MOZ, Nummer 51
April
1990
Staatspolizei:

Unseren täglichen Verdacht gib uns heute

Seit zwei Jahrhunderten ermittelt die politische Polizei gegen den ‚inneren‘ Feind. Mal hieß sie Hohe Polizey, mal Gestapo, heute nennt sie sich Staatspolizei. Ihre Devise lautet: Beobachten, vermerken, Verdachtsmomente sammeln. Eine Tätigkeit, die sich notwendigerweise im Geheimen abspielt und deshalb auch nicht durch Gesetze oder Kommissionen zu kontrollieren ist.

Aus: „Die Polizei“, Verlag Paul Müller

Die Polizeiagenten lügen und übertreiben wegen Mangel an Stoff ganz unverantwortlich. Da kommen schlechte Objekte unter ihnen, denn gute übernehmen solche Posten nicht, leicht auf den Gedanken: machen andere Leute keine Attentate, so müssen wir nachhelfen.

Reichskanzler Bismarck (1815-1898)

Ein Skandal ergibt den anderen. Als der Chef der Staatspolizei, Anton Schulz, am Freitag, den 23. Februar, im „Noricum“-Untersuchungsausschuß aussagte, daß die Firma „Noricum“ von der Stapo Auskünfte über zukünftige Angestellte begehrte — und erhielt —, blieb vielen vor Staunen der Mund offen.

Empörung machte sich breit. Kaum ein Politiker, der sich nicht betroffen zeigte und nach einer gesetzlichen Regelung rief, kaum eine Zeitung, die nicht ihren ‚Fall‘ brachte und somit beweisen konnte, daß sie Zugänge zu den geheimsten Archiven hat.

Dabei ist die Empörung ebensowenig neu wie die Erkenntnis, daß in Österreich bespitzelt und überwacht wird. Seit 1964 — der damalige Innenminister Olah plauderte aus der Schule — erlebten wir Diskussionen über die Stapo mit der nahezu gleichen Regelmäßigkeit wie Nationalratswahlen: Medien deckten auf und ereiferten sich, blieben in ihrem Problembewußtsein doch stets an der Oberfläche: „profil“ etwa entrüstet sich diesmal, daß die Staatspolizei über einen Herrn Anton M. vermerkt hatte, daß er zur „grünen, links-radikalen Gruppe um Frau Komlosy“ gehöre, „obwohl Anton M. niemals mit der Spitzenkandidatin der Wiener Alternativen zusammengetroffen war“ (profil). Vermittelt wird den „profil“-LeserInnen nicht, daß die Bespitzelung linker, radikaler, grüner Gruppen untragbar ist, sondern daß es Herrn M. getroffen hatte — einen vielleicht grundloyalen, ehrbaren Bürger.

Ebenfalls seit Jahrzehnten kursieren Vorschläge für eine gesetzliche Regelung. Sie wurden erarbeitet, um dann wieder verworfen zu werden: Die jeweilige Regierungsmehrheit, welche Partei auch immer sie stellte, legte ihr Veto ein.

Illegale Stapo

So operiert die Staatspolizei immer noch im illegalen Raum. Als ‚Rechts‘grundlage hält eine Allerhöchste Kaiserliche Entschließung vom April 1852 her, die der Staatspolizei vorschreibt, „Ihre Wirksamkeit vorzugsweise auf die Vorbeugung, Entdeckung und Hintanhaltung der Gefahren zu richten, welche die geheiligte Person seiner Majestät des Kaisers, das durchlauchtige Kaiserhaus, die Staatseinrichtungen und überhaupt die bestehende staatliche und öffentliche Ordnung“ bedrohen.

Geändert hat sich seither nichts. Von Kaisers Zeiten wurde das Gesetz — oder vielmehr die Gesetzlosigkeit — in die 1. Republik, dann ins Dritte Reich, dann in die 2. Republik übernommen. Karl Blecha, ehemals Innenminister, in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage, ob er die gesetzlichen Grundlagen für die Stapo für ausreichend halte: „Ja. Das bestehende System hat sich bisher bewährt.“

Nachdem sowohl im „Lucona-“ als auch im „Noricumausschuß“ die Machenschaften der Staatsschützer ins Presselicht gerückt wurden, sahen sich die Staatsrepräsentanten erneut genötigt, Abhilfe in Form eines Gesetzes zu versprechen. Im Rahmen der völligen legistischen Neuordnung von Rechten und Pflichten der Polizei durch das Sicherheitspolizeigesetz — derzeit heftig diskutiert und umstritten — sollte auch die Tätigkeit der geheimen Polizei geregelt werden. Staatstreue, doch liberale Journalisten beklagen allerdings, daß das Sicherheitspolizeigesetz dazu keinen Beitrag wird leisten können. Heißt es dort denn nur lapidar: „Den Sicherheitsbehörden obliegt der Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen der Republik und ihrer Handlungsfähigkeit sowie der Schutz der demokratischen Freiheiten der Menschen im Bundesgebiet.“

Gegen ein staatspolizeiliches Gesetz spricht allerdings, daß ein solches das „unerträgliche Geschwür Staatspolizei“ (Rechtsanwalt Prader) legalisieren würde. Ein Blick über die Grenzen zeigt, daß in jenen Ländern, in denen die Tätigkeit der Politischen Polizei gesetzlich geregelt ist, dem „Schnüffelstaat“ keineswegs ein Riegel vorgeschoben wird.

