Warum es sich nicht empfiehlt, auf „Null“ zu setzen

Der folgende Artikel ist zuerst erschienen als Diskussionsbeitrag zum „Weg und Ziel“-Schwerpunktheft „Das Loch im Kopf — Medienwirklichkeit in Österreich“ (Nr. 4, Oktober 1994). Die Wiederverlautbarung im „Context“ erfolgt wegen des auffälligen Zusammenhangs mit Wegen und Zielen des Vereins mit freundlicher Genehmigung der „Weg und Ziel“-Redaktion. Wir danken dieser für jene und hoffen auf eine Fortführung der Diskussion.

Dieser Beitrag will sich mit der Frage befassen, was denn das Alternative an alternativen Medien ausmacht und wofür das gut sein soll. Daß gewisse — jedoch bislang reichlich unbestimmte — gesellschaftliche Tätigkeiten und Ideen als „alternativ“ und nicht einfach als „anders“ bezeichnet werden legt den Verdacht nahe, daß es dabei nicht nur um ein wesentlich Gleiches von anderer Gestalt gehen soll, sondern um ein wesentlich Anderes gehen muß, das zu Etwas in Widerspruch steht und dessen Wahl zum Widerstreit führen muß. Der Duden kommt unter dem Stichwort Alternative nicht umhin, schon in der Definition den praktischen Aspekt zum Kern des Begriffs zu machen: [1] „freie, aber unabdingbare Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten (der Aspekt des Entweder-Oder)“. Etwas weiter oben erfahren wir, daß es auch noch eine weniger fordernde Wahlmöglichkeit, eine „abdingbare“ Entscheidung gibt, nämlich die „Alternation“, den bloßen „Wechsel zwischen zwei Möglichkeiten, Dingen usw.“

Um sich also für das alternative Oder frei entscheiden zu können ist es unerläßlich, sich über die wesentlichen Aspekte des Entweder Klarheit zu verschaffen und ihr Gegenteil zu finden. Wenn nun das Entweder das Gegebene (Herrschende, gerade Obwaltende, Mehrheitliche, der Mainstream) ist, dann ist das Oder (die Alternative) notwendig das Oppositionelle. Der Beruf des Oppositionellen ist indes nicht, nach Anerkennung durch das Herrschende zu streben, es nachzuahmen, ihm als braver, kleiner Bruder hilfreich zur Hand zu gehen, sondern sich ihm wo immer es möglich ist entgegenzustellen, es mit praktischer Kritik zu konfrontieren, ja gar seine Existenzgrundlagen zu untergraben und sich seine eigenen zu schaffen. Die Einlassung auf die Erfolgskriterien des Etablierten führt zum Verlust der Existenzgrundlagen des Oppositionellen. Wenn sich die angeblichen (oder vormalig wirklichen) Agenten der Opposition damit eine (neue) Existenzgrundlage im Rahmen des Herrschenden schaffen, soll es ihnen niemand neiden — sie sollen aber auch nicht vorgeben, sie täten das Gegenteil.

Eine ausführliche Erörterung der etablierten Medien, des Medienmarktes sollen andere Beiträge in diesem Heft ausführlich leisten, zu deren Gegenteil wird dieser Beitrag versuchen, einige Hinweise zu geben.

Eine kleine Vorrede scheint jedoch unerläßlich:

Spielzüge ohne Einsatz?

