ZOOM 1/1999
Januar
1999
Rainer Oberleitner:

Schengen und Europol

Kriminalitätsbekämpfung in einem Europa der inneren Sicherheit

Der Schwerpunkt dieser Ab­handlung über die dritte Säule der EU, die von Justiz und Inneres gebildet wird, ist das Thema Europol, dem sich unsere Zeitschrift schon des öfteren gewidmet hat.

Schon auf Seite 12 findet sich Bemerkenswertes zum K.4-Ausschuß, benannt nach dem Artikel K.4, nämlich daß die ihn unterstützenden Lenkungsgruppen die intergouvernementalen Gruppen, insbesondere die TREVI-Gruppen, ersetzt haben. Ge­nau diese Kontinuität ist im­mer wieder geleugnet wor­den, auch bei einer Tagung im Renner-Institut von einem Vertreter Brüssels. Sowohl die Arbeiten als auch die An­gehörigen dieser früher ge­heimen Strukturen sind da­her mit dem Aufbau der europäischen Inneren Sicher­heitsarchitektur aufs engste verbunden. Dabei muß berücksichtigt werden, daß innerhalb des TREVI-Verbundes nicht nur Polizeien, sondern auch Geheimdien­ste zusammengearbeitet ha­ben. Diese Zusammenarbeit entstand auf Grund der po­litischen Entwicklungen in den Siebzigern, als vor allem linksextreme Terrorgruppen die medialen Schlagzeilen beherrschten. Von daher leitet sich unsere jahrelange Kritik an den Bemühungen der ohne demokratischen Diskussionen vor sich hinar­beitenden Gruppen aus Po­lizisten, Juristen und Geheimdienstleuten um einen europäischen Sicherheitsstaat ab.

Auch auf Seite 93 wird bestätigt, daß Schengen, TREVI und andere Einrich­tungen unter dem Namen „Europol“ vereinigt werden sollen. Der Übergang wird im Kapitel über die ge­schichtliche Entwicklung von Europol nachgezeichnet, von der TREVI-ad-hoc-Gruppe Europol über den Aufbaustab im Jahre 1992 bis hin zur TREVI-Minister-Tagung am 29. Juni 1993, bei der der Aufbaustab seine er­sten konkreten Aufgaben zu­geteilt bekam. Von dem Mo­ment an wurde das Mandat der Europol ständig erweitert, ihr Aufgabenbereich im­mer weiter ausgedehnt, bis hin zur Europol-Konventi­on. Deren Auslegung obliegt dem Europäischen Ge­richtshof, wobei es den Mit­gliedstaaten freisteht, diese Zuständigkeit anzuerkennen oder nicht. Die Europol ist durch die Konvention als Völkerrechtssubject mit Pri­vatrechtsfähigkeit eingerich­tet. Daher wurde sie bereits in die Lexika für Internatio­nale Organisationen aufgenommen. Trotzdem hält der Autor daran fest, daß sie ein „Instrumentarium der zwi­schenstaatlichen Zusam­menarbeit der einzelnen Mit­gliedstaaten der Union“ (S.120) bleibe.

Arbeitsfelder der Europol sind z.B. die Organisierte Kriminalität und politischer Extremismus und Terroris­mus. Eine fixierte Definition dieser Felder gibt es noch nicht. Daher kann man an­nehmen, daß eine breitest­mögliche Interpretation, die allen Staaten zusagt, ange­strebt wird.

Die erstaunlichen Frei­heiten der Europol bestehen nicht nur in der anvisierten Immunität (d.h. Straffreiheit trotz begangener Straftaten, die sonst nur für verdeckte Ermittler und Geheimdien­ste gilt), sondern auch in der präventiven Datenspeiche­rung und in der Analyse so­genannter „weicher Daten“. Europol-Beamte sind dazu ermächtigt, bei begründetem Verdacht tätig zu werden. Nun ist aber der „begründe­te Verdacht“ nicht näher spezifiziert und obliegt da­her der subjectiven Inter­pretation des Beamten. Da­bei hat er sich wiederum an sein nationales Recht zu hal­ten. Somit etabliert sich ein Freispiel für die Europol-Be­amten, die sich, je nach Ein­schätzung, nach nationalem Recht oder EU-Recht ver­halten können. Rechtsbrüche sind damit so gut wie ausge­schlossen. Folgende Bemer­kungen zum Datenschutz (S.145) sind es wert ausführ­lich, zitiert zu werden: „Es wird sehr von der Bereit­schaft der einzelnen Mit­gliedstaaten wie auch von der Europol abhängen, sich an die datenschutzrechtlichen Vorgaben zu halten, und somit einen gewissen Datenschutzstandard, der zwar nicht jenem der EU-Datenschutzrichtlinie ent­spricht, aber immerhin eine Anhebung des europäischen Datenschutzniveaus in die­sem Bereich darstellt und so­mit sicherlich nicht als un­zureichend zu werten ist, zu gewährleisten.“

Der Autor läßt sich an­sonsten eher auf die natio­nalen Schwierigkeiten auf dem Weg zu europäischen Institutionen und deren for­malen Konsequenzen bei den Statuten und bei der Zu­sammenarbeit ein und for­muliert, wenn überhaupt, an den Mängeln und Begren­zungen einer europäischen Effizienz in Sachen Polizei und Justiz Kritik. Ein­schränkungen der Bürger­rechte werden als mehr oder minder sinnvoll erachtet. Die OK als allmächtiges Schreck­gespenst spielt auch bei die­sem Buch seine Rolle zur Legitimierung von Zugriffs­rechten auf den einzelnen. Den politischen Implikatio­nen von Europol für die Ver­fassungsfreiheiten wird aus­gewichen, eine Behandlung des Feldes politischer Extre­mismus und Terrorismus kommt nicht vor. Sehr ge­scheit. Denn sonst wäre die überarbeitete Dissertation wohl kaum in der Schriften­reihe zum gesamten Europa­recht erschienen.

Beschwerden beim Salz­amt, oder genauer: beim EuGH.

Rainer Oberleitner: Schengen und Europol. Kriminalitäts­bekämpfung in einem Europa der inneren Sicherheit. SREU Band 2, Manz Verlag, Wien 1998, 188 S, öS 572,—

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