Vom „Kampf um die Erinnerung“ zur Inszenierung eines Medien-Hype
Der Wiener Philosoph Rudolf Burger hat mit seinem Artikel „Die Irrtümer der Gedenkpolitik. Ein Plädoyer für das Vergessen“, der im Heft 2/2001 der „Europäischen Rundschau“ und wenig später in gekürzter Form in einem Kommentar des „Standard“ [1] veröffentlicht wurde, für Furore gesorgt. Die durchaus überzogenen Angriffe gegen eine Gedächtnispolitik, die „keine analytische Kur mit kathartischer Wirkung, sondern eine politische Erpressungsstrategie mit moralischen Mitteln“ sei, die conclusio, dass „Vergessen nicht nur ein Gebot der Klugheit, sondern auch ein Akt der Redlichkeit, (...) eine Geste der Pietät“ wäre, nicht zuletzt provokante Formulierungen wie dass die NS-Zeit „real (...) so versunken wie Karthago“ ist und Vorwürfe wie „moralische Ausbeutung der Toten“, „Schuldstolz“ etc. haben Burger weniger als philosophischen Zeitkritiker denn als durchaus erfolgreichen Medien-Strategen ausgewiesen. Wochenlang füllte die sogenannte „Burger-Debatte“ die Kommentarspalten der Printmedien, das Nachrichtenmagazin „Format“ widmete den Thesen Burgers sogar eine Titel-Geschichte — allerdings: Das „Zeitfenster“ (Marianne Enigl) der medialen Aufmerksamkeit war begrenzt und mit dem Erscheinen des Heftes 3 der „Europäischen Rundschau“, das als Diskussionsforum zu den im vorherigen Heft veröffentlichten Thesen konzipiert war, [2] im wesentlichen ge- oder vielmehr verschlossen: Die differenzierten „Antworten“ von WissenschafterInnen auf Burgers Thesen stießen eigentlich kaum noch auf Interesse.
Retrospektiv scheint es sich eher um die Inszenierung einer Debatte zu handeln, um die gelungene Intervention in die mediale „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, [3] die außerhalb Österreichs allerdings kaum auf Resonanz stieß. Dennoch soll diese Debatte — und nicht Burgers provokant-triviale Thesen — zum Anlass genommen werden, um aktuelle Diskurse und Praxisformen gesellschaftlicher Erinnerung im Spannungsfeld zwischen „Kultur“, „Politik“ und „Wissenschaft“ zu reflektieren.
I. Gedächtnis zwischen Kultur, Politik und Wissenschaft
„Gedächtnis“ ist in den letzten Jahren im globalen Maßstab zu einem Thema von gesellschaftspolitischer Relevanz geworden. Pierre Nora spricht von einer weltweiten „Gedächtniskonjunktur“, einer „Flutwelle der Erinnerung“, in der neue Formen der Aneignung der Vergangenheit entwickelt werden, sei es durch ein neues Interesse an dem, „was die Angelsachsen heritage, die Franzosen patrimoine und die Deutschen Erbe nennen“, sei es durch einen Bruch mit bisherigen Traditionen bzw. Narrationen gesellschaftlicher Erinnerung, durch Kritik an der offiziellen Geschichtsschreibung und ein „Wiedererwachen“ des Verdrängten. [4] Insofern ist nicht nur in Österreich der „Zivilisationsbruch Auschwitz“ (Dan Diner) [5] zum „Gravitationszentrum der neueren Geschichte“ [6] geworden; „Gedächtnis“ ist in den letzten Jahren global zu einer Schnittstelle (kultur-)wissenschaftlichen, politisch-öffentlichen und kulturellen Interesses geworden. Im Rahmen einer gesteigerten Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Formen der Erinnerung (bzw. den „sozialen Rahmen“ individueller Erinnerungen) haben sich unterschiedliche Verwendungszusammenhänge herauskristallisiert, die sich im wesentlichen zwischen zwei Polen bewegen:
1. Gedächtnis als Kategorie der politischen Kultur