Der Zeitgeist, in dessen Klima die Unterscheidung zwischen „Alternativen“ und „Alternationen“ besonders schwerfällt, ist jener des „Postmodernen Denkens“. Worin dieses bestehe, darüber gibt es landläufige Auffassungen, die in freier Assoziation etwa um die Begriffe (böse:) „Eklektizismus“, „Beliebigkeit“, „allgemeine Begriffsverwirrung“ oder (gut:) „Vielfalt“, „Differenzierung“, „undogmatisches Denken“ usw. kreisen. Die m.E. für unseren Zusammenhang beste Charakterisierung des „Postmodernismus“ gibt Burghart Schmidt unter dem Titel „Postmoderne — Strategien des Vergessens“: Die Postmoderne wird da beschrieben als der Übergang vom Semantischen zum Semiotischen, [2] das heißt als eine Entkoppelung des Bedeutenden vom Bedeuteten, als Abstraktion der Rede von ihrem Gegenstand und ihre Transformation zu einem „Sprachspiel von allgemeiner Agonistik“, [3] in dem es keinen anderen Einsatz mehr gebe als seine Spielzüge selbst. Dies gibt eine in erster Annäherung sehr brauchbare Beschreibung dessen ab, was sich seit geraumer Zeit am Medienmarkt vollzieht. Es handelt sich darum, immer rascher immer neue — sprachliche und bildliche — Spielzüge zu erfinden, um damit neue Reize zu schaffen, die — nach Lyotard — „große Freuden bereiten“, [4] nicht durch ihre Bedeutung, also nicht durch den — vergnüglichen — Gegenstand, auf den sie sich beziehen, sondern durch das „Erfolgsgefühl“ einer dem virtuellen Spielgegner (der etablierten Sprache) abgerungenen, bisher ungekannten Variante (oder auch Alternation). Der „Freude bereitende“ Reiz des Neuen führt in einer warenpsychologisch zugerichteten Gesellschaft stracks zur Reaktion Konsumwunsch. Diese „Spielerei“ kann also dafür genützt werden, die Spielzüge selbst zu verkaufen oder dafür, sie als „Träger“ für den Verkauf anderer Waren einzusetzen. Dies letztere ist jedoch ein schwieriges Unterfangen, denn wie soll man einen nicht-referenziellen Spielzug als „Träger“ für irgendetwas benützen? Im innerhalb der Kommunikationsbranche stets am weitesten fortgeschrittenen Zweig, der Werbung, arbeiten die kreativen Köpfe hart an der Lösung der schier unlösbar scheinenden Aufgabe, ein Produkt zu bewerben, ohne von seinen Eigenschaften zu reden, ohne es vorzuführen, ja ohne es überhaupt noch zu erwähnen. Das vorläufige Zwischenergebnis sind jene unterhaltsamen TV-Spots, die längst als Kunstform anerkannt, prämiert und in abendfüllenden Zusammenschnitten immer wieder ausgestrahlt werden (etwa: Die Cannes-Rolle). In den weniger avantgardistischen Zweigen der Branche ist man bei der Befreiung der Zeichen vom Bezeichneten noch nicht so weit fortgeschritten: Das gedruckte Wort widersetzt sich seiner Befreiung, nicht ahnend, daß es durch sie die einzige Überlebenschance bekommen soll, die ihm am entfesselten Markt noch angedroht werden kann. Mit der Erwähnung der Werbung sind wir auch schon — im für eine Vorrede gebotenen Schnellgang — beim ökonomischen Kern dieses postmodernen Zeichengewimmels angelangt: In der Warenöffentlichkeit — zunächst als die öffentliche Präsentation von Gegenständen als Waren und im weiteren als die Transformation jeglicher Öffentlichkeit in eine „Warenöffentlichkeit“, d.h. in einen Markt, auf dem schließlich Zeichen nicht mehr bloß und auch zur auslobenden Bezeichnung von Waren verwendet sondern selbst vermarktet werden. Diese fortschreitende „Verwarung“ des „Bedeutenden“ und die damit einhergehende Abstraktion von seinem spezifischen Gebrauchswert — etwas zu bedeuten — läßt sich unschwer als das von der postmodernen Theorie sprachspielerisch angegangene, tatsächlich hochmoderne Phänomen identifizieren, das m.E. am besten den gegenwärtig „herrschenden Medienbetrieb“ charakterisiert. „Hochmodern“ heißt aber gerade nicht, was „postmodern“ nahelegt, daß nämlich das Phänomen oder gar das ihm zugehörige gesellschaftliche Sein vollkommen neu wäre. Bei Richard Sennett etwa finden wir eine kurze Darstellung der Warenöffentlichkeit, wie sie schon in den ersten Kaufhäusern mit festen Preisen um die Mitte des 19. Jahrhunderts hergestellt wurde: im Prinzip ging es schon in jenen Pionierzeiten, nicht anders als in der heutigen (zumindest präavantgardistischen oder präpostistischen) Fernsehwerbung, um die erfolgreiche Ablenkung vom nackten Gebrauchswert und um die Herstellung von überraschenden, immer neuen Konnotationen. [5] Auch die Transformation gedruckter Wörter und Bilder in Waren ist nicht wesentlich neu (ausführliche Schilderungen des „Medienmarktes“ ebenfalls schon des 19. Jahrhunderts etwa bei Balzac [6] belehren uns darüber). Die Abstraktion vom Gebrauchswert (bei Zeichen also etwa: von ihrer spezifischen Fähigkeit, Bedeutungen herzustellen — oder Bestandteil einer Bedeutung zu sein) ist allerdings heute so weit gediehen, daß sie sich seiner vollständigen Ausschaltung aus dem gesellschaftlichen Leben nähert (als Privatangelegenheit bleibt es selbstverständlich weiterhin jedem überlassen, sich mit vorhandenem oder fehlendem Gebrauchswert verschiedener Güter herumzuschlagen — ebenso damit, ob er in der Welt Bedeutungen und in seinen Handlungen Sinn findet) und das trifft viele doch mit der Wucht des Skandals — und wird offenbar als so unerhört aufgefaßt, daß es als völlig neuartig gilt und dementsprechend völlig neue Theoriebildungen unter Zurücklassung (angeblich „Überwindung“) aller bisherigen erfordert. Große Ratlosigkeit allenthalben, die bei (je nach Selbstverständnis) mehr oder weniger alternativen Medienleuten verbreitet zu zweierlei Reaktionen führt: Einerseits zu einem wenig erklärenden und wenig bewirkenden Raisonnieren über verlorengegangene Perspektiven (der AutorInnen) und/oder Tugenden (der LeserInnen), über den Ungeist der Zeit und verwandte Gegenstände. Die andere Reaktion — und die soll uns im weiteren beschäftigen — ist das „Anerkennen“ der „Sachzwänge“ des Marktes und der Drang, die „richtigen Inhalte“ unter der in der Vorrede festgestellten Erfolgsbedingung möglichst weitgehender Ausschaltung von „Inhalten“ zu verkaufen.

