MOZ, Nummer 55
September
1990
70 Jahre Kärntner Volksabstimmung:

„... so wurde unser Kampfruf Kärnten“

Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen oder Republik Österreich — diese Frage stellte sich der Südkärntner Bevölkerung beim Plebiszit im Jahre 1920. Die damaligen jugoslawischen Gebietsforderungen sowie die Präsenz jugoslawischer Partisanenverbände im Kärnten des Jahres 1945 nähren bis heute die sogenannte Kärntner Urangst, deutschnationale Mythen und Ressentiments gegenüber den Kärntner Slowenen.

1940
Bild: Publikation Klub slowenischer Studenten

Am 10. Oktober 1990 werden genau 70 Jahre vergangen sein, seit in der damaligen Abstimmungszone A — sie umfaßte die südlich der Drau gelegenen slowenischsprachigen Gemeinden der heutigen Bezirke Villach-Land, Klagenfurt-Land und Völkermarkt 15.278 Menschen für das jugoslawische Königreich und 22.025 für die Republik Österreich votierten. Dies ergibt eine relativ knappe Mehrheit für Österreich: 6.747 Stimmen (59,04 Prozent). Davor war es 1918 und 1919 im Konflikt um die neue Grenzziehung zu bewaffneten Auseinandersetzungen und schließlich zur Besetzung Südkärntens einschließlich Klagenfurts durch jugoslawische Truppen gekommen. Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs bestimmten dann bei den Pariser Friedensverhandlungen die endgültige Entscheidung durch eine Volksabstimmung herbeizuführen.

Das Gedenken an den 10. Oktober 1920 ist in Kärnten ein Landesfeiertag. Jedes Jahr gibt es zu dieser Zeit Abstimmungskundgebungen und Feiern, die runden Jubiläen läßt sich die Landesregierung etwas kosten: In der Landeshauptstadt marschiert halb Kärnten auf mit sämtlichen Volkstums-, Folklore-, Kameradschafts- und sonstigen Traditionsverbänden, mit Fahnen und Fanfaren, Blasmusik und braunem Kärntnergwand. Der heurige Festumzug wird an die 10 Millionen Schilling kosten. Faktum ist auch, daß die SlowenInnen den Feierlichkeiten fernbleiben werden. Ihre Organisationen wurden zwar zur Teilnahme eingeladen, sie sollten allerdings in Sachen Organisation und Programm nichts mitzureden haben. Selbst ein/e slowenische/r RednerIn oder eine slowenische Ansprache wurden von den Organisatoren ausgeschlossen.

Deutschnationale Vereinnahmung

Die allgemeine Skepsis der Minderheit gegenüber den alljährlichen 10.-Oktober-Feiern ist verständlich. Seit es diese in institutionalisierter Form gibt, werden sie vom Gedankengut eines „Sieges in deutscher Nacht“ geprägt. Für die deutschnationalen und minderheitenfeindlichen Kreise waren die Feiern stets ein Instrument zur Mobilisierung von Ressentiments gegen die Minderheit. Die mahnende Schwurhand — vom deutschnationalen Kärntner Heimatdienst (KHD) jahrzehntelang auf der Titelseite seiner Postwurfpostille „Ruf der Heimat“ abgebildet — symbolisierte einiges mehr als nur die Abwehrkampfparole „Kärnten frei und ungeteilt“. Niemand anderer hat es besser präzisiert als Jörg Haider: „Man darf sich aber nicht nur damit begnügen, daß dieses Land frei und ungeteilt bleibt. Dieses Land wird nur dann frei sein, wenn es ein deutsches Land sein wird!“, meinte er im Juli 1984 bei einer Festveranstaltung des rechtslastigen Österreichischen Turnerbundes in St. Jakob/Sentjakob. 70 Jahre nach der Abstimmung wird es unter Landeshauptmann Haider auch keine „ungerechtfertigten Geschenke“ an die SlowenInnen geben. So etwas wurde zwar nicht amtlich verlautbart, ist aber offensichtlich. Haider verweigert die — vor dem Verfassungsgerichtshof erfolgreich eingeklagte — Errichtung einer öffentlichen zweisprachigen Schule in Klagenfurt, er verweigert die Ausführung der vom Parlament im Sommer beschlossenen Minderheitenschulgesetznovellierung, und auch die seit Jahr und Tag für diesen Herbst versprochene zweisprachige Handelsakademie wird es Dank seiner Regie nicht geben.