Der Umgang mit den „wunden Punkten“ der „eigenen“ Geschichte, d.h. die Auseinandersetzung mit Verbrechen, die auf das gesamte Kollektiv und nicht nur auf individuelles Fehlverhalten zu beziehen sind, wird zunehmend als Maßstab für die zivilgesellschaftliche Verfasstheit eines Staates betrachtet. Dieser Befund verweist auf aktuelle Debatten und Konflikte um die „Bewältigung“ der jüngsten Vergangenheit, wie etwa auf die Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien oder mit den Verbrechen des Apartheid-Regimes in Südafrika, aber auch auf nach wie vor virulente Fragen des Umgangs mit länger zurückliegenden Ereignissen wie der Rolle Japans im Zweiten Weltkrieg oder der Haltung der Türkei zum Völkermord an den Armeniern. [7] In einem transnationalen Zusammenhang steht jedoch der Stellenwert des „Zivilisationsbruchs Auschwitz“ im Zentrum der Debatte. Was Norbert Frei für Deutschland konstatiert — „eine politische Kultur, die sich in hohem Maße über den kritischen Umgang mit der NS-Vergangenheit definiert“ [8] —, gewinnt an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert globale Relevanz: Die Shoah kristallisiert sich als „Leitbild eines Menschheitsgedächtnisses“ (Frei) im Rahmen eines zivilgesellschaftlich verfassten Gesellschaftsmodells heraus. [9] In diesem Zusammenhang bilden Fragen von Schuld und Verantwortung — als generationenübergreifende Verantwortlichkeit für den Bruch in der eigenen Kultur — den Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Formulierung bzw. die Durchsetzung von Narrationen über die Vergangenheit, die sich als eine „Politik der Anerkennung“ einer kollektiven Verantwortung für Verbrechen in der Vergangenheit verstehen. Die gegenwartsbezogene Dimension der „Schuldfrage“ richtet sich sowohl auf einen adäquaten Umgang mit dieser Vergangenheit als auch auf gesellschaftspolitische Leitlinien der Gegenwart: Zeichen des kulturellen Gedächtnisses — Rituale des Gedenkens, die Errichtung von Denkmälern, Museen und Ausstellungen, Initiativen historisch-politischer Aufklärung etc. — implizieren eine Anerkennung des Schicksals der Opfer, denen diese Würdigung und damit materielle und symbolische Formen von „Wiedergutmachung“ oft versagt blieben.
Zugleich bildet diese „Vergangenheit“ ein normatives Bezugsereignis der politischen Kultur. Das Bekenntnis zu den „dunklen Seiten“ der eigenen Geschichte verpflichtet zur zivilgesellschaftlichen Orientierung in der Gegenwart, vor allem zu konkreten politischen Maßnahmen gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Intoleranz und die Diskriminierung von Minderheiten.
2. Gedächtnis als Kategorie wissenschaftlicher Reflexion und Analyse
Um die Begriffe „Gedächtnis“ und „Identität“ fokussieren sich jene Forschungsperspektiven, die im Zusammenhang mit der kulturwissenschaftlichen Wende in den Geisteswissenschaften an Relevanz gewonnen haben. „Gedächtnis“ bezieht sich dabei nicht — wie im oben skizzierten Feld der politischen Kultur — primär auf die moralisch-ethischen Normen einer Gesellschaft, [10] sondern bezeichnet eine deskriptiv-analytische Kategorie. [11] Das Interesse gilt den kulturellen Formen der Erinnerung, mit denen die Weitergabe kollektiv geteilten Wissens über die Generationenabfolge hinaus gesichert werden soll. Kollektives Gedächtnis — verstanden als jenes Wissen, das „die Gesellschaft in jeder Epoche mit ihren gegenwärtigen Bezugsrahmen rekonstruieren kann“ (Maurice Halbwachs) [12] — ist immer eine Konstruktion der Vergangenheit aus dem Blickpunkt der Gegenwart und damit dynamischen Veränderungen unterworfen. Zugleich werden die Wertorientierungen einer Gesellschaft in ihrer „kulturellen Überlieferung“ sichtbar gemacht. Die Beziehung zur Gesellschaft ist für den von Jan Assmann geprägten Begriff des „kulturellen Gedächtnisses“ [13] ebenso konstitutiv wie für das von Pierre Nora entwickelte Konzept der „lieux de memoire“; Dan Diner spricht in diesem Zusammenhang vom „Gedächtniskollektiv“ als einer Formation, die nationale bzw. ethnische Kollektive neu definiert. [14] Das Erkenntnisinteresse richtet sich jedoch — im Unterschied zu den Interessen der AkteurInnen im geschichtspolitischen „Kampf um die Erinnerung“ und gegen die Hegemonie der „Verdrängungs“-Narrationen — auf die Konstruktionsmechanismen gesellschaftlicher Erinnerung, wenngleich gerade die Geschichtswissenschaft vielfältig mit den Deutungskämpfen um die Vergangenheit verflochten ist.