Die unzweideutige Entscheidung einer Redaktion, sich fürderhin nicht mehr um die Herstellung einer Alternative zu bemühen, sondern um besseren Markterfolg und eine gesicherte Existenz, ist zwar mißlich aber — zumal in Zeiten forçierter Konkurrenz des marktgerecht-Etablierten — verständlich und für diesen Beitrag nicht weiter interessant. Interessant sind hingegen die verschiedenen Formen der Angleichung an das Gegebene, zu dem man eigentlich die Alternative herstellen wollte, die gar nicht so gemeint sind oder die in ihrer Bedeutung und Wirkung nicht richtig eingeschätzt werden. In diesem Zusammenhang sind einige Argumente landläufig, die sich auf den gemeinsamen Nenner eines einzigen bringen lassen:

Das Reichweiten-Argument

Behauptet wird in allen diesen Fällen, daß es notwendig sei, das eigene Medium attraktiver oder „leichter lesbar“ zu machen, um die „richtigen“ Inhalte (an eine größere Zahl von LeserInnen) verbreiten zu können. Diese Notwendigkeit wird etwa folgendermaßen argumentiert:

1. — das Kampfargument: Man müsse den Leserzahlen der („immer schlimmer werdenden“) etablierten Medien eigene Leserzahlen entgegenstellen.

2. — das Zeitgeist-Argument oder auch das „antielitäre“ Argument: Die Zeiten linken Sektierertums und „elitärer“ Medien seien ja endlich passé und es sei heutzutage unerhört borniert, Texte zu veröffentlichen, die an die LeserInnen „übersteigerte“ Ansprüche stellen bzw. die sich von vornherein nur an eine begrenzte Zahl von LeserInnen richten und damit all jene ausschließen, welche die für das Verständnis dieser Texte gestellten Anforderungen nicht auf sich nehmen wollen oder können (aus „Bildungs-“ oder „Zeitmangel“ etwa — Mangel an Interesse, das ja auch nicht von jedem für alles erwartet werden kann, wird gar nicht erst in Betracht gezogen), was einer Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte gleichkomme.

3. — das Überlebens-Argument oder das Argument vom geringeren Übel: Auch alternative Medien könnten heutzutage nur überleben, wenn sie sich für LeserInnen und Anzeigenkunden attraktiver machten. Um wenigstens „etwas rüberbringen“ zu können, müsse man eben in den sauren Apfel beißen (wenn das auch noch lustvoll geschieht ist das nicht Korruption, sondern die Befriedigung eines „wirklichen“ und damit schon legitimen Bedürfnisses).

Diese drei Argumentationen (die hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit angeführt werden — vielfache Kombinationen, Windungen und Ergänzungen sind möglich und kommen auch vor) — werfen zwei Probleme auf: Zum einen: Ist es möglich und ist es sinnvoll, „alternative“ Inhalte mit „etablierten“ Mitteln zu „transportieren“? Zum anderen: Ist es erfolgversprechend und ist es sinnvoll, die Konkurrenz mit etablierten Medien auf deren Spielwiese und mit deren Mitteln zu suchen? Beginnen wir mit dem ersten Problem:

Böse Meinung, gute Meinung

Völlig selbstverständlich scheint vielen, daß es gilt, einer „schlechten“ oder „falschen“ Meinung eine andere, nämlich „gute“ oder „richtige“ Meinung entgegenzuhalten. Dem wiederum entgegen halte ich für die Alternative zu einer Meinung nicht eine andere Meinung, sondern einen Gedanken. Erklärung: Eine bloße Meinung ist nach Hegel „bewußtloses Urteilen“, „etwas End- und Bodenloses, das nie dazu kommen kann, zu sagen, was es meint, weil es nur meint und sein Inhalt nur Gemeintes ist“ [7] — „seichtester Positivismus“ nach Franz Schandl, [8] ein an den Phänomenen hängendes, unmittelbares Urteilen, das seinen Gegenstand nicht begreift, das sich nicht mit dem mühseligen Geschäft des Stiftens von Bedeutungen und Interpretationen abgibt, ein vor jeder verbindlichen Einsicht zu etwas Neuem hüpfendes, verkürztes, verstümmeltes Denken. Solcherart „Meinung“ stellen die — wenngleich wirkungsmächtigen — zur „Bedeutungslosigkeit“ herunterkommenden Massenmedien bis zum Überdruß her, in immer atemberaubenderem Tempo alternierend. Die Magazine sind randvoll mit urteilenden Kommentärchen und „Sagern“ mit immer absurder werdenden „Pointen“, Behauptungen und konnotativen Anspielungen, kurzum mit immer neuen Spielzügen, die in immer unverschämterer Weise die Maßstäbe und Argumente ihres Urteilens schuldig bleiben und so ihr Urteil einer Bewertung nach den Kriterien des Wahren und Guten entziehen, deren zunehmend ausschließliches Kriterium nicht das Wahre, sondern die Ware oder — nach Lyotard — ihre „Performativität“ ist, ihre Fähigkeit, dem Spiel (dem Markt) mit möglichst geringem Aufwand einen neuen Reiz zu geben, der einer konsumbereiten Zielgruppe „leicht eingängig“ ist. Wie gesagt: Kommt das Spiel auch ohne „Bedeutung“ aus, Meinung durchzusetzen schafft es allemal. Und zwar jede private Meinung, die in der Lage ist, sich Reichweite zu verschaffen. Meinung wird aber nicht erst dadurch Privatmeinung, daß ihre Verbreitung privater Verfügung unterliegt. Meinung ist schon an sich privaten Charakters, da in privater Besonderung befangen, unwillig und unfähig zur begrifflichen Verallgemeinerung, damit in ihrer Unmittelbarkeit zunächst unbegreiflich und damit recht eigentlich undiskutabel. Sich auf einen bloßen „Meinungsstreit“ einzulassen, ohne die bestrittene Meinung erst auf Begriffe zu bringen, begreifbar zu machen und sie im Namen eines Allgemeinen zu bestreiten (das nicht metaphysisch-ewiges, sondern konkret jeweils Allgemeines, über das jeweils Besondere Hinausgehendes, es Aufhebendes ist), ist somit ein recht aussichtsloses Unterfangen. Jedenfalls ein Unterfangen ohne Aussicht auf Herstellung von Öffentlichkeit (die ich nämlich geradezu als das Gegenteil des Marktes auffasse — dazu unten mehr) und ohne Aussicht auf Überwindung der „herrschenden Verhältnisse“.