In Schweden etwa, wo die Registrierung von Menschen auf Grund politischer Meinungen oder Aktivitäten seit den 70er Jahren verboten ist, dürften nach vorsichtiger Schätzung bei der „Säpo“, einer Abteilung der Reichspolizei, knapp eine halbe Million Menschen aktenkundig sein. Trotz verschiedener Gesetze und sozialistischer Regierung ist es den schwedischen Sozialdemokraten nie gelungen, die schwer rechtslastige „Säpo“ auch nur einigermaßen zu kontrollieren. Einziger Erfolg der Mannen um Palme: Sie schufen einen militärischen Geheimdienst, das „Informationsbüro“, der seinerseits Personen überwachte und mit der „Säpo“ konkurrierte.

In der BRD untersteht das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Innenminister, seine Aufgaben und Rechte sind seit 1950 gesetzlich geregelt. Unter anderem wird festgehalten, daß dem Verfassungsschutz „keine polizeilichen Befugnisse“ exekutiver Art zukämen — mit dem Ziel, eine Machtakkumulation, wie sie sich aus der Verbindung von Informationsbeschaffung bei gleichzeitiger Vollziehungskompetenz ergibt, zu verhindern. Doch grau ist alle Theorie: „Längst ist eine zunehmende Verschmelzung der geheimdienstlichen und polizeilichen Tätigkeitsbereiche zu beobachten“, weiß Rolf Gössner, Rechtsanwalt in Bremen und Autor zahlreicher polizeikritischer Bücher. Und dort, wo neue Gesetze geschaffen werden — etwa der „Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz“ — ist die „Legalisierung bisher ungesetzlicher Erhebungsmethoden und Eingriffe vorgesehen“ (Gössner).

Hilft Kontrolle?

Neben einer gesetzlichen Regelung soll eine parlamentarische Kontrollkommission die erhitzten und vor allem mißtrauischen Gemüter beruhigen. Die österreichische Regierung macht sich dabei gar nicht erst die Mühe zu verheimlichen, daß, wenn schon parlamentarische Kontrolle, dann nur durch jene, die eindeutig und zu 150% über jeden Zweifel erhaben sind — oder, mit anderen Worten: Kontrollieren dürfen sollen jene, in deren Auftrag und Interesse jahrzehntelang geschnüffelt wurde. Der Vorschlag beabsichtigt nämlich, die Kontrollfunktion Abgeordneten der Regierungspartei(en) und der größten Oppositionspartei zu übertragen. Die Grünen, denen ohnehin keine radikalen oder gar umstürzlerischen Ambitionen nachgesagt werden können, werden ausgesperrt.

Abgeschaut haben sich Österreichs Politiker die Scheinkontrolle in der BRD: Dort war seit 1978 eine „Parlamentarische Kontrollkommission“ tätig, die bis 1983 von allen Parteien beschickt wurde. Doch mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag wurde flugs eine Klausel eingesetzt, die aus dem Unterausschuß ein Spezialgremium machte: Von nun an bestimmte die parlamentarische Mehrheit fünf vertrauenswürdige Abgeordnete. Und weil man einander gut Freund sein wollte, erlaubte die SPD-Mehrheit Christdemokraten die Teilnahme ebenso, wie die heutige Regierung den Sozis Zutritt in das Geheimgremium gestattet. Eine Hand wäscht eben die andere. Nur die Grünen mußten draußen bleiben. Ein Ausschluß, der mittlerweile auch vom ‚unabhängigen‘ Gericht, genauer dem Bundesverfassungsgericht, bestätigt wurde. Urteilsbegründung: Der „Ausschluß einer Fraktion von der Teilnahme an den paralmentarischen Beratungen ist schon aufgrund bloßer Mutmaßungen, die nicht einmal weiter erhärtet zu werden brauchen, zu gestatten“.

Der Staat hat ein rechtsstaatliches Männtelchen nicht not.

Im vergangenen Jänner ist die Scheinlegitimation der parlamentarischen Kontrolle vollends zusammengebrochen. Der SPD-Abgeordnete Gerhard Jahn trat aus der Kommission aus, weil sie ohnehin nur „Alibifunktion“ habe und als „gescheitert“ anzusehen ist: der Kontrollauftrag ist „nicht erfüllbar“.

Der innere Feind

Daß politische Polizei nicht zu kontrollieren ist, liegt in ihrem Wesen. Entstanden ist sie in deutschen Landen als Reaktion auf die Französische Revolution und die ihr folgende gesellschaftliche Differenzierung: Mehr Menschen wollten mitreden, mehr Menschen konnten sich kraft ihrer ökonomischen Position Mitspracherechte erkämpfen. Die Herrschenden entdeckten, daß diese politisierten Bevölkerungsteile sich gegen die bestehende Ordnung, den Staat und seine Institutionen auflehnen könnten.