II. Zeitgeschichte und „österreichisches Gedächtnis“
Die Geschichtswissenschaft steht nicht außerhalb der Wissensformationen einer Zeit. Gerade die Zeitgeschichtsforschung ist einerseits in den „Kampf um das Gedächtnis“ involviert: Die Waldheim-Debatte 1986 und vor allem das darauffolgende „Gedenkjahr 1938/88“ sind ein exemplarisches Beispiel für die spezifische Funktion der Wissenschaft im gesellschaftlichen Verhandlungsprozess um das Geschichtsbild. Wissenschaftliche Fragestellungen und Erkenntnisinteressen orientieren sich aber nicht allein an aktuellen Erfordernissen bzw. am generationsspezifischen Erfahrungshintergrund, sondern auch an den theoretischen Entwicklungen im wissenschaftlichen Feld.
Die Transformationen gesellschaftlicher Erinnerung lassen sich demnach nicht nur auf der Inhaltsebene, also im re-writing der Darstellung von Ereignissen (wie etwa dem „Anschluss“ im März 1938) lokalisieren, sondern auch im Hinblick auf jene Veränderungen in der Sichtweise der Vergangenheit, die durch einen methodisch-theoretischen „Perspektivenwechsel“ hervorgerufen werden.
Die wichtigsten Impulse im Hinblick auf eine neue Sichtweise auf die „Verdrängungs“- Geschichte der Zweiten Republik gehen zum einen von der oben skizzierten kulturwissenschaftlichen Wende mit ihrem Postulat, dass kollektives Gedächtnis immer eine soziale Konstruktion darstellt, aus; zum anderen vom zunehmenden Interesse an den transnationalen Strukturmerkmalen im Umgang mit dem Trauma des „Zivilisationsbruchs“. Tony Judt hat in seinem bahnbrechenden Beitrag „The Past is Another Country: Myth and Memory in Postwar Europe“ die Verdrängung des Nationalsozialismus als eine gemeinsame Signatur der europäischen Nachkriegsgesellschaften analysiert; [15] im Hinblick auf die Konstruktion (und Dekonstruktion) von politischen Mythen über die „Unschuld“ des Volkes ist der Umgang Österreichs mit der NS-Vergangenheit also kein singuläres Phänomen, sondern eine spezifische Ausprägung eines gesamteuropäischen Prozesses. Das Spannungsfeld von Verdrängung und Aufarbeitung, die politischen Rahmenbedingungen (Säuberung, Ahndung von NS-Verbrechen, Integration ehemaliger NationalsozialistInnen bzw. SympathisantInnen des Regimes, Konfrontationslinien des Kalten Krieges, etc.) der jeweiligen Aktualisierung von „Vergangenheit“ und die Transformation der Perspektive von einer heroisch-nationalen Widerstands-Geschichte bis zur gegenwärtigen Fokussierung auf die Involvierung der jeweiligen Gesellschaft in den „Zivilisationsbruch Auschwitz“ kann — in unterschiedlichen nationalen bzw. in der Ost-West-Konstellation — als ein Grundmuster der politischen Kultur in Europa seit 1945 angesehen werden.
Die Bezugnahme auf das „österreichische Gedächtnis“ einer verdrängten NS-Vergangenheit [16] — ebenso wie die zumeist konservative Kritik an dieser „Nestbeschmutzung“ [17] — argumentiert hingegen zumeist im Rahmen von „nationalen“ Erklärungsmustern. Die gegenwärtige österreichische Gedenk-Kultur — ebenso wie die wissenschaftliche Aufarbeitung der „verdrängten“ Vergangenheit — ist allerdings ohne die internationalen Tendenzen einer „Globalisierung“ des Holocaust als historischem Bezugpunkt eines zivilgesellschaftlichen „Menschheitsgedächtnisses“ nicht hinreichend zu erklären.