Die Alternative zur undiskutablen Meinung kann also nur ein Denken sein, das sich darum bemüht, allgemein zu werden — in dreifachem Sinn: allgemeine Begriffe zu bilden, sich über je noch vorhandene Besonderungen zu erheben und allgemein verbindlich zu werden. Damit ein Gedanke (und in der Produktion eines Mediums: das Ensemble der dort veröffentlichten „Mitteilungen gedanklichen Inhalts“ [9]) aber solchermaßen allgemein werden kann, braucht er nicht nur Publikum, er muß zuvorderst sich so qualifizierender Gedanke werden und bleiben können. Stutzt man ihn von vornherein auf meinungshafte Beschränktheit zurecht, bleibt alles beim Alten, also beim Herrschenden.

Mitteilung und Nachricht

Was für die Meinung gilt, läßt sich auch von der Mitteilung sagen. Ich behaupte also: Die Alternative zur Mitteilung ist nicht die andere Mitteilung, sondern die Nachricht. Erklärung: In Paraphrase des Hegel’schen Diktums könnte man sagen: Eine bloße Mitteilung ist bewußtloses benachrichtigen, etwas End- und Bodenloses, das nie dazu kommen kann, zu sagen, wovon es berichtet, weil es nur mitteilt und sein Inhalt nur Mitgeteiltes ist. Und mit Franz Schandl können wir auch hier jenen „seichtesten Positivismus“ orten, ein Mitteilen von Phänomenen, das ihre Bedeutung nicht begreift, sich nicht mit der Erforschung von Wesen und Wahrheit des Berichteten abgibt, sondern bloß kolportiert, ein vor jeder verbindlichen Analyse und Begriffsbildung zu etwas Neuem hüpfendes Anhäufen von unzusammenhängenden (oder für jeden gewünschten „Spielzug“ aufs abenteuerlichste miteinander in Verbindung gebrachten) Fakten. Auch die Kolportage von Fakten stellt — im postmodernen Jargon für die Kategorien des Marktes — eine Ansammlung von Spielzügen dar, deren erfolgreiche Vermarktung nicht dadurch zustandekommt, daß die EmpfängerInnen diese Mitteilungen für einen Gedanken oder eine Entscheidung brauchen (oder nach dem Motto „alles ist wichtig, weil es wichtig werden könnte“ die Chance auf einen künftigen derartigen Gebrauchswert kaufen), sondern durch den bloßen Reiz des Neuen, allenfalls überraschenden, Ungewöhnlichen. Der Begriff „Relevanz“ verliert in diesem Spiel seinen Sinn, denn: „Der Daseinsgrund der Nachricht besteht darin, dem Adressaten die Möglichkeit zu geben, sich nach ihr zu richten. Pragmatisch gesehen, macht sie den Gegenstand daher wirklich bei ihm ‚anwesend‘, bzw. ihn bei ihm. Der Adressat weiß nun bescheid über ihn. Und dieses Wörtchen ‚über‘ ist nicht etwa nur eine Caprice der Sprache. Vielmehr zeigt es ein wirkliches darüber-Stehen an, die Verfügungsgewalt, die der Adressat nun über den Gegenstand und über die durch den Gegenstand veränderte Situation hat. (...) In anderen Worten: Wenn der Adressat statt des abwesenden Gegenstandes selbst nur etwas ‚von ihm‘, nur etwas Losgelöstes empfängt, so ist das Empfangene kein mangelhafter Ersatz; sondern gerade dasjenige, was mit dem Gegenstand ‚los ist‘; dasjenige Moment am Gegenstande, das den Adressaten wirklich oder angeblich angeht; dem nachzugehen er wirklich Ursache hat; dasjenige, wonach er sich richten soll.“ [10] Die bloße Mitteilung als Ware läßt nicht erkennen, was den Adressaten „wirklich oder angeblich angeht“ und sie bietet keinen Anlaß, ihr „weiter nachzugehen“, sondern lediglich einen Anreiz, empfangen also konsumiert zu werden. Auch die zur Mitteilung heruntergekommene Nachricht ist also — wie das zur Meinung heruntergebrachte Denken — ein Urteil: und zwar eines, das nicht nur — wie jenes der Meinung — bewußtlos, sondern auch noch unausgesprochen ist. Ohne ihre Urteilshaftigkeit zu erkennen zu geben veranlaßt die Mitteilung ihren Konsumenten doch, gerade jene Fakten in seine Weltsicht aufzunehmen, die sie ihm liefert, diese Fakten also jenen anderen, möglichen Fakten vorzuziehen, die ihm nicht als Waren geliefert werden, die für ihn aber möglicherweise von größerer Relevanz wären. Auch von der Mitteilung muß daher gesagt werden, daß sie zwar (obwohl sie ständig wild gestikulierend irgendwohin deutet) auf (begriffliche) Bedeutungen verzichten kann, aber doch zur massenweisen Urteilsbildung führt. Und auch für die Mitteilung gilt, daß sie nicht bloß dadurch privaten Charakter erhält, daß ihre Zirkulation privater Verfügung unterliegt (durch Medienunternehmen, Agenturen, Behörden...), sondern schon dadurch, daß sie uns ihr Urteil nicht verrät, nicht kundtut, was sie für das Wesentliche an dem Gegenstand hält, sondern eben bloß mitteilt, das heißt, beliebige, phänomenale Aspekte des Gegenstands abteilt und anliefert, die ungeeignet sind, sich einen allgemeinen Begriff von dem Gegenstand zu machen, ihn also zu begreifen, also über ihn Bescheid zu wissen, also Verfügungsgewalt über ihn zu gewinnen. Stattdessen verbirgt sie ihn hinter einem bunten Vorhang von (reizvollen, „große Freuden bereitenden“) Besonderheiten und entzieht ihn so der allgemeinen Verfügung, wodurch er unbegriffen und unangetastet in der Verfügungsgewalt derer bleiben kann, die über ihn verfügen, ohne auf Nachrichten angewiesen zu sein. Die Alternative zur solchermaßen irrelevanten — wenngleich wirkungsmächtigen — Mitteilung kann also nur die Nachricht sein, die uns verrät, was das tatsächlich oder angeblich Wesentliche an dem Gegenstand sei (damit meine ich nicht konstante Wesenheiten, sondern jeweils diejenigen Aspekte, die geeignet sind, Bestandteil eines allgemeinen Begriffs des Gegenstandes zu sein, der den Gegenstand begreiflich und damit „handhabbar“ macht). Eine Nachricht also, aus der wir lernen können, was uns in welcher Weise etwas angeht und wonach wir uns richten sollen. In welcher Weise wir uns danach richten sollen, darüber können wir uns dann Gedanken machen.