Die Tradition des 10. Oktober ist unter den gegebenen Vorzeichen eine ausgesprochene Tradition des Negierens der slowenischen Volksgruppe, ihres Anteils an der Kärntner Geschichte, ihrer verfassungsmäßig verbrieften Rechte. Negiert wird auch der Umstand, daß mehr als 10.000 slowenische Stimmen unter den Pro-Österreich-Stimmen den Ausschlag für den Ausgang der Kärntner Volksabstimmung gaben und es somit eigentlich die SlowenInnen selbst waren, die eine Teilung Kärntens ablehnten und verhinderten. Und restlos unter den Teppich gekehrt wird der Umstand, daß die von der damaligen Kärntner Landesversammlung vor dem 10.10.1920 feierlich verabschiedeten Konzessionen und Versprechen an die slowenische Volksgruppe nach der Abstimmung niemals eingelöst wurden. Im Gegenteil. Es kam die Zeit der Abrechnung. Durch ein breit angelegtes Germanisierungsprogramm sollte ganz Kärnten deutsch und das Problem binnen einer Generation für immer gelöst werden. Was in der 1. Republik nicht gelang, sollte im Dritten Reich umso konsequenter durchgezogen werden: die Aussiedlung von über 300 slowenischen Familien war der Auftakt zur geplanten Bereinigung der „Kärntner Frage“.

Den Abwehrkampf, die Abstimmungszeit, den 30-prozentigen Organisationsgrad der illegalen NSDAP im Kämten der 30er Jahre, die Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die ersten Attacken gegen die slowenische Minderheit am Ende der 30er Jahre, als es zur Beseitigung des für beide Volksgruppen verbindlichen zweisprachigen Schulsystems kam, den Ortstafelkonflikt in den Siebzigern und die neuerlichen Auseinandersetzungen um das Minderheitenschulwesen in den Achtzigern verbindet eine fast zeitlose Kontinuität. Die führenden Köpfe und ein großer Teil der Akteure des gut organisierten, deutschnational und minderheitenfeindlich agierenden Apparats wechselten beliebig oft ihre Identitäten. Ihre politische Seelenwanderung vollzog sich über eine lange Reihe von Zwischenstationen. Sie waren irgendwann einmal mehrheitlich Großdeutsche, verdiente Abwehrkämpfer für die Einheit Kärmntens, Untergetauchte in der Vaterländischen Front, illegal tätige Wegbereiter für Hitlers Anschluß, dann hochdekorierte Nazis und SS-Schergen. Nach dem Zusammenbruch des Reichs, als es darum ging, die einmarschierten jugoslawischen Partisanen wieder loszuwerden, taten sie sich erneut als Vorkämpfer für die Integrität von Österreichs angestammten Grenzen hervor und schufen sich so wiederum den Ruf von verdienten ‚österreichischen‘ Patrioten. Ihr Einfluß und Wirken setzte sich in ÖVP, FPÖ und SPÖ, wo sie Unterschlupf fanden, fort. Nicht wenige von ihnen wurden wegen ihrer ‚Verdienste‘ in der Zweiten Republik von Land und Bund mit hohen Auszeichnungen bedacht. Das Gedankengut blieb meist dasselbe; der entscheidende Einfluß derjenigen, die den Kärntner Abwehrkampf von Anbeginn an als Kampf um das große Reich verstanden und ihn später auch in diesem Sinne auf vielfältigste Art und Weise fortsetzten, ist nicht zu leugnen.