Der innere Feind war geboren.

Dieser „neuen Erfahrung entsprach von staatlicher Seite eine gegen das Innere gerichtete, politisierte, eben die politische Polizei: Sie erhielt ein Operationsfeld im bisher nirgends zusammenhängend aufgehellten Dunkelfeld zwischen regierungsamtlicher, öffentlich bekundeter Politik und den gesellschaftlichen Vorgängen ‚ex imperio‘ in Presse, Vereinswesen und — später — neu errichteten Landtagen“, schreibt Wolfram Siemann in seiner Habilitationsschrift über die „Anfänge der politischen Polizei“. Seine These: Die politische Polizei „entstand als Werkzeug der jeweils Regierenden gegen einen nicht umkehrbaren Prozeß der Modernisierung“.

Diesen Charakter als Instrument der Herrschenden hat die politische Polizei bis heute behalten. Ob „Hohe Polizey“, wie sie zu Kaisers Zeiten hieß, ob „Stasi“, „Gestapo“ oder eben Staatspolizei — das Etikett ändert sich, die Funktion bleibt.

„Unter ‚politischer Polizei‘ versteht man denjenigen Arbeitstheil der Polizeibehörden, welcher sich mit Beobachtung, Vorbeugung, Repression und Entdeckung der politischen Bewegungen beschäftigt“, notierte der königlich hannoversche Archivsekretär Gustav Zimmermann im Jahre 1852. 138 Jahre später findet ein Doktor X, Pseudonym eines Staatspolizisten, im „Standard“ fast idente Worte: „Nur muß ich ganz allgemein der Polizei die Möglichkeit geben, auch im Vorfeld zu ermitteln, Daten zu erfassen, Entwicklungen zu beobachten und aus diesen Erkenntnissen Schlüsse zu ziehen und auch politische Entscheidungsträger zu informieren.“ Verdacht als herrschendes Prinzip

Präventive Ermittlung ist das Schlüsselwort für staatspolizeiliche Tätigkeit. Ermittelt werden soll, so das Argument, nicht erst dann, wenn ein Vergehen vorliegt, sondern die Polizei müsse systematisch Verdachtsgewinnung betreiben, d.h., ein gewisses ‚verdächtiges‘ Umfeld ständig beobachten, wobei, wie der baden-württembergische Landespolizeipräsident die international angewandte Regel plastisch beschrieb, „selbst das Schwarze unter dem Fingernagel“ interessiert. „Verdacht“ reiht sich so an „Verdacht“, solange bis einE SchuldigeR gefunden ist. Die Verurteilung der österreichschen Journalistin und linken Feministin Ingrid Strobl in der BRD etwa erfolgte ausschließlich auf Grund solchermaßen gesammelter „Verdachtsmomente“. Obwohl oder gerade weil nicht zu beweisen war, daß sie den inkriminierten Wecker, der später angeblich bei einem Anschlag verwendet wurde, gekauft hatte, basierte das Urteil auf Beobachtungen: was sie geschrieben hatte oder mit wem sie befreundet war.

Wenn aber ein unbekannter Täter einer unbekannten Straftat ermittelt werden soll, dann hat sich das notwendigerweise im Geheimen und Illegalen abzuspielen. Milieustudien sind dafür ebenso erforderlich wie fallweises Observieren aber „sagen Sie nicht bespitzeln“, ersucht der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit in Österreich, Robert Danzinger, denn: „Das ist kein schöner Ausdruck. Die Staatspolizei bespitzelt nicht, sie hält fest, sie merkt vor. Und es gibt dafür immer einen Grund. Denn selbst wenn gegen diese Person nichts vorliegt, könnte es ja sein, daß sich aus einem Hinweis was ergibt.“

Der österreichische Verfassungsgerichtshof bestätigt diese Praxis. Eine Überwachung sei als „vorbeugende Aufklärungstätigkeit zum Schutze des Staates“ zu rechtfertigen, hält er fest.

Eine selbst juristisch unhaltbare Darstellung. Denn wenn ein legitimer Verdacht besteht, daß eine Person oder Gruppe eine strafbare Handlung begangen hat oder „Universaldelikte“ wie „Hochverrat“ oder „Angriffe gegen den Staat oder seine obersten Organe“ konkret vorbereitet, dann gibt es eine lange Reihe von Bestimmungen im Strafgesetzbuch, die ein polizeiliches Einschreiten ermöglichen.

Doch der Obrigkeit geht es um anderes. Verbrechens- oder auch Drogenbekämpfung liefern nur den Vorwand, um den Überwachungsstaat zu legitimieren. Der Staat will ganz einfach Bescheid wissen; wie er mit dem angehäuften Material verfährt, entscheidet er nach politischer Opportunität: Was heute gegen eine Person verwendet wird, um ihr den Zugang zu einer beruflichen Stelle zu verwehren, ohne ein „Berufsverbotsgesetz“ zu benötigen, kann morgen als Grund ausreichen, um interniert zu werden.

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