Alternativ ist Öffentlichkeit

Meine letzte These lautet: Die Alternative zum Markt ist nicht die Marktlücke, sondern Öffentlichkeit. Erklärung: Im (gar nicht post-modernen, sondern ganz klassisch modernen) bürgerlichen Horizont gibt es keinen Widerspruch zwischen Markt und Öffentlichkeit, weil Funktionen und Formen von Öffentlichkeit und Markt einander entsprechen, was ja schon in dem vorhin verwendeten Begriff Warenöffentlichkeit zum Ausdruck kommt — in der zweifachen Hinsicht, daß Waren öffentlich präsentiert werden und daß nach und nach jegliche Öffentlichkeit zur Warenöffentlichkeit wird, in die nur gelangen kann, was sich als Ware darbietet. Man könnte aber auch — und nicht nur aus purer Formulierlust — sagen: „Warenöffentlichkeit“ oder „bürgerliche Öffentlichkeit“ ist eigentlich gar keine Öffentlichkeit, sondern nur ausgedehnte Privatheit — auch das in zweifacher Hinsicht. Zum einen: Wenn aller Raum, in dem gesellschaftliche Kommunikation sich abspielen kann, nach und nach zum Markt wird und wenn alle Zeichen, mit denen Kommunikation sich herstellen läßt, zu Waren werden, dann wird dieser Raum zum ausschließlichen Tummelplatz privater, „atomisierter“, abgesonderter, besonderer Interessen. Wie bereits erwähnt werden damit alle konkreten Bedürfnisse, alle gesuchten, gefundenen, fehlenden Gebrauchswerte vollends zur Privatsache — ebenso wie die Gedanken und Nachrichten, die durch Meinungen und Mitteilungen (also sich im vormals öffentlichen Raum durchsetzende Privatheiten) in den privaten Raum verdrängt werden. Damit kann aber auch die Verfügungsgewalt über Kapital und Produktion, Staat und Politik unangefochtene Privatsache derer werden die sie eben innehaben und innehaben werden (bei vom Markt absorbierter Öffentlichkeit sind Stimmungskanonen vom Typ eines Haider beste Chancen auszurechnen [11]). Das Grundthema ist nicht neu: „Das Private öffentlich machen!“, hieß es etwa — aus der feministischen Bewegung kommend — zu unvordenklicher Zeit und in dieser Losung steckt, wenn man sie weiterdenkt, eine beträchtliche oppositionelle Sprengkraft. Heute sind wir im „alternativen“ oder eigentlich alternierenden Milieu mit der Gegenbewegung konfrontiert: Alles rennet, rettet, flüchtet sich in Marktnischen oder was dafür gehalten wird: Räume, in denen die jeweiligen besonderen Interessen einer Gruppe gepflegt, gegen Anfechtungen von außen geschützt und mit — modischerweise „postmodernen“ — Argumenten für den Meinungswettbewerb gerüstet werden, in dem es sich darum handelt, mit den jeweiligen — privatistisch verbrämten statt publizistisch verkündeten — Ansprüchen zu Markte zu gehen und zu sehen, ob sich bei guter Konjunktur ein politischer Abnehmer findet. Dementsprechend verhalten sich dazugehörige Medien: Sie schlüpfen in das Gewand leicht konsumierbarer Zielgruppen-„Fanzines“, geben immer leichter bekömmliche Meinungs- und Mitteilungshäppchen ab und werden schließlich tatsächlich so harm- und bedeutungslos, wie sie aussehen.