Das innovative Potential einer transnational orientierten, kulturwissenschaftlichen Perspektive auf die Schichtungen der österreichischen Erinnerungsdebatten [18] liegt dementsprechend in der Rekonstruktion von „Gedächtnis“ als einer dynamischen Kategorie, als die immer wieder in neuen Konstellationen und mit veränderten Semantiken geführte Auseinandersetzung um die „Deutungsmacht“ im Hinblick auf die NS-Zeit. Demgegenüber evoziert das Vokabular der „unbewältigten Vergangenheit“, wie es sich seit der Waldheim-Debatte herauskristallisiert hat — Amnesie, „Schweigen“, Ausblendung etc., das statische Bild eines homogenen „Verdrängungsdiskurses“ in der Zweiten Republik, ausgehend von der bekannten Formulierung der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945, daß Österreich „das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist, (...)“ sei. [19]
Die gesellschaftlichen Verarbeitungsformen der Erfahrung des NS-Regimes bzw. die dabei entwickelten Erzählmuster und Rechtfertigungsstrategien erweisen sich jedoch als vielstimmig und widersprüchlich, in jeweils unterschiedlichen Bedeutungszusammenhängen verwendbar. So war etwa die Berufung auf den österreichischen Freiheitskampf — aus heutiger Sicht ein Teil der österreichischen Verdrängungsgeschichte — in den 60er Jahren eine vielfach umstrittene Initiative politisch-historischer Aufklärung, die vor dem Hintergrund eines virulenten Deutschnationalismus bzw. von weitverbreiteten Tendenzen der Verharmlosung oder Umdeutung des Nationalsozialismus (etwa als Abwehrkampf gegen den „Osten“) zu sehen ist. Angesichts des „Buhlens um die Stimmen der Ehemaligen“ als einer Konstante in der politischen Kultur Österreichs waren die Errichtung des ersten Denkmals der Republik Österreich für den österreichischen Freiheitskampf und die Durchsetzung eines österreichischen Nationalfeiertags (und nicht, wie seitens der FPÖ gefordert, eines Staatsfeiertages) im Jahr 1965 durchaus umstrittene geschichtspolitische Positionierungen. Dementsprechend folgte die Thematisierung von „Widerstand und Verfolgung“ in der Zeitgeschichts-Forschung der 60er bzw. 70er Jahre der Intention, angesichts des vorherrschenden Meinungsklimas den verbrecherischen und anti-österreichischen Charakter des NS-Regimes verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. [20]
Eine Analyse der „österreichischen Gedächtnisgeschichte“ aus der Perspektive einer „Sozialgeschichte des Erinnerns“ (Peter Burke) [21] öffnet die Perspektive auf die Vielschichtigkeit und Historizität der Konfliktfelder und der Semantiken — nicht nur jener der „Verdrängung“, sondern auch der Diskurse gesellschaftspolitischer Aufklärung. Bereits wenige Jahre nach Kriegsende hielt man die „Vergangenheit“ für „bewältigt“ — bis eine neue „Intervention“ (Skandale wie die Schillerfeier am Heldenplatz 1959, die Borodajkewycz-Affäre 1965, Kreisky-Peter-Wiesenthal 1975, Reder-Frischenschlager 1985, Waldheim 1986, Medienereignisse wie „Holocaust“, aber auch die Resonanz auf den Eichmann-Prozeß und die Auschwitz-Prozesse in der BRD etc.) den bisherigen Konsens entlegitimierte oder zumindest prekär erscheinen ließ und die „Schweigestellen“ im Umgang mit der NS-Vergangenheit sichtbar werden ließ. Mit der Waldheim-Debatte hat schließlich die österreichische Variante der Neuverhandlung der Geschichte, die in den 1980er Jahren in vielen europäischen Ländern zu konstatieren ist, [22] eingesetzt.