Bild: Löcker Verlag

Die Heimkehr ins Reich

Einige Beispiele sprechen für sich selbst: Hans Steinacher schreibt in seinen Memoiren „Sieg in deutscher Nacht“: „Hingegen spielte das Bekenntnis zu Österreich in unserem Abwehrkampf so gut wie keine Rolle ... Es war mir stets eine unumstößliche Selbstverständlichkeit, den Abstimmungskampf nicht um den Anschluß Österreichs, sondern um die großdeutsche Zukunft zu führen. Die Stimmen für Österreich sollten die Anwartschaft auf die Heimkehr ins Reich wahren. Weil wir aber wegen der auf alldeutsche Umtriebe lauernden Interalliierten, vor allem der Franzosen, nicht in der Lage waren, Deutschland zu rufen, wir Österreich nicht sagen wollten, so wurde unser Kampfruf eben Kärnten.“ Der ehemalige Oberleutnant zeichnete sich im Abwehrkampf aus und leitete die im August 1919 von der Landesversammlung in Hinsicht auf die Volksabstimmung eingerichtete „Landesagitationsleitung“. Später war er dann illegales NSDAP-Mitglied und Aktivist. Er leitete vor dem Anschluß in den 30er Jahren in Berlin den Reichsverband für das Deutschtum im Ausland. Auch nach 1945 stellte er eine Verkörperung des Abwehrkampfes dar und wurde wegen seiner Verdienste ausgezeichnet. Alois Maier-Kaibitsch war führender Funktionär des zu jener Zeit entstandenen Kärntner Heimatdienstes und späteren Kärntner Heimatbundes. Er baute diese Organisation zum wichtigsten Stützpunkt für die illegale NSDAP aus, der er selbst seit 1934 angehörte. In der Gauleitung der illegalen NSDAP war er Referent für das zweisprachige Gebiet. Während der Kriegszeit Koordinator der Slowenenaussiedlung, brachte er es bis 1945 zum SS-Standartenführer. Nach dem Krieg als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt, dann krankheitshalber entlassen.

Auch der Kärntner Historiker und engagierte Zeitzeuge Martin Wutte — seine Schriften über den Kärntner Abwehrkampf und die Volksabstimmung haben für die amtliche Kärntner Geschichtsschreibung bis heute den Stellenwert einer Bibel — rückte die Ambitionen der führenden ‚Freiheitskämpfer‘ ins rechte Licht: „Frankreich und England wachten mit Argusaugen auf jede Regung des Anschlußgedankens, um ihn im Keime ersticken zu können. Als beispielsweise in Klagenfurt beim Abzug der Jugoslawen am 31. Juli 1919 zahlreiche schwarz-rot-goldene Fahnen als Zeichen großdeutscher Gesinnung gehißt wurden, griff der französische Delegierte der in Klagenfurt weilenden interalliierten Militärkommission ein, und als im Frühjahr 1920 die Landes-Agitationsleitung in den Kärntner Heimatdienst umgewandelt wurde, fragte Paris sogleich an, was es denn für eine Bewandtnis mit diesem Heimatdienst auf sich habe und ob da nicht ein gewisser Zusammenhang mit der gleichnamigen Organisation in Deutschland bestünde. Unter diesen Umständen wäre es taktisch ein Fehler gewesen, wenn wir unsere Verbindungen mit dem Reiche der Öffentlichkeit preisgegeben hätten.“

Mythos an Stelle von wertfreier Geschichte

Eine Relativierung und kritische Aufarbeitung der Kärntner Ereignisse nicht nur zwischen 1918 und 1920, sondern der gesamten politischen und gesellschaftlichen Entwicklung bis 1945 wäre nach 70 Jahren einäugiger Glorifizierung mehr als angebracht. Der deutschnationale Heimatmythos und die in seinem Namen gehegte Blut- und Boden-Politkultur erweisen sich — vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen in Slowenien und Jugoslawien — zusehends als abgegriffene Instrumente der Demagogie und der machtpolitischen Einflußnahme einer antinationalistischen und ewiggestrigen Lobby.

Ihr ‚Verdienst‘ ist vor allem die einseitige Interpretation des Gewesenen und die Rechtfertigung einer sanktionierten Politik gegen diejenigen, die sich dieser Einseitigkeit nicht ergeben wollten. Wer etwa den jugoslawischen Gebietsforderungen — immerhin handelte es sich damals noch um ein zu 90 Prozent slowenisches Siedlungsgebiet, und ganz Europa wurde zeitgleich in neue Grenzen aufgeteilt — ihre Berechtigung zuzugestehen bereit ist, wird auch heute von der Geschichte eingeholt und als Heimatverräter abgestempelt. Unartig ist, wer wegen der in bezug auf Abwehrkampf und Volksabstimmung bereits seit 70 Jahren existierenden amtlichen Behauptung von der militärischen Schlappe des Abwehrkampfes — sein erwiesenermaßen bedeutendster Effekt war, die Aufmerksamkeit der Interalliierten auf das Kärntner Problem zu lenken, was schließlich den Beschluß zur Abhaltung des Plebiszits zur Folge hatte — in den Mund nimmt. Ein unbequemer Zeitgenosse ist, wer die Kärntner Variante der Dolchstoßlegende — „von der Regierung in Wien im Stich gelassen“ — demaskiert und aufdeckt, daß in der Anfangsphase der territorialen Auseinandersetzungen, als slowenische Freiwilligentruppen, aus Krain und der untersten Steiermark kommend, bis zur Drau vordrangen, die damalige provisorische Kärntner Landesversammlung (Großdeutsche, Christlichsoziale, Sozialdemokraten) auf Grund der gegebenen militärischen Schwäche des Landes angeblich bereit war, auf das slowenische Südkärntner Gebiet zu verzichten. Als gänzlich unseriös gelten Spekulationen darüber, ob das Abstimmungsgebiet bei Österreich verblieben wäre, wenn zum Beispiel die damals schon mehrheitlich deutschsprachige Stadtgemeinde Völkermarkt vom Plebiszit ausgeschlossen und einige vorzeitig an Jugoslawien abgetretene slowenische Kärntner Gemeinden — im Mießtal und am Seeberg — doch noch in die Abstimmungszone miteingeschlossen gewesen wären.

