Medienecke
April
1991
Versatz:

Schluß mit dem Gerede!

Wenn es auch müßig erscheint, darf zum THEMA dieses Heftes die Klarstellung nicht fehlen, daß mit der verfassungsrechtlich gewährten Medienfreiheit durchaus rein gar nichts über die Gewährleistung freierund vielfältiger Information und Meinungsäußerung gesagt ist. Die sogenannte „Medienfreiheit“ ist nämlich zunächst einmal nichts anderes als eine besondere Form der Erwerbsfreiheit für jene Unternehmen, die sich die Produktion von und den Handel mit Schrift, Bild oder Ton zum Unternehmensgegenstand gewählt haben. Die Hoffnung, daß damit auch schon Meinungspluralismus einherginge, geht davon aus, daß mit Meinungen — und dann gar mit unterschiedlichen — profitbringendes Geschäft zu machen ist. Das mag wohl zur Zeit des Inkrafttretens des Staatsgrundgesetzes 1867, dessen Artikel 13 „jedermann“ das Recht der freien Meinungsäußerung einräumt und zugunsten der Presse das Verbot von Zensur und Konzessionssystemen sowie die Unzulässigkeit administrativer Postverbote anordnet, noch so gewesen sein. Auch die Transformation der Europäischen Menschenrechtskonvention, deren Artikel 10 die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten betrifft, in die Bundesverfassung, mag im Jahre 1964 noch als wesentlicher Fortschritt für die Meinungsfreiheit gesehen worden sein.

„Jedermann“

Wer allerdings bis heute an einen direkten Zusammenhang zwischen solchen Verfassungsgarantien und einem bestimmten Standard der öffentlichen Information und Meinungsbildung geglaubt hat, ist erstens selber schuld und steht zweitens den jüngeren und vielerorts beklagten Entwicklungen am Medienmarkt ratlos gegenüber:

Daß der Medienmarkt in aller Freiheit dazu übergeht, sıch auf immer weniger Medieninhaber zu beschränken, die zudem entdeckt haben, daß sie Schrift, Bild und Ton gerade dann am besten vermarkten können, wenn sie sie überhaupt so weit wie möglich von Inhalt befreien, trifft nun scheinbar naturgewaltig und überraschend ein. War aber absehbar: „Weil die Pressefreiheit ein Jedermannsrecht ist, steht der Zugang zu diesem ‚Meinungsmarkt‘ prinzipiell jedem offen, freilich unter dem faktischen Vorbehalt, daßer dazu wirtschaftlich in der Lage ist und er sein Publikum findet.

In der maßgeblich ökonomisch bestimmten Wirklichkeit des Mediensystems kommt diese Freiheit vor allem leistungsfähigen Wirtschaftseinheiten und anderen sozialen Großorganisationen zugute, wobei die mit fortschreitender Kapitalverflechtung einhergehende Konzentration auch die vorausgesetzte Pluralitätschrumpfen läßt,“ schrieb der Salzburger Medienrechtsexperte Walter Berka 1989. [*]

Und worauf schrumpft sie? „Wenn sich Journalisten bisher noch zugute halten konnten, Standpunkte selbst erdacht oder zumindest nachgedacht und ihren LeserInnen mit einem Minimum an Information und Argumentation weitergereicht zu haben, so wird ihre zukünftige Arbeit noch weiter den Interessen (deutschen) Großkapitals untergeordnet werden. Das bedeutet, daß sie ihre LeserInnen künftig noch weniger als bisher als mehr/weniger aufgeklärte BürgerInnen ansprechen werden, sondern nur noch als konsumfreudige Zielgruppe für Anzeigenkunden und unterhaltungsbedürftiges Publikum für politische Stimmungskanonen (etwa vom Schlage eines Mannes, der auf diese Weise bereits Kärntner Landeshauptmann werden konnte).

Was einem rationellen europäischen Medienkonzern Auflage und Werbegelder verschafft, ist nicht Information und Argumentation (und sei sie noch so jämmerlich), sondern die geschickte Vermarktung politischer Stimmungsmache; nicht die Beachtung sozialer oder regionaler Besonderheit, sondern die Förderung einer einheitlichen europäischen Konsumkultur. Womit wir zu rechnen haben, das ist die vollständige Vernichtung eines politischen Raumes, in den Themen ‚von allgemeinem Interesse‘ immerhin noch gelangen konnten, die zunehmende Ausschaltung der BürgerInnen aus allen sıe betreffenden gesellschaftlichen Abläufen, eine rasant anwachsende Bedrohung der geistigen und kulturellen Integrität der Menschen in diesem Land.“ (Aus der Selbstdarstellung der „Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften VAZ“).

Auf kurz oder lang läßt sich nur noch ein Bereich der Publizistık ausmachen, der die solchermaßen verlorene Meinungsvielfalt noch herstellen kann: „Trotzdem darf nicht übersehen werden, daß es Formen der Kleinpublizistik und der spontanen Publizistik gibt, in denen sich immer noch die Pressefreiheit des einzelnen Bürgers real verwirklichen kann“ (Walter Berka). Mit den Worten der kleinen, spontanen Publizisten:

„Alternative Medien verfolgen ernsthafte inhaltliche Interessen. Diese bilden die wesentliche Triebfeder der journalistischen Arbeit und sind für jeden ohne weiteres erkennbar. Das heißt: alternative Medien sind zuerst einmal ehrlich ... Alternative Zeitschriften wollen nicht in erster Linie den Anzeigenkunden hohe Auflagen bieten, sondern gelesen werden. Darum biedern sie sich auch den LeserInnen nicht an, setzen ihnen mitunter Widerstand entgegen und stoßen selbst auf den Widerstand der LeserInnen. Ziel ist nicht die Beeinflussung der öffentlichen Meinung, sondern das Vorantreiben eines gemeinsamen Denkprozesses. Auf diese Weise werden aus LeserInnen oft MitarbeiterInnen“ (VAZ-Selbstdarstellung).

Nicht Jedermann

Das Schöne an diesen Alternativmedien ist also nicht, daß sie so spontan und klein sind (auch von erhaltenswerten Biotopen war in diesem Zusammenhang schon die vergleichsweise Rede), sondern daß sie — und nicht „jedermann“ — diejenigen sind, die Meinungsfreiheit überhaupt noch wahrnehmen und Meinungsvielfalt herstellen.

Zum großen Teil ist die Arbeit dieser Medien auch gar nicht so spontan und lieb-chaotisch-alternativ, sondern durchaus wohlgeplant und professionell — wenngleich stets un-oder unterbezahlt. Am Geld und somit am Markt liegt es in aller Regel, wenn spontanes Wursteln die Arbeitsweise ist und man das dem Produkt ansieht.

Schluß

Bevor sich die Medienpolitiker entschlossen haben, für diese alternativen Medien alles und für die Medienkonzerne nichts mehr zu tun, will ich das Wort „Medienfreiheit“ aus ihrem Munde nicht mehr hören.

aus: Juridikum 2/91, Seite 29

[*Walter Berka: Das Recht der Massenmedien — Wien; Böhlau, 1989.

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