Die Alternative zu diesem Schreckensszenario kann nur die Schaffung eigener Öffentlichkeiten sein, in denen die jeweiligen Nachrichten und Gedankengänge ihren Weg zu interessierten LeserInnen finden können: solchen, die etwas beitragen wollen und solchen, die noch etwas lernen wollen. Öffentlichkeiten, in denen es um etwas geht, in deren Debatten es wieder andere Einsätze gibt, als die Lustigkeit von Spielzügen. Der Einsatz, um den es heute geht, ist mehr denn je der Mensch und die Welt. Die allgemeine Verfügungsgewalt darüber anzustreben, was mit denen, also mit uns, geschieht, und dies zu entwickelnden Kriterien des ethisch Guten zu unterwerfen halte ich nicht für Totalitarismus oder elitäres Gehabe, sondern für die Existenzbedingung des Menschen und — in aller persönlichen Bescheidenheit — für historisch notwendig. Es steht an die „Vernetzung“ dieser Öffentlichkeiten, in der die verschiedenen Sonderinteressen in Auseinandersetzung treten können, in solidarischem Streit ihr Aus- und Fortkommen finden, ihre Begriffe und Strategien verallgemeinern, wenn nötig auch einander bekämpfen können (ohne einander unbedingt auslöschen zu müssen). Wichtiger als die gegenseitige Bekämpfung wäre: Dem sich entgegenzustellen, gegen das man sich mit der Wahl der Alternative entschieden hat — mit allem Kampfesmut, der einem eben möglich ist.

Faîtes vos jeux!

Mit dem bisher Ausgeführten hoffe ich verdeutlicht zu haben, daß es weder sinnvoll noch möglich ist, „alternative Inhalte mit etablierten Mitteln zu transportieren“ — es bleibt also beim Aspekt des Entweder-Oder.

Alternative Medien müssen nicht hauptsächlich Profite erwirtschaften, sie müssen hauptsächlich erscheinen können: und zwar mit den Inhalten, die sie für sinnvoll halten und für die LeserInnen, die dies für sinnvoll halten. Für die Sinnhaftigkeit des Unterfangens spielt es keine große Rolle, ob die Auflage klein oder doppelt so klein ist. Alternative Leserschaft qualifiziert sich nicht durch Masse sondern durch Interesse. Ich halte es allerdings weder für einen Qualitätsbeweis alternativer Medien, klein zu sein, noch für ein unumstößliches Gesetz, daß die Zahl der LeserInnen nur noch kleiner werden könne. Die aus der Öffentlichkeit in die Privatheit verdrängten Bedürfnisse, in der Welt Bedeutungen und in seinem Handeln Sinn zu finden bzw. zu schaffen, drängen, die (in anderer Richtung) vergesellschaftete Privatheit verlangt nach neuer — öffentlicher — Vergesellschaftung. Es ist also fraglich, wie lange noch die größtmögliche Zerstreuung für die größtmögliche Zahl erträglich sein wird. Überall dort, wo Konsumbürger sich von ihrem frustrierten (sinnentleerten etc.) Konsumismus ab- und minder Frustrierendem zuwenden wollen, sollten sie wirkliche Alternativen vorfinden. Und jede wirkliche Alternative kann künftig auf einen rettenden Aufschwung ebensogut hoffen, wie sie den totalen Niedergang befürchten kann — sofern so religiöse Haltungen wie „Hoffen“ und „Fürchten“ überhaupt in Betracht gezogen werden.