Vieles deutet darauf hin, daß sich das Konzept des „Gedächtnisses“ gegenwärtig von der geschichtspolitischen Kampfvokabel zur reflexiven Kategorie entwickelt. Die durchaus provokante Ausgangsfrage des vom Salzburger Historiker Ernst Hanisch konzipierten Eröffnungspanel des österreichischen Zeitgeschichtetags 2001 — „Ist die Geschichte der Zweiten Republik nur eine Geschichte der unaufgearbeiteten österreichischen NS-Vergangenheit?“ — ist ein Indikator dafür; noch vor wenigen Jahren hätte dieser durchaus provokante Anstoß für eine Selbstreflexion der österreichischen Zeitgeschichte und ihrer „Obsessionen“ wohl nicht in dieser Form formuliert werden können, ohne den Applaus von der „falschen Seite“ zu befürchten.
Ist die Burger-Debatte vor dem Hintergrund der mittlerweile weitgehenden Akzeptanz der Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes als Versuch zu sehen, die „alten“ Konfliktmuster der Debatte „Erinnern versus Vergessen“ wieder zu reaktivieren? Die Evozierung dieses Erregungspotentials war allerdings nur möglich, weil diese Kritik nun (vermeintlich) von „links“ kam, während die traditionelle „Schlussstrich“-Forderung von „rechts“ kaum noch für mediales Aufsehen sorgt.
Anders als unter den Schweigegeboten der Nachkriegszeit, deren Ende wohl erst mit 1986 zu datieren ist, geht es nun nicht mehr primär um den „Kampf“ um die Aufnahme der Opfer des Nationalsozialismus in das öffentliche Gedenken. Vielmehr rückt die Frage nach der adäquaten Formung dieses Gedenkens in den Vordergrund, nicht zuletzt auch im Hinblick auf das Ende der Generation der Mitlebenden und den Übergang vom kommunikativen zum kulturell geformten Gedächtnis. In wenigen Jahren wird die Weitergabe „authentischer“ Erfahrungen — und sei es durch Schweigen und Verdrängen — abgebrochen sein, wird die Darstellung des „Zivilisationsbruchs“ weitgehend durch die Medien des kulturellen Gedächtnisses — Texte, Bilder, Riten, Gedächtnisorte — geprägt werden. Die Tradierung dieser Erfahrung über die Schwelle des lebendigen Gedächtnisses hinaus, die Bewahrung dieser Erinnerung vor der Erstarrung und dem Verblassen ist wohl die eigentliche Herausforderung gegenwärtiger Gedenkkultur.
[1] Rudolf Burger: Die Irrtümer der Gedenkpolitik. Wider die Rede von der „Verdrängung der Nazizeit“ — Ein Plädoyer für das Vergessen, in: Der Standard, 9./10.6.2001, S. 46f.
[2] Verdrängen? — Vergessen? — Erinnern? Eine Diskussion, in: Europäische Rundschau. Vierteljahreszeitschr. f. Politik, Wirtschaft und Zeitgeschichte 29 (2001) 3, S. 3-70. (Mit Beitr. v. Rudolf Bretschneider, Isolde Charim, Konrad P. Liessmann, Peter Michael Lingens, Christian Meier, Martin Meyer, Günther Nenning, Anton Pelinka, Alfred Pfabigan, Hans Rauscher, Heidemarie Uhl, Werner W. Emst).
[3] vgl. Heidemarie Uhl: Gedächtnis zwischen Gesellschaftskritik und Medien-Hype, oder: Was ist das Neue an der Debatte um Rudolf Burgers „Plädoyer für das Vergessen“?, in: ebda, S. 61-66.
[4] Pierre Nora: Gedächtniskonjunktur, in: Das Gedächtnis des Jahrhunderts. Transit. Europäische Revue 22 (2002). (in Druck).
[5] Dan Diner (Hg.): Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt am Main 1988.
[6] Hartmut Böhme/Peter Matussek/Lothar Müller: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will, Reinbek bei Hamburg 2000 (rowohlts enzyklopädie), S. 150 (Kapitel „Erinnerung und Gedächtnis“).
[7] zum neu konzipierten Forschungsfeld der vergleichenden Genocidforschung vgl. Mihran Dabag, Genozidforschung. Leitfragen, Kontroversen, Überlieferung, in: Zeitschrift für Genozidforschung, 1. Jg. 1999, H.1, S. 6-35.