1980
Bild: Publikation Klub slowenischer Studenten

Teile und herrsche

Von Anfang an nicht haltbar war auch die Interpretation des Abstimmungsergebnisses als ethnischer Entscheid der Bevölkerung. Es ist Unsinn, den Kämtner Grenzkonflikt in den Jahren 1918-1920 ausschließlich nach nationalen Kritierien zu interpretieren. Die tonangebende Bourgeoisie folgte auf beiden Seiten ihren jeweiligen ökonomischen und politischen Interessen. Das Austragen des Interessenkonfliktes in der Form von nationalen und letztlich militärischen Auseinandersetzungen mobilisierte alle Bevölkerungsschichten. Die SlowenInnen in Kärnten waren auch damals keineswegs ein kompakter nationaler Block. Viele stimmten aus politischen, sozialen und ökonomischen Gründen für Österreich — sie handelten also keineswegs nur nach nationalen Kriterien.

Martin Wutte versuchte, diese Tatsache mit der sogenannten „Windischentheorie“ zu verklären: jene SlowenInnen, die für Österreich votierten, hätten auf Grund ihrer Einstellung und ihrer Dialektform (gemeint ist damit der regionale slowenische Dialekt, der häufig von deutschen Gebrauchswörtern durchsetzt ist) gar nichts mit den nationalen SlowenInnen gemein, sondern wären eine eigene ethnische Gruppe, die sich zum Deutschtum bekenne. Historisch und sprachwissenschaftlich betrachtet ist diese Theorie blanker Unfug. In der Praxis hatte sie jedoch negative Auswirkungen. Denn diese Differenzierung eröffnete der slowenischen Minderheit vor dem Hintergrund der nach dem Plebiszit einsetzenden Abrechnungspolitik — diese wurde dann zum eigentlichen Abwehrkampf! — zwei gleich schlechte Wege:

  • der eine führte, geprägt vom Leid durch politische Repression und Erniedrigung, in die nationale und gesellschaftliche Isolation und hatte schließlich die Festigung eines wenig toleranten, traditionalistisch-nationalistischen Kollektivbewußtseins innerhalb der Minderheit zur Folge;
  • der andere führte in eine scheinbare Verschonung vor Sanktionen zum Preis der freiwilligen Assimilierung — die volle Anerkennung erlangte schließlich nur, wer ein richtiger ‚Deutschkärntner‘ wurde; das ‚Windische Bekenntnis‘ war nur ein Zwischenstadium im amtlich organisierten Germanisierungsprozeß.

Wer sich bisher immer schon über slowenischnationale Ethnozentristen oder deutschnationale Einpeitscher mit auffallend slowenisch gefärbten Familiennamen wunderte, findet im politischen Prinzip, welches diese beiden Phänomene auslöste, des Pudels Kern. Das ‚teile und herrsche‘ prägte in der Kärntner Minderheitenfrage bis heute das politische und gesellschaftliche Klima. Es braucht als Rechtfertigung den Bedrohungsmythos und ein je nach Gebrauch verdrehtes, zum Dogma erstarrtes Geschichtsbild.

Ohne diese beiden Hilfsmittel hätten sich die gesellschaftlichen, politischen, nationalen und auch ökonomischen Verhältnisse in Kärnten bis heute wohl entscheidend anders gestaltet.

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