Wichtiger als abwartend zu hoffen und zu fürchten ist aber, so gut es geht Geschäfte zu machen, um die Alternative wirtschaftlich am Leben zu erhalten. Dazu gibt es nicht viel zu sagen, was nicht ohnehin alle Beteiligten und Interessierten wüßten und was nicht schon seit Jahrzehnten immer wieder irgendwo erörtert würde: Es handelt sich darum, sich mit einem zu bestimmenden Erscheinungsrhytmus und Umfang, einer erreichbaren Auflage und einem erzielbaren Anzeigenaufkommen unter möglichst hemmungsloser und professioneller, d.h. den jeweils geltenden Usancen gerecht werdender Nutzung jeder Finanzierungsquelle die als nötig bestimmten Mittel aufzubringen. Das alles wie gesagt ohne Hemmungen außer der einen: daß die Souveränität der Produzenten über das Produkt (also den redaktionellen Teil der Zeitschrift) gewahrt bleibt. Das hört sich ganz nach dem an, was uns bei den „bürgerlichen Medien“ als angebliche oder tatsächliche „Trennung von Anzeigengeschäft und Redaktion“ immer schon verdächtig vorkam und das ist es auch — allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: bei alternativen Medien ist das ernst gemeint, bei Strafe des Verlustes nicht nur der Existenzberechtigung (oder, wenn man das vorzieht: der Berechtigung, sich alternativ zu nennen) sondern auch — und vollends — der Existenzgrundlage.

Die Behandlung des zweiten — eingangs selbst gestellten — Problems („Ist es erfolgversprechend und ist es sinnvoll, die Konkurrenz mit etablierten Medien auf deren Spielwiese und mit deren Mitteln zu suchen?“) wird weniger Worte brauchen: Es ist weder erfolgversprechend noch sinnvoll, halbherzig (weil immer noch mit „alternativen“ Inhalten belastet) und kapitalschwach die direkte Konkurrenz mit Medien zu suchen, die für den Markt gemacht sind und dort ganzen Herzens und zumeist unter unvergleichlich größerem Kapitaleinsatz agieren und die unter diesen Bedingungen mit ihren eigenen Waffen nicht zu schlagen sind: Ein „ganzen Herzens“ für den Markt produziertes Medium, das schier unerschöpfliche Geldmittel in Werbeaktionen bei Konsumenten und Inserenten investieren kann (z.B. Mailings oder gleich Gratiszustellung an alle Haushalte, Gewinnspiele und sonstiger Firlefanz für die Vertriebsförderung, Gratis-Lockinserate für Insertionswillige, großflächige Werbeplakate exclusiv für potentielle Inserenten auf deren Weg ins Büro — wochenlanges Erscheinen ohne oder beinahe ohne Einnahmen bei Kosten von etlichen Millionen oder gleich -zig Millionen wöchentlich oder gleich täglich), wird allemal eine höhere Reichweite bei den Medienkonsumenten und größere Attraktivität bei Inserenten erreichen, als eine durch Reste von Inhalt verunstaltete und auch im übrigen schwache Kopie. So viel fällt mir zur direkten Konkurrenz ein.

Für ungleich sinnvoller halte ich es, von jener Konkurrenz zu sprechen, die man indirekt nennen könnte und in die sich jedes alternative Medium mit der Gesamtheit der etablierten Medien begibt, vor allem aber mit dem Ensemble jener etablierten Medien, die ihrerseits — dank ihrer Eigenwerbung — als „anspruchsvoll“ oder „intellektuell“ oder irgendwie „alternativ angehaucht“ gelten und von denen die Anzeigenkunden annehmen, daß sie dort gewissermaßen billiger mehr von der gleichen Zielgruppe bekommen (von Inserenten meiner Erfahrung nach meistgenannt sind eine rosa gefärbte Tageszeitung und das wöchentlich erscheinende Nachrichtenmagazin, das vom gleichen Herausgeber gegründet wurde — für die Auflösung des Rätsels gibt es keinen Preis zu gewinnen). Dieser Konkurrenz zu begegnen, könnte ein gemeinsames Anliegen vieler alternativer Zeitschriften sein (und — wieder einmal — gemeinsam über dafür geeignete Maßnahmen nachzudenken, lade ich hiemit alle Interessierten freundlich ein).


[1] Allerdings meines Erachtens in über die Stränge schlagender Weise die Entscheidung mit dem Gegenstand der Entscheidung vertauschend: den zwei Möglichkeiten nämlich, die eine „freie aber unabdingbare Entscheidung“ verlangen und sohin die beiden Alternativen bilden. Was zu dem Ergebnis führt, daß der Begriff im Singular eigentlich nicht sinnvoll zu gebrauchen ist, worauf ich hier zunächst allerdings keine Rücksicht nehme, da die „zweite Alternative“ erst später zur Sprache kommen soll.

[2] Burghart Schmidt: Postmoderne — Strategien des Vergessens, Frankfurt a.M. 1994, (stw 1136), S 20: Mit Bezug auf Michel Foucault: „Eine semiotische, aufs bloße Zeichenwesen sich reduzierende Wendung, in der aller Sinn, das Semantische getilgt wird. Das mag von Bedeutungs- und damit von Interpretationszwängen befreien, aber Bedeutung und Interpretation haben dann überhaupt ausgespielt (...)“