[8] vgl. Norbert Frei: Abschied von den Zeitgenossen, in: Süddeutsche Zeitung, 9./10.9.2000, S. 18.
[9] vgl. Daniel Levy/Natan Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter, Frankfurt am Main 2001 (Edition Zweite Moderne).
[10] zur Frage der ethisch-moralischen Dimension von Erinnerung vgl. Avishai Margalit: Ethik der Erinnerung. Max Horkheimer Vorlesungen, Frankfurt am Main 2000.
[11] Edgar Wolfrum geht in seinem Versuch einer begrifflichen Differenzierung von dieser Leitdifferenz aus, er unterscheidet zwischen den Termini Geschichtsbewusstsein-Geschichtskultur-Geschichtspolitik einerseits und „Vergangenheitsbewältigung“ (der Begriff wird auf den Umgang mit dem Nationalsozialismus bezogen) und „Vergangenheitspolitik“ andererseits, unter letzterem versteht Wolfrum den Umgang mit dem personellen und institutionellen Erbe eines überwundenen (diktatorischen) Systems. Vgl. Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1989. Phasen und Kontroversen, in: Petra Bock, Edgar Wolfrum (Hg.): Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich, Göttingen 1999 (Sammlung Vandenhoeck), S. 55-81, insbes. S. 56-60.
[12] zit. n. Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: ders., Tonio Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt am Main 1988, S. 13.
[13] zit. n. Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: ders., Tonio Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt am Main 1988, S. 13.
[14] Dan Diner: Über Schulddiskurse und andere Narrative. Epistemologisches zum Holocaust, in: Gertrud Koch (Hg.): Bruchlinien. Tendenzen der Holocaustforschung, Köln-Weimar-Wien 1999 (= Beiträge zur Geschichtskultur 20), S. 61-84.
[15] vgl. Tony Judt: Die Vergangenheit ist ein anderes Land. Politische Mythen im Nachkriegseuropa, in: Transit (1993) 6, S. 87-120.
[16] Der Begriff des „österreichischen Gedächtnisses“ bezieht sich auf eine „spezifisch österreichische Kultur des Erinnerns und Vergessens“ bzw. „spezifische Strategien der Normalisierung des Nationalsozialismus in Österreich nach 1945“. Vgl. Waltraud Kannonier-Finster, Meinrad Ziegler: Einleitung und Ausgangspunkte, in: dies., unter Mitarb. v. Marlene Weiterschan: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit, Wien/Köln/Weimar 1997, S. 11,13.
[17] Ein instruktiver Überblick über die zeitgeschichtliche Forschungslandschaft und insbesondere über die Positionen der zumeist konservativen Kritik an der Fokussierung auf die NS-Vergangenheit ist Günter Bischofs Rezension des Buchs von Hubert Feichtlbauer, Der Fall Österreich. Nationalsozialismus, Rassismus: Eine notwendige Bilanz, Wien 2000, zu entnehmen. Vgl. Günter Bischof, Der unerwartete Triumph der „gnadenlos Guten“, in: Zeitgeschichte 28 (2001) 6, S. 331-341.
[18] Diesen Überlegungen liegen die Forschungsergebnisse des interdisziplinären Projekts „Transformationen gesellschaftlicher Erinnerung. Interdisziplinäre Forschungen zur österreichischen Gedächtnisgeschichte in der Zweiten Republik“ zugrunde, das im Rahmen des kulturwissenschaftlichen Forschungsschwerpunktes des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Wien) gefördert wird.
[19] Proklamation v. 27. April 1945, in: Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich, 1.5.1945.
[20] So heißt es einleitend in Wolfgang Neugebauer (Hg.): Widerstand und Verfolgung in Wien 1934-1945. Eine Dokumentation. Bd 1: 1934-1938, Wien 1975, 5: Die Dokumentation habe das Ziel, „den vielfach angezweifelten oder bagatellisierten Widerstand (und damit aufs engste zusammenhängend die Verfolgung) ein für allemal aus dem Zwielicht des Zweifels herauszuheben und auf den Boden unbestrittener Tatsachen zu stellen.“
[21] Peter Burke: Geschichte als soziales Gedächtnis, in: Aleida Assmann, Dietrich Harth (Hg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt am Main 1991, 289-304, 291.
[22] vgl. Judt, 99f.