[3] Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen — Ein Bericht, Graz/Wien 1986, (Böhlau/Edition Passagen Nr. 7), S 40: „Jede Aussage muß wie ein in einem Spiel ausgeführter Spielzug betrachtet werden. Diese letzte Beobachtung führt dazu, ein erstes Prinzip anzunehmen, welches unsere ganze Methode bestimmt: daß Sprechen Kämpfen im Sinne des Spielens ist und daß Sprechakte einer allgemeinen Agonistik angehören. Das bedeutet nicht unbedingt, daß man spielt, um zu gewinnen. Ein Spielzug kann aus Freude an seiner Erfindung gesetzt werden, denn was sonst ist an der unaufhörlichen Provokationsarbeit der Sprache, die im populären Umgang oder in der Literatur geleistet wird? Die ständige Erfindung von Redewendungen, Wörtern und Bedeutungen auf der Ebene des Sprechens (parole), also das, was die Sprache (langue) zur Entwicklung bringt, bereitet große Freuden...“

[4] a.a.O., S 41

[5] Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens — Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt a.M. 1983, (S. Fischer), S 170

[6] siehe z.B. Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen, Berlin und Weimar 1989, (Aufbau-Verlag)

[7] Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes, Werke 3, Frankfurt a.M. 1986, S 241

[8] Franz Schandl: Zurück zur Utopie, in: JURIDIKUM 3/93, S 26-28, hier S 28

[9] Mediengesetz 1981, Artikel I 1 Abs.1 Z 1

[10] Günther Anders: Die Welt als Phantom und Matrize, in: Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1, München 1992, (BsR 319), S 156 f.

[11] vgl. dazu Rudolf Burger: Das Denken der Postmoderne, in: Falter 26/93, S 16-19, hier S 19: „Von diesem tragikomischen Ausgang her gesehen scheint die Lyotardsche Eingangsthese vom ‚Ende der Großen Erzählung‘ als geradezu groteske Fehldiagnose: Zu Ende ist tatsächlich die universalistische Metaphysik der marxistischen Sinnstiftungserzählung, und die hatte Lyotard ja gemeint, damit aber, und das hatte er nicht gesehen, kehren die vielen großen Erzählungen gerade wieder, und zwar in ihrer primitivsten, narrativ konstruierten Form: als Erzählung der nationalen, der ethnischen, ja der rassischen Identitäten; angefangen hat es mit den kulturellen Identitäten.“ — wie sichs mit der „Metaphysik der marxistischen Sinnstiftungserzählung“ verhält, hätte man freilich gerne etwas genauer erklärt.

Post Scriptum, Ende Mai 1995:

Gute Miene Böses Spiel

Wie rasch und dramatisch die großräumige Vernichtung öffentlicher Darstellungs- und Diskussionsmöglichkeiten durch bedeutungslose aber wirkungsmächtige Politiker und Medien vonstatten gehen kann und wie schwierig es ist, sich gegen diese Gemeingefahr zur Wehr zu setzen, haben wir in den vergangenen Wochen erleben müssen: Der auch sonst notorisch bedeutungslose Anführer einer sich zur „F-Bewegung“ aufplusternden Partei nimmt einen einigermaßen belanglosen Vorgang zum Anlaß, wild in der Gegend herumzudeuten, damit massenhaft schlechte Meinung über Personen, Gruppen, Organisationen und Denkrichtungen zu evozieren, die sich am Ende, als Objekte seiner Spielzüge durch den Bedeutungs-Zerhäcksler der Massenmedien getrieben, in ihrem öffentlichen Ansehen, Fortkommen und Kredit geschädigt, politisch geschwächt und zerfleddert wiederfinden — ohne reelle Aussicht darauf, sich mit annähernd gleicher Massenwirkung durch die Darstellung von Sachverhalten, durch die Erörterung von Zusammenhängen und durch die Erwägung von Beurteilungen gegen die Diffamierung zur Wehr setzen zu können.

Damit werden praktische Grenzen der Aufklärung, und das bedeutet für unsereinen: des Redens und Schreibens überhaupt, geschaffen und gezeigt. Je enger das böse Spiel der Anti-Aufklärung diese Grenzen zieht, umso schwerer wird es fallen, mit zwar zunehmend müdem Blick aber im übrigen guter Miene an aufklärungsbemühten Alternativen zu basteln. Ich bastle, schon als Kind nicht gerade zum Helden der Sandkiste disponiert, lieber an Zeitschriften als an sonst irgend etwas. Das ist derweil noch immer mein Angebot, aufrecht nach Maßgabe dazu passender Nachfrage, feilschen um Inhalte allerdings ausgeschlossen.

Kein medienpolitischer Kommentar soll heute ohne ceterum censeo bleiben: Möge doch einmal (damit wir zumindest von dieser Seite wissen, woran wir sind) der Gesetzgeber entscheiden, was er will: Endlich wirksame Fusions- und Konzentrationsbeschränkungen für Medienunternehmen (nicht nur die Mediaprint muß zerschlagen werden); endlich eine wirksame Medienförderung im öffentlichen Interesse anstatt des derzeit gepflogenen Verschenkens von Steuermillionen an kommerziell erfolgreiche Medienunternehmungen, das durch keinerlei medienpolitische Zielsetzung zu rechtfertigen ist; endlich eine Neuordnung des Medienrechts, die die Verletzung der Persönlichkeitsrechte auch und vor allem jenen Medien verleidet, die daran am besten verdienen; schließlich und endlich auch bei der „Öffnung des Äthers“ ein Abgehen von der Favorisierung kommerzieller Anbieter und mindestens auch die Zulassung und Förderung Freier Radios? Oder sonst irgend etwas?

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